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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Do no harm, but do something

Sieben Aspekte umsichtiger internationaler Projektarbeit

Wo sich staatliche oder private Geber*innen für die Unterstützung von Freiheit und Menschenrechten engagieren, besteht immer auch die Gefahr, dass die Hilfe am Ende mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Das ist die Erkenntnis, die im Prinzip „Do no harm“ pointiert zusammengefasst wird. Was gut gemeint ist, ist nicht immer auch gut gemacht. „Do no harm“ (richte keinen Schaden an) ist die Aufforderung, genau hinzusehen.

Hilfe kann Schaden anrichten – aber die Furcht davor darf nicht zu Untätigkeit führen. Wir möchten private und staatliche Geber*innen ausdrücklich ermuntern, Projekte zum Empowerment, für Interessenvertretung und zur Unterstützung von LSBTIQ*-Menschenrechtsverteidiger* innen zu initiieren, weiterzuführen und immer wieder zu verbessern. Deshalb haben wir sieben Aspekte für eine umsichtige internationale Projektarbeit mit LSBTIQ* zusammengestellt. Sie sind das Ergebnis von Fach- und Hintergrundgesprächen zwischen Aktivist*innen aus dem Globalen Süden und Norden aus der Projektarbeit der Hirschfeld- Eddy-Stiftung (HES) im Jahr 2022.

1. Das Wissen vor Ort erfragen, Projekte von unten entwickeln

„Viele der Initiativen entstammen der Logik von Interventionen, die von oben nach unten ausgerichtet sind und die nicht anerkennen, dass es einen Erfahrungsschatz sozialer Strategien gibt, die Menschen aus der LSBTIQ*-Gemeinschaft entwickelt haben.“

– Aktivist*in aus Kolumbien

Entsprechend sollten bereits die Konzepte der Förder-Programme mit den lokalen Partner*innen entwickelt werden.

2. Den Kontext der Kriminalisierung beachten

„Viele EZ-Organisationen scheitern daran, auf die täglich wechselnde Situation der Verfolgung zu reagieren und diese in die Arbeit einzubeziehen ... sie bleiben alten Herausforderungen verhaftet.“

– Aktivist aus Uganda

Die Aktivist*innen aus dem Globalen Süden fordern immer wieder: Habt mehr Vertrauen. Bitte arbeitet auch mit nicht registrierten Gruppen. Denn wir haben oft gar keine Chance, uns zu registrieren.

3. Sichtbarkeit ist auch ein Risiko

„Je sichtbarer wir sind, desto größer ist auch die Ablehnung und Diskriminierung, die wir erfahren.“

- Aktivist aus Nicaragua

In vielen Ländern der Welt ist Sichtbarkeit auch eine große Gefahr. Dort wo LSBTIQ* nicht willkommen sind, sondern verfolgt und diskriminiert werden, geraten diejenigen in Gefahr, die sich öffentlich bekennen, deren Fotos gezeigt oder deren Namen genannt werden.

4. Postkolonial – auf Augenhöhe

„Die Entscheidung, Rassismus und Homophobie in den Erzählungen über Kolonialismus voneinander zu trennen, ist nicht nur unehrlich, sondern führt zu Spaltungen: sowohl innerhalb der Community als auch in der Psyche von Individuen.“

– Aktivistin aus Trinidad & Tobago

Dekoloniale Arbeit und Dekolonialität ist den Aktivist*innen im Globalen Süden zunehmend wichtig. Die bestehenden Machtverhältnisse werden als strukturell schädlich angesehen.
Besonders die Vergabekriterien können ein schädliches Machtverhältnis reproduzieren.

5. Flexibilität stärkt Resilienz

Seit Jahren fordert die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, dass die Spielräume des Zuwendungs- und Vergaberechts stärker genutzt und ausgeweitet werden. Das Vergaberecht ist derzeit sehr rigide:

„Kein einziger Geldgeber war bereit, uns Mittel für unsere eigene Sicherheit zu gewähren. Wir mussten selbst das Geld aufbringen für Kameras, Metalltüren und Sicherheitspersonal.“

– Aktivist aus dem Libanon

6. Existenzen sichern - Organisationen stärken

„Hilfreich ist Core-Funding – mehr in Richtung institutionelle Förderung. Das heißt, die Organisation insgesamt zu unterstützen und nicht nur ein Projekt innerhalb der Organisation – aber nicht mit so vielen Hürden.“

– Aktivistin

7. Existentielle Not ist eine ständige Bedrohung – intersektional denken

„Seit Anfang 2020 sind die Leute zu uns gekommen, weil sie um Hilfe zur Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse gebeten haben.“

– Aktivist aus dem Libanon

Soziale Ächtung, strafrechtliche Verfolgung aber auch prekäre wirtschaftliche Verhältnisse machen LSBTIQ* zu einer äußerst vulnerablen Gruppe. Das heißt im Alltag, dass sie immer auch zu denen gehören, die von Programmen gegen Armut, zur Verbesserung öffentlicher Gesundheitsleistungen und für Schul- und Ausbildung profitieren. Lebensbedrohlich für LSBTIQ* wird es, wenn der Entzug von Hilfe damit begründet wird, dass Homosexuelle in dem Land verfolgt werden:

„Das Problem mit Forderungen nach Streichung der Entwicklungszusammenarbeit ist, dass wir dann die Probleme bekommen, die Aktivist*innen. Wir sind dann die Sündenböcke.“

– Aktivist aus Uganda

Die Broschüre kann auf der Website der Hirschfeld-Eddy-Stiftung kostenlos bestellt und heruntergeladen werden. Projektwebsite „Do no harm“ mit Hintergrundartikeln, Fotos
und Videos.

Sarah Kohrt
Hirschfeld-Eddy-Stiftung