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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts

Der LSVD begrüßt das Vorhaben des Bundesjustizministeriums, das Völkerstrafrecht fortzuentwickeln. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche, nichtbinäre und queere Menschen (LSBTIQ*) gehören weltweit zu den vulnerabelsten Gruppen, die besonders häufig von Verfolgung und unmenschlicher Behandlung betroffen sind.

In vielen Ländern werden die Menschenrechte von LSBTIQ* mit Füßen getreten, sie leben in ständiger Gefahr und Angst, denn ihnen drohen Gefängnis, Todesstrafe, Folter und Gewalt. Politische und religiöse Führer schüren oft ein Klima des Hasses und der Verfolgung. In 69 Staaten ist die gleichgeschlechtliche Liebe noch immer strafbar, in sieben Staaten droht die Todesstrafe. Vielerorts sind staatliche Behörden an der Unterdrückung von LSBTIQ* beteiligt, verweigern ihnen jeglichen Schutz vor Anfeindungen und Gewalt. Sie versuchen, LSBTIQ* in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit zu zwingen und ihnen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit abzusprechen.

Besorgniserregend ist die Situation in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten sowie in Subsahara-Afrika. So trat am 26. Mai 2023 in Uganda der sogenannte Anti Homosexuality Act in Kraft. Das Gesetz sieht lebenslange Haftstrafen für gleichgeschlechtliche Handlungen und sogar die Todesstrafe für „schwere Homosexualität“ vor, beschränkt grundlegende Menschenrechte, bedroht die Sicherheit und Würde von LSBTIQ* in Uganda und die Arbeit von LSBTIQ*-Organisationen. Denn die „Förderung der Homosexualität“ wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren und Geldstrafen geahndet. Dadurch können Organisationen, die LSBTIQ* unterstützen, nur noch unter größter Gefahr bzw. nicht mehr arbeiten. Und mehr: Das Gesetz verpflichtet Angehörige, Nachbar*innen, Ärzt*innen, Behörden zur Denunziation, wenn ihnen die Lebensweise oder sexuelle Identität von LSBTIQ* bekannt wird. So können alle Personen wegen tatsächlicher oder angenommener Homosexualität willkürlich denunziert und erpresst werden.

Sorgen bereiten aber auch Russland und einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Seit 2017 wurden in der russischen Teilrepublik Tschetschenien massive Menschenrechtsverbrechen gegen LSBTIQ*, vor allem gegen schwule und bisexuelle Männer verübt. Die Verbrechen umfassten Anstiftung zur Tötung, Ausrottung, Folter, Verschwindenlassen, Zufügen schwerer körperlicher und seelischer Schäden, Freiheitsentzug und Verfolgung. Hierbei hetzen höchste tschetschenische staatliche Vertreter*innen zur massiven Gewalt und Auslöschung queerer Personen in Tschetschenien auf. Die staatlich organisierten Verbrechen wurden bislang nicht geahndet.

Positiv hervorzuheben ist daher, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der Tatbestandsalternativen in § 7 Abs. 1 Nr. 6 und § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB auch trans* und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen mitdenkt und geschlechtsneutrale Formulierungen wählt.

Für einen konsequenten völkerstrafrechtlichen Schutz von LSBTIQ* sollte zudem bei § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB eine Klarstellung bzw. Ergänzung vorgenommen werden, dass auch sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität unzulässige Gründe sind, um einer Gruppe Menschenrechte zu entziehen oder diese wesentlich einzuschränken. Der aktuelle Wortlaut führt zu einer unklaren Rechtslage, die eine effektive Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen gegen LSBTIQ* erschwert.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt. Dies entspricht dem Wortlaut des Römischen Statuts (Art. 7 Abs. 1 lit. h).

In dieser Aufzählung sind sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität nicht ausdrücklich erwähnt. In der Folge bestand lange Rechtsunsicherheit, inwiefern Verbrechen gegen Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität unter das Tatbestandsmerkmal „Geschlecht“ fallen und damit als geschlechtsbasiertes Völkerrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden können. In diesem Zusammenhang ist auch die in Art. 7 Abs. 3 des Römischen Status enthaltene Definition von Geschlecht problematisch, die Geschlecht binär als männlich und weiblich definiert und damit intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen exkludiert.

Der Internationale Strafgerichtshof hatte sich in den letzten Jahren mehrfach mit Völkerrechtsverbrechen gegen LSBTIQ* beschäftigt. Er hat deshalb im Dezember 2022 ein Policy Paper vorgelegt, in welchem er ausdrücklich und ausführlich klarstellt, dass die Verfolgung von LSBTIQ* geschlechtsbasierte Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 1 lit. k Römisches Statut darstellt (ICC, Policy on the Crime of Gender Persecution, 7 December 2022).

Dem deutschen Gesetzgeber bietet sich nun die Chance, diese Entwicklungen in der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs sowie in dessen 2022 veröffentlichtem Policy Paper zur geschlechtsbasierten Verfolgung im VStGB zu verstetigen und die bestehende Rechtsunsicherheit damit auszuräumen. Gerade Deutschland, das selbst über hundert Jahre lang LSBTIQ* systematisch verfolgt hat, steht in der Pflicht, hier auch im VStGB deutlich Stellung zu beziehen. Gleichzeitig könnte die Bundesrepublik so ihre Vorreiterrolle bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen weiter festigen.