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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

81. Jahrestag der Mordaktion an Rosa-Winkel-Häftlingen im Klinkerwerk

Gedenk.Feier in Gedenken an die queeren Opfer des KZ-Sachsenhausen - Rede von LSVD-Vorstand Henny Engels

Mit der Gedenk.Feier wollen die beteiligten Organisationen an die Toten erinnern und ein Zeichen gegen die Kontinuität der Ausgrenzung von queeren Menschen setzen. Die Rede von LSVD-Bundesvorstand Henny Engels anlässlich der Gedenkfeier am 10.9.2023

Sehr geehrte, liebe Anwesende,

es ist mir eine Ehre, heute mit Ihnen und Euch derjenigen zu gedenken, die 1942 hier im Klinkerwerk ermordet wurden.

Sie hatten nichts verbrochen – ihr „Verbrechen“ war, nicht in den so genannten gesunden Volkskörper zu passen, den das nationalsozialistische Deutschland zum Maßstab für das Recht auf Leben machte. Ich spreche bewusst vom nationalsozialistischen Deutschland und nicht von den Nationalsozialisten, denn deren Politik wurde von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung, nicht nur von Mitgliedern der NSDAP, mitgetragen oder zumindest widerspruchslos hingenommen.

Ich spreche hier als Mitglied des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, der sich die Erinnerung an diejenigen, die im Nationalsozialismus wegen ihrer geschlechtlichen Identität und / oder ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt, verfolgt, inhaftiert, gequält und auch ermordet wurden, seit langem als eine wichtige Aufgabe gestellt hat.

Mit meinem Engagement möchte ich dazu beitragen, dass alle Menschen – hier und weltweit – unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, die sein können, die sie sind, ohne dafür diskriminiert, verfolgt oder bestraft zu werden. Dabei motiviert mich auch meine eigene Geschichte: Als langjährige Mitarbeiterin bei katholischen Verbänden habe ich – wie so viele Kolleg:innen auch – erfahren, was es bedeutet, sich selbst zu verschweigen, um sich zu schützen. Erfreulicherweise ändert sich da in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland zurzeit manches. Gleichwohl: Die tiefen Verletzungen, die so vielen von uns dort zugefügt wurden (und manchenorts weiter zugefügt werden), bleiben schmerzhaft, auch wenn sie bei Weitem nicht zu vergleichen sind mit den Leiden der NS-Opfer, derer wir heute gedenken.

Lange Zeit wurden die queeren Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der breiten Öffentlichkeit, aber auch in der Politik nicht als Opfer benannt und anerkannt. Sie teilen dieses Schicksal mit anderen, beispielsweise mit den Sinti und Roma und den Menschen mit Behinderungen, die ebenfalls lange für ein würdiges Gedenken der an ihnen begangenen Verbrechen kämpfen mussten.

Was unsere, die LSBTIQ* Communities angeht, hat der Deutsche Bundestag seit der Einführung der jährlichen Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 1996 lange 27 Jahre gebraucht, um diese Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Noch 2019 ließ der damalige Bundestagspräsident, Dr. Wolfgang Schäuble, dem Initiator der Petition, Lutz van Dijk, zum Gedenken an die queeren Opfer mitteilen: “Wie Ihnen bereits mündlich mitgeteilt wurde, steht er [der Bundestagspräsident] – bei allem Verständnis für Ihr Anliegen – der Aufteilung des Gedenkens in einzelne Opfergruppen allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen skeptisch gegenüber.” Ich frage mich, an welchen Gedenkstunden Herr Schäuble in den Jahren zuvor teilgenommen hat - in denen, die ich verfolgt habe, stand immer eine Opfergruppe im Mittelpunkt. Das lange Verschleppen des Gedenkens hatte zur Folge, dass 2023 keine Überlebenden mehr sprechen konnten; stattdessen stellten Jannick Schümann und Maren Kroymann die Opfer Karl Gorath und Mary Pünjer vor. Die Gedenkstunde war berührend und hat vielen im Bundestag und darüber hinaus die Leiden der queeren Opfer nähergebracht.

Anknüpfend an die Gedenkstunde wird am 29. November im Paul-Löbe-Haus eine Ausstellung über die queeren Opfer des Nationalsozialismus eröffnet. Um deren Leben und Leiden möglichst vielen Menschen näher zu bringen, ist sie als Wanderausstellung konzipiert; Anfang nächsten Jahres wird sie in Ravensbrück zu sehen sein und danach hoffentlich in vielen Städten. Diese Erinnerung muss weiterhin und an viel mehr Orten wachgehalten werden. Ich hoffe darum sehr, dass der Landtag von Brandenburg und das Berliner Abgeordnetenhaus und weitere Landtage in den kommenden Jahren am 27. Januar in ihren Räumen an diese Opfergruppe erinnern und im Rahmen des Gedenkens die Ausstellung zeigen.

In dem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die Gedenkstätten – angesichts einer politischen Entwicklung, in der lauter als je zuvor gefordert wird, „endlich einen Schlussstrich zu ziehen“ – vor neuen Herausforderungen stehen. Dafür müssen sie angemessen, d.h. besser ausgestattet werden. Es braucht neue Ideen, um ohne Überlebende die Erinnerung an die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands wach zu halten; ein Vergessen kann und darf es nicht geben.

Erinnern und Gedenken allein reichen aber nicht aus. Wenn es dabei bliebe, würde es zur leeren Geste oder zum hohlen Ritual. Erinnerung muss Konsequenzen für uns, für heute haben. Dies machte in der Gedenkstunde im Bundestag auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas deutlich.

Aber was heißt das konkret?

Ich beginne in Deutschland. Ja: In unserem Land ist die immer schon vorhandene Vielfalt sichtbarer als früher. Aber dies wird keineswegs von allen und überall als Bereicherung und Beweis für eine gelingende Demokratie gesehen. So steigt die Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ*) beständig an; Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit. Viele trauen sich noch immer nicht, sich am Arbeitsplatz zu outen, und erfahren in vielen Lebensbereichen nach wie vor Ausgrenzung und Diskriminierung. Damit alle jederzeit frei und sicher leben können, bedarf es weiterhin großer Anstrengungen der Zivilgesellschaft und der verfassten Politik – in erster Linie einer nachhaltigen Präventionsarbeit von der Wiege bis zu Bahre. Nur, wenn Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch Bildungsangebote, Medien, Kunst und Kultur vermittelt wird, dass die Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ein Gewinn für alle und für unsere Demokratie ist, werden auf Dauer Ausgrenzung und Diskriminierung queerer Menschen deutlich zurückgehen und bestenfalls aufhören.

Zudem brauchen wir weitere gesetzliche Regelungen. Auf Bundesebene hat sich die Ampelkoalition mit dem queerpolitischen Aufbruch viel vorgenommen – allerdings hapert es doch sehr an der Umsetzung der Maßnahmen zu den hochgesteckten Zielen. Beim Selbstbestimmungsgesetz etwa hat es von den Eckpunkten vom Juni 2022 bis August 2023 gebraucht, um einen Kabinettsentwurf vorzulegen. Und der nun vorliegende Entwurf atmet ein tiefes Misstrauen gegenüber trans Personen. In der Begründung zu Paragraph 6, Abs. 2 etwa sind zahlreiche Beispiele für die Anwendung des Hausrechts und der Vertragsfreiheit aufgeführt, die den Eindruck erwecken, Belästigung von Frauen oder gar Gewalt gehe in einem nicht unerheblichen Maße von trans Frauen aus; eine in meinen Augen geradezu absurde Vorstellung. Fatal ist, dass diese Beispiele die ohnehin aufgeheizte gesellschaftliche Debatte weiter befeuern und gerne von Personen aufgegriffen werden, die die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung von trans*, inter* und nichtbinären Personen zu rechtfertigen versuchen. Auch die Reform des Abstammungsrechts, die die unwürdige Stiefkindadoption in Zwei-Mütter-Familien beendet, steht noch immer aus.

Und eine Ergänzung des Artikels 3 GG, die sicherstellt, dass die gesamte queere Community unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht, ist bisher nicht in Sicht. Dies ist auch deshalb ein Skandal, weil diese Gruppe der im Nationalsozialismus Verfolgten die einzige ist, die an dieser Stelle nicht explizit genannt wird.

Notwendig ist zudem eine Ergänzung des Allgemeinen Gleichbehandlungs-gesetzes. Es geht u.a. um die Erweiterung der Diskriminierungskategorien und die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung, die sich derzeit als zahnloser Tiger erweist. Insbesondere aber muss der Anwendungsbereich auf staatliches Handeln erweitert werden. Denn es ist eine geradezu absurde Vorstellung, dass Diskriminierung von queeren Menschen nicht auch durch staatliche Stellen bzw. Staatsbedienstete erfolgt. Etliche Mitglieder unserer Communities können hiervon ganze Opern singen. Expert*innen vermuten z.B. begründet, dass die Anzeigebereitschaft queerer Menschen wg. erfahrener Hasskriminalität auch deshalb so gering ist, weil die Betroffenen befürchten, von Polizeikräften nicht ernst genommen oder offen diskriminiert zu werden.

Weltweit sind LSBTIQ in besonderem Maße von Armut, Gewalt, zivilgesellschaftlicher und auch staatlicher Verfolgung bedroht. In einigen Ländern droht ihnen sogar die Todesstrafe. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte darum auch in seinem internationalen Handeln eine besondere Verantwortung für queere Menschen zu übernehmen.

Positiv zu bewerten ist hier das LSBTI-Inklusionskonzept, mit dem sich die Bundesregierung verpflichtet, dass die deutsche Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit die zivilgesellschaftliche Menschenrechtsarbeit für LSBTIQ*-Personen strukturell nachhaltig und unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Vulnerabilitäten und Mehrfachdiskriminierungen unterstützt.

Dieser positive Ansatz muss sich dann aber auch in anderen Bereichen zeigen. Wenn Ghana und Senegal, in denen LSBTIQ* nicht an allen Orten sicher leben können (und das ist die vom Bundesverfassungsgericht festgeschriebene Voraussetzung!), als sichere Herkunftsstaaten für Geflüchtete gelten, dann kommt Deutschland seiner historischen Pflicht nicht nach. Wenn jetzt die Liste noch um Georgien und Moldau erweitert wird, und der CDU-Chef fordert, noch weitere Länder wie Tunesien, Marokko, Algerien und Indien aufzunehmen, dann frage ich mich, wie ernst es uns mit der besonderen Verantwortung ist.

Mein Fazit: Wir haben einiges erreicht - aber es bleibt noch viel zu tun. Erinnern an das, was möglich ist, wenn Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden und pure Willkür herrscht, kann uns hierfür ein Ansporn sein. Lassen wir nicht nach im Einsatz für eine Gesellschaft, eine Welt, in der alle Menschen, auch queere Menschen, ein gutes und sicheres Leben haben.

Henny Engels, LSVD-Bundesvorstand

Es gilt das gesprochene Wort.