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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Rede des LSVD zur Kundgebung vor dem Bundestag anlässlich der 1. Lesung des Selbstbestimmungsgesetzes

Zum ersten Mal wird ein Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) im Bundestag diskutiert. Durch ein Selbstbestimmungsgesetz sollen trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in Zukunft allein durch Selbstauskunft ihren Geschlechtseintrag ändern können. Das ist ein Fortschritt und ein Abbau bestehender DiskriminierungGleichzeitig finden sich im aktuellen Entwurf weiterhin Regelungen, die von Misstrauen geprägt sind oder einzelne Personengruppen komplett von der selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrags ausschließen. Das muss sich ändern! Deswegen haben wir eine Kundgebung am 15.11.2023 vor dem Bundestag mit Peitionsübergabe veranstaltet.

Unsere Ausgangslage ist erst einmal ernüchternd: die Zahlen queerfeindlicher Hasskriminalität steigen seit Jahren, antidemokratische Parteien schneiden gut in Wahlumfragen ab und viele Forderungen der Zivilgesellschaft an ein Selbstbestimmungsgesetz, das den Namen auch verdient, wurden im Kabinettsentwurf der Bundesregierung nicht beachtet.

Aber wir begrüßen, dass die Gesetzgebung zum ersten Mal selbst für die Gleichberechtigung von trans*, inter* und nicht-binären Menschen selbst tätig wird und heute Abend endlich die erste Lesung des Selbstbestimmungsgesetzes im Bundestag stattfindet. Auch wenn es viel zu lange gedauert hat - selbst nach dem im Koalitionsvertrag versprochenen queerpolitischen Aufbruch. Liebe Ampel: Wenn nicht jetzt Pathologisierung und Fremdbestimmung abschaffen, wann dann?

Der letzte Gesetzentwurf muss allerdings noch nachgebessert werden. Und dafür müssen alle demokratischen Parteien sich im Bundestag einsetzen: Wir kritisieren unter anderem, dass dort nicht Selbstbestimm- ung drinnen sein könnte, wo sie drauf steht. Der aktuelle Entwurf möchte mehrere Menschengruppen von genau dieser geschlechtlichen Selbst- bestimmung ausschließen: Menschen ohne gesicherten Aufenthalts- status wird der Zugang verwehrt. Minderjährige und Menschen mit Betreuungsstatus unterliegen weiterhin einer fremdbestimmten Entscheidung. Außerdem muss unbedingt verhindert werden, dass sich der Änderungsprozess des rechtlichen Geschlechtseintrags für intergeschlechtliche Personen noch verschlechtert! Wir fordern Selbstbestimmung ohne Einschränkung - und zwar für alle trans*, inter* und nicht-binären Menschen.

Wir lassen uns nicht zuerst in verschiedene Kategorien einteilen und uns anschließend gegeneinander ausspielen. Wir sind heute hier, um zu zeigen, dass die LSBTIQ*-Bewegung sich nicht auseinanderreißen lässt. Wer manche von uns angreift, greift uns alle an! Noch einmal laut für alle hier, aber insbesondere alle MdBs im Bundestag: Die Existenz von trans*, inter* und nicht-binären Menschen ist nicht verhandelbar!

Als LSBTIQ*-Bewegung dürfen nicht denen zuhören, die uns sagen, wir seien zu laut, und dürfen uns nicht auf vergangenen Erfolgen ausruhen oder von aktuellen Hindernissen lähmen lassen. Wir können gar nicht laut genug sein angesichts der Tatsache, dass dieselben alten stigmatisierenden Scheinargumente gegen queere Menschen jetzt wieder ausgegraben werden, und sie sogar immer sagbarer wurden. So weit verbreitet hat sich das Misstrauen insbesondere gegen trans* Frauen, dass unsere Gegner*innen sich freuen, dass es bald vielleicht in Gesetzen und ihren Begründungen steht! Dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen und rufen: jetzt erst recht!

Auch die Frauenhauskoodinierung, die katholischen und evangelischen Frauen und sogar die Psychotherapeutenkammer unterstützen das Selbstbestimmungsgesetz. Das ist damit nicht nur ein zentrales queerpolitisches und feministisches Anliegen, sondern das einer breiten demokratischen Zivilgesellschaft. Und die geht uns alle etwas an!

Dieses Anliegen können wir gemeinsam am Besten erreichen: Wenn die LSBTIQ*-Community an einem Strang zieht, wie sie es schon oftmals getan hat, und wenn alle Feminist*innen, Humanist*innen und Demokrat*innen mit TIN* solidarisch zusammenstehen. Lassen wir uns nicht in die Ecke von Rechtfertigungen drängen, sondern formulieren wir selbstbewusst Forderungen: Wir wollen ein Gesetz ohne Fremdbestimmung, ohne staatlich verordnetes Misstrauen und ohne Stigmatisierung! Denn von den gleichen Rechten für eine Gruppe profitieren wir am Ende alle!

Kerstin Thost
LSVD-Pressesprecher*in