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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Queerpolitischer Aufbruch darf nicht scheitern! Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen!

Antrag an den 36. LSVD-Verbandstag 2024

Antragsstellende: Bundesvorstand

Vor knapp zwei Jahren haben SPD, Grüne und FDP mit ihrem Koalitionsvertrag den Lesben, Schwulen und Bisexuellen sowie trans* und intergeschlechtlichen bzw. queeren und asexuellen Menschen (LSBTIQA*) in Deutschland einen queerpolitischen Aufbruch versprochen. Dass die Ampelkoalition bei den zentralen Punkten bisher nicht liefert, was sie versprochen hat, ist mehr als besorgniserregend und nicht hinnehmbar.

Wir erleben einen deutlichen gesellschaftlichen Backlash: Die Akzeptanzwerte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sinken erstmals seit Jahrzehnten, "soziale" Medien werden gezielt als Resonanzräume für menschenverachtende Queerfeindlichkeit instrumentalisiert, die homo- und trans*feindliche Gewalt auf der Straße nimmt merklich und messbar zu. Hinzu kommen Wahlerfolge der queerfeindlichen in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD.

Umso dringender ist für uns, dass Bundestag und Bundesrat endlich Artikel 3 des Grundgesetzes so ergänzen, dass unstreitig sichergestellt ist, dass sowohl die sexuelle Identität als auch die geschlechtliche Identität unter dem vollumfänglichen Schutz des Grundgesetzes stehen. Auch die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) steht weiterhin aus.   Das zuständige Bundesjustizministerium hat bisher weder einen konkreten Zeitplan für das Vorhaben noch inhaltliche Festlegungen getroffen und angedeutet, in dieser Legislatur gar keinen mehr vorlegen zu wollen. Evaluationen, Studien und Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen längst: Das AGG ist dringend reformbedürftig. Betroffene sind nicht ausreichend vor Diskriminierung geschützt, staatliches Handeln wird beispielsweise gar nicht erfasst; kurze Fristen, eine schwierige Beweisführung, fehlende kollektiver Rechtsschutz sowie unverhältnismäßig teure Klageverfahren erschweren die Rechtsdurchsetzung massiv. All dies hält LSBTIQA*-Personen und weitere von Diskriminierungen betroffene Menschen immer noch davon ab, ihre Rechte nach dem AGG einzufordern. Die Schließung dieser gravierenden Lücken im Schutz vor Diskriminierung wurden uns im Koalitionsvertrag der Ampel versprochen. Wir pochen auf die zügige Umsetzung.

Enttäuschend ist der Bearbeitungsstand auch bei der für trans*, inter* und nicht-binäre Personen so dringend notwendigen Einführung eines diskriminierungsfreien Selbstbestimmungsgesetzes. Eine menschenrechtsorientierte Politik braucht ein Selbstbestimmungsgesetz, das trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in ihren Grundrechten respektiert. Wir erwarten von der Politik, dass die in der Verbändeanhörung geäußerte Kritik der Fachverbände ernst genommen und berücksichtigt wird. Die Regierung hatte überdies versprochen, die Lücken im Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung zu schließen und so Umgehungsmöglichkeiten zu beseitigen. Ein entsprechender Änderungsvorschlag des Gesetzes liegt bis heute nicht vor. Gleichermaßen wurde angekündigt, dass die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die Gesetzliche Krankenversicherung gestärkt wird. Auch in diesem Zusammenhang liegt bisher noch kein entsprechender Gesetzesentwurf vor.

Die längst überfällige Reform des Familien- und Abstammungsrechts geht ebenfalls nur schleppend voran. Im Januar 2024 hat das Bundesjustizministerium endlich Vorschläge für eine Reform vorgelegt – leider nur in der Form von Eckpunkten. Diese müssen jetzt in einem zügigen Verfahren in Gesetzesform gegossen werden, damit die verfassungswidrige Diskriminierung von Regenbogenfamilien noch in diesem Jahr der Vergangenheit angehört. Im Koalitionsvertrag wurde zudem vereinbart, künstliche Befruchtungen diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination und unabhängig von Familienstand und sexueller Identität förderfähig zu machen. Hierzu liegen nicht einmal Eckpunktepapiere vor. Wird nicht sehr bald ein Zeitplan für die Umsetzung vorgelegt, ist dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Angesichts der gesamtpolitischen Lage würde dies bedeuten, dass für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte die Diskriminierung von Regenbogenfamilien bei der Familiengründung fortgesetzt werden wird.

Versprochen wurde uns auch, die Strafausnahmen im Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen aufzuheben. Hier ist bisher noch gar nichts passiert. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität mit Fragen, Angst oder Scham kämpfen, werden auch heute noch durch scheinbare „Heilungsversprechen“ systematisch in die Irre geführt und in ihrem Selbstwert verletzt. Konversionsmaßnahmen widersprechen nicht nur jeglichen ärztlichen und therapeutischen Standards, sie fügen Patient*innen langfristigen, ernsthaften Schaden zu und treiben manche in den Suizid. Konversionsmaßnahmen müssen deshalb auch an Erwachsenen grundsätzlich verboten werden. Hiervon würden vor allem junge Erwachsene profitieren. Betroffene müssen außerdem besser unterstützt, Bildungs-, Forschungs- und Aufklärungsmaßnahmen umgesetzt und stärker gefördert werden.

Der vor einem Jahr vom Bundeskabinett verabschiedete Aktionsplan „Queer leben“ kann einen guten Rahmen darstellen, um im Austausch zwischen Bundesregierung und Zivilgesellschaft die nun dringenden nötigen Schritte zu gehen. Werden die hierin vereinbarten Maßnahmen jedoch nicht endlich finanziell unterlegt und die hierin aufgegriffenen Reformen nicht mit Nachdruck umgesetzt, droht der Aktionsplan ein Feigenblatt zu werden.

Wir fordern die Bundesregierung daher auf, endlich zu handeln und dafür zu sorgen, dass die auf trans*- und interdiskriminierenden Narrativen beruhenden Passagen im geplanten Selbstbestimmungsgesetz gestrichen werden, die Reform des AGG angegangen wird, die Eckpunkte zur Abstammungsrechtsreform einem zügigen Gesetzgebungsverfahren zugeführt werden, die Diskriminierung bei der Kostenübernahme für Kinderwunschbehandlungen beendet und die Lücken im Gesetz zu Konversionsbehandlungen und im OP-Verbot geschlossen werden. Zudem fordern wir von der Ampelkoalition, zusammen mit der Linken, dem BSW und der Union den Schutz von LSBTIQA* im Grundgesetz zu verankern. Andernfalls bleiben vom queerpolitischen Aufbruch nur leere Worte und er droht zu scheitern.

[beschlossen auf dem 36. LSVD-Verbandstag am 16./17.03.2024 in Berlin]

Hier Beschluss als PDF downloaden.