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POLITIK ! Respekt: Herr Stapel, was war das Ziel des 1982 gegründeten Arbeitskreises Homosexualität? Stapel: Zunächst ging es darum, Selbstbe- wusstsein als Schwule zu entwickeln. Das „Ler- nen“ stand im Mittelpunkt: was ist Homosexualität, Antihomosexualität. Wir haben die Arbeitskreise spaßeshalber auch als „Schwule Volkshoch- schule“ bezeichnet. Hinzu kam der Wunsch, etwas für andere Schwule zu tun, sie bei ihrem Coming out zu unterstützen. Zugleich ging es aber auch immer darum, die Bürgerrechte für Schwule und Lesben durchzusetzen – obwohl das in der DDR beinahe aussichtslos war. Warum waren die Arbeitskreise bei der Evangelischen Kirche angesiedelt? Das hatte zwei Gründe: Zum einen waren einige von uns Christen und wollten ihre Kirche als „Kirche für andere“, also auch für Lesben und Schwule erle- ben. Und zum anderen konnte einem aufmerksa- men DDR-Bürger ja nicht entgehen, dass der Staat diese Thematik nicht wollte. Als „kirchliche Arbeit“ war die Schwulenarbeit dem Zugriff des Staates entzogen. In staatlichen Einrichtungen wurden Schwule ja nicht geduldet. Selbst aus den Gast- stätten, die wir immer wieder okkupierten, wurden wir regelmäßig vertrieben. Die Kneipen wurden ein- fach ein halbes Jahr geschlossen und später mit erhöhten Preisen wieder eröffnet – da waren die Schwulen längst weitergezogen. Also war die Kirche eine Notlösung? Wie schon gesagt – ja und nein. Die Kirche war die einzige Institution, die uns den Raum bot, sich zu treffen. Viele Schwule hatten mit der Kirche anson- sten nicht viel am Hut. Für mich als Theologen bedeutete die Anbindung an die Kirche aber mehr: Ich habe mich auch als Seelsorger für schwule Männer verstanden. Gab es bei der Kirche keine Berührungsängste mit dem Thema? Natürlich musste da erstmal Überzeugungsarbeit geleistet werden. Nachdem wir uns auf den Kirchentagen 1983 in Erfurt, Magdeburg, Dresden oder Rostock fast der ganzen Republik präsentiert hatten, gab es aber kein Halten mehr. In vielen grö- ßeren Städten gründeten sich kirchliche Arbeits- kreise zur Homosexualität. Sie und die Arbeitskreise gerieten ja schnell ins Visier der Stasi. Haben Sie damals gemerkt, dass Sie bespitzelt wurden? Es waren ja dutzende Stasi-Mitarbeiter auf uns angesetzt. Die saßen auch in den Arbeitskreisen. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass das oft dieje- nigen waren, die als erste kamen und als letzte gin- gen. Wenn wir eine Diskothek veranstaltet haben, haben die Stasi-Leute für uns die Räume dekoriert und später wieder aufgeräumt – sie mussten ja alles mitbekommen. Damals ist mir das aber nicht aufgefallen. Außerdem hätte die ständige Suche nach der Stasi Misstrauen in den Gruppen geschürt und so die Arbeit zerstört. Wie kam es zur SVD-Gründung 1990? Die Arbeitskreise waren schon lange vernetzt – es gab regelmäßige Koordinationstreffen. Die Ver- bandsgründung, die durch die Wende ja erst mög- lich wurde, war da die logische Konsequenz. Viele sind damals aber erstmal in die vielfältige Schwulenszene Westberlins und Westdeutsch- lands „abgetaucht“. Andere gaben einem „Ost- Verband“ keine Überlebenschancen. Und wieder andere wollten keine DDR- oder bundesweite Schwulenpolitik, sondern ihre kleinen „Wohlfühl- Vereine“. So kam es, dass sich von den 4000 Männern, die ich im Laufe meiner Arbeit kennen- gelernt hatte, nur 81 an der Verbandsgründung beteiligten. Interview: Alexander Zinn 15 1/2005 „Schwule Volkshochschule“ SVD-Gründer Eduard Stapel im Gespräch Eduard Stapel, geb. 1953, studierte Journalistik und Theologie in Leipzig. 1985 bis 1990 kirch- licher Mitarbeiter für Schwulenarbeit. 1990 Mitbegründer und seitdem Bundesvorstand des SVD, später LSVD. 1996 erhielt Stapel den Verdienstorden der Bundesrepublik für seinen Einsatz für die Rechte der Schwulen in der DDR. 18.2.1990 Gründung des „Schwulenverbandes in der DDR“ (SVD) in Leipzig. 19.8.1992 Aktion Standesamt: 250 schwule und lesbische Paare beantragen das Aufgebot zur Eheschließung. 31.5.1994 Erfolg der SVD-Lobbyarbeit: Der § 175 StGB wird endgültig aufgehoben. 8.2.1994 Das Europäische Parlament fasst eine Entschließung zur Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, die auf eine Initiative des SVD zurückgeht. 9./10.8.1996 Aktion „Traut Euch“: vor den Standesämtern in Berlin, Leipzig und Hannover wird für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften geworben. 14.5.1997 Anhörung zur Anerkennung schwuler und lesbischer Lebensgemeinschaften: Manfred Bruns legt als Sachverständiger den SVD-Standpunkt dar. 27.9.1998 Bundestagswahl: Die neue rot-grünen Regierung plant die rechtliche Anerkennung gleich- geschlechtlicher Paare. 4.12.1998 „Aufruf an alle Lesben“, den SVD in ei- nen Lesben- und Schwulenverband umzuwandeln. Viele Lesben treten daraufhin in den Verband ein. 6./7.3.1999 Der 11. Verbandstag in Köln beschließt Erweiterung zum „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“. Der SVD wird zum LSVD. 30.3.1999 „Aktion JA-Wort“: Start der LSVD- Kampagne für die rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare mit der Ehe. 10.11.2000 Der Druck auf die Regierung hat Erfolg: Der Bundestag beschließt das Lebens- partnerschaftsgesetz. 7.12.2000 Der Bundestag beschließt einstimmig, die Rehabilitierung homosexueller NS-Opfer und entschuldigt sich für die Strafverfolgung in der Bundesrepublik. 1.8.2001 Lebenspartnerschaftsgesetz tritt in Kraft. 17.7.2002 Bundesverfassungsgericht: Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. 12.12.2003 Der Bundestag beschließt, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu errichten. 29.10.2004 Der Bundestag beschließt ein vom LSVD lange gefordertes „Änderungsgesetz“, das Lebenspartnern mehr Rechte zugesteht. 1.1.2005 Das „Änderungsgesetz“ tritt in Kraft: es bezieht Lebenspartner in die Hinterbliebenen- versorgung ein und ermöglicht die Stiefkindadoption. Chronik des LSVD
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