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19 1/2005 „Nicht meckern, besser machen!“ Jens Biskys Roman „Geboren am 13. August“ VON EDUARD STAPEL D ie fast unübersehbar gewordene DDR-Aufarbeitungs-Literatur kommt meist als wissenschaftliche Abhandlung daher; seltener sind persönli- che Erinnerungen – zumal von jemandem aus einem „sozialistischen Elternhaus“, der noch dazu schwul ist. Um so erfreulicher nun die Erfahrungen Jens Biskys, geboren 1966, Sohn des derzeitigen PDS-Vorsitzenden, die er in den letzten beiden DDR-Jahrzehnten in und mit diesem Staat gemacht hat. Und später auch mit sich selbst, als er nämlich in der Wendezeit und danach mehr von der DDR sah als zu der Zeit, als er noch mitten in ihr lebte. Und nun kann Bisky nur mit zynischer Wut reagieren. Wer die DDR nicht auch anders kennt, kann schnell zu dem Schluss kommen, die ganze DDR wäre nur eine „erstarrte Formel“ gewesen. Bisky schreibt seine oft tragikomi- schen Episoden in der Regel so, als bestände das Leben in der DDR nur aus „vorgeschriebenen Rollen“, aus „Unterwerfung“, aus „geplanter Gleich- förmigkeit...“ Nun, er schreibt eben nicht, wie die DDR war, sondern wie er sie erlebt hat. Und er erkennt spät. Die Entschuldigung: „Es kann schwer werden, aus dem Konsens der Selbstverständlichkeit auszuscheren, wenn die Jasager freundlich, intelligent, engagiert, erwachsen sind, man selbst dagegen noch unsicher ist, irgendwo Halt sucht.“ In der Tat! Und mit solcher Erkenntnis wird das Buch auch für andere in „geplanter Gleichförmigkeit“ interessant. Aber ohne des Autors weitere Hilfe. Denn Bisky rechnet mit seiner eigenen „Dummheit“ und mit den Leuten, die ihn in diese Dummheit zwangen, so zynisch ab, dass er nicht zu letzter Ehrlichkeit vordringt: Warum hat er die „Spannung in der DDR“ – „Direkt neben der Öde lagen verwunschene Gärten, künstliche Paradiese der Welterkenntnis.“ – offenbar bemerkt, dann aber die letzten Jahre der DDR „im Warten auf eine Entscheidung“ verbracht und sich erst am 9. Oktober 1989 („Entscheidungs“-Demo in Leipzig) gefragt, „Wohin gehör(t)e ich?“?! Gelernt hatte er doch „nicht meckern, besser machen!“ Stattdessen: „...wenn endlich auch in der DDR die Perestroika begann, dann wollte ich...zur Stelle sein“. Erst „dann“! Dabei hat er – (auch) erst 1988 und damit rund 10 Jahre zu spät – bemerkt, dass sich „die politische Opposition im Lande for- mierte“. Von der DDR-Schwulenbewegung (seit 1982) hat er offenbar gar nichts mitbekommen. Sein Schwulsein passierte nur privat. Und wo es – wie bei der Armee – beinahe öffentlich zu werden drohte, erzählt er eine Geschichte der weltweit üblichen Dummheit. An Widerstand hat Bisky offenbar nie gedacht – weder als Staatsbürger noch als Schwuler. So vermittelt das Buch vermutlich den – falschen – Eindruck, als hätte man überhaupt und speziell als Schwuler in der DDR nicht auch sinnvoll leben und erst recht nichts tun können. Dennoch und gerade deshalb lohnt die Lektüre, beschreibt das Buch doch eindrucksvoll und literarisch gekonnt einen Weg in der DDR, von dem man bisher nicht allzu viel lesen konnte, obwohl er gewöhnlicher war, als es heute aussieht. Jens Bisky, geboren am 13. August, Der Sozialismus und ich. Rowohlt Berlin Verlag, 240 Seiten, 17,90 € . D as dritte Mal in Folge legt eine Forschungsgruppe um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer in der Reihe „Deutsche Zustände“ Ergebnisse ihres Langzeitprojektes zu Erscheinungsweisen, Ursachen und Entwicklungen von „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor. Die präsentierten Daten stimmen nicht gerade hoffnungsfroh. Bestimmte men- schenfeindliche Einstellungen scheinen sich aktuell eher zu verstärken als auf- zulösen. Besonders deutlich hat die Forschungsgruppe dies bei Fremden- feindlichkeit gemessen; aber auch Aversionen gegenüber Homosexuellen neh- men anscheinend wieder zu. In dem Sammelband aus empirischen Forschungsergebnissen, Fallge- schichten und Essays nimmt LSVD-Pressesprecher Alexander Zinn „Szenarien der Homophobie“ unter die Lupe. Er arbeitet antihomosexuelle Diskurse heraus, die parallel zum vorherrschenden Medienbild allseitiger Toleranz stattfinden, teilweise unterschwellig, z.B. im Reden über geoutete Prominente, teilweise recht offen, wenn Konservative einen ideologischen Gegensatz Homosexuelle versus Familie zu konstruieren suchen. Besonders virulent sind religiös legiti- mierte Ideologien der Ungleichwertigkeit – vor allem im katholischen wie im islamischen Spektrum. Auch wenn die antihomosexuellen Diskurse mitunter wie Rückzugsgefechte wirken, sind sie dennoch nicht ungefährlich. Anhand konkreter Beispiele zieht Zinn Verbindungslinien zu antihomosexuellen Gewalttaten, begangen zumeist von jungen Männern, befördert durch Desintegration, Verunsicherungen im eigenen Männlichkeitsbild aber eben auch durch eine Ideologie der Ungleichheit, die Homosexuelle zu Minderwertigen stempelt. Gewalttäter kön- nen sich so als Vollstrecker einer imaginierten Mehrheitsmeinung fühlen. Deutsche Zustände Folge 3: Sicher keine erbauliche Lektüre, aber eine wichtige Grundlage für alle, die sich um Respekt, Akzeptanz und Gewaltfreiheit bemühen. Deutsche Zustände Folge 3, Hg. von Wilhelm Heitmeyer, edition Suhrkamp 2388, Frankfurt am Main, 279 Seiten, 10 € . Jens Bisky: „Wo gehöre ich hin“? BÜCHER ! Szenarien der Homophobie Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ beleuchtet auch Homosexuellenfeindlichkeit VON GÜNTER DWOREK

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