respekt_heft_02_07_2005

politik ! Antragsteller als Sextourist in Entwicklungsländer zu reisen pflegt. Was wir beanstanden ist, dass Antragsteller aufgrund von Indizien als "schwul" eingestuft werden und dass der Antrag dann ohne Begründung abgelehnt wird, ohne dass konkret nach einem besonderen Risiko (z.B. Sexualverhalten, Kondombenutzung) gefragt wird. Was erhoffen Sie sich in diesem Zusammenhang vom Antidiskriminierungs- gesetz? Bruns: Wenn in Zukunft der Antrag eines schwulen Mannes ohne Begründung abgelehnt wird, ist das eine Tatsache, die eine Benachteiligung wegen der sexuellen Identität vermuten lässt. Die Versicherung muss dann nach- weisen, dass ein sachlicher Grund die Ablehnung recht- fertigt. Dafür reicht es nicht aus, dass sich die Versicherung darauf beruft, rund die Hälfte der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken seien schwule Männer. Die Berechnung müsste vielmehr den Anteil der Schwulen an der Gesamtheit der versicherten Männer und die durchschnittlichen Kosten, die die versicherten Schwulen ein- erseits und die versicherten heterosexuellen Männer andererseits verursachen, berücksichti- gen. Darüber gibt es aber keine genauen Zahlen und sie lassen sich auch nicht ermitteln. Bei der Anhörung im Bundestag ist deutlich geworden, dass die Versicherungen die Risikozuschläge für Behinderte usw. durchweg nicht versicherungsma- thematisch begründen, sondern nur grob schätzen. Das wird nach der Verabschiedung des ADG nicht mehr möglich sein. Herr Schwark, als Alternative zum ADG schla- gen Sie eine Einzelfallprüfung vor, um das indi- viduelle Risiko des Antragstellers festzustellen. Öffnet das nicht der Willkür Tür und Tor? Schwark: Das ADG lässt statistisch begründete Risikodifferenzierungen ausdrücklich zu. Daneben müssen zur sachlichen Begründung von Unterschieden aber auch weitere versicherungs- technische Erfahrungswerte und medizinische Einschätzungen des Einzelfalls zugelassen werden. So ist insbesondere Behinderten nicht damit gedient, wenn ihr Risiko – trotz der Vielgestaltigkeit der Krankheitsbilder, der unterschiedlichen Schweregrade und jeweiligen therapeutischen Heilungschancen – allein nach der allgemeinen Statistik für den Krankheitstyp beurteilt wird. Ohne medizinische Einzelfallbetrachtungen könnten viele Menschen mit relevanten Vorerkrankungen heute gar nicht versichert werden. Nur dadurch konnte die Ablehnungsquote in der Lebensversicherung in den letzten 50 Jahren von 40 auf unter zwei Prozent abgesenkt werden. Sogar Herzinfarkt-Patienten können heute oftmals versichert werden. Einzelfallbetrachtungen sind aber auch sinn- voll, um logische Zusammenhänge zu berük- ksichtigen, etwa dass in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das HIV-Infektionsrisiko Schwuler geringer ist. Wettbewerb der Unternehmen ist übrigens der beste Diskriminierungsschutz, der Markt der beste Kontrolleur objektiver und genauer Risiko- bewertungsverfahren der Versicherer. Brandt: Warum Einzelfallprüfung? Die HIV- Infektionsgefahr ist sicherlich bei Touristen, die nach Thailand fahren, deutlich höher. Oder bei Menschen, die das Rotlichtmilieu aufsuchen. Diese Beispiele zeigen, dass es sicherlich Bevölkerungs- gruppen gibt, die einem deutlich höheren HIV- Risiko ausgesetzt sind, aber ohne größere Umstände Versicherungsschutz erhalten. Also ent- weder müssen alle eine HIV-Untersuchung absol- vieren (Heteros wie Schwule) oder es gelten unter- halb der Untersuchungsgrenzen für alle die glei- chen Regeln! Bisher wird ja hauptsächlich versteckt diskrimi- niert. Bringt das Gesetz Schwulen und Lesben in der Praxis dann überhaupt etwas? Brandt: Es kommt darauf an. Sicherlich werden durch das Gesetz die Sinne geschärft und in der Öffentlichkeit eine größere Sensibilität hervorgeru- fen. Handelte es sich bis jetzt um ein Problem, über das besser geschwiegen wurde, werden Kunden und Verbraucherzentralen und natürlich der LSVD verstärkt auf Fälle, in denen Diskriminierungen vor- liegen, hinweisen. Sicherlich werden auch Überle- gungen auf Versichererseite stattfinden, die schwu- le Versicherungsnachfrage besser zu befriedigen. Dies wird aber dauern und 100 Prozent Diskriminierungsfreiheit werden wir sicher nicht bekommen. Konsequenz: schwule Kunden werden auch zukünftig benachteiligt werden, der Versicherer wird sicherlich Zuschläge oder Ablehnungen mit dem aus seiner Sicht erhöhten Risiko, wenn überhaupt, begründen. Viele Fälle werden aber erst gar nicht bekannt werden, da auch weiterhin gilt: „Wo kein Kläger, da auch kein Richter…”. Wie sähe Ihrer Meinung nach eine gerechte und diskriminierungsfreie Versicherungspraxis aus? Schwark: Eine gerechte und diskriminierungsfreie Versicherungspraxis bedeutet, dass das Angebot von Versicherungsschutz immer von dem jeweili- gen Risikoprofil abhängt. Das ist im Sinne eines für alle Versicherten vergleichbaren Preis-Leistungs- verhältnisses fair und gerecht. Brandt: Gleiche Rechte für alle und die Versicherungswirtschaft möge endlich faire und risikoadäquate Lösungen anbieten. Bruns: Wir lehnen eine pauschale Benachteiligung von schwulen Männern ab. Risikozuschläge oder Ablehnungen darf es nur dann geben, wenn versi- cherungsmathematisch ein höheres Risiko nach- gewiesen werden kann. Wie schon dargelegt, ist das nach meinem Eindruck nicht möglich. 11 02/05 Christian Brandt: vermittelt Versicherungen an Lesben und Schwule. Peter Schwark: Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Gesamtverband der deutschen Versiche- rungswirtschaft. RE_02_05+ 14.06.2005 12:29 Uhr Seite 11

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