respekt_heft_02_07_2005
meinung ! 16 02/05 Papst Ratzinger und wir Die Amtskirche sieht sich von Mächten des Bösen umlauert VON ERIC LEIS D ie römisch-katholische Amtskirche hat sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhun- derts in eine Festung eingemauert und glaubt sich von Mächten des Bösen umlauert und bedrängt. Sie verkennt dabei, dass die ganze Welt, auch die „dort draußen“ Gottes Welt ist. In dem kurzen Pontifikat Johannes’ XXIII und während des von ihm einberufenen 2. Vatika- nischen Konzils schien es, als ob die Fenster geöff- net würden und frische Luft ins alte Gemäuer ein- ziehen könnte. Zu den Theologen, die sich der Welt zuwandten, ihre Wirklichkeit zur Kenntnis nahmen und die Bibel nicht als Gesetzbuch, sondern als eine befreiende Botschaft verstanden und verkün- deten, gehörte Joseph Ratzinger. Als sie aber sahen, dass der katholische Teil der Christenheit das Angebot der Freiheit ernst nahm, als sie keine Schäflein mehr sein wollten, sondern als mündig gewordene Menschen sich und ihren wirklichen Anliegen Gehör verschafften, überkam viele Angst und Schrecken. Ihnen war die alte Festung der Hort einer vermeintlich notwendigen Sicherheit, in dem alte zeitbedingte Formulierungen zu ewigen Wahrheiten hochstilisiert wurden. Dahin zogen sie sich zurück. Und wie so oft in der Kirchengeschichte war ihnen die gute Gabe Gottes, die Sexualität, mit der sie nicht umgehen konnten, die sie nicht beherrschen konnten, ein besonderer Quell der Angst. Diese Angst zog sich durch die lange Amtszeit des verstorbenen Papstes, dessen Chefideologe sein Nachfolger wurde. Eine neue Umkehr ist von ihm nicht zu erwarten. An diesem traurigen Befund ändert auch der Umstand nichts, dass auch römisch-katholische Bibelwissenschaftler und Moraltheologen z.B. längst erkannt haben, dass die Bibel Homo- sexualität in unserem Sinne nicht gekannt hat und etwa die angeblich „einschlägigen“, aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelstellen weder eine entsprechende Veranlagung noch freiwillige sexuel- le Kontakte zwischen Erwachsenen verurteilen. Außerdem, dass die immer wieder herangezogene Kennzeichnung „wider die Natur“ auf einer unsau- beren Vermengung unterschiedlicher Naturbegriffe beruht. Noch so viele oberkirchliche Verlautbarungen können nicht verhindern, dass solche Erkenntnisse ins Kirchenvolk dringen. Wenn es also eine Hoffnung auf Wandlung gibt, dann gründet sich diese auf die „Kirche unten“, die vielleicht doch noch eine „Reform an Haupt und Gliedern“ erzwingt. Die Hunderttausenden, die auf den Weltjugend- treffen dem Papst frenetisch zugejubelt haben, hinterließen an ihren Versammlungsorten unzähli- ge benutzte Kondome: auch das ein Zeichen der Hoffnung. Papst Benedikt XVI. hält die Homo-Ehe für die „Legalisierung des Bösen“. RE_02_05+ 14.06.2005 12:29 Uhr Seite 16
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