respekt_heft_02_07_2005

länder ! 21 02/05 E in schwuler Junge vor seinem Coming-out hat heute noch die gleichen Sorgen wie vor 20 Jahren: Wie werden meine Freunde und Mitschüler reagieren, wenn sie erfahren, dass ich vielleicht schwul bin? Haben mich meine Eltern weiter lieb? Kann ich glücklich leben? In den Massenmedien wird eine liberale Scheinwelt gegenüber Menschen mit nicht heterosexueller Orientierung vorgelogen, die Realität 2005 sieht anders aus: Schwule werden auf der Straße beschimpft, wenn sie sich nicht verstecken, fliegen aus dem eigenen Elternhaus und werden von der katholi- schen Kirche als egoistische, widernatürliche und krankhafte Sünder verun- glimpft. Früh merken Kinder, was jemand zu befürchten hat, wenn er nicht „nor- mal“ ist. „Homosexualität ist an Schulen und Jugendzentren noch immer ein Tabuthema“, so begann in der April-Ausgabe von Respekt Jörg Litwinschuh seinen Artikel, in dem er das neue Projekt „Berlin steht zusammen – Gemeinsam gegen Homosexuellenfeindlichkeit“ vorstellte. Wie notwendig und unterstützenswert derartige Projekte sind, wird deutlich, wenn man untersucht, wie in deutschen Schulen Homosexualität thematisiert wird. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat in einer Expertise die Richtlinien und Lehrpläne zur Sexualerziehung aller 16 Bundesländer miteinan- der verglichen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg die sexualerzieherischen Vorgaben sich im Sinne eines Diversity-Mainstreaming aktiv für die Akzeptanz der Vielfalt von sexuellen Orientierungen einsetzen. Die Lehrpläne in Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen-Anhalt fordern die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebe. In Bayern und Schleswig-Holstein wird Homosexualität als Problem angesehen, in Baden-Württemberg und Sachsen ist Homosexualität nur fakultativ im Lehrplan für katholische Religion am Gymnasium verankert. In Thüringen wird das Thema ohne erkennbare Wertung genannt und in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt nicht thematisiert. Diese politischen Rahmenbedingungen haben Auswirkungen auf die Thematisierung von Homosexualität in den Schulbüchern. Schulbücher unter- liegen einem Genehmigungsverfahren und deshalb finden sich in nur wenigen Schulbüchern, da sie sich an den Rahmenplänen orientieren müssen, Beispiele lesbisch-schwuler Lebensrealität. Die GEW fordert schon seit langem, dass lesbisch-schwule Lebensweisen nicht nur in Biologie, sondern auch in den Fächern Deutsch, Sozialkunde, Geschichte, Fremdsprachen und Ethik themati- siert werden. Hier könnten die Landesverbände des LSVD und der GEW gemeinsame Verhandlungen mit den Kultusministerien der Bundesländer aufnehmen. Die bildungspolitische und rechtliche Seite ist das eine. Das andere ist die tagtägliche Realität in den Klassenzimmern. Es gibt bis heute keine fundierte Studie dazu, wie oft und in welcher Form an Deutschlands Schulen über Homosexualität „geredet“ wird. Das folgende steht aber außer Frage: 1. „schwul“ ist an Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I immer noch das häufigste Schimpfwort und das sogar mit zunehmender Tendenz. Les- bischsein steht nicht so sehr im Vordergrund, ist aber auch nicht wohl gelitten. 2. alle Aussagen – und dies ist kein Widerspruch – von lesbischen Schülerinnen und schwulen Schülern in allen Befragungen der letzten Jahre belegen, dass im Unterricht Homosexualität nur selten oder nie vorkam. 3. noch immer ist die Selbstmordrate homosexueller Jugendlicher viermal höher als die heterosexueller. In Coming-out-Gruppen von lesbischen und schwulen Jugendlichen wird erfreulicherweise auch von positiven Beispielen berichtet, so z.B. dass die Klasse Verständnis zeigt. Aber es gibt auch immer noch verletzende Erfahrungen, wenn sich z.B. die Jungen weigern mit dem schwulen Mitschüler auf einer Klassenfahrt ein Vier-Bett-Zimmer zu belegen. Wie reagieren die Lehrkräfte auf homophobe Äußerungen auf dem Schulhof und im Klassenzimmer? Ein großer Teil ignoriert und überhört sie oder hat auch keine Wahrnehmung dafür. Andere fühlen sich überfordert und nicht befä- higt, dieses „heiße Eisen“ zu thematisieren. Ursache dafür ist die unzulängliche Ausbildung während des Studiums und des Referendariats, auch gibt es Defizite bei den Fortbildungseinrichtungen. Nur wenige Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich fachlich und persönlich in der Lage, souverän und offen mit der Klasse über Homosexualität zu sprechen. Deshalb ist es wichtig, neue Wege zu beschreiten. Das Projekt „Berlin steht zusammen“ ist eine Möglichkeit – wir dürfen gespannt auf das Ergebnis sein. Einen interessanten Ansatz verfolgt auch das Projekt „Schule OHNE Rassismus – Schule MIT Courage“. 230 Schulen aus ganz Deutschland legen im Rahmen ihres Schulprogramms einen Schwerpunkt darauf, Aktivitäten und Initiativen zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, zu überwinden. Der Abbau von Diskriminierung gegenü- ber Lesben und Schwulen ist hier in einen größeren Zusammenhang eingebun- den. Im Jahr 2006 wird das Thema Sexualität Schwerpunkt der Arbeit sein. Derartige Projekte sind richtig und wichtig. Doch auch Politik und Verwaltung müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. LSVD und GEW soll- ten auf Länderebene überlegen, welche neuen Anstöße wir gemeinsam in der Bildungspolitik entwickeln müssen, um Homophobie vom Schulhof zu verban- nen. Es ist noch viel zu tun! Ulf Höpfner, Guido Mayus und Detlef Mücke gehören zur Gruppe Schwuler Lehrer bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Detlef Mücke erhielt für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz. „Du schwule Sau“ Homosexuellenfeindlichkeit an deutschen Schulen VON ULF HÖPFNER, GUIDO MAYUS UND DETLEF MÜCKE „Schwul“ ist noch immer das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen. RE_02_05+ 14.06.2005 12:29 Uhr Seite 21

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