respekt_heft_02_07_2005
bücher ! 24 02/05 Streithühner in Turnschuhen 30 Erfahrungsberichte von den Gay- und EuroGames VON HARTMUT SCHÖNKNECHT I ich wuchs in dem Glauben auf, schwach und ungelenk zu sein. Denn ein- erseits konnte ich nicht mit dem sportlichen Können und Ehrgeiz meiner Eltern mithalten. Und andererseits war ich mir bereits im Kindesalter meiner ‚Andersartigkeit’ bewusst. Für Rodney aus Australien waren es daher ganz ein- fache Beweggründe, 2002 an den Gay Games in Sydney teilzunehmen: „Ich verspürte den unbändigen Drang, meine körperlichen Fähigkeiten auszuloten und an meine Grenzen zu gehen“. Was 1982 in San Francisco ursprünglich als Gay Olympic Games begann, ist heute eine der größten internationalen Sportveranstaltungen der Welt mit bis zu 14.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Als europäische Variante nach den Gay Games 1990 in Vancouver ins Leben gerufen, konnten die 9. EuroGames 2004 in München mit einer nahezu perfekten Organisation und mehr als 5.000 TeilnehmerInnen ihren bislang größten Erfolg verzeichnen. Und nicht erst seit der Bewerbung des SC Janus aus Köln für die Gay Games im Jahre 2010 oder der gescheiterten Berliner Bewerbung für die Outgames 2009 sind die internationalen lesbisch-schwulen Sportevents auch weit über die homosexuelle Sportszene hinaus bekannt geworden. Jede Sportlerin und jeder Sportler, zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die die Games durch immer hochkarätigere Kulturprogramme auch für breite heterosexuelle Schichten interessant machen, und natürlich auch die ZuschauerInnen selbst, sie alle haben ihre ganz persönlichen Momente bei den Games in ihren Herzen eingefangen, die sie nicht mehr missen möchten. 30 derartige Erfahrungsberichte werden in dem neuen Buch „Let the Games beGay“ vorge- stellt, das der Gatzanis Verlag jetzt in Kooperation mit dem LSVD herausge- bracht hat. Die Autoren und Autorinnen berichten durchgängig zweisprachig (in deutsch und englisch) von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit und bei den Games. Ob aus South Hobart in Australien, New York oder San Francisco, aus Pretoria in Südafrika, Stuttgart, München oder Wien, viele beschreiben ihre Glücksgefühle und ihre großartigsten Momente bei den Gay Games 2002 bzw. den EuroGames 2004, aber nicht wenige hatten auch erhebliche Mühen auf sich genommen, um überhaupt teilnehmen zu können. Doch „nichts und nie- mand konnte uns davon abhalten nun endlich bei den Gay Games dabei zu sein. Wir freuten uns darauf, durch Sydneys Straßen zu schlendern und wollten einfach jede Menge Spaß haben“ beschreiben Carlos, Arieta, Melissa, Sheena und Samuela von den Fiji Inseln ihre Motivation. Und Ulrike Folkerts berichet, wie „stolz und glücklich“ sie ist, „dass wir so sind, wie wir sind“. Trotz unter- schiedlicher Erfahrungen, in fast allen Berichten finden sich auch immer wieder Gemeinsamkeiten: Die Momente voller Erinnerungen, Freude und Liebe, die großartige Erfahrung, einfach nur man (oder frau) selbst sein zu können, das Gefühl, stark zu sein und Kraft zu haben. Aber dieses Buch ist nicht nur ein Buch voller Gefühle und Emotionen, die teilweise unter die Haut gehen, denn die Autoren haben bewusst Wert darauf gelegt, dass die Sportlerinnen und Sportler von sich selbst, ihrer Kindheit und Jugend sprechen und von ihren eigenen Erlebnissen berichten. Let the Games beGay ist auch ein Buch, das begeistert und anregt selbst dabei zu sein, das motiviert mitzumachen, aktiv zu werden, selbst am eigenen Körper das Gefühl zu erleben frei zu sein und zu spüren, wie viele wir sind und dass es uns über- all auf der Welt gibt. Mit einer kurzen Chronologie der Gay-, Out- und EuroGames, die leider nur auf wenige Eckdaten beschränkt ist, dafür aber mit einem umfangreichen Adressenverzeichnis der internationalen lesbisch-schwulen Sportverbände und zahlreicher Sportvereine, bildet das Buch auch für Nicht-Sportlerinnen und –Sportler eine motivierende Lektüre, sich mehr der Faszination der internatio- nalen schwul-lesbischen Sportevents hinzugeben. Und ohne direkt auf den Streit um die Gay- bzw. Outgames einzugehen, der inzwischen die LGBT-Community auf allen Ebenen an den Rand der Spaltung gebracht hat und aus dem sich dieses Buch bewusst heraushält, kann sich Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, in seinem Grußwort eine große schwul-lesbische Sportveranstaltung, die von einer breiten interna- tionalen schwul-lesbischen Bewegung getragen wird, in Zukunft sehr gut in Berlin vorstellen. Damit ruft er – diplomatisch eindeutig formuliert – nicht nur alle Streithühner in Turnschuhen auf, sich wieder zu vertragen, sondern signa- lisiert erneut auch seine Unterstützung für eine Bewerbung für wiedervereinig- te Spiele, denn „eine weltoffene und tolerante Stadt wie Berlin wäre dafür gewiss ein perfekter Austragungsort“. Doch ob Gay-, Out- oder EuroGames, Rita aus Budapest bringt es wunderbar auf einen Nenner: „Wenn sich die so genannten Minderheiten zusammentun und zusammenarbeiten, so kann dies unsere gesamte Gesellschaft weiterbringen.“ Let the Games beGay, Hrsg. von Heike Bosch und Philipp Braun, Gatzanis Verlag Stuttgart, 2005, 18.50 EUR. Let the Games beGay: motivierende Lektüre auch für Nicht-SportlerInnen. RE_02_05+ 14.06.2005 12:29 Uhr Seite 24
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