respekt_heft_02_07_2005
politik ! 7 02/05 wieder mutiger. Für die zweite Wahlperiode ver- einbarte man Nachbesserungen am Lebens- partnerschaftsgesetz. Zum 1. Januar 2005 trat ein Änderungsgesetz in Kraft, das die Gleich- stellung bei Hinterbliebenenversorgung und Stiefkindadoption brachte. An das volle Adop- tionsrecht, das man ebenfalls ohne den unions- dominierten Bundesrat hätte verwirklichen kön- nen, traute man sich leider nicht heran. Fortschritte gab es darüber hinaus in vielen Detailfragen. Doch auch hier waren immer wieder Kämpfe nötig, wie bei der Frage, ob schwule Männer Soldaten sein dürfen. Oft waren es SPD- Minister, in diesem Fall Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die nicht viel übrig hatten für die Sache der Lesben und Schwulen. Ein Zankapfel war auch das Antidiskrimi- nierungsgesetz. Lange umstritten war dabei, ob Homosexuelle auch im Zivilrecht vor Diskrimi- nierung geschützt werden sollen – oder nur im Arbeitsrecht, wie von der EU vorgeschrieben. Mit dem letzten Entwurf hätten Lesben und Schwule leben können. Ob er noch Gesetz wird, steht nun in den Sternen. Ein großer Erfolg war schließlich der Beschluss des Bundestages, ein Denkmal für die homose- xuellen NS-Opfer zu errichten. Damit bekannte sich Deutschland erstmals zu seiner Ver- antwortung für die Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich: Ein symbolischer Akt der Wiedergutmachung und ein Hoffnungszeichen für die Zukunft. So ängstlich und zögerlich Rot-Grün auch oft agierte: die lesben- und schwulenpolitische Bilanz dieser Regierung ist so schlecht nicht. Während die Oppositionsparteien CDU und CSU jeden Reformansatz mit Klagen und Blockaden zu ver- hindern suchten, haben SPD und Grüne wichtige Reformprozesse in Gang gesetzt. Dadurch hat sich das gesellschaftliche Klima für Lesben und Schwule deutlich verbessert. Bis weit in die Oppositionsparteien hinein. Ein schwu- ler CDU-Bürgermeister Ole von Beust wäre zu Kohls Zeiten undenkbar gewesen. Und auch die Wende der FDP zu einer auf volle rechtliche Gleichstellung ausgerichteten Bürgerrechtspolitik hätte es sonst wohl nicht so schnell gegeben. Gleichwohl bleibt festzuhalten: von einer vollen rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung sind wir noch weit entfernt. Die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule steht aus. Eine weitere Ungleichbehandlung bei Erbschafts- und Einkommenssteuer und im Adoptionsrecht ist vollkommen unakzeptabel. Darüber hinaus brau- chen wir eine aktive Antidiskriminierungspolitik, die alltägliche Diskriminierungen, aber auch das Problem der Hassverbrechen offensiv angeht. Und das sind nur einige Punkte von vielen. Kurz: Wir haben noch lange nicht fertig! Wahlprüfsteine des LSVD Bürgerrechte für Lesben und Schwule 1. Schutz vor Diskriminierung Trotz erfreulicher Fortschritte im gesellschaftlichen Klima gegenü- ber Lesben und Schwulen kommt es immer wieder zu Diskrimi- nierungen. Viele Lesben und Schwule fürchten Nachteile im Beruf, wenn ihre Lebensweise bekannt wird. Schwulen Männern werden oft Lebens- und Kranken- versicherungen pauschal verwei- gert. Ein umfassendes Antidiskri- minierungsgesetz ist längst über- fällig. 2. Lebenspartnerschaften Das Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft ist ein gro- ßer gesellschaftspolitischer Fort- schritt. Gleiche Rechte bringt es aber noch nicht. Im Sozialrecht werden Lebenspartner beispiels- weise voll in die Pflicht genom- men, im Steuerrecht dagegen wie Fremde behandelt. Das ist unsin- nig und ungerecht. Unsere Vision bleibt die Öffnung der Ehe wie in Spanien. Unser konkretes Ziel ist die volle Gleichstellung der Lebenspartnerschaft. 3. Regenbogenfamilien Viele Lesben und Schwule leben mit Kindern, tragen Verant- wortung für deren Erziehung und Wohlergehen. Die Benachteili- gung gleichgeschlechtlicher Familien muss beendet werden. Sie müssen steuer- und sozial- rechtlich gleichgestellt werden. Es gibt keinen sachlichen Grund, gleichgeschlechtlichen Lebens- gemeinschaften die Familien- gründung durch Adoption, Pfleg- schaft oder Insemination zu ver- wehren. 4. „Transsexuellengesetz“ Das Transsexuellengesetz von 1981 entspricht nicht mehr dem heutigen Kenntnisstand. Es ent- hält zahlreiche Regelungen, die mit der Würde des Menschen unvereinbar sind. Transgender müssen das Recht haben, ihre Lebensweise selbst zu bestim- men – bei der Ausgestaltung ihrer Geschlechtsidentität wie bei ihrer Partnerwahl. Das faktische Ehe- bzw. Partnerschaftsverbot für Menschen, die ihren Vornamen geändert haben, muss aufgeho- ben werden. 5. Denkmal für NS-Opfer In der Vergangenheit wurden die homosexuellen Opfer des Natio- nalsozialismus in der Gedenk- kultur fast vollständig übergan- gen. Am 12. Dezember 2003 hat der Deutsche Bundestag die Errichtung eines Denkmals für die homosexuellen NS-Opfer be- schlossen. Es soll die Erinnerung an das Unrecht wach halten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwu- len und Lesben setzen. Der künstlerische Wettbewerb und der Bau des Denkmals müssen zügig umgesetzt werden. 6. Hassverbrechen Lesben, Schwule und Trans- gender werden häufig beleidigt, angepöbelt und körperlich ange- griffen. Oftmals handelt es sich um gezielte antihomosexuelle Angriffe. Diese Hassverbrechen gehen oft von organisierten Jugendgangs aus, aber auch von Rechtsradikalen und anderen ideologisch motivierten Tätern. Hier gilt es, gezielte Präventions- maßnahmen zu entwickeln und dauerhaft zu fördern. Pro- gramme zur Bekämpfung rechts- extremer und minderheitenfeind- licher Ge-walt müssen alle Gruppen, gegen die sich Hassverbrechen richten, einbe- ziehen. Das gilt auch für Maßnahmen zur Opferhilfe. 7. Migration und Integration Viele Zuwandererinnen und Zu- wanderer in Deutschland stam- men aus traditionell orientierten Kulturen, die geprägt sind von patriarchalen Rollenerwartungen und der Tabuisierung und Kriminalisierung von Homo- sexualität. Die Folgen sind man- gelnde Toleranz und Diskrimi- nierung von Lesben und Schwulen. Integrationsmaßnah- men müssen die Lebenssituation von Lesben und Schwulen, sowie Werte der Zivilgesellschaft wie Gleichberechtigung und Nichtdis- kriminierung vermitteln. 8. Menschenrechte Die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität stellt eine schwere Verletzung der universellen Menschenrechte dar. In rund 70 Staaten ist gleichge- schlechtliche Liebe strafbar. In mindestens sieben Staaten droht die Todesstrafe. Deutschland muss das Thema Menschen- rechte und sexuelle Identität weiterhin offensiv innerhalb der UNO vertreten und darauf hinwir- ken, dass schwullesbische Organisationen einen offiziellen Status bei den UN erhalten. 9. Bürgerrechte in Europa Auch in Europa ist es um die Bürgerrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern mancherorts noch schlecht bestellt. Die Europäische Union war bisher ein Motor für den Abbau von Diskriminierun- gen. Das muss so bleiben – wei- tere Antidiskriminierungsre- ge-lungen wie das 12. Protokoll zur EMRK müssen von Deutsch- land ratifiziert und zügig umge- setzt werden. Auch die europa- weite Anerkennung von Lebens- partnerschaften ist längst über- fällig. RE_02_05+ 14.06.2005 12:29 Uhr Seite 7
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