Heft 3 (September 2005)

politik ! 10 03/05 Respekt: Herr Dr. Gehb, warum tun sich die Unionsparteien eigentlich so schwer mit der Anerkennung von Lesben und Schwulen? Gehb: In einer großen Volkspartei wie der Union gibt es eine größere Bandbreite an Einstellungen und Ansichten als in kleineren Spartenparteien. Wer offenen Auges die Entwicklung verfolgt, der wird aber wahrgenommen haben, wie viel sich in den letzten Jahren verändert hat. Dies ist für mich entscheidend. Aus CDU und CSU hört man zurzeit sehr wider- sprüchliche Stimmen: Bayern will gegen die Stiefkindadoption klagen, Michaela Noll erklärt, eine unionsgeführte Bundesregierung werde am Lebenspartnerschaftsgesetz nichts ändern, Roger Kusch wiederum will Lebenspartner zumindest bei der Erbschaftssteuer besser stellen. Was gilt denn nun? Bayern, Hamburg und jedes andere Bundesland können frei und unabhängig Initiativen aller Art ergreifen. Die Union im Bundestag wird am beste- henden Lebenspartnerschaftsgesetz nicht rütteln. Zurzeit sind Rechte und Pflichten bei der Lebenspartnerschaft in einem erheblichen Ungleichgewicht: Im Sozialrecht müssen Lebens- partner füreinander einstehen, bei der Steuer werden sie behandelt wie Fremde. Ist das nicht ungerecht? Ich bin sehr dafür, dass Rechte und Pflichten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollten. Eigentlich entspricht die Lebenspartnerschaft doch konservativen Wertvorstellungen: Zwei Menschen übernehmen Verantwortung fürein- ander, unterstützen sich auch „in schlechten Zeiten“, statt auf Vater Staat zu vertrauen. Müssten solche Lebensmodelle nicht steuerlich gefördert werden? Im Zentrumunserer Politik steht die Verbesserung der Situation von Familien und Kindern. Hierauf sollte auch im Steuerrecht der Schwerpunkt gelegt werden. Als Rechtspolitiker setze ich mich bei- spielsweise für eine Reform des Unterhaltsrechts ein, die das Wohl des ehelichen wie nicht-ehelichen Kindes und dessen Betreuung in den Vordergrund stellt. Es wird auch gleichgültig sein, ob dieses Kind in einer hetero- oder homosexuellen Partnerschaft lebt. Die FDP tritt inzwischen für die volle rechtliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe ein. Werden CDU und CSU den Liberalen bei mög- lichen Koalitionsverhandlungen Zugeständnisse machen? Heute über das Ergebnis eines möglichen Koalitionsvertrages zu spekulieren ist müßig. Vor wenigen Wochen haben CDU und FDP in Düsseldorf aber einen Koalitionsvertrag geschlossen, der folgenden Passus enthält: „Gleichgeschlechtliche Paare dürfen nicht diskriminiert werden. Ihre Selbstorganisation werden wir weiterhin angemes- sen unterstützen“. In Berlin werden vielleicht nach der Wahl auch wieder Projekte wie die Magnus- Hirschfeld-Stiftung in Angriff genommen, die Rot- Grün in dieser Legislaturperiode abgelehnt hat. Lesben und Schwule werden noch in vie- len Bereichen diskriminiert. Was will die Union dagegen unternehmen? Jegliche Diskriminierung ist zu ächten und zwar ganz konkret – auch im laufenden Wahlkampf. Entpuppen sich nicht die hehren Worte zur Anti- diskriminierungspolitik als Schall und Rauch, wenn Ottmar Schreiner, einer der prominentesten SPD-Politiker, zur Diffamierung eines politischen Gegners im Wahlkampf mal eben ganz tief in die Schmuddelkiste greift und dann den „Dr. Schwesterwelle“ herausholt? Hier laut und öffent- lich die rote Karte zu zeigen ist für mich aktive Antidiskriminierungspolitik. Das Antidiskriminierungsgesetz haben die uni- onsgeführten Länder im Bundesrat gestoppt. Warum? „An Lebenspartnerschaft nicht rütteln“ Jürgen Gehb zur Lesben- und Schwulenpolitik der Unionsparteien Jürgen Gehb ist rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Foto: Gehb

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