Heft 3 (September 2005)

politik ! 16 02/05 Respekt: Herr Bisky, die Linkspartei setzt sich „für eine umfassende Gleichstellung aller Lebensweisen“ ein. Was heißt das konkret? Bisky: Niemand darf wegen seiner Lebensweise benachteiligt oder bevorzugt werden. Deshalb setzen wir uns für die Abschaffung der Ehe als Privileg ein und stehen für die Förderung von Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Pflegebedürftigen. Unser Konzept der „Wahlfamilie“ sieht die Gleichstellung aller Lebensweisen vor. Dies beinhaltet für jeden Menschen das Recht, Beziehungen, rechtliche Fragen und Verantwortlichkeiten mit anderen Menschen individuell zu gestalten. Das betrifft u.a. das Mitbestimmungsrecht im Krankheitsfall, das Zeug- nisverweigerungsrecht, das Eintrittsrecht in den Mietvertrag, das Erb- und das Sorgerecht. Bedeutet das auch, dass Sie für die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben eintreten? Ja. Die Linkspartei.PDS tritt für die vollständige Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule ein. Heiraten soll, wer mag. Zugleich darf niemand benachteiligt werden, dessen Lebensentwurf die Ehe nicht vorsieht. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber weitreichende Freiräume zur Öffnung der Ehe gegeben, die leider von der Bundesregierung mit dem Lebenspartnerschafts- gesetz keineswegs ausgefüllt wurden. Das Gericht hat bestätigt, dass ein anderes Rechtsinstitut alle Rechte erhalten darf, die derzeit auch die Ehe erhält. Gründen wir doch ein solches, das von allen Menschen, gleich welcher sexuellen Orientierung und Herkunft, genutzt werden kann, um wichtige rechtliche Fragen zu regeln. Sie sagen, das von Rot-Grün vorgelegte Anti- diskriminierungsgesetz reiche nicht aus. Was fehlt? Wenn Sie sich den Entwurf des rot-grünen Anti- diskriminierungsgesetzes genau anschauen, wird Ihnen aufgefallen sein, dass es nur unwesentlich über eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinien hinaus- geht. Wesentlicher Kritikpunkt der Linkspartei.PDS und ihrer Lebensweisen-Arbeitsgemeinschaft Queer ist die fehlende Beweislastumkehr. Diese würde bedeuten, dass nicht der oder die Diskriminierte nachweisenmüsste, dass er/siediskriminiertwurde, sondern der oder die potenziell Diskriminierende. Wer schon einmal Opfer von Mobbing war, weiß, wie schwer ein Nachweis von Diskriminierung ist. Insofern droht das Gesetz nach diesem Entwurf ohne konkrete Auswirkungen für Diskriminierte zu bleiben. Eine weitere Forderung ist die nach einem Einzel- und Verbandsklagerecht, das es einzel- nen Personen, aber auch kleineren und größeren Verbänden gestattet, die eigenen Rechte – oder in Vertretung für von Diskriminierung Betroffenen – einzuklagen. Gleichzeitig fordern wir als Linkspartei. PDS konkrete Maßnahmen zur Umsetzung ein. Antidiskriminierungsstellen, an die sich jede und jeder unproblematisch wenden kann, sind dabei genauso wichtig, wie Maßnahmeprogramme in Verwaltungen, Lehrplänen, bei der Polizei etc., um Diskriminierungen abzubauen. Das Parteiprogramm ist das eine, die reale Politik das andere. In Berlin hat es kaum Ver- besserungen für Lesben und Schwule gegeben, seit die PDS mitregiert. In der Antidiskriminie- rungskommission des Landes z.B. soll die sexu- elle Orientierung keine Rolle spielen. Fordert die Linkspartei die Gleichstellung nur in der Opposition? Keineswegs. Die Linkspartei.PDS hat darauf gedrungen, in den Berliner Koalitionsvertrag einen Abschnitt zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen aufzunehmen. Wohnberechtigungsscheine kön- nen ohne Voraussetzungen zusammengelegt werden. Der Senat hat ein Grundstück für das vom Bundestag beschlossene Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zur Verfügung gestellt. Die Senatskulturverwaltung und der Kultursenator, Dr. Thomas Flierl, koor- dinieren gemeinsam mit der Mahnmalsinitiative den Wettbewerb. Die Projekte schätzen die gute „Abschaffung der Ehe als Privileg“ Lothar Bisky über die Visionen der neuen Linkspartei.PDS Lothar Bisky ist Vorsitzender der Linkspartei.PDS. Foto: Linkspartei.PDS

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