Heft 3 (September 2005)

politik ! 18 03/05 Die Bukarester Stadtverwaltung hat sich viel Zeit gelassen, bis sie ACCEPT, dem rumänischen Lesben- und Schwulenverband, eine Antwort über den Antrag, den ersten CSD in Rumänien zu veranstalten, zukommen ließ. Laut Gesetz hätte dies spätestens nach 48 Stunden geschehen müssen, doch das Rathaus benötigte 20 Tage, bis die Ablehnung der Parade an ACCEPT herausging. Ein fadenscheiniger Grund musste herhalten: Der Oberbürgermeister der rumänischen Hauptstadt, Adriean Videanu, begründete die Ablehnung des schwul-lesbischen „Marsches der Vielfalt“ mit einem Mangel an Sicherheitskräften. Doch die rumänischen Lesben und Schwulen wollten sich damit nicht abfinden. Florin Buhuceanu, Geschäftsführer von ACCEPT, gab sich entschlossen: „Mit oder ohne Genehmigung, wir verzichten nicht auf die schwul-lesbische Parade“. Innerhalb von nur zwei Tagen gelang es, die Ablehnung international bekannt zu machen. EU-Parlamentarier sowie europäische und ameri- kanische Institutionen protestierten mit Mails und Faxen vehement gegen das Verbot. Nachdem sich auch Staatspräsident Traian Basescu in den Streit um die homosexuelle Manifestation einschaltete, gab das Bukarester Rathaus, dem er selbst bis zur Wahl ins Präsidentenamt Ende 2004 als OB vorstand, klein bei und erteilte die Genehmigung. Das zum zweiten Mal in Bukarest veranstaltete GayFest konnte wie geplant vom 23. bis 30. Mai stattfinden. Es gab Vorträge, ein Konzert, Performances und ein Filmfestival, auf dem auch der Film „Agnes und seine Brüder“ gezeigt wurde. Und auch seinen neuen Höhepunkt, die CSD- Parade, konnte das diesjährige GayFest mit dem Segen von oberster staatlicher Stelle begehen. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass alle Regierungsparteien mit der Demonstration einver- standen waren. Der Juniorpartner der Bukarester Koalition, die Konservative Partei (PC), die bis vor kurzem noch Humanistische Partei hieß, veranstaltete am Morgen des 28. Mai, am glei- chen Tag, an dem auch der CSD stattfand, eine Demo unter dem Motto „Respekt für die Familie“. Parlamentarier der PC und junge Burschen in rumä- nischer Nationaltracht und Priestergewändern ver- suchten mit Ikonen und Kruzifixen in den Händen auf die christlichen Werte Rumäniens hinzuweisen – und gegen eine homo- sexuelle Demo in Bukarest Front zu machen. Davon ließen sich die Lesben und Schwulen aber nicht im geringsten beeindrucken. Gegen 18.30 Uhr war es so weit: Den an die Tristesse der Herrschaft Ceausescus erinnernden Platz der Einheit in der Mitte Bukarests bevöl- kerten nun vor allem junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und deren Sympathisanten mit Regenbogenfahnen und zum Teil mit Karnevalsmasken. Denn die meisten wollten nicht erkannt werden, sie fürchteten um ihren Arbeitsplatz. Zwar wurde der Antihomosexuellen- Artikel 200 des Strafgesetzbuches Anfang 2002 auf Druck der EU und von ACCEPT abgeschafft, doch in Politik und Gesellschaft ist die Homophobie nach wie vor präsent. „Ohne Vorurteile: Ich liebe wen ich will!“ lau- tete das Motto des Bukarester Marsches. Vasile Muresan Murivale, der erste offen schwul auf- tretende rumänische Maler, in dessen Werk das Thema Homosexualität breiten Raum einnimmt, meinte dazu: „Heute passiert etwas großar- tiges für uns in Rumänien. Keiner weiß, wie die Manifestation verlaufen wird. Doch es ist ein herr- liches Gefühl, offen als Schwuler für die eigenen Rechte einzutreten.“ Allerdings lag auch Angst in der Luft. Hatten doch noch am Vortag der Verband der christ- lich-orthodoxen Studenten und die faschistische Bewegung Noua Dreapta angekündigt, die Parade mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Mit Parolen wie: „Wir wollen kein Volk von Schwuchteln sein!“ wurden die Demonstranten empfangen. „Schämt Euch! Schande über Euch!“ ertönte es. Vereinzelt flogen auch Steine und Eier. Einige der Kundgebungsteilnehmer entrissen den Faschisten die homosexuellenfeindlichen Schilder und zer- traten sie. Es folgten Flüche, ein aggressives Gerangel. Nur mit Mühe konnte die Polizei die gewaltbereiten Rechtsextremen zurückhalten. Eingekesselt von den Sicherheitskräften began- nen sie zu singen: „Christus ist von den Toten auferstanden“. Etwa 300 Personen nahmen an der ersten CSD-Demo Rumäniens teil. Die Parade wurde ohne Musik und ohne Wagen durchgeführt. Die Demonstranten wollten die Zuschauer am Straßenrand nicht mit Umarmungen und Küssen „provozieren“. Eher unauffällig gekleidet mar- schierte man mit; nur wenige Transsexuelle kamen in auffälligen Kostümen zur Parade. Rusty, ein in der rumänischen Hauptstadt bekannter Travestiestar, kam mit dem Fahrrad. Er trug eine auffällige venezianische Maske. Auf einen Rock hatte er verzichtet, um bei Krawallen schnell fliehen zu können. Am Park der Jugend endete der Marsch – nach einer halben Stunde! Ohne Kundgebung, ohne Ansprachen. Die Polizei rief ins Megaphon: „Das Meeting ist beendet! Bitte weiter- gehen!“ Gefeiert wurde aber anschließend in zwei Clubs noch bis in die frühen Morgenstunden. Florin Buhuceanu hatte befürchtet, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen würde. „Ich bin sehr zufrieden mit dieser ersten schwul- lesbischen Manifestation in Bukarest“, sagte er, kritisierte aber gleichzeitig die ziemlich aggressiv auftretende Polizei. Auch Murivale, überglück- lich über den für rumänische Verhältnisse guten Verlauf der Parade, erklärte voller Pathos: „Der Rote Teppich von Cannes stellt mich nicht mehr zufrieden. Schau Rumänien, unser Amerika, du bist nun das Land aller Möglichkeiten!“ Protestplakate gegen den „Marsch der Vielfalt“: fotografiert auf dem Bukarester Universitätsplatz. Foto: Josef Sallanz Land aller Möglichkeiten? Die erste CSD-Parade in der rumänischen Hauptstadt Bukarest VON JOSEF SALLANZ

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