Heft 3 (September 2005)

19 03/05 politik ! Dancehall und Schwulenhass Schwule auf Jamaica leben in Todesangst VON KLAUS JETZ Gareth will anonym bleiben, bittet darum, dass von ihm keine Fotos gemacht werden. Er hält sich als Vertereter der Jamaican Forum for Lesbians, All-sexuals and Gays (J-Flag) Ende Juni in Köln auf und nimmt an der Podiumsdiskussion des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) zum Thema Menschenrechte teil. J-Flag wurde 1998 von Brian Williamson (1945- 2004) gegründet. Brian gab Homosexuellen auf Jamaika ein Gesicht, er war bekannt, trat in Rundfunk und TV als offen schwuler Aktivist auf. Am 9. Juni 2004 er wurde in seiner Wohnung in Kingston brutal ermordet. Die Leiche wies 91 Stichwunden auf, die Kehle war durchschnitten. Die Polizei sprach von einem Raubmord, doch laut jamaikanischen Menschenrechtlern ist der Aktivist einem für Jamaika typischen Hassverbrechen zum Opfer gefallen. Darauf deute auch der Zustand der Leiche hin. „Schwule auf Jamaika leben in Todesangst“, sagt Gareth. „Als schwuler Tourist lassen sie dich in Ruhe. Du gibst ja dein Geld aus und fährst dann wieder nach Hause. Wir aber leben in Jamaika und kriegen den Hass der Leute zu spüren. Deshalb will ich auch anonym bleiben. Die Arbeit mit J-Flag mache ich gerne. Sie ist wichtig. Ich bin von ihr überzeugt. Wir haben das Recht, so zu sein, wie wir sind. Dafür kämpfen wir. Ich musste selbst mit ansehen, wie mein Freund Victor auf der Straße zu Tode geschlagen wurde, wie er um sein Leben bettelte. Ich war nur 40 Meter entfernt und konnte nichts für ihn tun. Die Polizei hat das überhaupt nicht interessiert. Als Zeuge wurde ich ausgelacht. Es gibt auf Jamaika keine Gerechtigkeit.“ Die Schwulenhatz auf Jamaika hat dank aufpeit- schender, homophober Dancehall Music hyste- rische Ausmaße angenommen. Einen Jamaikaner als „batty boy“ oder „chi chi man“ (schwuler Mann) zu bezeichnen, gilt als eine der größten Beleidigungen auf der Karibikinsel. So wird die- ser „Vorwurf“ in Wahlkampfzeiten auch gerne gegen den politischen Gegner erhoben. In einigen Dancehall Songs wird offen zum gay bashing (Schwulenklatschen) oder zum Mord an schwulen Männern aufgerufen. 2001 war der Song „Chi Chi Man“ der Band T.O.K. acht Wochen lang die Nummer 1 der World Reggae Charts. Gareth spricht auch über Buju Banton, dessen Konzerte im letzten Jahr in Deutschland größten- teils abgesagt wurden, da der LSVD gegen den Auftritt des Interpreten mobilisiert hatte. „Buju Banton war selbst in einen Überfall auf fünf oder sechs Schwule verwickelt. Sie wurden schwer verletzt, Arme und Beine haben sie ihnen gebro- chen, Buju Banton hat einem von ihnen ein Auge ausgetreten. Er wurde nie verhaftet, tritt noch immer auf, auch im Fernsehen.“ Dancehall-Music spielt eine große Rolle auf Jamaika, die beiden großen Parteien nutzen homo- phobe Songs im Wahlkampf und schüren die Gewalt. „Ich glaube“, so Gareth, „bei uns wächst eine Generation heran, die noch schwulenfeindlicher sein wird als die jetzige. Und das alles wegen Dancehall. Beenie Man, Bounty Killer, Buju Banton und andere treten mit schwulenfeindlichen Songs im Fernsehen auf, geben Konzerte und sind überall präsent. Dann verlie- ren sie für einen oder zwei Monate ihre Sponsorenverträge, kriegen aber sofort wieder neue.“ Laut J-Flag wurden in Jamaika seit 1997 rund 30 Schwule ermor- det. Einvernehmliche, homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen gelten seit dem 19. Jahrhundert als Verbrechen. Analverkehr wird mit bis zu zehn Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit geahndet. Zwar wird der Begriff Homosexualität im jamaikanischen Strafgesetzbuch nicht erwähnt, doch Artikel 76 zählt archaische Straftatbestände auf wie „Analverkehr“ (abominable crime of buggery) oder „grob unsittliches Verhalten“ (acts of gross inde- cency). Sie werden ausschließlich auf schwule Männer angewendet. Premierminister Patterson von der People’s National Party hat wiederholt erklärt, mit seiner Regierung werde es die von Menschenrechtsorganisationen aus dem In- undAusland geforderte Entkriminalisierung von Homosexualität nicht geben. Er erntete damit scharfe Kritik der lokalen Gesundheitsbehörden, die Patterson vorwarfen, seine Starrköpfigkeit werde dazu führen, dass Schwule in Jamaika sich auch weiterhin verstecken oder ein Doppelleben führen, was der Ausbreitung von HIV und AIDS Vorschub leistet. „Wenn du Kondome benutzt, bist du gleich schwul“, so Gareth. „HIV-Positive trauen sich nicht, nach Medikamenten zu fragen, weil sie Angst haben, als schwul zu gelten. Und unsere Regierung hört nicht auf uns. Unser Premierminister verteidigt die Strafgesetze in der Öffentlichkeit. Das bestärkt die Leute darin zu glauben, es sei was Schlimmes, schwul zu sein. Sie glauben, Homosexualität sei eine Sache der Weißen, aus den USA oder aus Europa. Und wenn das Ausland gegen die Verfolgung von Schwulen auf Jamaika protestiert, dann ist das für unsere Regierung neokolonialistische Einmischung.“ J-Flag sind in Jamaika die Hände gebunden. „Wir beraten und unterstützen Opfer antischwuler Gewalt, machen Präventionsarbeit im Bereich HIV und AIDS. Gegen Dancehall aber kommen wir hier nicht an. Deshalb ist der Druck aus dem Ausland wichtig. Wir bitten Euch, nicht nachzulassen in Eurem Engagement gegen homophobe Musiker aus Jamaika. Das hilft uns, und vielleicht werden auch die Musiker irgendwann ein Einsehen haben, denn es geht ja auch um viel Geld. Bis dahin wer- den sie uns weiter schlagen.“ Hated to Death: Bericht von Human Rights Watch über Homophobie und Gewalt auf Jamaika. Foto: Human Rights Watch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjY0Njc=