respekt_heft_20_2014

respekt | politik! Interview mit Dr. Laura Adamietz Geschlecht und Rechtsordnung respekt!: Frau Adamietz, zum1. November 2013 trat eine Änderung von § 22 des Personenstandsgesetzes in Kraft, nach der bei der Geburt eines intersexuellen Kindes auf die Geschlechtsangabe im Geburtenregister verzichtet werden kann. Was ist das Neue an dieser Regelung? Sind damit konkrete Verbesserungen für die Betroffenen verbunden? Der neue § 22 PStG weicht von der Grundregel des § 21 Abs. 1 PStG ab, nach dem bei Geburt eines Kindes neben dem Namen, Geburtszeit und -ort auch das Geschlecht im Geburtenregister zu beurkunden ist. Was unter „Geschlecht“ zu verstehen ist, gibt das Gesetz zwar nicht vor. Absolut einheitliche Verwaltungspraxis war aber bisher, entweder „männlich“ oder „weiblich“ einzutragen, im Jahr 2010 wurde dies noch einmal von einer Verwaltungsvorschrift festgeschrieben. Seit 2009 war es aber möglich, sich eine Geburtsurkunde (die ja ein Auszug aus dem Geburtenregister ist) ausstellen zu lassen, auf der das Geschlecht nicht vermerkt war. Neu ist jetzt, dass im Geburtenregister selbst der Eintrag entfallen soll, das Geschlecht also tatsächlich nirgendwo vermerkt sein wird. Ob damit konkrete Verbesserungen verbunden sind, kann ich noch gar nicht sagen. Zu hoffen ist, dass die Neuregelung auch den Erwartungsdruck reduziert, ein Geschlecht einzutragen. Aber da das Gesetz so formuliert ist, dass kein Geschlecht eingetragen werden darf, wenn das Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen ist, könnte das auch den Druck erhöhen, schnell eine Eindeutigkeit herzustellen. respekt!: Ist das ein Schritt zur rechtlichen Anerkennung intersexueller Menschen? Ja und nein. Ja, weil das Recht erstmals seit Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (das den „Zwitter“ noch kannte) anerkennt, dass das Geschlecht eines Menschen nicht zwingend weiblich oder männlich sein muss. Nein, weil die Neuregelung völlig an der Realität von Inter* vorbeigeschrieben ist. Nicht jeder Mensch, dessen körperliche Merkmale nicht eindeutig auf eine der zwei herkömmlichen Geschlechtsgruppen verweisen, wünscht sich „kein“ Geschlecht zu haben. Einige würden ein „drittes Geschlecht“ vorziehen. Andere fühlen sich beiden Geschlechtern zugehörig. Wieder andere sind zwar „uneindeutig“ geboren, empfinden aber eine ganz eindeutige Geschlechtszugehörigkeit als Mann oder Frau. respekt!: Im Koalitionsvertrag heißt es, die durch die „Änderung des Personenstandsrechts für inter- sexuelle Menschen erzielten Verbesserungen sollen evaluiert und gegebenenfalls ausgebaut werden“. Was wäre eine rechtliche Regelung, die die Situation von Intersexuellen wirklich verbessert? Wenn der Geschlechtseintrag nicht nur in Ausnahmefällen, sondern für alle entfallen würde. Wenn die recht- liche Regulierung genitalverändernder Eingriffe an nicht einwilligungsfähigen Kindern endlich durchgesetzt würde, inkl. der Androhung strafrechtlicher Sanktionen. Und wenn die Vermittlung von Wissen über geschlechtliche Vielfalt im Allgemeinen und Inter* im Besonderen gefördert würde, Eingang in schulische Lehrpläne und in die Ausbildungsordnungen der Akteure fände, die mit Inter* oder auch Trans*Menschen und deren Familien zu tun haben, sei es im medizinischen, pädagogischen oder behördlichen Bereich. Die könnten dann – wenn z.B. ein Kind geboren wird oder ein junger Mensch mit einem andern Vornamen angesprochen werden möchte – Verunsicherungen auffangen statt schüren und wären im besten Fall Multiplikatoren für eine diskriminierungsfreiere Gesellschaft. Die Fragen stellte Renate Rampf Dr. Laura Adamietz , Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Universität Bremen, Promotion (2010) „Geschlecht als Erwartung. Das Geschlechtsdiskriminierungsverbot als Recht gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität“ Foto: privat 9

RkJQdWJsaXNoZXIy MjY0Njc=