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5 respekt | bundesverband! U ngleiche Welt: Während immer mehr Länder die Ehe öffnen, kommt es anderenorts zur weiteren Brutalisierung ohnehin schon grausamer Strafgesetze gegen Homosexualität, z.B. in Uganda oder Nigeria. In Russland beflügelt die Unterdrückungsgesetzgebung Gewaltexzesse gegen Homosexuelle. Putins homophobe Politik findet dennoch Beifall bei Erzkonservativen und religiösen Fundamentalisten auch im Westen. Es gibt eine neue Internationale der Homophoben, die Antihomosexualität als Mittel der Politik (wieder-)entdeckt haben und eifrig davon Gebrauch machen. Auch in Deutschland sind Homophobie und Transphobie weiter viru- lent. Fast 200.000 Menschen haben eine Petition unterschrieben, die sich gegen eine angemessene Thematisierung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen im Schulunterricht wendet. CDU, FDP und AfD in Baden- Württemberg unterstützen die Proteste. So manche „Qualitätszeitung“ öffnet ihre Kommentarspalten für Autoren, die Lesben und Schwule als „Fehler der Natur“ beschimpfen. In den Beststellerlisten findet sich ein Buch mit dem sprechenden Titel „Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“. Dabei sollte freilich nicht übersehen werden: Laut Meinungsforschern gibt es in Deutschland weiter eine erfreulich stabile Mehrheit für die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen. Allerdings ist diese außer- halb von Meinungsumfragen leider oft eine eher schweigende Mehrheit. Und da liegt das Problem. Die Homophoben sind eine Minderheit, aber eine schrille und aktive Minderheit, die jetzt Morgenluft wittert. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass um Wer te wie Freiheit, Gleichheit und Respekt täglich neu gerungen werden muss. Dies breit und systematisch anzugehen und dafür Bündnispartner zu finden, wird eine der zentralen Aufgaben der nächsten Jahre sein. Deshalb hat der LSVD im April das Berliner Manifest gegen Homophobie und Transphobie verabschiedet. Es beschreibt Standards für eine freie Gesellschaft, die allen Menschen garantieren muss, jederzeit an jedem Ort ohne Angst und Anfeindung ver- schieden sein zu können. Dazu zählt ein Recht auf gleiche Sichtbarkeit. Von Lesben und Schwulen wird gern gefordert, ihre „sexuelle Neigung“ habe privat zu bleiben. Bei einem öffentlichen Coming-out wird über „Zurschaustellung“ geklagt. Die gleichen Kritiker finden aber nicht das Geringste dabei, wenn sich heterose- xuelle Ehepaare öffentlich inszenieren, wenn z.B. in Wahlkämpfen stolz die Gattin und der Nachwuchs präsentiert werden. Homophobe kämpfen für Ungleichheit: Sie selbst wollen sich im öffentlichen Leben frei und expressiv bewegen können, wir sollen im stillen Kämmerlein bleiben. Sichtbarkeit ist auch der zentrale Punkt in der Auseinandersetzung um Bildungspläne. Homophobe schreien „Umerziehung“, wenn in der Schule gesellschaftliche Vielfalt nicht mehr tabuisiert werden soll. Denn sie möch- ten nicht, dass ihre Kinder eine eigene Meinung entwickeln, sondern wollen ihr vordemokratisches Weltbild fortpflanzen, in dem Anderslebende und Andersliebende keinen legitimen Platz haben. Die Medien müssen ihre Verantwortung ernster nehmen. Sie sollen und müssen Meinungsvielfalt und gesellschaftliche Debatten abbilden, aber sie müssen mit gleichen Maßstäben messen. Würden öffentlich-rechtliche Anstalten bereitwillig Propagandisten Sendezeit zur Verfügung stellen, die eine christliche Orientierung von Eltern als Gefahr für deren Kinder diffamieren? Entsprechende Herabsetzung von Lesben und Schwulen gilt dagegen offenbar als „nicht so schlimm“ oder scheint gar nicht als solche erkannt zu werden. Medien müssen hierfür ein Sensorium entwickeln. Die demokratische Antwor t auf homophobe Mobilisierung muss volle Gleichstellung heißen. Aber Kanzlerin Merkel hat damit nach eigenem Bekunden per- sönliche Schwierigkeiten, gerade beim Adoptionsrecht. Da sind wir wieder beim alten Schreckgespenst von Schwulen und Lesben als Gefahr für die Kinder. An die- sem Punkt, und das muss man so deutlich sagen, bewegt sich Frau Merkel letztlich eher in der Gedankenwelt Putins und nicht in der von Obama, Cameron oder Hollande. Wir sollten die Konservativen bei Ehe, Adoption und Diskriminierungsschutz im Grundgesetz mit der Frage konfrontieren: Welche Werte vertretet Ihr hier eigentlich, demokratische Werte oder die von Putin? Günter Dworek Manifest im Wortlaut: www.lsvd-blog.de/?p=7303 Berliner Manifest gegen Homophobie und Transphobie Freiheit, Gleichheit und Respekt Recht auf Sichtbarkeit Verantwortung für Werte
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