respekt_heft_22_2015
hirschfeld-eddy -stiftung! 18 19 hirschfeld-eddy -stiftung! V ernetzung ist das Zauberwort – und ein ziemlich unklarer Begriff. Um gegen Diskriminierung und Unterdrückung vorzugehen, ist Zusammenarbeit notwendig: Wir brauchen „straight allies“, also hete- rosexuelle Verbündete, sowie gute Verbindungen zwischen der Lesben- und Schwulen- und der Trans* und Inter*Bewegung. Rassismus muss auch von denen bekämpft werden, die ihn nicht unmittelbar erleben. Es ist nicht ein- fach, Personen und Organisationen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen zusammenzubringen. In der internationalen Menschenrechtsarbeit gibt es zudem die Schwierigkeit, dass die Lebensverhältnisse in den Partnerländern so vollständig verschieden sind. Verständigung über die erprobten Gruppen hinaus steht im Zentrum der Veranstaltungsreihe „Crossings & Alliances“. Der Titel – auf Deutsch „Kreuzungen und Bündnisse“ – ist vielfältig deutbar. Gemeint sind ein- mal Überschneidungen von Erfahrungen und die Möglichkeit von Zusammenschlüssen. „Crossing“, also Kreuzung wird im amerikanischen auch „intersection“ genannt. Damit wird auf den Schlüsselbegriff für den Ansatz der „intersectionality“ angespielt. Intersektionalität wurde von der amerikanischen Theoretikerin Kimberley Crenshaw geprägt und ist heute zentral für alle, die sich mit Diskriminierungsformen beschäftigen. Er verlangt Sensibilität und umfangreiche Kenntnisse von Unterdrückungsformen. Besonders die Überschneidungen von Erfahrungen sind dabei von Interesse. Sexuelle Orientierung und Geschlechtsausdruck, Hautfarbe und Herkunft, das sind Aspekte, die das Leben von Menschen immens bestimmen. Aus dem Bewusstsein von mehrfachen und unterschiedlichen Diskriminierungen kön- nen sich neue pragmatische Zusammenschlüsse, neue Allianzen ergeben. Intersektionalität soll bei Crossings & Alliances in Diskussionen und Vorträgen greifbarer gemacht werden. Die Reihe lebt davon, dass unter- schiedliche Szenen angesprochen und zusammengebracht werden. Wir grei- fen Themen auf, über die sich Szenen schon zerstritten haben: Das Verhältnis von Homo- und Transsexuellen, von migrantischen Organisationen und NGOs der Entwicklungszusammenarbeit, das vernachlässigte Thema der Situation von Inter* und das Problem des Rassismus in der Menschenrechtsarbeit. So wurde z.B. der erste Parallelbericht zur UN-Antirassismus-Konvention (ICERD) vorgestellt, in dem es um die Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* geht, die Rassismus erfahren. Dieser ICERD- Parallelbericht formuliert Forderungen an die deutsche Regierung, die die Verschränkung von Homo- und Transphobie mit Rassismus einbeziehen. Mit Crossings & Alliances hoffen wir, einen Schritt zur Überwindung der Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen und sehr engagierten Gruppen und NGOs zu machen. Die Mittel sind persönliche Begegnungen, Austausch von Erfahrungen, Diskussionen, kurz: Vernetzung. Sarah Kohrt Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Leitung Plattform LGBTI-Menschenrechte Einladungen zu den Veranstaltungen, Hintergrundberichte und Infos gibt es über den Newsletter der Plattform: sarah.kohrt@hirschfeld-eddy-stiftung.de Was ist eigentlich Intersektionalität? Crossings &Alliances M enschenrechte gelten für jeden Menschen, heißt es. Jahrhundertelang hätte es erklä- rend heißen müssen: Menschenrechte gelten für Männer, die keine Sklaven sind und nicht zur Bevölkerung der Kolonien gehören. Dass der Schutz der Menschenrechte z.B. auch für Frauen und für schwarze Menschen gilt, ist ein Erfolg der Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen. Im indonesischen Yogyakarta haben interna- tionale Menschenrechtsexper t_innen 2006 die Yogyakarta-Prinzipien verfasst. In den 29 Prinzipien wird erläuter t, was Menschenrechtsstandards in Bezug auf sexuelle und geschlechtliche Minderheiten bedeuten. Die Yogyakarta-Prinzipien sind ein Fixpunkt der Menschenrechtsarbeit. Es wird beschrieben, was ein Staat gewährleisten müsste, wenn Rechte tatsächlich unabhängig von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität gelten würden. Immer öfter wird dem Akronym LGBT der Buchstabe „I“ hinzugefügt. Das „I“ steht für intergeschlechtliche bzw. intersexuelle Menschen oder Inter*, die mit dem medizinischen Begriff „Störungen der Geschlechtsentwicklung“ (DSD) pathologisiert und stigmatisiert werden. Inter* werden aufgrund körperlicher, hormonel- ler oder chromosomaler Merkmale weder nur als weiblich noch nur als männlich angese- hen. Inter*Körper befinden sich außerhalb des Systems der Zweigeschlechtlichkeit und das hat gravierende medizinische und juristische Folgen. Eltern werden mit einem Zwang zu geschlechts- angleichenden Operationen und Hormongaben konfrontiert. Babys, Kleinkinder und Jugendliche werden auf ein Geschlecht zugerichtet. Seit den Neunziger Jahren gibt es eine Inter*Bewegung, die für die Rechte von Inter* kämpft. 2008 gelang es einer Gruppe von Inter*Aktivist_innen, dass das Thema vor den Vereinten Nationen gehör t wurde. Anlässlich des Alternativberichts zur Frauen rechtskonvention wurden die systematischen Menschenrechtsverletzungen an intersexuel- len Kindern und Jugendlichen in Deutschland thematisiert. In Zusammenarbeit mit Lucie Veith vom Verein „Intersexuelle Menschen“ verfasste der LSVD 2009 den Beschluss „Menschenrechte von Intersexuellen schützen“. Darin wird unter anderem gefordert, dass Eingriffe „ausschließ- lich aufgrund der informierten Einwilligung der betroffenen intersexuellen Menschen erfolgen“ dürfen. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter bezeichnet 2013 „normalisierende“ Eingriffe an den Geschlechtsorganen, die ohne freie und informierte Einwilligung durchgeführt werden, als Folter. Der Menschenrechtsschutz für Intersexuelle ist auch deshalb noch ungenügend, weil er nicht kodifiziert ist und kaum jemand weiß, was es heißt, wenn Menschenrechte auch für Inter* gelten. „Brauchen die Yogyakarta-Prinzipien ein Update für Inter*?“ fragte die Hirschfeld-Eddy- Stiftung daher in einem Fachworkshop. Unter Leitung von Dan Ghattas von der Organisation Intersex International (OII Deutschland/IVIM) wurde an praktischen Beispielen geprüft, inwieweit die Lebensrealität von Inter*von den Yogyakarta- Prinzipien erfasst wird. Die rechtliche Diskriminierung durch den Personenstand hat für Inter* schwerwiegende Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Viel gra- vierender ist aber der Schutz der körperlichen Unversehrtheit. Damit dieses Menschenrecht für Inter* gelten kann, ist es notwendig, zahlreiche Yogyakarta-Prinzipien zu ergänzen. „Diejenigen, die die Yogyakar ta-Prinzipien geschrieben haben, haben von Inter* wenig bis kein Wissen gehabt.“, fasst Dan Ghattas zusammen. Die Ergebnisse sollen vertieft und zusammengetragen werden. Die Hirschfeld- Eddy-Stiftung wird diese Arbeit im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Crossings & Alliances“ begleiten. Geplant ist ein Folgeworkshop unter Leitung und Beteiligung von Inter*. Denn das ist jetzt klar: Die Yogyakarta-Prinzipien brauchen ein Inter* Update. Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Leitung Plattform LGBTI-Menschenrechte Die Yogyakar ta-Prinzipien brauchen ein Inter*-Update Eine Lücke im System Was ist mit Inter*? Veranstaltungsreihe Crossings & Alliances: www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/ vernetzung/crossings-alliances Konstanze Plett , Bremer Rechtsprofessorin, die seit vielen Jahre zu Inter* forscht. Plett begrüßte die im Workshop aufgegriffene Fragestellung in einem persönlichen Grußwort. Foto: Caro Kadatz Fotos: Caro Kadatz Welche Rolle können Organisationen der afrikanischen Diaspora in Deutschland als Vermittler im Kontakt zwischen dem globalen Norden und Süden für die Menschenrechte von LSBTI einnehmen? Tsepo Andreas Bollwinkel von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland ging dieser Frage ging im Rahmen von Crossings and Alliances nach. Vernetzung ermöglichen
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