respekt_heft_22_2015
6 7 respekt | bundesverband! respekt | bundesverband! E rstmals in der Geschichte der Bundesrepublik werden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTI) im ZDF -Fernsehrat Sitz und Stimme bekommen. Der LSVD hat sich erfolgreich an der Diskussion um die Neufassung des ZDF-Staatsver trages beteiligt. Der derzeitige Vertrag, so das Urteil des BVerfG vom 25.3.2014, genüge nicht dem Grundsatz der Vielfaltsicherung – und nur teilweise der Begrenzung des staatlichen Einflusses. Der Anteil staatlicher und staatsnaher Personen im Fernsehrat und im Verwaltungsrat sei auf ein Drittel zu begrenzen. Ver treter_innen der Exekutive dürften nicht die Auswahl der staatsfernen Mitglieder bestimmen. Auf der Website des ZDF heißt es zum Selbstverständnis und zur Aufgabe des Fernsehrates: „Der Fernsehrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit gegenüber dem ZDF. Deshalb ist er kein Expertengremium, sondern so vielfältig wie die Gesellschaft selbst. … Zentrale Aufgabe ist es, die Programme und Online- Angebote zu beaufsichtigen. … Dabei versteht sich der Fernsehrat als Anwalt der Zuschauerinnen und Zuschauer.“ Die Ministerpräsident_innen hätten die Chance gehabt zu prüfen, wie die Zivilgesellschaft sich aktuell darstellt. „Die Zusammensetzung der Kollegialorgane muss darauf ausgerichtet sein, Personen mit möglichst vielfältigen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens zusammenzuführen“, sagte das Bundesverfassungsgericht. Die Chance wurde nicht ausreichend genutzt. Im Entwurf wird die Zahl der staatsnahen Personen in der „A-Klasse“ der gesetzten Organe und Organisationen deutlich verringert; aber die Zahl der Ver treter_innen der zivilgesellschaftlichen Organisationen bleibt weitgehend gleich. So haben etwa die Arbeitgeber_innenverbände unveränder t fünf Sitze. Bisher nicht gesetzte zivilgesellschaftliche Organisationen sucht frau vergebens. LSBTI-Gruppen sowie Bürger- und Menschenrechtsorganisationen waren zunächst überhaupt nicht vorgesehen. Der LSVD-Bundesvorstand hat dies öffentlich gemacht und die Ministerpräsident_innen darauf hingewie- sen, dass der Entwurf der sichtbar gewachsenen Vielfalt der Gesellschaft nicht entspricht. Diese ekla- tante Diskriminierung erfordere eine entsprechende Änderung des Vertrags. Dies forderte der LSVD auch in einem gemeinsamen Protestaufruf mit der Zeitschrift „Männer“, dem sich die Initiative „Enough is Enough“ anschloss. Besonders pikant: Laut Recherche von „Männer“ soll sich Berlin nach dem Ausscheiden von Klaus Wowereit von der Absicht verabschiedet haben, eine(n) Vertreter_in für den Bereich LSBTI zu benennen. Stattdessen übernahm das Land den Bereich Internet, zuvor gemeinsam mit „Digitales“ Bayern zugeordnet. Eine wahrhaft feinsinnige Aufteilung. Die Proteste hatten Erfolg. In Bremen beantragten die Regierungsfraktionen GRÜNE und SPD, dass das Land sich für ein eigenständiges Entsenderecht des LSVD einsetzt. Die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und die Abgeordneten des SSW im Landtag von Schleswig-Holstein for- derten die Landesregierung auf dafür einzutreten, dass die beiden christlichen Kirchen nur noch je einen Sitz in der „A-Klasse“ haben, der Sitz des Bundesverbandes der Zeitungsverleger gestrichen wird und diese drei Sitze für Vertretungen aus dem Bereich Menschenrechtsorganisationen, Schwulen- und Lesbenverbände und digitale Bürgerrechte vorge- sehen werden. Inzwischen hat Thüringen sich bereit erklärt, eine(n) Vertreter_In für die LSBTI-Gruppen zu benennen. Der LSVD hat Bodo Ramelow für diese Initiative gedankt. Zu Ende ist das Thema mit der erfolgreichen Intervention des LSVD nicht. Die nach vier Jahren geplante Evaluation sollte genutzt werden, um das Zweiklassenrecht zu überwinden, wonach einige gesellschaftliche Gruppen eine festgeschrie- bene Vertretung haben, andere eine Nominierung über die Länder benötigen. Zudem stehen ent- sprechende Änderungen auch bei den anderen Rundfunkstaatsverträgen bzw. beim Gesetz für die Deutsche Welle an. Henny Engels Neubesetzung im ZDF-Fernsehrat Mit dem Zweiten sieht man / frau besser? I n jahrzehntelangen Kämpfen wurden Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung und gesellschaftlichen Akzeptanz von Lesben und Schwulen erreicht. Diese positive Grundstimmung erweist sich derzeit jedoch als brüchig. Antifeministische und religiös fundamenta- listische Strömungen verbinden sich aktuell mit homo- und transpho- ben Einstellungen, die auch in der „Mitte der Gesellschaft“ vertreten werden. So entstehen Anschlüsse an die Rhetorik rechtspopulistischer und rechtsextremer Lager. Die Entwicklung von Strategien gegen diese neue Welle von Homo- und Transphobie steht im Mittelpunkt eines Kongresses, den der LSVD zusammen mit der Amadeu-Antonio- Stiftung am 10. Juni in der Berliner Werkstatt der Kulturen veranstaltet. Unterstützt wird der Kongress durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Den Ausgangspunkt der Diskussion wird Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld) in seiner Keynote über aktuelle Studien zur gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erläutern. In drei parallelen Foren werden anschließend die Grundlagen erarbeitet. So werden der Publizist Andreas Kemper und die Wissenschaftlerin Juliane Lang (Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus) auf- zeigen, wie sich im Namen von „Gott, Familie, Abendland“ neue unheimliche Bündnisse formieren. Arn Sauer (TransInterQueer) und Dr. Julia Ehrt (Transgender Europe) erläutern in einem zweiten Panel die Erscheinungsformen und alltäglichen Auswirkungen von Transfeindlichkeit, während Dr. Jennifer Petzen (Lesbenberatung Berlin) und Dr. Lieselotte Mahler (Psychiatrische Universitätsklinik der Charité) auf die Verzahnung unterschiedlicher Diskriminierungsformen eingehen und auch einen Fokus auf queere Flüchtlinge in Deutschland setzen. Die Podiumsdiskussion „Freiheitsgefährdungen für LGBTI durch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus“ bietet dann den Auftakt, um in weiteren Foren Handlungsfelder aufzuzeigen. „Wie kann eine offene Gesellschaft verteidigt und ausgebaut werden?“ – darüber diskutieren Elke Ferner (Staatssekretärin im BMFSFJ), Barbara Loth (Berliner Staatssekretärin, Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen), Carolin Hesidenz (Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-DOK der Stadt Köln), Dr. Bertold Höcker (Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte) Aleksej Urev (Landeskoordination Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule NRW), Dr. Zülfukar Çetin (Stiftung Wissenschaft und Politik), Anetta Kahane, (Amadeu Antonio Stiftung) und LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek. Moderier t wird die Diskussion durch Dr. Julia Borggräfe (LSVD) und Dr. Andrés Nader (RAA Berlin). Ein wichtiges Element kann ein nationaler Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie sein, wie er im Koalitionsvertrag für die gegenwärtige Bundesregierung in Aussicht gestellt wurde. Notwendige Schwerpunkte und mögliche Forderungen sind daher Thema des von Prof. Dr. Anne-Christin Schondelmayer (TU Chemnitz) mode- rierten offenen Panels. Parallel dazu gehen Prof. Dr. Harald Stumpe und Katja Krolzik-Matthei (Hochschule Merseburg) zusammen mit Dr. Ulrich Klocke (Humboldt-Universität zu Berlin) der Frage nach, wie Initiativen für eine Pädagogik der Vielfalt an Schulen gestärkt und gegen Diffamierungen verteidigt werden können. Unter dem Titel „Unterhaltungswert Homophobie?“ erarbeiten Dr. Jobst Paul (Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung) und Katrin Gottschalk (Missy Magazine) in ihrem Forum Möglichkeiten, um homo- und transphobe Kommunikationsstrategien zu widerstehen, wie sie augenblicklich in den Medien zu beobachten sind. Es geht folglich bei dem Kongress um nicht weniger als die Entwicklung einer gesamtgesellschaftlichen Intervention. Denn Respekt und Vielfalt müssen wieder verstärkt verteidigt werden. Markus Ulrich www.lsvd.de/kongress Kongress in Berlin „Respekt statt Ressentiment!“ Freiheitsgefährdung durch Rechtspopulismus Erfolgreicher Protest Henny Engels , LSVD-Bundesvorstand Foto: LSVD
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