respekt_heft_23_2016
5 respekt | bundesverband! U nter den vielen Geflüchteten gibt es natürlich auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und/oder Trans*. Wie viele, weiß niemand, denn Fluchtgründe werden statistisch nicht erfasst. Queere Geflüchtete treffen in Deutschland auf eine überlastete und mangel hafte Struktur hinsichtlich Unterbringung, Beratung und Entscheidung über den Asylantrag. Sie erleben neben Hilfsbereitschaft auch offenen Rassismus. Zusätzlich machen sie spezifische homo- und transphobe Erfahrungen in den Unterkünften, im öffentlichen Raum oder im Asylverfahren. Als überörtliche Organisation können wir Geflüchtete oftmals nicht persönlich begleiten. Wir vermit- teln sie an unsere Landesverbände und geeignete Einrichtungen in der Nähe. Auf unserer Homepage www.queer-refugees.de haben wir zudem Informationen und einen ausführlichen Rechtsratgeber veröffent- licht – dank des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), des Bundesfamilienministeriums und ehrenamtlicher Übersetzungen in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Zusammen mit dem ASB und dem Paritätischen Wohlfahr tsverband haben wir auch eine Handreichung für Unterkünfte mit Informationen, Handlungsempfehlungen, und Hintergrundinformationen zur Unterstützung von queeren Geflüchteten veröffentli- cht, die demnächst auch bundesweit erscheint. Neben dieser konkreten Unterstützung sensibilisie- ren wir Politik und Öffentlichkeit für diese Gruppe. In Interviews, Stellungnahmen und Vorträgen zeigen wir Folgen der bestehenden Asylgesetzgebung bzw. der geplanten Verschärfungen auf. Wie viele andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren wir etwa das verabschiedete Asylpaket II. Geflüchtete aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ treffen auf beschleunigte Verfahren, fehlende Beratung und eine Residenzpflicht in gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Sicherheit und faire Asylverfahren sind gerade für queere Geflüchtete massiv gefährdet. Eine menschenrecht- liche Bankrotterklärung ist die geplante Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als „sichere Herkunftsstaaten“, obwohl dor t einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen belegt ist. Zum einen verstößt das Vorhaben der Bundesregierung gegen ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, zum anderen ist es ein fatales Signal. Wenn Verfolgerstaaten als „sicher“ bewertet werden, macht sich Deutschland im weltwei- ten Kampf um Entkriminalisierung unglaubwürdig. Ein Beispiel, wie schnell wir in der Debatte um Geflüchtete doch bereit sind, „unsere Werte“ aufzugeben?! Überhaupt kommt keine Diskussion um Geflüchtete ohne den Verweis auf die notwendige Verteidigung von „unseren Werten“ aus. Werte, die man den Geflüchteten im gleichen Atemzug dann meist verwehrt. Unter diesen Werten wird dann u.a. Akzeptanz von LSBT aufge- zählt. Überraschenderweise vor allen von denen, die eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von LSBT immer blockiert haben bzw. bis heute ablehnen. Minderheiten werden also gegeneinander ausgespielt. Dass sich Flüchtlinge in Deutschland auch an Grundgesetz und Gesetze halten müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Das bestreitet übrigens auch niemand. Wenn Geflüchtete aus Ländern kommen, in denen LSBT staatlich und gesellschaftlich verfolgt werden, ist anzunehmen, dass sie mitunter auch massive homo- und transphobe Einstellungen haben. Ein Anspruch auf menschenwürdige Behandlung, einen Asylantrag und gegebenenfalls auch Schutz gilt jedoch auch für sie. Allerdings müssen sämt- liche Programme zur Integration sowie Materialien zum Spracherwerb darauf ausgerichtet sein, Demokratie und individuelle Freiheitsrechte zu fördern. Die Rechte von LSBT müssen endlich verpflichtendes Thema in Integrationskursen werden. Markus Ulrich www.queer-refugees.de Eine LSBT-inklusive Flüchtlings- und Integrationspolitik Was tun wir? Grafik: LSVD
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