respekt_heft_23_2016

8 respekt | bundesverband! Was ist der Liberal-Islamische Bund? Der Liberal-Islamische Bund wurde im Frühjahr 2010 gegründet, um den Muslim_innen eine Stimme zu verleihen, die sich durch die etab- lierten, eher traditionell ausgerichteten Verbände nicht repräsentiert sehen. Mit liberal meinen wir ein freiheitliches, eigenverantwor tliches und auch kritisch-hinterfragendes Verständnis der eigenen Religion. Bundesweit haben wir ca. 200 Mitglieder. Viele Lesben und Schwule stehen dem Islam durchaus skeptisch gegenüber, wel- che Einstellung hat der LIB zum Thema Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit? Wir betrachten Homosexualität weder als Sünde noch als göttliche Strafe oder Prüfung. Die Liebe, die zwischen homosexuellen Partner_ innen entstehen kann, sehen wir genauso wie die Liebe zwischen heterosexuellen Partner_ innen als Ausdruck der Liebe Gottes. Der LIB spricht sich offen und entschieden gegen eine Diskriminierung von transgeschlechtli- chen Menschen aus. Auch hier betonen wir die Eigenverantwortung des Menschen in der Gestaltung seines Lebens und seiner Sexualität. In unseren Gemeinden sind alle Menschen willkommen! Nun sehen das einige anders und bezie- hen sich dabei auf den Koran, Aussagen des Propheten Muhammad (Hadith) bzw. die Scharia. Ähnlich wie im Christentum spielt auch in der islamischen Diskussion die Geschichte des Propheten Lot eine entscheidende Rolle. Bis heute hält die traditionelle Mehrheitsmeinung innerhalb muslimischer Gruppierungen daran fest, dass durch die Geschichte Lots eine Verurteilung von Homosexualität als solcher durch Gott deutlich wird. Andere, liberalere Meinungen, darunter die des LIB, sind der Auffassung, dass Gott durch die Geschichte von Lot weder Homosexualität noch gleichberechtigte Beziehungen zwischen gleich- geschlechtlichen Par tnern verur teilt, sondern sexuelle Gewalt. Viele der Überlieferungen, nach denen der Prophet Muhammad Homosexualität unter Strafe gestellt haben soll, tauchten zudem sehr spät auf und präsentieren ein in der Zeit des Propheten nicht gängiges Vokabular. Daher spricht einiges dafür, dass ihm diese Aussagen im Nachhinein zugeschrieben worden sind. Welche Erfahrungen macht ihr mit die- sem Verständnis vom Islam mit anderen Muslim_innen? Dass der LIB wächst, zeigt, dass unser Islamverständnis Resonanz findet. Wir haben einige homosexuelle und transgeschlechtliche Mitglieder, so dass wir unser Verständnis nicht nur verkünden, sondern tatsächlich leben. Allerdings gibt es im weiteren muslimischen Spektrum durchaus Skepsis. Uns wird z.B. ein falsches Islamverständnis vorgeworfen. Was wünscht ihr Euch von der nicht- muslimischen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland? Wir wünschen uns, nicht mehr nur als „die Muslime“ – als Gegenüber „der Deutschen“ – betrachtet zu werden, sondern als Deutsche muslimischen Glaubens, als selbstverständ- licher Teil dieser Gesellschaft. Und natürlich wünschen wir uns, dass die nicht-musli- mische Mehrheitsgesellschaft sich nicht die (polemische) Position zu Eigen macht, dass wir den Islam nicht richtig verstanden hätten und gar keine richtigen Muslime seien, sondern dass wir und unsere theologischen Positionen als vollwertig anerkannt werden. Angesichts vieler Flüchtlinge aus arabischen Ländern gibt es durchaus die Befürchtung vor einer „Islamisierung“ der Gesellschaft. Wie begegnet ihr diesen Ängsten? Es ist nicht einfach, gegen diese Ängste anzugehen, denn es gibt viele Vorurteile und festgefahrene Bilder über „den Islam“ und „die Muslime“. Mit unserer Öffentlichkeitsarbeit und unserer Vorsitzenden Lamya Kaddor versuchen wir, diese Vorstellungen aufzubrechen. Wir ver- suchen, die Menschen dor t abzuholen, wo sie stehen, ihre Fragen zu beantworten und ihnen so die Ängste zu nehmen. Es ist manch- mal eine Sisyphusarbeit, aber sie ist unbedingt notwendig, um zu zeigen, dass Muslim_innen in erster Linie – wie wir alle – ganz normale Menschen sind. Ausführliches Interview unter: www.lsvd-blog.de/?p=12470 Interview mit Nushin Atmaca (LIB-Mitglied und Koordinatorin der Berliner Gemeinde) „Die Liebe zwischen homosexuellen Partner_innen ist ein Ausdruck der Liebe Gottes“ Foto: privat Nushin Atmaca Liberal-Islamischer Bund e.V.

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