respekt_heft_23_2016
9 respekt | bundesverband! Salafismus ist eine Form des islamischen Fundamentalismus. Was sind die Kernelemente der salafistischen Ideologie, z.B. im Hinblick auf Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgender? Wie jede Form von Fundamentalismus ist der Salafismus ein Blick zurück auf die Wurzeln der Religion. Es soll eine moralische Lebenswelt ins Hier und Jetzt geholt werden, die im Fall des Islams 1400 Jahre alt ist. Aber nun lässt sich gerade nicht behaupten, dass SalafistInnen und andere islamische FundamentalistInnen homosexuelle Beziehungen der- art scharf verurteilten, weil das vor 1400 Jahren bereits derart praktiziert worden sei. Gerade mit Blick auf die Ursprünge und die Geschichte des Islams gab es in dieser Zeit zumindest eine gelebte Offenheit. Es bildete sich zwar eine Theologie heraus, die versucht hat, genau das zu unterdrücken, aber ihr war über Jahrhunderte kein Erfolg beschieden. Das änderte sich erst in der Moderne. Religionsgelehrte erklärten zum Beispiel, dass homosexuelle Praxis vor Gott nicht erlaubt sei, weil nach damaliger Vorstellung keine Ehe zwischen zwei Männern möglich war, da diese Beziehung keine Kinder hervorbringen konnte. Das kennt man ja auch aus anderen Religionen. Danach gelten diese Beziehungen als Ehebruch oder Unzucht. Diese Position wird von SalafistInnen und FundamentalistInnen übernommen und beson- ders scharf ausgelegt, so dass sie letztlich nur die Forderungen nach der Todesstrafe dafür kennen. Welche Erscheinungsformen des Salafismus gibt es in Deutschland? Laut Bundesverfassungsschutz gibt es derzeit 8.000 SalafistInnen in Deutschland, davon gelten eini- ge Hundert als gewaltbereit. Grob geschätzt sind etwa 80-85% der AnhängerInnen männlich und jung, in der Regel zwischen 16 und 30 Jahren. Die meisten gehen nicht in diese Szene rein, weil sie auf der Suche nach dem wirklich wahren Glauben sind. Es sind meistens soziale Beweggründe. Sie fühlen sich ausgegrenzt von der Gesellschaft oder vom persönlichen bzw. famili- ären Umfeld, sehen keine Perspektive für ein Leben innerhalb dieser Gesellschaft. Viele Flüchtlinge kommen gegenwärtig aus arabischen Ländern. Wird die salafistische Bewegung hierzulande dadurch stärker? Flüchtlinge sind eine zusätzliche Gruppe, aus der sie potentielle AnhängerInnen anwerben können. Die Einschätzung der gesamten Lage ist jedoch schwie- rig. Denn syrische Menschen zum Beispiel sind ja zu mindestens zum Teil auch vor den IS-Terroristen geflohen. Andererseits sind junge Menschen, die sich nicht angenommen fühlen, besonders anfällig für Rekrutierungsmaßnahmen. Wenn man die Integration der Flüchtlinge schleifen lässt und die Fehler der vergangenen Jahrzehnte wiederholt, dann hat man vielleicht in vier, fünf Jahren durchaus auch derart frustrierte Persönlichkeiten, die dazu neigen könnten, in diese Szene abzurutschen. Pegida und Co. verteidigen angeblich „das Abendland“ gegen „die Islamisierung“ und verbreiten meist auch homophobe Parolen. Welche Ansatzpunkte gibt es, gegen Islamfeindlichkeit und Homophobie gemeinsam vorzugehen? Man muss gegen beides vorgehen. Den Anhänger- Innen von Pegida ist es im Grunde genommen inhaltlich egal, was ihnen da vorgesetzt wird. Sie haben ein Ziel: Möglichst wenig Fremde, möglichst wenig anderes Verhalten in der eigenen Umgebung zu tolerieren. Anders sein, heißt in diesem Fall eben mus- limisch sein oder homosexuell sein. Von den meisten Pegida-AnhängerInnen wird beides abgelehnt. Ausführliches Interview: www.lsvd-blog.de/?p=12457 Weitere Informationen: www.thorsten-gerald-schneiders.de Herausgeber von u.a. „Salafismus in Deutschland“ und „Islamfeindlichkeit: Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen.“ Interview mit Politik- und Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders Salafismus in Deutschland Foto: privat Thorsten Gerald Schneiders Politik- und Islamwissenschaftler
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