respekt_heft_24_2017
hirschfeld-eddy -stiftung! 24 Die Menschenrechtslage für LGBTI ist weltweit dramatisch – welche Erklärungen haben Sie dafür? Wir leben in einer von Krisen erschütterten Welt mit neuen politischen Akteuren und einer Erosion der bisherigen Ordnung; einer Welt, in der vielfach auch bereits Erreichtes für LGBTI wie- der bedroht ist. Der erstarkende Nationalismus verringert zusätzlich die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft und damit auch von NGOs, die sich für die Rechte von LGBTI ein- setzen. So wird etwa für NGOs die Annahme von Geldern aus dem Ausland immer kom- plizier ter oder teilweise sogar verboten. Menschen, die sich für Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Demokratie einsetzen, werden verfolgt und unterdrückt. In immer mehr Staaten und Gesellschaften missachtet man auf das schlimmste die Menschenrechte, obwohl sie universell gültig sein sollten. Wo Krieg, Hunger, Angst und Schrecken herrschen, ver- hallt der Ruf, die Menschenrechte zu achten, weitgehend ungehört. Welche Auswirkungen hat der Präsidenten wechsel in den USA für die internationa- le LGBTI-Politik? Muss Europa, muss Deutschland hier nicht eine Lücke füllen? Barack Obama und seine Regierung haben auf internationaler Ebene sehr viel für LGBTI- Rechte getan - vor allem auch mit der Arbeit der LGBTI-Kerngruppe bei den Vereinten Nationen, der wir seit 2016 angehören. Ich kann nur hoffen, dass die USA ihren Einsatz weltweit fortsetzen. Offen gestanden könnten Europa und Deutschland einen Partner wie die USA nicht einfach ersetzen. Müsste Deutschland, müssten Regierung und Zivilgesellschaft gerade in der EU, nicht viel mehr Engagement im Bereich LGBTI und Menschenrechtsschutz zeigen, politisch, diplomatisch und finanziell? Wir müssen im Einsatz für LGBTI noch sicht- barer, entschlossener und substanzieller wer- den. Seien wir aber nicht so pessimistisch, wir haben in den vergangenen Jahren in Sachen Toleranz und Gleichberechtigung doch eine Menge erreicht. Auch und gerade Dank Eures Einsatzes. In den beiden letzten Jahren nahm ich an Pride Paraden in Bukarest und Belgrad teil - vor einiger Zeit wären solche Veranstaltungen in diesen Städten noch undenkbar gewesen. In diesem Jahr bin ich bei der Pride Parade in Budapest dabei. In den meisten Staaten in Europa, in Nord- und Südamerika gibt es mittler- weile eine eingetragene Partnerschaft für gleich- geschlechtliche Paare. Auf allen Kontinenten gibt es durchaus positive Entwicklungen und politischen Mut für fortschrittlichere Politik, sei es in Südafrika oder Uruguay, in Nepal oder in Montenegro. Auch die Vereinten Nationen haben manches erreicht. Ich denke etwa an das Mandat des Unabhängigen Experten für den Schutz vor Diskriminierung und Gewalt auf Grund von sexueller Orientierung. Wir haben es trotz gro- ßer Widerstände 2016 im Menschenrechtsrat einrichten können. Erster Amtsinhaber ist Vitit Muntarbhorn. Aber ich will die Dinge nicht schöner reden, als sie tatsächlich sind. Bei allen globalen Erfolgen sehe ich natürlich neue Bedrohungen von LGBTI. Wir versuchen ganz gezielt, die Arbeit der LGBTI-Zivilgesellschaft zu unterstützen. Anfang Juni haben wir gemeinsam mit der Hirschfeld-Eddy Stiftung eine Konferenz mit Menschenrechtsverteidigern und -verteidi- gerinnen aus Russland, Uganda und Botsuana organisiert. Dort haben wir uns über die wach- sende Bedrohung der Zivilgesellschaft ausge- tauscht - nicht nur in autoritären, sondern auch in einigen demokratischen Staaten. Und auch im Inland gibt es noch viel zu tun. Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt sind bei uns noch traurige Realität; in Familien, auf Schulhöfen, in Betrieben. Die jetzt endlich in Deutschland beschlossene „Ehe für alle“ ist deshalb ein wichtiges Signal in die Gesellschaft hinein, dass Liebe kein Geschlecht kennt und Schluss sein muss mit der Diskriminierung von schwulen und lesbischen Paaren. Das war ein wichtiger Schritt. Denn wenn wir uns im Ausland für LGBTI-Rechte einsetzen, müssen wir auch im eigenen Land glaubwürdig sein. Und ich hoffe, dass viele Aktivistinnen und Aktivisten ihren Blick jetzt stärker auf Europa und die Welt rich- ten. Hier gibt es noch so viel zu tun. In vielen Ländern sind LGBTI-Projekte von internationalen Geldern abhängig. Wie lässt sich dann dem Vorwurf begegnen, dass Menschenrechte für LGBTI als eine westliche bzw. ausländische Agenda abgelehnt werden? Hier geht es doch nicht um „westliche Werte“ oder „Sonderrechte für LGBTI“, sondern um universelle Menschenrechte, die nicht ver- handelbar sind und jedem Menschen zuste- hen. Homosexuelle, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Menschen weltweit haben – wie alle anderen Menschen auch - ein Recht auf Menschenwürde und den Schutz ihrer Privatsphäre. Solange sie in Angst vor Unterdrückung, Gewalt, Diskriminierung oder rechtlicher Verfolgung leben, kann von der Einhaltung dieser elementaren Rechte defini- tiv keine Rede sein. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass alle Menschen diese Rechte bekommen. Interview mit Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswär tigen Amt „Wir müssen im Einsatz für LGBTI noch sichtbarer, entschlossener und substanzieller werden.“
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