respekt_heft_24_2017
25 hirschfeld-eddy -stiftung! Der Schutz der Menschenrechte auch von LGBTI als Verteidigung „unserer Werte“ könnte es Ländern, die ihre postkoloniale bzw. nationale Identität gegen den Westen definieren, erschweren, die Menschenrechte von LGBTI anzuerkennen. Selbst das Konzept der Menschenrechte wird bisweilen neu interpretiert. Welches Framing erscheint Ihnen sinnvoll? Wie gesagt: Menschenrechte und damit auch die Rechte für LGBTI sind nicht verhandelbar. Sie stehen allen Menschen zu - egal wo sie geboren sind. Dahingehend ist der Hinweis auf „westliche Werte“ nichts anderes als eine billige Ausrede. Wir werden nicht müde werden, welt- weit die Entkriminalisierung von Homosexualität und aktiven Schutz von LGBTI-Rechten zu for- dern. Aber unsere Strategie, mit der wir uns für LGBTI einsetzen, ist selbstverständlich von Land zu Land verschieden. Unsere oberste Maxime dabei ist, dass wir unsere Partner nicht in Gefahr bringen dürfen. Denn damit wäre niemandem geholfen. Unsere Botschaft ist: Wir fordern keine Minderheitenrechte, sondern einen wirksamen Schutz der Menschenrechte aller, unabhängig von der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion oder eben der sexuellen Identität. Das ist kein Luxus, sondern die Verwirklichung eines Grundsatzes, auf den wir uns schon vor fast 70 Jahren in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verständigt haben. Welche Erfahrungen haben Sie im Ausland gemacht? Welche Wörter und Argumente kommen an und bewirken einen Veränderungsprozess, mit welchen Forderungen trifft man eher auf Widerstand oder Unverständnis? Meine Erfahrungen sind sehr unterschied- lich und lassen sich nicht verallgemeinern. Entscheidend ist, im Dialog zu bleiben. Auch und gerade mit denen, die andere Auffassungen vertreten, denn nur wer miteinander spricht, kann auch ein Umdenken erreichen. Insbesondere im Umgang mit schwierigen Partnern und autoritären Regimen müssen wir in diesen Dialog immer auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft einbeziehen. Wenn ich nach Russland, Türkei, Ägypten oder die Golfstaaten reise, treffe ich - wo immer möglich - auch Menschenrechtsaktivisten und Bürgerrechtlerinnen. Ihnen gilt meine Solidarität. Das Auswärtige Amt war federführend daran beteiligt, dass ein Homosexueller aus Tschetschenien in Deutschland huma- nitäres Asyl erhalten hat. Ist die deutsche Außenpolitik heute besser dafür sensibili- siert, auf Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen zu reagieren? Die Berichte über Folter und Mord von LGBTI in Tschetschenien haben uns alle schockiert. Ich bin froh, dass wir inzwischen sogar in drei Fällen Betroffene nach Deutschland bringen konnten. Dass wir hier mit einer Reihe europäischer Staaten schnell und entschieden reagiert haben, zeigt, dass wir bei diesem Thema gut vernetzt sind und die seit 2013 bestehenden Leitlinien der EU zum Schutz der Rechte von LGBTI- Personen auch konsequent angewandt werden. Damit verbunden bleibt unsere Forderung, dass die russische Regierung die Verantwortlichen für diese grausamen Verbrechen zur Rechenschaft ziehen muss. Was können deutsche Auslandsvertretungen konkret tun? LGBTI-Rechte gehören zum festen Menschenrechtskanon an unseren Auslands ver tretungen. Wir unterstützen bedrängte Menschenrechtsver teidigerinnen und -ver tei- diger – auch indem wir Projekte mit lokalen Partnern fördern: Im Norden Russlands unter- stützen wir dieses Jahr beispielsweise den Aufbau eines LGBTI-Netzwerks mit juristischen Schulungen und in der Ukraine fördern wir eine LGBTI-Organisation, die mit kreativen Mitteln in der Öffentlichkeit für Toleranz und Respekt wirbt. In Nigeria, der Elfenbeinküste, im Baltikum und in Südosteuropa ermöglichen wir Treffen mit LGBTI-Aktivisten in den Räumen unserer Auslandsvertretungen und fördern die lokalen Netzwerke. Bei fragwürdigen Prozessen entsen- den wir Beobachter in den Gerichtssaal. Und natürlich sprechen wir das Thema regelmäßig und deutlich gegenüber anderen Regierungen an. Oft hinter verschlossenen Türen, aber wann immer es sinnvoll ist auch öffentlich. Dabei arbeiten wir eng mit der Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern zusammen, da sie die Situation vor Ort zumeist am besten einschätzen kann. Wir fordern oftmals sichtbares Eintreten für die Menschenrechte, weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass das Thema andern- falls nicht unter den Tisch fällt. Gleichzeitig ist öffentliches Anprangern nicht immer hilfreich. Wie bewerten Sie das Spannungsfeld zwi- schen lauter und leiser Diplomatie. Ja, Sie sagen es: Es ist ein schmaler Grat. Und immer wieder diskutieren wir intensiv darüber, wie wir uns einsetzen, um den Betroffenen am besten helfen zu können. Ganz wichtig ist der Rückhalt, den wir hier in Deutschland spüren, um denjenigen beizustehen, in deren Heimatländern der Widerstand stärker wird. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der hohe Anspruch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weltweit Realität wird. Und zwar für Alle. Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt
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