respekt_heft_25_2018

hirschfeld-eddy-stiftung ! 26 27 hirschfeld-eddy-stiftung ! E nde April 2018 sagte die britische Premier­ ministerin Theresa May: „I deeply regret that such laws were introduced.“ Damit drückte sie erstmals öffentlich ihr „tiefes Bedauern“ für das Leid aus, das die homophobe Kolonialgesetzgebung der Briten angerichtet hat. Die Briten haben ihr homophobes Strafrecht in einen Großteil ihrer Kolonien exportiert. Mit Folgen bis in die Gegenwart. In 36 der 53 Länder, die im Commonwealth zusammengeschlossen sind, stehen homosexuelle Handlungen bis heute unter Strafe. Britische NGOs arbeiten an einer Aufarbeitung dieses Teils der Kolonialgeschichte, seit Jahren haben sie ihre Regierung zu einer Entschuldigung gedrängt, auf Englisch „Apology“. Auch von Seiten der deutschen Zivilgesell­ schaft wird zunehmend eine ernsthafte und kri­ tische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte gefordert. Es gibt Gruppen, die sich für Straßenumbenennungen engagieren, andere haben die Errichtung von Gedenktafeln bewirkt, wie etwa im Berliner Regierungsviertel. Deutsche Kolonien gab es beispielsweise in den heutigen Ländern Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Ruanda, Burundi, Neuguinea, West­ samoa u.a. Sie mussten nach dem Ersten Welt­ krieg abgegeben werden und wurden von den anderen europäischen Kolonialmächten weiter ausgebeutet. Die Forderung nach einer „Apology“ für die Kolonialverbrechen Deutschlands wird lauter. Aktiv in diesem Kontext sind beispielsweise die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.), Berlin postkolonial und andere. Es ist sinnvoll und wichtig, den postkolonialen Impuls auch in die Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Dabei muss explizit auch die Geschichte der Verfolgung und Bestrafung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten berücksichtigt werden. Es ist wichtig zu wis­ sen, dass die Strafgesetze gegen homosexu­ elle Handlungen in den Ländern des globalen Südens kolonialen Ursprungs sind. Außerdem haben die Kolonialmächte die Geschlechterrollen geprägt und das Spektrum von Geschlechts­ identitäten und Geschlechtsausdruck oft mit Gewalt stark eingeengt. So ist z.B. die Wirkung der Missionsgeschichte für junge Lesben in Namibia bis heute spürbar, wie Liz Frank vom WLC Namibia schreibt (S. 26). Dieses Erbe des Kolonialismus wird kaum diskutiert. Zugleich gehen die Missionsanstren­ gungen mancher westlicher Kirchen unvermindert weiter: Evangelikale Kirchen aus Nordamerika, die über viel Geld und Personal verfügen, hetzen massiv gegen Lesben und Schwule und arbeiten mit Regierungen an Gesetzesverschärfungen, wie etwa in Uganda. Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung und die Yogya­ kar ta-Allianz fordern deshalb, die Kolonial­ geschichte und die Verbrechen an LGBTI auf­ zuarbeiten. Ausdrücklich nehmen wir auch in unserem 13-Punkte-Forderungspapier darauf Bezug. (S. 24 f.) Das BMZ, das Entwicklungs­ ministerium, wird aufgeforder t, ein Sonder­ programm „Kulturen und Kolonialismus“ zu star­ ten. In diesem Sonderprogramm sollen die „regi­ onalen Homosexualitäten, Geschlechtlichkeiten und Gendergeschichten“ erforscht, gesammelt und diskutiert werden. Dabei soll insbesondere die Missionsgeschichte der Kirchen und die Kolonialverantwor tung Deutschlands unter­ sucht werden. Das BMZ soll dazu beitragen, die Forschungslage zu diesen Themenbereichen zu verbessern, indem Forscher*innen vor Ort gefördert werden, ihre eigenen Traditionen zu untersuchen. Kulturen der Akzeptanz gibt und gab es überall. Wir brauchen eine postkoloniale Praxis. Wer sich in dieser Richtung engagieren möchte, kann unter sarah.kohr t@hirschfeld-eddy-stiftung.de mit der Yogyakarta-Allianz Kontakt aufnehmen. Sarah Kohrt LGBTI-Plattform Menschenrechte Kolonialismus und Entwicklungspolitik Es ist Zeit für eine postkoloniale Praxis Forderung 13: Dialogisches Zuwendungsrecht Sonja Schelper, die Geschäftsführerin von filia.die frauenstiftung begrüßt insbesondere die Forderung Nr. 13 des Papiers, ein dialo­ gisches Zuwendungsrecht zu entwickeln. Nach ihrer Erfahrung ist die Arbeit von Menschenrechtsaktivist*innen oft ganz anders als das Zuwendungsrecht es vorsieht: „Mehr Spielraum ist für kleine und große Organisationen wichtig: Gerade in der Arbeit von Menschenrechtsaktivist*innen, die häufig verfolgt und in ihrer Arbeit behindert werden, braucht es mehr Flexibilität, auch kurzfristig Planungen zu ändern, auf neue Bedrohungslagen oder auch besondere Chancen reagieren zu können. Es ist unrealistisch und kontraproduktiv, Jahre im Voraus die Anzahl von Workshops und Teilnehmenden detailliert festzulegen. Angemessen wären größere allgemeine Pakete, die nach Bedarf von den Partner*innen konkretisiert und umgesetzt werden. Im Nachhinein wird berichtet und begründet.“ Exper tinnen kommentieren das 13-Punkte-Forderungspapier an das BMZ Genau das brauchen wir. Forderung 10: Sonderprogramm „Kulturen und Kolonialismus“ Liz Frank vom Women´s Leadership Centre (WLC) in Windhoek betont, dass die Auseinandersetzung mit der Kolonialverantwortung Deutschlands und der Missionsgeschichte sehr wünschenswert wäre und unterstützt besonders den Punkt 10 „Kulturen und Kolonialismus“: „Dies ist ein wichtiges Anliegen für Namibia als ehemalige deutsche Kolonie, mit einer langen Geschichte der Missionierung durch Kirchen aus Deutschland. Es gibt bisher wenige Studien zu Gender und Sexualität in den sehr unterschiedlichen Kulturen Namibias in der heutigen Zeit, und noch weniger zur Aufarbeitung der Rolle der deutschen Kolonialmacht und Kirchen in Bezug auf die historische und aktuelle Beeinflussung dieser Kulturen in diesem Bereich. Viele junge Lesben und andere Gruppen erfahren Diskriminierung und Dämonisierung in ihren Kirchen. Sexuelle Handlungen zwischen Männern können immer noch rechtlich bestraft werden. Eine Förderung relevanter Studien sowie der Organisationen, die sich derzeit für wirkliche Gleich­ stellung in Namibia einsetzen und zusammenschließen, wäre sehr wünschenswert.“ Foto: Caro Kadatz Fotos: Hirschfeld-Eddy-Stiftung Foto: Caro Kadatz Gedenktafel in der Wilhelmstraße zur Berliner Kongo-Konferenz 1884/85

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