Respekt Heft 26

36 respekt | länder! Zeugen Jehovas und Homosexualität „Der Kontakt ist abzubrechen“ S tefan Barnikow (39) ist in der Glaubensge­ meinschaft der Zeugen Jehovas (ZJ) aufge­ wachsen, schwul und verheiratet. Er kritisiert die Sekte und findet ihren Umgang mit Homo­ sexuellen skandalös und menschenverachtend. Im Gespräch mit Markus Apel vom LSVD Bayern erzählt Stefan, wie er jetzt darüber aufklärt und Menschen helfen möchte, die die Sekte verlassen wollen. Kannst Du erklären, was Zeugen Jehovas eigentlich sind? Man kann ganz allgemein sagen, dass es sich um eine religiöse Sondergemeinschaft handelt. Deren Lehre basiert auf einer eigenen und recht speziellen Auslegung der Bibel. Die Gemeinschaft wurde in den USA gegründet und wird von da gesteuert. Der ein oder andere kennt sie vielleicht vom Werben an den Haustüren und Fußgängerzonen. Man glaubt an den nahen Weltuntergang, den nur ZJ überleben. In wie weit sind die Zeugen Jehovas in Bayern aktiv, und unterscheiden sich deren Praktiken von anderen Bundesländern? Also in Bayern gibt es 31.000 ZJ, die in 380 Gemeinden organisiert sind. In ganz Deutschland sind es 170.000 und weltweit 7,5 Millionen Mit­ glieder. Spezielle Praktiken in Bayern gibt es nicht. Die Regeln und Lehren sind für alle ZJ weltweit gleich. Ja, ich möchte sagen gleich schlimm. Nach außen ver treten die ZJ die Einstellung, dass sie die Handlungen Homosexueller nicht gut- heißen, aber ansonsten nichts gegen sie als Men­ schen haben. Solche zweideutigen Aussagen werden gemacht, um rhetorisch schlechter angreifbar zu sein. Äußerungen aus ihren Zeitschriften, Büchern und Videos lassen jedoch das genaue Gegenteil erkennen. Ähnliche Aussagen sind mir auch von den gro- ßen Kirchen bekannt. Besonders in ländlichen Teilen Bayerns haben menschenfeindliche Glaubensgemeinschaften scheinbar leichtes Spiel. Ja das stimmt, doch die ZJ gehen noch einen deutlichen Schritt weiter. Wer sich in der Gemeinde outet, wird ausgeschlossen. Das wird dann öffent- lich in den Zusammenkünften bekanntgegeben. Der Kontakt ist abzubrechen. Dies gilt nicht nur für die Gemeindemitglieder, sondern auch für die Familie. Betroffene werden von einem Tag auf den anderen regelrecht geächtet. Ein ZJ lernt permanent und von klein auf, dass alle Menschen außerhalb der Gemeinde “schlechter Umgang” sind. Von diesen solle man sich fernhalten oder nur notwendige Kontakte haben. Durch den Ausschluss steht man dann erstmal völlig allein da. Das ist insbesondere bei Minderjährigen eine kata- strophale Situation. Wie war das bei Dir? Ich selbst habe die ZJ schon im Jahr 2001 verlassen. Meine Eltern haben verbotener Weise noch mit mir gesprochen. Mit dem Eingehen der Lebenspartnerschaft 2017 hält man sich aber an das Kontaktverbot und betrachtet mich als tot. Perfider Weise wird dieses Kontaktverbot seitens der ZJ auch noch als eine „liebevolle Vorkehrung” verkauft. Es soll den Betroffenen zum Nachdenken und zurück in die Sekte bringen. Oft führt dieses Vorgehen zu schweren psychischen Krankheiten oder auch zu Selbstmord. Wie hast Du das verarbeitet? Und welche Folgen hatte das für Dich? So ganz kann man das wahrscheinlich nie ver- arbeiten. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Eine große Hilfe war mein Mann Björn. Wir haben in unzähligen Stunden über das Erlebte gesprochen und tun das auch heute noch. Es ist schwierig, sich mit jemandem außerhalb über das gesamte Thema zu unterhalten. Die meisten Gesprächspartner können gar nicht glauben, dass solche Praktiken in der heu- tigen Zeit noch existieren. Seit letztem Jahr bin ich Mitglied in dem Verein JW Opfer Hilfe e.V. Dort klärt man über die Zeugen Jehovas und deren Lehren auf. Mitgliedern, die die Gemeinschaft verlassen wollen, steht man unterstüt- zend zur Seite. http://jw.help/problembereiche/warum-sind- jehovas-zeugen-homophob Stefan Barnikow Foto: privat

RkJQdWJsaXNoZXIy MjY0Njc=