Respekt Heft 26
9 respekt | bundesverband! Alle Menschen, die eine Ärzt*in oder einen Psychotherapeut*in aufsu- chen, erhoffen sich fachkompetente Hilfe und Unterstützung in ihrer gesund- heitlichen Situation. Sie möchten mit ihren Anliegen ernst genommen und als Menschen respektvoll behandelt werden – so auch Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*- und intergeschlechtliche Menschen. Doch Geschlechtervorstellungen haben ganz grundsätzlich Auswirkungen auf Gesundheit und Gesundheitsverhalten. Eine gute Gesundheitsver sorgung erfordert Fachwissen und Fachkompetenz im Umgang mit den verschiedenen Lebensrealitäten und Lebensweisen. Nicht immer ist dieses Fachwissen vorhanden, wenn es zum Beispiel um die Prävention von sexu- ell übertragbaren Erkrankungen zwischen Frauen oder auch den Einsatz der HPV-Impfung zur Krebsprävention bei Männern geht. Hierüber haben die wenigsten Ärzt*innen im Medizinstudium etwas gelernt und auch in Fachbüchern findet sich kaum etwas. Auch wünschen sich viele lesbische Frauen* Kinder und berichten von großen Schwierigkeiten, fachkompetente ärztliche Begleitung in dieser Situation zu finden. Teilweise fahren sie über hunderte von Kilometern, um eine unterstützende Gynäkolog*in aufzu- suchen. Die Frauen- und Lesbenbewegung hat zudem aufgezeigt, dass Arzneimittel an überwiegend an jungen, weißen, cismännlichen Menschen getestet und Unterschiede bezüglich Stoffwechsel und Hormonstatus übergangen werden. Folgen sind Überdosierung von Medikamenten bzw. fehlendes Wissen um geschlechtsspezifische Symptome von Krankheiten bzw. Risiken und Nebenwirkungen von Frauen*. Auch Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*- und intergeschlechtliche Menschen, die psychotherapeutische Behandlung zum Beispiel wegen Depressionen oder Suchterkrankungen suchen, machen diskriminierende negative Erfahrungen. So werden etwa ihre psychischen Probleme auf ihre Lebensweise zurückgeführt – so, als seien sie deshalb depressiv erkrankt oder suchtbetroffen, weil sie nicht-heterosexuell leben. Das ist nicht nur fachlich falsch, sondern verschließt auch den Zugang zu etlichen Stärken und Ressourcen, die Menschen mitbringen und benötigen, um mit psy chischen Erkrankungen zu leben. Die häufigste Form von Diskriminierung geschieht aber zumeist nicht mit Absicht: Viele Menschen in Gesundheitsberufen sind selbst heterosexuell und gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass alle ihre Patient*innen ebenfalls heterosexuell leben. Für nicht-heterosexuelle Menschen ist es dann immer wieder eine große Herausforderung, sich mit der Situation kon- frontiert zu sehen, dass ihnen eine heterosexuelle Lebensweise unterstellt wird. Sie müssen dann entscheiden, ob sie diesen Irrtum korrigieren oder ihn hinnehmen. In jedem Fall ist das Signal, dass ihre Lebensweise eben nicht selbstverständlich, sondern anders ist. Diese Erfahrung hat häufig die problematische Folge, dass Einrichtungen des Gesundheitssystems eher gemieden werden und z.B. Präventionsangebote nicht in erforderlichen Maß wahrgenommen werden. Im schlimmsten Fall kommt es aber auch immer noch zu offenen Diskriminierungen: Beispielhaft sind hier die Stigmatisierungserfahrungen von Menschen mit HIV zu nennen und die Psychopathologisierung von Transidentität durch am Bedarf vorbeigehende Richtlinien der medizinischen Behandlung und den schwierigen Zugang zu Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung. Intergeschlechtliche Menschen schließlich sind bis heute am offen- sichtlichsten Verletzungen ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ausgesetzt. Dies betrifft vor allem irreversible Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit und ohne die vorherige freie und infor- mierte Einwilligung der intergeschlechtlichen Person selbst. Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung ist deshalb besonders fatal, weil sich Menschen, die auf gesundheitliche Hilfe angewiesen sind, in einer besonders verletzlichen Situation befinden. Deshalb ist das Recht auf den bestmöglichen Zustand seiner körperlichen und geistigen Gesundheit im UN-Sozialpakt verbrieft und beinhaltet einen diskriminie- rungsfreien Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes setzt zudem den medizin-ethischen Maßstab für Ärzt*innen. Darin ist die Nicht-Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung explizit aufgeführt. Dass Diskriminierungserfahrungen eine gesundheitliche Belastung dar- stellen und Diskriminierungen den Zugang zum gesundheitlichen Ver sorgungssystem erschweren, wurde bereits in verschiedenen internationa- len – leider aber nicht nationalen — Studien gezeigt. So ist es bezeichnend, dass der aktuelle Gesundheitsbericht des Robert Koch Instituts auf 500 Seiten mit keinem Wort auf die Bedeutung der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität in der Gesundheitsversorgung eingeht. Dabei beschreibt schon die Ottawa Charta der WHO zur Gesund heitsförderung aus dem Jahr 1986 - vor über 30 Jahren -, dass Gesundheitsförderung auf Chancengleichheit auf dem Gebiet der Gesund heit gerichtet sein muss und darauf zielen soll, gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zu schaffen, damit alle Menschen zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigt werden. Hierfür bedarf es auch regional einer wirk- lich inklusiven Gesundheitsversorgung, welche die besonderen Bedarfe von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen wahrnimmt und die in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen befähigt, diesen Bedarfen respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen. Eine erfreuliche Ausnahme in der queeren Gesundheitsforschung stellt die Queergesund-Studie von Gabriele Dennert dar; ansonsten fehlen in Deutschland sowohl spezifische Gesundheitsberichte, als auch Studien über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTI. Wir brauchen aber diese Daten, um Präventions- und Interventionsbedarfe besser zu verstehen, Maßnahmen zielgruppengerecht und effektiv kon- zipieren zu können und auch Beratungskompetenzen des medizinischen Personals sowie die Gesundheitsversorgung für LSBTI zu verbessern. Denn Diskriminierung macht krank. Gabriela Lünsmann, LSVD-Bundesvorstand Markus Ulrich, LSVD-Pressesprecher
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjY0Njc=