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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Politische Bildung in Zeiten (rechts-)populistischer Herausforderungen

Keynote von Prof. Dr. Rico Behrens, Lehrstuhl für politische Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt

Rechtspopulismus scheint derzeit die ultimative Herausforderung für die politische Bildung zu sein. Was ist eigentlich Rechtspopulismus und welche Ansätze hat Politische Bildung, um rechten Ideologien entgegenzuwirken?

Politische Bildung in Zeiten (rechts-)populistischer Herausforderungen

Prof. Dr. Rico Behrens ist am Lehrstuhl für politische Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt und leitet das Modellprojekt „Starke Lehrer – Starke Schüler“ an der Technischen Universität Dresden. Die Keynote "Politische Bildung in Zeiten (rechts-)populistischer Herausforderungen" hielt er auf der 2. Regionalkonferenz des LSVD-Projekts "Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken" in München.

Eine Publikation stellt die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der 2. Regionalkonferenz dar. Die Broschüre "Gegensteuern – Rechtspopulismus die Stirn bieten" kann hier als pdf heruntergeladen werden oder solange der Vorrat reicht auch als Printversion bestellt werden per Mail an presse@lsvd.de.

1. Was ist eigentlich Rechtspopulismus?

Rechtspopulismus ist nach Jan-Werner Müller (Politikwissenschaftler) eine „bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte Eliten gegenüberstehen“. Darüber hinaus ist Rechtspopulist*innen gemein, dass sie sich „offensiv zu einer eher anrüchigen Praxis bekennen. In ihrem Selbstverständnis sind sie die einzig legitimen Vertreter des Volkes“. (2)

Ihre Politik zielt darauf ab, dass das Volk sie als Vollstrecker des Volkswillens identifiziert und wählt. Populist*innen von Rechts sind schon aus ihrem Selbstverständnis heraus antipluralistisch. Alle, die sich ihnen entgegenstellen, stellen sich auch dem vermeintlich wahren Volk entgegen. (3)

Die populistische Logik ist darüber hinaus von folgenden Kern-Elementen geprägt (4):

  • Es besteht ein Anspruch auf unmittelbare Volksherrschaft, die auf einen „Leader“ übertragen werden soll. Der „Leader“ wird als eine Person aus dem Volk propagiert.
  • Der Gemeinwille wird mit dem „Volks- oder Mehrheitswillen“ gleichgesetzt.
  • Anti-Elitäre Haltung: das „gute“ Volk gegen „die verkommene“ etablierte politische Klasse

Rechtspopulist*innen proklamieren eine scheinbare Abkehr vom Rechtsextremismus und nutzen die Befürwortung der direkten Demokratie als Mittel, um sie im Namen des Volkes zu destabilisieren.

Mit dem Rechtspopulismus gehen auch unterschiedliche Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) einher wie zum Beispiel Homosexuellen-und Trans*-Feindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Abwertung von Langzeitarbeitslosen oder Abwertung von Obdachlosen.

Die Abwertung der Anderen in Abgrenzung zu eigenen Denkweisen speist sich auch politisch rechtsextremen Ideologemen. So sind in allen diesen Einstellungen und Haltungen immer wieder völkisches Denken, Rassismus oder nationalistische Elemente zu erkennen.

2. Welche Ansätze hat Politische Bildung, um rechten Ideologien entgegenzuwirken?

2.1 Was ist der Beutelsbacher Konsens?

Die Politische Bildung (5) versucht durch bewusst geplante, organisierte und zielgerichtete Maßnahmen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen junge Menschen und Erwachsene auf die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Diskurs vorzubereiten.

Der eigenen bewussten Urteilsbildung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Besonders Schüler*innen sollen im Politikunterricht dazu befähigt werden, sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Die Prozesse und Lerninhalte in Schulen und Bildungseinrichtungen sollen im Rahmen des „Beutelsbacher Konsens“ (6) diese Urteilsbildung ermöglichen und leiten.

Aus dem Konsens ergeben sich folgende Maßstäbe, die von politischen Bilder*innen berücksichtig werden müssen:

  • Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, Schüler*innen im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und sie damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern.
  • Kontroversitätsgebot: Was in Politik und Wissenschaft kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
  • Politische Teilhabe: Junge Menschen sollen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und die eigene Interessenlage zu analysieren. Gleichfalls sollen sie diese Situation nach ihrem eigenen Urteil beeinflussen können und Mechanismen der politischen Teilhabe kennen und anwenden können.

Gegenwärtig versuchen rechtspopulistische Parteien den Konsens zu instrumentalisieren. Sie zielen darauf ab, menschenfeindliche Einstellungen und Thesen in Schule und Unterricht unterzubringen und damit den Diskursraum bewusst zu verschieben. Zum anderen wird mit Rückgriff auf das Überwältigungsverbot versucht, die Thematisierung von unterschiedlichen Lebensweisen und Identitäten im Unterricht zu verhindern und kritische Stimmen zu rechtspopulistischen Positionen „mundtot“ zu machen. (7) Der Versuch, Lehrkräfte durch Meldeportale zu denunzieren, wenn sie sich vermeintlich nicht neutral verhalten, ist nur eine dieser Strategien.

In diesem Zusammenhang hat auch die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer aktuellen Empfehlung für Demokratiebildung folgendes festgestellt: „Dies (d.h. das Überwältigungs-bzw. Kontroversitätsgebot, d.Verf.) bedeutet nicht, dass jede Position akzeptiert werden muss oder alle Positionen in gleicher Weise gelten. Wenn Schülerinnen und Schüler in einer Diskussion Standpunkte äußern, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten nicht vereinbar sind, dürfen Lehrerinnen und Lehrer diese keinesfalls unkommentiert oder unreflektiert lassen. Werden in der Schule kontroverse Thematiken behandelt, haben Lehrkräfte die anspruchsvolle Aufgabe, den Unterrichtsgegenstand multiperspektivisch zu beleuchten, zu moderieren, bei Bedarf gegenzusteuern sowie Grenzen aufzuzeigen, wenn diese überschritten werden.“ (8)

Lehrkräfte und pädagogisches Personal sehen sich in unterschiedlichen Kontexten mit rechtspopulistischen Themen und Akteur*innen konfrontiert. Berührungspunkte sind hier nicht nur Aussagen von Schüler*innen im Unterricht oder bereits angesprochen Denunziationsversuche, sondern auch Besuchsanfragen von Akteur*innen rechtspopulistischer Parteien oder deren Teilnahmen bei Veranstaltungen.

2.2 Wie sich mit rechtspopulistischer Ideologie auseinandergesetzt werden kann

Um sich mit rechtspopulistischen Ideologien in der Politischen Bildung auseinanderzusetzen, gibt es unterschiedliche Ansätze. Prof. Anja Besand (TU Dresden) skizziert im Folgenden drei unterschiedliche Formen (9) und Vorgehensweisen:

  • Regressiv/reaktionär: Diese Strategie ist durch eine zugewandte Aufnahme geprägt, die sich der Empörung zuwendet, die Ängste ernst nimmt und Verständnis und Interesse signalisiert. Populismus wird hier als soziale Pathologie und Therapiefall angesehen.
  • Liberal: Diese Strategie kann als sachlich-nüchtern charakterisiert werden. Sie versucht der populistischen Erregung eine Demonstration der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen und Verfahren gegenüberzustellen. Populismus wird hier als Wissens-defizit verstanden, der neue Erkenntnisanlässe benötigt (sachorientiert / pädagogisch).
  • Demokratisch: Hierunter fallen Ansätze, die sich in offenen Debatten mit rechtspopulistischen Vorstellungen auseinandersetzen sowie Meinungs- und Willensbildungsprozesse aktiv vorantreiben. Populismus wird hier als eine Art Irritation im öffentlichen Diskurs verstanden.

Einen „Königsweg“ für eine gute Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Agitationen gibt es nicht. Lehrkräfte und politische Bildner*innen müssen situativ entscheiden, welche Strategie für sie am zielführendsten ist und wo eine Grenze zu diskriminierenden oder verfassungsfeindlichen Agitationen überschritten werden.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Politische Bildung in Deutschland nach 1945 in der Tradition wehrhafter Demokratie steht, die die Schrecken des Nationalsozialismus noch im Gedächtnis hat. Sie muss als demokratischer Raum funktionsfähig bleiben und schon früher als derzeit ansetzen.

Besonders in Kindertagesstätten und Grundschulen braucht es mehr Demokratie-Lernen. Kinder und Jugendliche sollten in jungen Jahren an demokratischen Prozessen teilnehmen und teilhaben können. Es geht hier besonders darum, die Selbstwirksamkeit als Subjekt in der demokratischen Gesellschaft zu fördern und zu erleben.

Um das zu gewährleisten, müssen Lehrkräfte und pädagogisches Personal gestärkt und professionalisiert werden. Den Versuchen, politische Diskursräume zugunsten rassistisch-völkischer Anschauungen oder gruppenbezogener Diskriminierungen zu verschieben, müssen alle Akteur*innen der Politischen Bildung, aber auch staatliche Behörden entschieden entgegentreten. In dieser Auseinandersetzung sind eine klare Haltung und der Schutz von Betroffenen ebenso wichtig wie die unaufgeregte Dekonstruktion der Agitation von Rechts.

(Es gilt das gesprochene Wort)

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Fußnoten

2 Vgl. Müller, Jan-Werner 2016, zitiert online: www.deutschlandfunk.de/essay-von-jan-werner-mueller-handbuch-zum-umgang-mit.1310.de.html?dram:article_id=355574
3 Vgl. M
üller, Jan-Werner (2015): Was ist Populismus? Frankfurt am Main. S. 18 ff.
4 Vgl. Priester, Karin (2012): Wesensmerkmale des Rechtspopulismus. In: APuZ, 5-6/2012, S. 3-9. Online verfügbar unter www.bpb.de/apuz/75848/wesensmerkmale-des-populismus?p=al
5 Vgl. Politische Bildung, in: www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202092/politische-bildung?p=all
6 Vgl. Wehling, Hans-Georg (1977): Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. In: Siegfried Schiele / Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, S. 173 -184, hier S. 179f. Online verfügbar unter: www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens
7 Vgl. GEW (2018): Fragen und Antworten zu den Meldeportalen der AfD. Online verfügbar unter www.gew.de/schule/fragen-und-antworten-zu-den-denunziationsplattformen-der-afd
8 Zitiert nach: Kultusministerkonferenz (2018): Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule. Quelle: www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Beschluss_Demokratieerziehung.pdf