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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Bericht zum Verbandstag: Coming-out für Europa

Bericht zum 31. LSVD-Verbandstag

"Coming-out für Europa. Vielfalt verteidigen, Respekt wählen“ – unter diesem Motto fand im März 2019 in Berlin der 31. LSVD-Verbandstag statt. Themen: Europawahlen 2019, Schutz für Geflüchtete, NS-Gedenkjahr 2020, Inklusionskonzept und verfassungsrechtlicher Diskriminierungsschutz

Unter dem Motto „Coming-out für Europa. Vielfalt verteidigen, Respekt wählen“ fand in Berlin Ende März 2019 der 31. LSVD-Verbandstag statt. Ein Schwerpunkt: Das internationale Engagement für Menschen rechte, Vielfalt und Respekt. Denn über 70 Länder kriminalisieren Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Privatsphäre, auf Meinungs-, Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ist in einer Vielzahl von Ländern nicht einmal ansatzweise gewährleistet. In vielen Fällen schüren religiöse und politische Führer ein Klima des Hasses. Polizei und andere Staatsorgane verweigern oftmals jede Hilfe oder sind selbst an der Hetze, Erpressung und Gewalt beteiligt.

Was kann Deutschland tun?

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, bekräftigte im Gespräch mit Gulya Sultanova aus Russland, Ramy Khouili aus Tunesien sowie Sarah Kohrt von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung seinen Einsatz für die Menschenrechte von LSBTI. Diese seien keine Sonderrechte, vielmehr ginge es um gleiches Recht für alle. Khouili empfahl vor allem das Berichtsverfahren im UN-Menschenrechtsrat, während Sultanova, die Wichtigkeit der deutschen Vertretungen in Ländern wie Russland unterstrich. Sie könnten ihre Räume für LSBTI öffnen und würden mit dem Besuch von Veranstaltungen auch die Sicherheit der Aktivist* innen erhöhen.

Kohrt verwies auf das notwendige und von der Regierung bereits versprochene Inklusionskonzept für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Auswärtige Politik. Damit würde Deutschland seiner historischen Verpflichtung für die unteilbaren und universellen Menschenrechte gerecht werden, engagierte LSBTI- Menschenrechtsverteidiger*innen in aller Welt unterstützen und den Akteur*innen der auswärtigen Politik und Entwicklungszusammenarbeit konkrete Zielsetzungen und Richtlinien liefern. Der LSVD fordert mit einer Resolution die baldige Verabschiedung des LSBTI-Inklusionskonzepts.

Wie geht es weiter mit Europa?

In Europa haben Austausch und Kooperation zwischen den EU-Mitgliedsstaaten viel Positives bewirkt. So war das EU-Parlament in den letzten Jahrzehnten immer Motor für Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung. Deutschland hätte ohne die EU nicht den Schutz vor Diskriminierung, den wir heute dank der EU-Richtlinien haben. Dragana Todorovic von unserem Projektpartner ERA (Equal Rights Association) aus Belgrad beschrieb, wie auch der Westbalkan dank der EU eine der dynamischsten Regionen für LSBTI und die Gesetzgebung zu Gleichstellung und Nichtdiskriminierung war. Mit Hilfe des Aufnahmeprozesses muss nun die Lücke zwischen der rechtlichen Situation und der gesellschaftlichen Wirklichkeit überbrückt werden.

Für die Europawahlen fordert der LSVD klares Bekenntnis und glaubwürdigen Einsatz von EU-Parlament und EU-Kommission zum Schutz der Menschenrechte von LSBTI inner- und außerhalb Europas. Gewählt werden sollten nur Parteien, die sich glaubhaft und überzeugend für Gleichheit und Akzeptanz von LSBTI in Europa und gegen Hass, Homophobie und Transfeindlichkeit einsetzen.

Die erstarkten rechtspopulistischen, nationalistischen, und minderheitenfeindlichen Parteien sind eine Gefahr für Europa und europäische Werte wie Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit. Das hat auch die Auswertung unserer Wahlprüfsteine gezeigt. So negiert etwa die AfD die bestehende EU-Kompetenz und gemeinsame Vertragsgrundlage für die Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit, behauptet die Wirkungslosigkeit von EU-Mechanismen oder instrumentalisiert Themen für ihre rassistische Agenda. Bei Minderheitenrechten und Menschenrechten wird weiter starker Gegenwind wehen.

Diskriminierungsverbot ins Grundgesetz

Daher braucht es die Ergänzung des Gleichbehandlungsartikels Artikel 3, Absatz 3 um das Merkmal der sexuellen Identität. In ihrem Vortrag erläuterte Prof. Ulrike Lembke den (fehlenden) verfassungsrechtlichen Schutz von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität und beschrieb die Entwicklung der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In seiner 70jährigen Geschichte hat das Grundgesetz LSBTI lange Zeit nicht einmal vor schweren Menschenrechtsverletzungen geschützt.

Mit den Urteilen aus Karlsruhe hat sich jedoch inzwischen eine Rechtsprechung herausgebildet, die das Verständnis von Geschlecht erweitert und die sexuelle Identität im Wesentlichen den Persönlichkeitsmerkmalen gleichstellt, die im speziellen Gleichheitssatz in Art. 3, Abs. 3 GG ausdrücklich genannt sind. Das sind große Fortschritte. Dass Karlsruhe aber immer wieder korrigierend gegenüber diskriminierendem staatlichen Handeln eingreifen muss, zeigt: Es wirkt sich bis heute negativ auf unsere Lebenssituation aus, dass sexuelle Identität im Verfassungstext nicht erwähnt ist. Wer dort nicht ausdrücklich genannt wird, läuft Gefahr, in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ignoriert zu werden und muss ständig um seine Rechte kämpfen.

Würdiges Gedenken

Der LSVD engagiert sich dafür, dass das Schicksal der homosexuellen Verfolgten der NS-Zeit im kommenden Gedenkjahr 2020 - 75 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus - allerorten einen würdigen Ausdruck findet. Ausdrücklich muss dabei das Leid und die Verfolgung lesbischer Frauen in den Blick genommen werden. Es gibt großen Forschungsbedarf, für den der LSVD ausreichend Mittel fordert. Eine zentrale Aufgabe ist es, in der Gedenkstätte Ravensbrück ein zugewandtes, inklusives und den wissenschaftlichen Erkenntnisstand reflektierendes Gedenkzeichen für die im KZ Ravensbrück inhaftierten, gefolterten und ermordeten Lesben zu schaffen.

LSBTI-Geflüchtete

Praktisch alle nach Deutschland kommenden Geflüchteten stammen aus Ländern, in denen LSBTI-Sein als Verbrechen, Krankheit, Sünde oder Schande angesehen wird. Die erlebte und verinnerlichte gesellschaftliche Tabuisierung und staatliche Kriminalisierung führen dazu, dass viele LSBTI-Geflüchtete oftmals eine Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität in den Anhörungen verschweigen. Konsequenz sind negative Asylbescheide für tatsächlich vor Verfolgung geflohene LSBTI, und damit verbunden Abschiebungen in LSBTI-Verfolgerstaaten sowie jahrelange Klage verfahren und bis zu zweijährige Aufenthalte in großen Landesunterkünften. Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlingssammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Gewalt gegen geoutete LSBTI-Personen ist in diesen Einrichtungen keine Ausnahme, sondern für sehr viele bittere Erfahrung. Damit überhaupt Schutzmaßnahmen ergriffen werden können, bedarf es somit intensiver vertrauensbildender Maßnahmen.

Mit einer weiteren Resolution fordert der LSVD daher vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie den Bundesländern, mit konkreten Maßnahmen alle Geflüchteten frühzeitig, systematisch und flächendeckend darüber zu informieren, dass die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität ein Asylgrund ist und LSBTI-Geflüchtete als besonders schutzbe-dürftige Gruppe ihren besonderen Schutzbedarf anmelden können. Ziel muss es sein, verfolgte LSBTI-Geflüchtete zu schützen und ihre Rechte zu wahren.

20 Jahre L im LSVD

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Erweiterung des Schwulenverbandes zum Lesben- und Schwulenverband diskutierten Halina Bendkowski, einer der ersten drei weiblichen Mitglieder des Bundesvorstandes, Günter Dworek, ein „LSVD-Urgestein“, Kerstin Fritzsche, seit 2018 Mitglied im Vorstand des LSVD Baden-Württemberg, und Gabriela Lünsmann, seit 2015 Mitglied im Bundesvorstand, über zurückliegende Erfolge, kommende Herausforderungen und gemeinsame Ziele.

Im Panel ging es aber nicht nur um den Blick in den goldenen Rückspiegel, sondern auch um Themen, die auch künftig nur gemeinsam erfolgreich bearbeitet werden können. So ist die rechtliche Gleichstellung nicht vollständig erreicht – etwa für die Situation von Regenbogenfamilien und das Abstammungsrecht. Im Bereich der Bildung ist die Thematisierung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt noch längst nicht selbstverständlich. Im Gegenteil: Es gibt hier starken Gegenwind.

Wahlen zum Bundesvorstand

Vor den Wahlen zum Bundesvorstand wurden die ausgeschiedenen bzw. nicht erneut zur Wahl antretenden Vorstandsmitglieder Inken Renner, Jenny Renner, Ulrike Schmauch und Uta Schwenke mit großem Dank für ihr Engagement verabschiedet. Wiedergewählt wurden Axel Hochrein, Gabriela Lünsmann und Helmut Metzner. Neues Mitglied im Bundesvorstand ist Alfonso Pantisano. Weiterhin gehören die 2018 für eine zweijährige Amtszeit gewählten Timon Delawari, Günter Dworek, Henny Engels, Christian Rudolph und Stefanie Schmidt dem nun neunköpfigen ehrenamtlichen Vorstand an.

Markus Ulrich
LSVD-Pressesprecher

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