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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Queere Freizeit: Welche Erfahrungen machen LSBT*Q-Jugendlichen im Internet

Interview mit Dr. Claudia Krell vom Deutsches Jugendinstitut und Mitautorin der Studie “Queere Freizeit. Inklusions- und Exklusionserfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und *diversen Jugendlichen in Freizeit und Sport.

„Queere Freizeit“ ist eine Studie über das Freizeitverhalten von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Jugendliche und junge Erwachsenen (LSBTIQ). Im Interview beschreibt Mitautorin Claudia Krell die Erfahrungen von LSBTIQ im digitalen Raum und welche Handlungsanforderungen für Politik und Gesellschaft sich daraus ergeben.

Die Studie „Queere Freizeit“ widmet sich der Inklusion und Exklusion von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Freizeit und Sport. Könnten Sie bitte kurz was zum Hintergrund der Studie sagen.

Die Studie „Queere Freizeit“, die zwischen 2016 und 2018 am Deutschen Jugendinstitut, gefördert von der Stiftung Deutsche Jugendmarke, durchgeführt wurde, hat sich explorativ aus den Daten der vorangegangenen großen Studie „Coming-out – und dann…?!“ ergeben.

Hier wurde deutlich, dass lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und queere Jugendliche und junge Erwachsene neben den Bereichen Familie, Freundeskreis und Bildungs- und Arbeitsstätten auch Diskriminierung und Exklusion im Freizeitkontext erleben.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen hat sich die bundesweite Studie „Queere Freizeit“ damit befasst, die Inklusions- wie Exklusionserfahrungen von LSBT*Q Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 27 in Freizeit und Sport zu sammeln. Uns haben in der Studie insbesondere fünf Themenbereiche interessiert:

  • Internet: soziale und digitale Medien
  • Sport: Sportvereine, kommerzielle Sportangebote, informeller Sport
  • Angebote der Kinder- und Jugendarbeit: Jugendzentren und Jugendgruppen
  • Kulturelle Orte: Cafés und Lokale, Diskotheken und Clubs, Konzerte und Theater
  • Öffentlicher Raum: städtische Plätze und Parks/Grünanlagen

Um Erkenntnisse zu gewinnen, wurde zum einen eine bundesweite Onlinebefragung durchgeführt, in der die Erfahrungen der LSBT*Q Jugendlichen erfasst wurden – wir konnten 1.711 Fragebogen auswerten. Das Durchschnittsalter lag bei der Onlinebefragung bei 21 Jahren.

Zudem haben wir – ebenfalls bundesweit – 16 Interviews mit lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen durchgeführt, die zwischen 16 und 27 Jahren alt waren. Obwohl mit der Studie „Queere Freizeit“ explizit auch inter* Jugendliche angesprochen wurden, haben an der Onlinebefragung leider nur vier inter* Jugendliche teilgenommen, zudem ist ein_e Interviewpartner_in inter*. Weil das so wenige Jugendliche sind, können wir keine dezidierten Aussagen zu deren Lebenssituation treffen. Wir haben die Ergebnisse ihrer Befragung zusammen mit denen der gender*diversen Jugendlichen genutzt. 

Einen sehr hohen Stellenwert für das Freizeitverhalten hat, wenig überraschend, das Internet. Wie und wofür benutzen jugendliche LSBT*Q das Netz, vielleicht auch im Unterschied zu heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Jugendlichen?

So wie auch aus den vorhergehenden Studien bekannt, spielt das Internet eine zentrale Stelle für LSBT*Q Jugendliche. Quasi alle befragten LSBT*Q Jugendlichen (99%) nutzen das Internet mit einem eigenen Gerät, meist mit einem Smartphone (94%) oder Laptop (87%).

Die Nutzung eines eigenen Gerätes ist durchaus positiv, weil sich die Jugendlichen z.B. nicht damit befassen müssen, den Browserverlauf zu löschen, damit andere Nutzer*innen des digitalen Endgerätes nicht sehen, welche Internetseiten sie genutzt haben. Sie haben zudem auch die Möglichkeit, 24/7 nach Informationen zu suchen oder Kontakt mit Freund*innen zu halten.

Wiederum fast alle Jugendlichen (94%) berichten, dass sie täglich online sind. Aktiv beschäftigen sich dreiviertel der Befragten täglich zwischen zwei und fünf Stunden im Internet (2-3 Stunden: 43%, 4-5 Stunden: 30%).

Besonders während der Zeit des inneren Coming-outs spielt das Internet eine große Rolle. Hier finden die jungen Menschen viele Informationen zur sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Zugehörigkeit, können von Berichten und Erfahrungen anderer LSBT*Q Jugendlicher profitieren (z.B. auf YouTube) und gerade trans* und gender*diverse Jugendliche haben die Möglichkeit, umfangreiche Informationen über mögliche Transitionsschritte wie z.B. Namen- oder Personenstandsänderung, Hormoneinnahme, medizinische Verfahren oder kosmetische Fragen zu bekommen, die in ihrem Alltag wenig bzw. nicht verfügbar sind.

Wenn wir uns anschauen, was die Jugendlichen online am häufigsten machen, zeigt sich ein klares Bild: An erster Stelle steht die Nutzung von Messengern, wie z.B. WhatsApp (86%). Am zweithäufigsten schauen sie Videos oder Fernsehen (72%), knapp vor der Verwendung von sozialen Netzwerken (70%). Das Internet nutzen 65% für die Schule, das Studium oder ihre Arbeit und mehr als die Hälfte (52%) sucht dort nach allgemeinen Informationen. Die am häufigsten genutzten Dienste sind WhatsApp (91%), Facebook (80%) und YouTube (69%).

Im Vergleich zu heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Jugendlichen fällt auf, dass LSBT*Q Jugendliche aktiver in Bereichen sind, in denen ein eigenes Engagement gefordert ist. Mit Blick auf die Daten des DJI Survey AID:A (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten 2014/2015) heißt dies, dass LSBT*Q Jugendliche eine höhere Aktivität bei Diskussionen in Internetforen und Newsgroups zeigen (Antwort oft/sehr oft Queere Freizeit: 8,9% vs. AID:A: 4,3%), häufiger selber etwas ins Netz stellen (Antwort oft/sehr oft Queere Freizeit: 13,4% vs. AID:A 3,7%) oder etwas zu bloggen/zu twittern (Antwort oft/sehr oft Queere Freizeit 16,2% vs. AID:A 2,9%).

Zudem gibt es auch Hinweise aus weiteren Studien, dass LSBT*Q Jugendliche das Internet in anderer Art und Weise nutzen als ihre heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Peers. Einerseits verbringen LSBT*Q Jugendliche durchschnittlich etwa 45 Minuten pro Tag mehr im Internet (out online 2013) und anderseits geben sie an, dort offener aufzutreten, als ihnen dies im real life möglich ist: In der Studie „Growing up LSBT“ berichteten 73% der LSBT Jugendlichen, dass sie online offener über sich berichten als im wahren Leben, wohingegen dies nur 43% der heterosexuellen, cisgeschlechtlichen Jugendlichen angaben.

Welche Erfahrungen machen sie im digitalen Raum und gibt es Unterschiede innerhalb der LSBTI-Community?

Es zeigt sich durchaus eine unterschiedliche Nutzung bei den von uns befragten Jugendlichen.

Fast alle Jugendlichen (93 %) kennen LSBT*Q spezifische Webseiten also Nachrichten- oder Dating-Portale, Foren, Seiten von LSBTIQ* Jugendangeboten etc.  Jüngere Teilnehmer*innen, Jugendliche mit niedrigerer formaler Bildung und diejenigen, die wenige LSBT*Q Freund*innen haben, kennen entsprechende Webseiten etwas weniger – wobei es gerade für sie eine gute und wichtige Unterstützung bietet. Jede zweite Person hat einen Account auf einer LSBTIQ* spezifischen Plattform. Dreiviertel der schwulen Jugendlichen geben dies an, demgegenüber aber nur ein Drittel der orientierungs* und gender*diversen Jugendlichen. Dies liegt vermutlich daran, dass es eine größere Vernetzung innerhalb der schwulen Community gibt und deutlich weniger Angebote, die den Interessen von queeren Jugendlichen entsprechen.

Insgesamt nutzen junge schwule Männer (68 %) am häufigsten LSBTIQ* spezifische Webseiten. Gender*diverse (61 %) sowie orientierungs*diverse und trans* weibliche Jugendliche (je 50 %) sind ebenfalls öfters auf diesen Seiten als die übrigen Befragten.

Die Interessen bei der höheren Nutzung sind jedoch vermutlich unterschiedlich: Bei jungen schwulen Männern lässt sich die hohe Nutzung auch über eine große Vernetzung über die oben genannten bzw. ähnliche Portale erklären, bei orientierungs*diversen und trans* Jugendlichen geht es hingegen wahrscheinlich eher um einen höheren Informationsbedarf und -austausch zu ihren Themen. Das Internet bietet nicht-heterosexuellen und nicht-cisgeschlechtlichen Jugendlichen die Möglichkeit, sich zu informieren, zu engagieren, sich zu vernetzen und neue Leute kennenzulernen.

Die Erfahrungen, die junge LSBT*Q Personen machen, sind ambivalent: Auf der einen Seite machen sie viele positive Erfahrungen im digitalen Raum. Für trans* und gender*diverse Jugendliche ist das Internet nach den queeren Jugenzentren/-gruppen der Freizeitbereich, an dem sie am meisten Inklusion erleben und positive Erfahrungen machen. Auf der anderen Seite findet in der digitalen Welt häufig Diskriminierung, soziale Exklusion und LSBT*Q Feindlichkeit statt.

Wenn sie Diskriminierung erfahren, wie reagieren die Jugendlichen darauf?

Das Internet ist der Freizeitbereich, an dem die Jugendlichen am häufigsten Diskriminierung erleben. Die häufigsten Diskriminierungserfahrungen sind, dass Schimpfworte verwendet oder LSBT*Q feindliche Witze gemacht werden – das haben zwischen 84 % und 88 % der Befragten schon mindestens einmal erlebt.

Insgesamt sind trans* und gender*diverse Jugendliche häufiger Diskriminierung im Internet ausgesetzt. So berichtet knapp die Hälfte von ihnen (46 %), dass sie beleidigt, beschimpft oder lächerlich gemacht wurden, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung berichten dies weniger als ein Drittel der Befragten (29 %). Häufig schreiben die jungen Menschen davon, dass es für Diskriminierung häufig schon ausreicht, dass sie durch das Teilen oder Liken von bestimmten Inhalten als LSBT*Q erkennbar sind:

„Also ich teile natürlich viele Sachen irgendwie zu queeren Themen, ist auch eines meiner Hauptthemen politisch, dass da Leute angefangen haben zu pöbeln… Da hatte ich auch schon Sachen mit Gewaltaufrufen und bis hin zu quasi Morddrohungen, die jetzt nicht so direkt an mich ausgesprochen wurden, aber schon so was wie, keine Ahnung, Leute wie du gehören einfach gehängt oder so. … also auch als Pädo wurde ich schon bezeichnet. Und, genau, so was gibt’s schon auch, direkt dann gegen mich gerichtet.“ (Anton, 22 Jahre, cis männlich, schwul)

Auf solche Erfahrungen reagieren die jungen Menschen unterschiedlich. Sie blockieren z. B. diese Person(en) oder erstatten, je nach Inhalt, eine Online-Anzeige bei der Polizei. Andere wiederum versuchen, sich in Diskussionen mit den ablehnenden Perspektiven auseinanderzusetzen.

„… und bei solchen Sachen hab ich mich dann halt immer gefühlt, als müsste ich mich rechtfertigen, weil das halt einfach so Falschannahmen sind, die man ja aber irgendwie eigentlich klären könnte. Aber, ja, da verrennt man sich dann halt … ich hab versucht, sachlich zu argumentieren und irgendwie Fakten darzulegen und hab aber irgendwie immer mehr so verletzende Sachen zurückgekriegt.“ (Clemens, 24 Jahre, genderfluid, asexuell)

Manche Jugendliche schränken sich aufgrund von Erfahrungen mit diskriminierenden Kommentaren wegen ihrer nicht heterosexuellen und/oder nicht cisgeschlechtlichen Lebensweise in den Inhalten ein, die sie posten oder bewerten, um kein (weiteres) Angriffsziel zu sein.

Welche Handlungsanforderungen für Politik und Gesellschaft ergeben sich aus diesen Erkenntnissen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Phänomenen wie Hate Speech, Cybermobbing und anderen Formen von Diskriminierung im Internet entgegengewirkt werden kann. Es gilt, Bemühungen von Anbietern und Providern zu intensivieren, um Menschen, die Angriffen ausgesetzt sind, besser zu schützen. Grundlegend dafür ist, dass im Rahmen der Nutzungsbedingungen bzw. Netiquette schriftlich festgehalten wird, dass homo-, bi- und trans*feindliche Anfeindungen ebenso verfolgt und geahndet werden, wie beispielsweise rassistische, antisemitische oder sexistische Aussagen. Diese grundlegende Haltung sollte auch mit Blick auf Onlinespiele gelten, wo nach wie vor teilweise ein sexistisches, frauen- und LSBTIQ* feindliches Klima herrscht.

Ausgehend von einer antidiskriminierenden Grundhaltung sollten niedrigschwellige Meldesysteme die Möglichkeit bieten, auf einfachem Weg diskriminierende Kommentare, Tweets oder Posts an die Betreiber der genutzten Plattform zu melden, damit zeitnah eine Intervention wie die Sperrung des Accounts, von dem die Übergriffe ausgehen, erfolgt.

Ziel muss es sein, Menschen, die von Hassreden, Mobbing oder Diskriminierung betroffen sind, schnell und effektiv vor diesen Übergriffen zu schützen, ohne dass sie sich gezwungen sehen, ihren eigenen Account aufzugeben und die Plattform zu verlassen. Es müssen vielmehr diejenigen ausgeschlossen werden, die Hass verbreiten, andere beleidigen, stigmatisieren oder bedrohen.

Perspektivisch bedarf es hierzu eines generellen Wandels der „Gesprächskultur“, die vielfach online praktiziert wird. Mit Blick gerade auf Jugendliche müssen sich insbesondere Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen, schlussendlich jedoch alle diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext oder Freizeitbereich arbeiten, damit befassen, dass Mobbing und Diskriminierung heutzutage nicht mehr mit Verlassen der Schule oder der Freizeiteinrichtung endet, sondern über soziale Medien fortgeführt werden kann, auch wenn sich die Jugendlichen nicht in räumlicher Nähe zueinander befinden.

Hate Speech, (Cyber)Mobbing und Diskriminierung als Thema aufzugreifen und zu benennen, das Wissen darüber und den Umgang damit in den pädagogischen Alltag einzubauen und gemeinsam mit den Jugendlichen zu reflektieren, bietet neben der Diskussion und Wissensvermittlung auch die Chance, dass sich Jugendliche, die entsprechende Erfahrungen machen, an eine erwachsene Person im Umfeld wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen.

Jugendliche brauchen vertrauensvolle Ansprechpartner*innen in ihrem Umfeld. Auch Eltern müssen ihren eigenen Umgang mit digitalen Medien und ihr Verhalten in sozialen Netzwerken reflektieren, um ihren Kindern ein respekt- und verantwortungsvolles Handeln von Anfang an vorzuleben. Alleine die Tatsache, dass Kinder heute von klein auf mit digitalen Medien aufwachsen und diese in gewissem Maße technisch beherrschen heißt nicht, dass sie sich sicher, rücksichtsvoll und bedacht im digitalen Raum bewegen.

Vielen Dank!

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