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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Verfolgten Schutz geben

Resolution auf dem Verbandstag 2011

Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intersexuelle Menschen, die vor Verfolgung im Heimatland nach Deutschland flüchten, müssen bei uns Schutz und Aufenthaltsrecht erhalten. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kämpft für einen grundlegenden Wandel im Umgang mit Flüchtlingen.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intersexuelle Menschen, die vor Verfolgung im Heimatland nach Deutschland flüchten, müssen bei uns Schutz und Aufenthaltsrecht erhalten. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kämpft für einen grundlegenden Wandel im Umgang mit Flüchtlingen.

Deutsche Asylpraxis muss sich an den Menschenrechten orientieren

Wir fordern einen klaren Richtungswechsel in der Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das BAMF und die Verwaltungsgerichte halten es teilweise für zumutbar, dass Flüchtlinge ihre Homosexualität im Heimatland zurückgezogen in der Privatsphäre leben. Es wird ihnen zugemutet, "sich äußerst bedeckt zu halten" bzw. "Diskretion walten zu lassen", um eine Verfolgung zu vermeiden. Diese Haltung ist menschenverachtend und gerade angesichts der deutschen Geschichte der Verfolgung Homosexueller unfassbar. Die Praxis des BAMF verstößt zudem gegen die so genannte „Qualifikationsrichtlinie“ der EU zum Status von Flüchtlingen (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG). Danach gelten u.a. als Verfolgung: gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung. Daraus folgt: Jede polizeiliche Verfolgung und gerichtliche Bestrafung von einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Sexualität ist asylrelevant. Wenn Flüchtlingen in ihren Herkunftsländern strafrechtliche Verfolgung wegen ihrer homosexuellen Lebensweise droht und die Betroffenen auf Grund dieser Strafdrohung gezwungen sind, heimlich oder auch gar nicht ihre Sexualität zu leben, bedeutet dies einen asylrelevanten Eingriff in ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie in ihr Recht auf Privatleben (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Ändern muss sich auch die Befragungspraxis im Asylverfahren. Flüchtlinge sind verpflichtet, bei ihrer ersten Anhörung vor dem BAMF detailliert und nachvollziehbar sämtliche Fluchtgründe vorzutragen. Vielen lesbischen und schwulen Flüchtlingen ist es wenige Tage nach ihrer Ankunft in Deutschland (noch) nicht möglich, offen über ihre sexuelle Identität und entsprechende Verfolgung zu berichten. Wenn sie diesen Fluchtgrund erst später vorbringen, werden sie in der Regel als unglaubwürdig eingestuft. Im Verfahren muss der Situation Rechnung getragen werden, dass es hier um Menschen geht, die ihr Leben lang gezwungen waren, ihre sexuelle Identität zu verstecken und gegenüber Dritten zu leugnen.

Keine Abschiebungen und Zu- oder Rückführungen in menschenunwürdige Verhältnisse

Es darf keine Abschiebung in Länder geben, in denen Gefahr für Freiheit, Leib oder Leben droht. Die Asylpraxis innerhalb der EU hinsichtlich Verfolgung wegen der sexuellen Identität ist alles andere als einheitlich. Es darf keine Zu- oder Rückführung von Flüchtlingen in andere EU-Staaten geben, die keine menschenwürdige Aufnahme, keinen an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingsschutz oder kein faires Asylverfahren garantieren können. Menschen, die zu uns vor drohender Verfolgung flüchten, müssen Schutz erhalten, auch wirksamen Rechtsschutz. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss ein Flüchtling in jedem Fall auch vor einer Zu- oder Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedsstaat die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben. Das muss nun in Deutschland umgesetzt werden.

Aktiver Schutz für Opfer von menschenrechtswidriger Strafverfolgung und für bedrohte Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger

In einer Reihe von Ländern droht für gelebte Homosexualität die Todesstrafe. Eine besonders schreckliche Bilanz an Todesurteilen weist die Diktatur im Iran auf. Viele Flüchtlinge, die vor politischer Unterdrückung, Folter und Todesgefahr aus dem Iran geflohen sind, sitzen in Transitländern, insbesondere in der Türkei fest, darunter auch Menschen, denen Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Identität droht. Sie sind zwar der Todesdrohung entgangen, erfahren aber im Transitland oft massive Diskriminierung und eine menschenunwürdige Behandlung.

Die Bundesrepublik hat bislang nur eine sehr kleine Zahl iranischer Flüchtlinge aus der Türkei aufgenommen. Wir fordern, dass die Bundesregierung aus humanitären Gründen deutlich mehr iranische Flüchtlinge in Deutschland aufnimmt und ihnen eine Aufenthaltserlaubnis entsprechend § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz erteilt. Dabei muss die besonders prekäre Situation homosexueller Flüchtlinge in der Türkei angemessen berücksichtigt werden.

In vielen weiteren Ländern sind Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, trans- und intersexuellen Menschen (LGBTI) einsetzen, von offener staatlicher Repression bedroht. Noch häufiger droht ihnen Gefahr von homophoben Gewalttätern, die nicht selten mit Duldung oder gar Unterstützung der Staatsmacht handeln. In einigen Fällen betreiben gewissenlose Medien gezieltes öffentliches Outing von Privatpersonen. Den geouteten Menschen drohen massive Diskriminierungen bis hin zur Todesgefahr. In Uganda wurde der auf diese Weise von einer Zeitung an den Pranger gestellte schwule Menschenrechtskämpfer David Kato im Januar 2011 ermordet. In anderen Ländern, unter anderem in Ägypten unter dem Mubarak-Regime, kam es in den vergangenen Jahren zu inszenierten Schauprozessen, in denen Menschen unter der Anklage homosexueller Handlungen öffentlichkeitswirksam vor Gericht gezerrt wurden.

Es ist Aufgabe der Bundesregierung, Menschenrechtsverletzungen an LGBTI entschieden entgegenzutreten, in der Förderung von Demokratieentwicklung auch die Menschenrechte von LGBTI einzubetten und Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidiger in ihrer Arbeit vor Ort zu unterstützen. Wenn deren Arbeit aber durch Gefahr für Freiheit, Leib und Leben unmöglich gemacht wird, müssen andere Maßnahmen greifen: Wir fordern die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer Menschenrechtspolitik, gefährdeten Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten aus dem LGBTI-Bereich sowie Opfern von menschenrechtswidrigen Strafverfahren aktiv Asyl in Deutschland anzubieten.

(beschlossen auf dem 23. LSVD-Verbandstag am 03.04.2011 in Köln)

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