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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

"Ich verneige mich vor so einer starken Persönlichkeit."

Rede der Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Margaretha Sudhof

Er kämpfte sehr erfolgreich für grundlegende Rechte von Schwulen und Lesben. Doch ich sehe auch die Gegenseite, nämlich das, was Manfred Bruns dafür ertragen, durchstehen und aushalten musste.

Rede von Dr. Margaretha Sudhof, der Staatssekretärin im Bundesjustizministerium bei Gedenkfeier für Manfred Bruns vom LSVD

Sehr geehrte Angehörige,
sehr geehrte Frau Engels,
sehr geehrter Herr Dworek,
sehr geehrte Frau Lüders,
sehr geehrte Frau Rudolf,
sehr geehrter Herr Siegfried,
sehr geehrter Herr Hochrein,
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vielen von Ihnen war Manfred Bruns vertraut, als Partner, Familienmitglied, als Freund, als Mitstreiter oder einfach als guter Bekannter. Sie haben jahrelang Seite an Seite mit Manfred Bruns für die Rechte der Homosexuellen gekämpft.

Diese Chance hatte ich nicht. Im Gegensatz zu Ihnen hatte ich keine persönliche Beziehung zu Manfred Bruns. Seine wichtige und erfolgreiche Arbeit über mehr ein viertel Jahrhundert – etwa als Vorsitzender des Lesben- und Schwulenverbands – betraf natürlich zentrale Themen des Bundesministeriums der Justiz. Auch erinnern Frau Bundesministerin Lambrecht, die mich bat, Ihnen ihre Anteilnahme zu übermitteln und auch ihre Amtsvorgängerinnen sich sehr genau an den Verstorbenen und an die Diskussionen, die sie mit ihm geführt haben.

Er war ein kluger, ein überzeugender Botschafter für die Gleichstellung homosexueller Menschen. Das trug sich allerdings zu noch vor meiner Zeit im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Sie werden sich daher zu Recht fragen: Wie kann diese Frau hier und heute einen Menschen angemessen würdigen, den Sie zwar als Persönlichkeit, jedoch nicht persönlich kannte? Und umgekehrt: Wie kann ich Ihnen einen Menschen näherbringen, der Ihnen viel vertrauter ist als mir?

Dieser Aufgabe möchte ich mich in Demut und mit großem Respekt vor einem herausragenden Menschen und seiner Lebensleistung stellen.

Lassen Sie uns mit dem Blick auf die Spuren beginnen, die Manfred Bruns hinterlassen hat, auf seinen Beitrag für unsere Gesellschaft, kurzum: auf sein öffentliches Lebenswerk. Und vielleicht ist hier die ein wenig distanzierte Perspektive gar nicht nachteilig. Möglicherweise gelingt es mir ja, Ihren ganz eigenen Eindruck zu bestätigen.

Meine Damen und Herren,

wenn ich – also von außen – einen Blick auf das Lebenswerk von Manfred Bruns werfe, dann sehe ich einen Menschen, der einen großen Beitrag für Gerechtigkeit, Offenheit, Diversität und Inklusivität unserer Gesellschaft geleistet hat. Sein Thema war die Akzeptanz von homosexuellen Menschen. Er kämpfte sehr erfolgreich für grundlegende Rechte von Schwulen und Lesben.

Doch ich sehe auch die Gegenseite, nämlich das, was Manfred Bruns dafür ertragen, durchstehen und aushalten musste.

Denn er war auch ein verletzbarer Mensch, ein Streiter, dem unsere Gesellschaft die Bürde auferlegte, für seine selbstverständlichen Rechte kämpfen zu müssen. Dabei forderte er nicht mehr als sein zu dürfen, wer er ist.

Ich zitiere Manfred Bruns: „Lebensläufe wie meiner sollten sich nicht wiederholen.“

Das sagte er im Rückblick auf sein eigenes Leben. Lange Zeit litt er unter abstrus rückständigen gesellschaftlichen Umständen. Es war ihm buchstäblich nicht gestattet, schwul zu sein. Das können sich die Jüngeren, die ich hier im Saal aber gar nicht so zahlreich sehe, gar nicht mehr vorstellen. Einen Eindruck von den damaligen Gegebenheiten gibt uns der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ oder auch die Beschäftigung mit der sogenannten „Affäre Kießling“, die sich im Jahr 1984 zutrug.

Heute ist Homosexualität weitgehend akzeptiert, wobei ich nicht beschönigen möchte, dass sich Homophobie leider immer noch regelmäßig Bahn bricht.

Bruns outete sich erst 1983 im Alter von 49 Jahren. Lange hatte er versucht, seine sexuelle Orientierung zu unterdrücken und zu verbergen. Er fürchtete um seine bürgerliche Existenz und er wollte seine Familie beschützen.

Nach seinem Outing hatte Bruns mit schweren, auch beruflichen Repressionen zu kämpfen. Seine Unabhängigkeit als Beamter – als Bundesanwalt „auf Lebenszeit“, dürfte ihn geschützt, davor bewahrt haben, seinen Beruf zu verlieren. Aber davon abgesehen wurde vieles unternommen, um ihm sein Leben erschweren – so wird es jedenfalls heute berichtet.

Sein Vorgesetzter setzte ihn von der Ermittlungsabteilung in die Revisionsabteilung um. Es gab Kolleginnen und Kollegen, die ihn systematisch mobbten. Manche wollten beim Mittagessen den Tisch nicht mit ihm teilen. Unter dem gesellschaftlichen Druck musste wohl nicht nur Manfred Bruns selbst leiden, sondern auch seine Familie. Seine Frau und Kinder haben jedoch stets zu ihm gehalten, wie er immer wieder betonte.

Ebenso bewundernswert ist aus meiner Sicht, dass Manfred Bruns sich diesem Druck nicht beugte. Er versuchte nicht etwa, sich ins Private zurückzuziehen. Nein, er hielt dem gesellschaftlichen Druck stand.

Ich verneige mich vor so einer starken Persönlichkeit.

Aber Manfred Bruns hielt nicht nur stand. Er traf die Entscheidung, sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht abzufinden, nein, er wollte sie verändern! Und das ist Manfred Bruns auch gelungen! Er passte nicht in die Welt, die er vorfand. Dabei beließ er es nicht, nein, er hat die Welt deutlich besser gemacht.

Ich möchte heute nur zwei seiner größten Erfolge herausgreifen:

Erstens: die Rehabilitierung der zu Unrecht auf Grundlage von Paragraph 175 StGB strafrechtlich verurteilten homosexuellen Männer.

Zweitens: die Ehe für Alle.

Meine Damen und Herren,

Paragraph 175 stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Aus heutiger Sicht ist es unfassbar, dass dieser Straftatbestand bis ins Jahr 1994 hinein geltendes Recht war.

Manfred Bruns engagierte sich schon früh für seine Abschaffung, denn Paragraph 175 war in Recht gegossene gesellschaftliche Ächtung. Er hat Menschen erniedrigt, er hat Karrieren zerstört, zu Verstellung und Scheinehen geführt, zu Schikanen und Erpressung. Menschen wurden aus Verzweiflung in den Selbstmord getrieben, wir hatten es mit einem Frontalangriff auf die betroffenen Personen, auf ihre sexuelle Identität und damit auf ihre Menschenwürde zu tun.

Selbst 1994, mit der Abschaffung des Straftatbestands, kam es nicht zu einer vollständigen Rehabilitierung der Verurteilten. Erst im Jahr 2017 wurden die Unrechtsverurteilungen gesetzlich aufgehoben.

Gleichzeitig wurde ein Anspruch auf Entschädigung geschaffen, der zumindest symbolisch deutlich macht: Das war Unrecht.

Manfred Bruns erkannte dies früh. Trotzdem vergingen 23 lange Jahre, bis die Rehabilitierung der zu Unrecht Verurteilten endlich gelang. Es wird deutlich, mit welcher Beharrlichkeit er aktiv war, aktiv sein musste. Die Gleichstellung von Lesben und Schwulen war leider keine Errungenschaft, zu der sich unsere Gesellschaft von einem Tag auf den anderen bewegen ließ.

Ein beharrlicher, ein lang andauernder Kampf musste durchgestanden werden. Manfred Bruns hat ganz erheblich dazu beigetragen, dass hier, wenn auch spät, Richtiges entstand.

Meine Damen und Herren,

am Ende seines Lebens war Manfred Bruns ein großer Durchbruch gegönnt: die Ehe für Alle. Bruns selbst hatte dieses Projekt schon fast aufgegeben. Das Thema war zwar zu Beginn der zurückliegenden Wahlperiode, etwa im Jahr 2014, auf die Agenda gehoben worden. Es wurde dann aber 2015 durch tagespolitische Ereignisse zunächst verdrängt. Bruns sah die Chancen schwinden, dass die Ehe für Alle in der laufenden Legislaturperiode verwirklicht werden kann.

Vor vier Jahren sagte er dem Spiegel: „Es wäre schön gewesen, wenn ich jetzt, bevor ich das Zeitliche segne, noch die Öffnung der Ehe erlebt hätte.“

Was für eine Genugtuung muss die Einführung dann zwei Jahre später – im Jahr 2017 – für ihn gewesen sein. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die Ehe für Alle – sie musste über Jahrzehnte hinweg erkämpft werden.

Auch mein Haus, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hat Bruns dabei, das war um die Jahrtausendwende herum, enttäuscht. Zwar hatte die damalige rotgrüne Bundestagsmehrheit das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt. Doch eine echte Gleichstellung war das noch nicht.

Obwohl gleichgeschlechtliche Paare nun endlich vor die Standesämter treten konnten, blieben ihnen viele Vorteile der Ehe noch vorenthalten. Beispielsweise im Steuerrecht. Wieder musste die weitere Gleichstellung mühsam und Schritt für Schritt vor Gericht erstritten werden.

Man kann nachlesen, wie Manfred Bruns hierüber dachte. Dabei überrascht vor allem, dass ein Mann, der Zeit seines Lebens so viele Widerstände erfahren hatte, keinesfalls verbittert war. Mit einigen Menschen, die ihn persönlich kannten, habe ich in den letzten Tagen gesprochen.

Alle haben seine unerschrockene Grundhaltung hervorgehoben, seine erhebliche Zivilcourage, ebenso wie ihre sehr positiven Eindrücke und ihren Respekt. Und seine Beliebtheit. Am meisten erstaunte mich einer seiner Kollegen von der Bundesanwaltschaft, der wörtlich äußerte: „Manfred Bruns war eine rheinische Frohnatur.“

Es hat mich beeindruckt, mit welch nüchterner Sachlichkeit Bruns 2018, in einem Namensartikel die Geschichte der Ehe für Alle nachzeichnete. Trotz berechtigte Kritik erkennt er an, dass die Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft in der damaligen politischen Gemengelage um die Jahrtausendwende ein großer Erfolg war.

Insbesondere zeichnet er nach, dass es für die rotgrüne Bundesregierung nicht so leicht war: Diese sah sich damals einer konservativen Mehrheit im unionsgeführten Bundesrat gegenüber. Und auch Teile der konservativen Staatsrechtslehre stellten sich gegen die Ehe für Alle. Diese sei, so wurde es damals laut vertreten, mit Artikel 6 des Grundgesetztes nicht vereinbar.

In dieser Ausgangssituation war bereits das Lebenspartnerschaftsgesetz immerhin ein erster Schritt und damit ein nicht zu unterschätzender Erfolg. Welch starkes Signal: Selbst zugunsten derjenigen, die ihn politisch enttäuschten, stellt er die Lage differenziert dar.

Dieses Beispiel zeigt: Manfred Bruns arbeitete an seinem Projekt. Obwohl er sein ganzes Leben gegen massive Widerstände kämpfen musste, trotz aller Entschiedenheit, die dafür nötig war, bis er von seiner fairen und offenen Grundhaltung nicht ab.

Meine Damen und Herren,

das politische Lebenswerk von Manfred Bruns beeindruckt uns alle. Er verfolgte seine Ziele mit Charakterstärke und hoher Fachlichkeit, Manfred Bruns war eben auch ein brillanter Jurist. Er vertrat er den Lesben und Schwulen Verband in Anhörungen, Stellungnahmen und auch vor dem Bundesverfassungsgericht, wo er bedeutende Erfolge erringen konnte:

Die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft hielt den massiven konservativen Angriffen verfassungsrechtlich eben am Ende stand. Auch konnte die Sukzessivadoption durchgesetzt werden. Manfred Bruns hat so das Leben überaus vieler Menschen und Familien und eigentlich für alle nachhaltig zum Besseren verändert.

Meine Damen und Herren,

„Lebensläufe wie meiner sollten sich nicht wiederholen.“

So bewertete Manfred Bruns im Rückblick sein Leben. Und ja! Es darf nicht verlangt werden, dass Menschen sich verstellen, dass Furcht und gesellschaftliche Ausgrenzung herrschen, Diskriminierung und Verfolgung. Dass Würde und selbstverständliche Menschenrechte erkämpft werden müssen.

Manfred Bruns Lebenslauf war geprägt von Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen. Ohne Verbitterung veränderte er eine Gesellschaft, die ein hartes Los für ihn bereithielt. Das ist sein politisches Lebenswerk! Und hierin ist er uns allen Vorbild – auch denen, die ihn, wie ich selbst, nicht persönlich kennenlernen durften.

Daher meine ich: Zwar sollten Lebensläufe wie der von Manfred Bruns sich nicht wiederholen. Andererseits werden wir immer Menschen brauchen, die schwierige Themen uneigennützig verfolgen, mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Menschen eben, wie Manfred Bruns.

Rede der Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Dr. Margaretha Sudhof bei der Gedenkfeier zu Ehren Manfred Bruns des LSVD am 06. Dezember 2019 in Berlin. Es gilt das gesprochene Wort.

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