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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (BT-Drs. 19/5314 v. 29.10.2018))

LSVD-Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (26.11.2018)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

die Bundesregierung will die Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer einstufen, weil die Anerkennungsquote der Flüchtlinge aus diesen Ländern gering ist.

Die Verwirklichung dieses Vorhabens wäre ein eklatanter Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Qualifizierung von Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten.

Nach dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 (BVerfGE 94,115) dürfen Staaten nur zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt werden, wenn dort landesweit für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen Sicherheit vor politischer Verfolgung besteht (Leitsatz 2 a).

Das ist bei Algerien, Marokko und Tunesien nicht der Fall. Die Menschenrechtslage in diesen Staaten ist prekär. Das gilt insbesondere für die Situation der Lesben und Schwulen.

In allen drei Staaten wird einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen bedroht und es findet eine offensive Verfolgung insbesondere von geouteten Lesben und Schwulen statt. Dies haben uns Betroffene im Rahmen unseres Projektes „Queer Refugees“[1] wiederholt geschildert. Auch über unsere Kooperation im Rahmen der „International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association“ (ILGA) erreichen uns immer wieder entsprechende Berichte.

Aktuell am 08.11.2018 hat Human Rights Watch über die Verfolgung der Homosexuellen in Tunesien berichtet hat, wo schwule Männer weiterhin zwangsweise Analuntersuchungen unterzogen werden[2]. Diese Praxis ist vom UN-Ausschuss gegen Folter 2016 als Folter verurteilt worden[3] Die Bundesregierung hat im Mai 2018 zum Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie (IDAHOBIT) gemeinsam mit 31 weiteren UN-Mitgliedsstaaten[4] im Rahmen der Equal Rights Coalition diese Form der Folter in Tunesien verurteilt[5]. Auch in Algerien und Marokko ist die Verfolgung von Lesben und Schwulen entsprechend dokumentiert.

Nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU dürfen die Mitgliedstaaten das Konzept des sicheren Herkunftsstaates nur dann anwenden, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass für eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Herkunftsstaat keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe besteht.

Nach Auffassung der Bundesregierung haben Homosexuelle in den drei Ländern keine Strafverfolgung zu befürchten, wenn sie ihre Homosexualität erfolgreich verheimlichen und sie nur in ihrer Privatsphäre leben. Tatsächlich leben aber auch diese Homosexuellen in der ständigen Furcht, dass ihre Familie oder die Nachbarschaft Verdacht schöpfen und sie bei den Behörden anschwärzen könnten. Zudem knüpft die Bundesregierung hier offenbar an die ältere Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte an, die Asylgesuche von homosexuellen Asylsuchenden früher abgelehnt haben, weil sie nicht gefährdet seien, wenn sie „sich äußerst bedeckt halten“ bzw. „Diskretion walten lassen“.

Diese Position ist menschenrechtlich unhaltbar. Zu Recht hat das Urteil des EuGH vom 07.11.2013 (C-199/12 bis C-201/12) dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben. Der EuGH hat entschieden: „Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“

Deshalb trifft auch die Behauptung nicht zu, dass die Zahl der Verurteilungen von Homosexuellen in den drei Ländern im Vergleich mit der Gesamtzahl der dort lebenden Homosexuellen so gering sei, dass die Homosexuellen eine Strafverfolgung nicht konkret zu befürchten brauchten. Das ist nur richtig, wenn man die versteckt lebenden Homosexuellen mitzählt. Wenn dagegen Homosexuelle in den drei Ländern - berechtigterweise - z.B. als Paar offen zusammenleben, ist es sicher, dass sie von den Strafverfolgungsbehörden und ihrem Umfeld bestraft und verfolgt werden.

Darauf hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Verfolgung der Ahmadis in Pakistan hingewiesen (10 C 23.12, Rn. 33, juris). Es hat mit Rechts ausgeführt: „Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.“ Das gilt in gleicherweise für die Homosexuellen in den drei Ländern.

Deshalb darf gemäß Art. 38 Abs. 1 Buchst. a Rl 2013/32/EU das Konzept des sicheren Herkunftsstaates auf homosexuelle Asylsuchende aus Algerien, Marokko und Tunesien nicht angewandt werden.

Die Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten hätte zur Folge, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus diesen Staaten als offensichtlich unbegründet abzulehnen sind, es sei denn, die von dem Asylsuchenden angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht (§ 29a Abs. 1 AsylG).

Zudem bewirkt die Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten vor allem, dass die Flüchtlinge in besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden und einem beschleunigten Asylverfahren unterliegen (§ 30a Abs. 1 Nr. 1 AsylG).

Das birgt gerade für homosexuelle Asylsuchende große Probleme. Es ist vielfach belegt, dass es lesbischen und schwulen Asylsuchenden oft zunächst (noch) nicht möglich ist, offen über ihre sexuelle Orientierung und die entsprechende Verfolgung zu berichten. Dies gilt insbesondere dann, wenn Homosexualität in ihrer Herkunftsgesellschaft, wie z.B. in den Maghreb-Staaten, tabuisiert ist, und die Überlebensstrategie von Lesben und Schwulen darin besteht, ihre sexuelle Orientierung gegenüber Dritten geheim zu halten. Ein Outing vor fremden Behördenmitarbeitenden stellt für sie eine immense Barriere dar. Schnellverfahren ohne Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz bedeuten für Menschen aus diesem Personenkreis, dass sie faktisch von einer fairen Prüfung ihrer Asylgründe ausgeschlossen werden.

Deutschland hat hier eine besondere historische Verantwortung. In Deutschland fand im Nationalsozialismus eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. Auch in der Bundesrepublik blieb die menschenrechtswidrige Strafverfolgung von Homosexualität noch jahrzehntelang in Kraft.

Der Deutsche Bundestag hatte sich im Jahr 2000 in einer einstimmig verabschiedeten Entschließung dazu bekannt, „dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind“.[6]

Die gleiche Verletzung ihre Menschenwürde erleben homosexuelle Bürgerinnen und Bürger in Algerien, Marokko und Tunesien durch die dortige Gesetzgebung und staatliche Verfolgung. Diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten für Homosexuelle zu erklären, stünde im vollständigen Widerspruch zu allen Beschlüssen, die Bundestag und Bundesrat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur Strafbarkeit von Homosexualität gefasst haben.

 

  1. Gefördert durch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung
  2. Tunisia: Privacy Threatened by ‘Homosexuality’ Arrests - Government Using
    Personal Data, Anal ‘Tests’ for Prosecutions. Online unter:
    https://bit.ly/2SU885T (Abfrage: 10.11.2018). Auch die Weltorganisation gegen
    Folter (OMCT) hat weitere Fälle in Tunesien dokumentiert.
  3. CAT – UN Committee Against Torture: Concluding observations on the third periodic report of Tunisia [CAT/C/TUN/CO/3], 10 June 2016. Online unter: https://bit.ly/2B251BM (Abfrage: 10.11.2018).
  4. Albanien, Argentinien, Australien, Belgien, Chile, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Kanada, Kap Verde, Litauen, Luxemburg, Montenegro, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Österreich Serbien , Schweden, Schweiz, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten von Amerika und Uruguay.
  5. Online unter: https://bit.ly/2z7emH9 (Abfrage: 10.11.2018).
  6. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/140 vom 07.12.2000, S. 13738D -13745B, BT-Drs. 14/4894, S. 3f.