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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Hasskriminalität gegen LSBTI: Anträge im Bundestag von Bündnis / Die Grünen und FDP

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zur Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat am 07.06.2021

Wir unterstützen beide Anträge, da sie das Thema LSBTI-feindliche Hasskriminalität zurecht auf die innen- und justizpolitische Agenda setzen und wichtige Maßnahmen zu deren Prävention, Erfassung und Strafverfolgung beinhalten. 

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen „Hass und Hetze gegen LSBTI wirksam bekämpfen.“ (BT-Drucksache 19/26886) und dem Antrag der FDP-Fraktion „Vielfalt schützen – Homo- und transfeindliche Hasskriminalität bekämpfen“ (BT-Drucksache 19/26159)

Sehr geehrte Mitglieder im Ausschuss für Inneres und Heimat,

vielen Dank für die Gelegenheit, zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen „Hass und Hetze gegen LSBTI wirksam bekämpfen“ sowie dem Antrag der FDP-Fraktion „Vielfalt schützen – Homo- und transfeindliche Hasskriminalität bekämpfen“ Stellung zu nehmen. Wir unterstützen beide Anträge, da sie das Thema LSBTI-feindliche Hasskriminalität und Hassgewalt zurecht auf die innen- und justizpolitische Agenda setzen und wichtige Maßnahmen zu deren Prävention, Erfassung und Strafverfolgung beinhalten. Denn trotz vieler rechtlicher und gesellschaftlicher Fortschritte kann es nach wie vor sehr gefährlich sein, im öffentlichen Raum als lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und/oder intergeschlechtlich erkannt oder dafür gehalten zu werden. Eine demokratische Gesellschaft darf das nicht achselzuckend hinnehmen. Frei und sicher leben – das muss auch für LSBTI gelten.

Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) in Gewalt ausleben. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen. 2020 gab es laut Innenministerium mit 782 registrierten Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI, darunter 154 Gewalttaten (144 Körperverletzungen), einen Anstieg von 36 % im Vergleich zum Vorjahr. Dabei sind drei schwulenfeindlich motivierte Morde bislang nicht in diese Statistik zur Hasskriminalität aufgrund der „sexuellen Orientierung“ bzw. aufgrund des „Geschlechts/ sexuelle Identität“ eingegangen oder wurden nicht unter den Gewalttaten explizit genannt.

Im Mai 2020 veröffentlichte die EU-Grundrechte-Agentur die Ergebnisse ihrer zweiten großen LSBTI-Umfrage. Rund 16.000 Menschen hatten sich in Deutschland beteiligt. 45 % der Befragten vermeiden es danach oft oder immer, mit Partner*in in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Besonders groß wird die Bedrohung durch Anfeindungen auf der Straße und im Öffentlichen Nahverkehr erlebt. Wenn vor jedem verliebten Blick, vor jeder Umarmung, vor jedem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ob jemand Wildfremdes einem womöglich anspucken, ins Gesicht schlagen oder in den Magen treten könnte, ist das eine erhebliche Einschränkung der Freiheit einer großen Bevölkerungsgruppe.

Als Lesben- und Schwulenverband fordern wir hier mehr Empathie und Solidarität bei den für die Kriminalitätsbekämpfung und originär politisch Verantwortlichen. Beide Anträge greifen dabei langjährige Forderungen des LSVD auf. So sollen damit unter anderem die eklatanten Erkenntnislücken im Hinblick auf LSBTI-feindliche Hasskriminalität mit verstärkter Forschung angegangen, die Erfassung von Hasskriminalität gegen LSBTI verbessert, das Opferschutz-, Beratungs- und Selbsthilfeangebot für Betroffene gestärkt, eigene LSBTI-Ansprechpersonen bei Bundespolizei und Länderpolizeien sowie bei Staatsanwaltschaften benannt sowie mit Hilfe bundesweiter Aus- und Fortbildung das Personal in den Sicherheitsbehörden und der Justiz für die Erkennung und Verfolgung homo- und transfeindlicher Gewalt sensibilisiert werden. Wichtig ist auch die Forderung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen an die Bundesregierung, Gesetzesinitiativen vorzulegen, mit denen LSBTI-feindliche Beweggründe explizit in § 46 StGB und § 130StGB aufgenommen werden, die sich auch in dem Ansinnen der FDP-Fraktion wiederfindet, dass alle Rechtsakte, die in Deutschland gegen rassistische Gewalt gelten, auch gegen homo- und transfeindliche Gewalt wirksam gemacht werden.

Zusätzlich unterstreichen möchten wir dabei die von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vorgebrachte Aufforderung an die Bundesregierung, sich im Rahmen der Ständigen Kommission der Innenminister*innen und Innensenator*innen verstärkt für die Bekämpfung und Prävention von LSBTI-feindlicher Hasskriminalität einzusetzen.

Als Aufgabe für die nächste Wahlperiode möchten wir zudem benennen, dass die nächste Bundesregierung zügig nach ihrem Amtsantritt eine unabhängige Expert*innen-Kommission zur Erarbeitung eines umfassenden Konzepts gegen LSBTI-Feindlichkeit einsetzt. Solche Kommissionen wurden bereits zu Antisemitismus und Antiziganismus eingesetzt und haben sich bewährt.

Der Expert*innen-Kommission sollen Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, insbesondere LSBTI-Organisationen, Wissenschaft, Justiz und Sicherheitsbehörden angehören, darunter auch erfahrene Praktiker*innen aus dem Kreis der Ansprechpersonen für LSBTI bei Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften. Sie soll eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTI-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität erarbeiten sowie Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan entwickeln. Bestandteil dieses Aktionsplans muss ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTI-feindliche Gewalt sein. Diese Expert*innenkommission könnte auch Leitlinien entwickeln für die von der FDP-Fraktion vorgeschlagene regelmäßige Erfassung empirischer Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe homo- und transfeindlich bedingter Hasskriminalität als eine Voraussetzung für regelmäßige Berichterstattung an den Deutschen Bundestag.

Im Folgenden möchten wir einige Daten aus den wenigen vorhandenen Studien und Zahlen zu LSBTI-feindlicher Hasskriminalität in Deutschland darlegen, um darauf aufbauend notwendige Maßnahmen zu verdeutlichen.

1. Drei schwulenfeindlich motivierte Morde 2020

In Gießen attackierte am 29.10.2020 ein 60jähriger Mann seinen Nachbarn mit einem Messer und verletzte diesen an Herz und Lunge. Er hatte diesen zuvor auf der Straße gefragt, ob dieser schwul sei. Nachdem sein Zufallsopfer mit „Warum?“ antwortete, holte der Täter ein Messer hinter seinem Rücken hervor und stach zu. Während des Prozesses erklärte der Beschuldigte vor Gericht, er hätte Stimmen gehört: „Gott hat mir gesagt, ich sollte einen bösen Menschen – einen Homosexuellen – töten.“ Laut einem psychiatrischen Gutachten gilt der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat als schuldunfähig. Auch die Staatsanwaltschaft geht von seiner Schuldunfähigkeit aus.[1]

Thomas und Oliver L., ein schwules Paar, wurden am 04.10.2020 in der Innenstadt von Dresden von einem Islamisten mit zwei Messern angegriffen. Einer der Männer wurde getötet, der andere schwer verletzt. Laut Anklage wurde das schwule Paar vom Täter als Tatopfer ausgewählt, um sie als „Feinde Gottes“ und „Repräsentanten einer vom ihm als ungläubig abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung anzugreifen“ und sie für ihre Homosexualität, „die er als schwere Sünde empfand“, mit dem Tode zu bestrafen. Es ist der erste islamistische Terroranschlag auf Homosexuelle in Deutschland. Trotz früher Anzeichen für ein homosexuellenfeindliches Tatmotiv verschwiegen die sächsische Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium, dass es sich um ein mögliches LSBTI-feindliches Hassverbrechen gehandelt haben könnte. Dies wurde erst nach Medienrecherchen öffentlich. Am 21. Mai 2021 wurde der Attentäter des Mordes, des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Das sächsische Oberlandesgericht stellte dabei fest, dass die Tat aus islamistischen und homophoben Motiven begangen wurde.

Am 12. Februar 2020 wurde der 52-jährige Mario K. in seiner Wohnung im ostthüringischen Altenburg brutal ermordet. Zwei Männer griffen ihn mit einem Messer an, traten und schlugen ihn gegen Oberkörper und Kopf. Erst 11 Tage später wurde der Leichnam am Tatort entdeckt. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft den 19- und 23-jährigen Angeklagten Mord vor. Als Grund für die brutale Tat gaben die Angeklagten an, Mario K. einen Denkzettel verpassen zu wollen, weil er ihnen kurz vor der Tat Geld für sexuelle Handlungen angeboten haben soll. Zudem wurde dem Todesopfer im laufenden Prozess von den mutmaßlichen Tätern mehrmals Pädophilie unterstellt. „Diese Zuschreibungen gegenüber vermeintlich oder tatsächlich homosexuellen Menschen und die damit einhergehende Legitimierung von Selbstjustiz ist ein verbreitetes Narrativ der extremen Rechten. Deswegen gehen wir von einem homofeindlichen Tatmotiv aus. Auch Aspekte von Sozialdarwinismus kommen für uns in Betracht“, so die Organisation Ezra - Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Doch bislang hat sich die Geraer Staatsanwaltschaft weder auf ein rechtsextremes noch ein homophobes Tatmotiv festgelegt.[2]

Wie auch die anderen beiden Morde wurde der Terroranschlag von Dresden entweder nicht in der veröffentlichten Statistik zur PMK Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen aufgenommen oder ohne explizite Erwähnung unter den 154 registrierten Gewalttaten verzeichnet. Beides ist so unverständlich wie stark kritikwürdig.

2. PMK Hasskriminalität: Registrierte Straftaten, die sich 2020 gegen „sexuelle Orientierung“ oder gegen „Geschlecht/sexuelle Identität“ von Personen richteten

Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) sind keine homogene Gruppe. Ihre Erfahrungen, Chancen und Identitäten sind neben der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität auch abhängig von vielen anderen Faktoren wie etwa Hautfarbe, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus, Einkommen, Religion oder ob sie eine Beeinträchtigung haben oder nicht. Viele LSBTI erleben aufgrund unterschiedlicher Merkmale und Zugehörigkeiten Mehrfachdiskriminierung bzw. alle Formen von Hasskriminalität. Daher ist es präziser zu fragen, wie viel LSBTI-feindliche Straf- und Gewalttaten es in Deutschland gibt. LSBTI-feindliche Gewalt richtet sich aber zudem nicht nur gegen LSBTI, sondern auch gegen Menschen, die von den Täter*innen als LSBTI wahrgenommen werden.

Laut Bundesinnenministerium gab es 2020 insgesamt 782 registrierte Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI, darunter 154 Gewalttaten (144 Körperverletzungen). Das ist ein Anstieg von 36 % gegenüber 2019.[3] Wie erwähnt, sind die drei schwulenfeindlich motivierten Morde nicht in diese Statistik eingegangen oder wurden nicht unter den Gewalttaten explizit genannt.

Im Unterthemenfeld „Sexuelle Orientierung“ wurden insgesamt 578 Straftaten, davon 114 Gewaltdelikte, mit 109 Körperverletzungen registriert. Diese Taten gelten als homophob motiviert.

Dem zum 1. Januar 2020 neu eingerichteten Themenfeld „Geschlecht/Sexuelle Identität“ wurden 204 Straftaten zugeordnet. Damit sollen nach Angabe des Bundesinnenministeriums transfeindlich motivierte Taten gemeint sein.[4] Bei den dort registrierten 40 Gewaltdelikten handelte es sich in 35 Fällen um Körperverletzungen.

Bezüglich der Täter*innen wurden die Taten folgenden Phänomenenbereichen zugeordnet:

Unterthemenfeld „Sexuelle Orientierung“ (insgesamt 578 Straftaten)

  • PMK -rechts-: 175 (davon 24 Gewalttaten)
  • PMK -links-: 12 (keine Gewalttaten)
  • PMK -ausländische Ideologie-: 10 (davon 3 Gewalttaten)
  • PMK -religiöse Ideologie-: 17 (davon 4 Gewalttaten)
  • PMK -nicht zuzuordnen-: 364 (83 Gewalttaten)

Für das Unterthemenfeld „Geschlecht/ sexuelle Identität“ (insgesamt 204 Straftaten)

  • PMK -rechts-: 98 (davon 7 Gewalttaten)
  • PMK -links-: 4 (keine Gewalttaten)
  • PMK -ausländische Ideologie-: 4 (davon 2 Gewalttaten)
  • PMK -religiöse Ideologie-: 4 (davon 1 Gewalttat)
  • PMK -nicht zuzuordnen-: 94 (30 Gewalttaten)

Die Zahlen des Bundesinnenministeriums werden nicht nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Mit Ausnahme von Berlin veröffentlicht kein Bundesland regelmäßig die gemeldeten Zahlen. 2021 hat Bremen beschlossen, dem Vorbild Berlins zu folgen und Landesdaten zur politisch motivierten Kriminalität zu veröffentlichen und dabei LSBTI-feindliche Straf- und Gewalttaten gesondert auszuweisen.[5] Die anderen Bundesländer geben Zahlen nur auf Anfrage durch Abgeordnete in den Landesparlamenten bekannt. Es ist sehr auffällig, dass allein die von Berlin gemeldeten Fälle regelmäßig ein bis zwei Drittel der vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Zahlen stellen.

Es gibt keinerlei Grund anzunehmen, dass in der Hauptstadt mehr passiert als in allen anderen Bundesländern zusammen. Das Zahlenmissverhältnis zeigt vielmehr, dass ein sehr bedenkliches „Underreporting“ stattfindet und LSBTI-feindliche Straftaten vielfach nicht als solche erkannt werden, der Hintergrund nicht beachtet oder sogar ausgeblendet wird.

Daher teilen wir die Forderung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen an die Bundesländer, die Zahlen jährlich zu veröffentlichen. In Berlin werden zudem seit einigen Jahren mutmaßliche homophobe oder transfeindliche Hintergründe von Straftaten ausdrücklich in den Polizeiberichten genannt. Die Polizei in anderen Bundesländern ist aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. Gleiche Zielrichtung hat die Forderung der FDP-Fraktion, homo- und transfeindlich motivierte Hasskriminalität zukünftig in der Prävention- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundespolizei und der Länderpolizeien zu berücksichtigen. So wird LSBTI-feindliche Hasskriminalität gesellschaftlich sichtbar gemacht. Das ist von zentraler Bedeutung für die Sensibilisierung, die sowohl die Anzeigebereitschaft in der Community als auch genauere Erfassung und Klassifikation dieser Taten durch die Sicherheitsbehörden.

3. Dunkelziffer und Vermeidungsstrategien

Die veröffentlichten Zahlen des Bundesinnenministeriums sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie widersprechen der Lebensrealität von LSBTI in Deutschland. Das zeigen die Antworten auf die Frage im Rahmen der LSBTI-Umfrage der EU-Grundrechteagentur nach Erfahrungen mit Hasskriminalität und Belästigung in den letzten zwölf Monaten, die weitaus höhere Fallzahlen nahelegen, als die Statistik des BMI ausweist:

 

  lesbische Frauen schwule Männer bisexuelle Frauen bisexuelle Männer trans* Personen inter* Personen alle Befragten
verbale Belästigung 26% 27% 19% 17% 35% 32% 33%
non-verbale Belästigung 30% 22% 20% 12% 34% 23% 31%
digitale Belästigung 6% 8% 8% 9% 15% 14% 12%
mehr als einmal beleidigt 62% 61% 57% 65% 69% 76% 63%
mehr als einmal persönlich bedroht 41% 51% 38% 62% 63% 64% 53%
mehr als einmal beleidigende oder drohende Gesten erlebt 76% 68% 76% 54% 81% 80% 72%
mehr als einmal beleidigende oder bedrohliche E-Mails / Texts erhalten 62% 65% 62% 73% 72% - 68%
mehr als einmal Ziel von Hasskommentaren in social media 58% 66% 64% 53% 78% 79% 67%

 

Diese Zahlen sind noch schockierender, wenn man bedenkt, wie viele LSBTI es tagtäglich vermeiden, offen und sichtbar aufzutreten, damit ihnen nichts passiert. Das zeigen ebenfalls die Ergebnisse aus der LSBTI-Umfrage der EU-Grundrechteagentur.[6] So verzichten etwa 45 % der Befragten oft oder immer, mit Partner*in Händchen zu halten. Aus Angst vor Gewalt meiden 24 % aller Befragten oft oder immer bestimmte Orte und Plätze.

Viele Betroffene scheuen zudem den Weg zur Polizei. In der 2020 veröffentlichten LSBTI-Umfrage der EU-Grundrechteagentur beteiligten sich auch über 16.000 LSBTI aus Deutschland. Danach sind lediglich 13 % der Befragten zur Polizei gegangen, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen (EU-Durchschnitt: 14 %).[7] Nach den Gründen befragt, gaben sehr viele an, dass sie nicht daran glauben würden, dass eine Anzeige etwas bringen würde bzw. fehlendes Vertrauen in die Polizei bis hin zu der Befürchtung, auch bei der Polizei mit LSBTI-Feindlichkeit konfrontiert zu werden. Es trägt in keiner Weise zur Vertrauensbildung bei, wenn nur ein Bruchteil LSBTI-feindlicher Hasskriminalität von den Strafverfolgungsbehörden angemessen registriert und klassifiziert wird.

Auf 80 % bis 90 % schätzt Sebastian Stipp, eine von zwei Ansprechpersonen der Berliner Polizei für queere Menschen, das Dunkelfeld. Viele Fälle werden bei der Polizei nicht richtig als PMK-Hasskriminalität vermerkt, sondern „nur“ als Allgemeinkriminalität (z. B. Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung etc.) klassifiziert. Das kann unterschiedliche Gründe haben, etwa fehlendes Wissen, mangelnde Sensibilität oder bewusste Ignoranz bis hin zu LSBTI-Feindlichkeit in der Polizei, sowohl bei der Aufnahme am Tatort oder bei der Anzeige. Oftmals ermittelt die Polizei nur den Tathergang und bemüht sich nicht, möglichen Motiven nachzugehen. Wenn ein*e Polizist*in vor Ort einen homo-/transphoben Hintergrund einer Straftat nicht (an)erkennt oder weitergibt, wird er aber in der Statistik auch nicht erfasst. Beamt*innen müssen zudem erst einmal wissen, dass der Delikt bei einem homo-/transphoben Tatmotiv als Hasskriminalität und damit als PMK eingestuft und dementsprechend gemeldet werden muss.

Hier würden die von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vorgeschlagenen Maßnahmen im Rahmen der IMK sowie die der FDP-Fraktion im Zuge eines Nationalen Aktionsplans gegen Homo- und Transfeindlichkeit dafür sorgen, dass zum einen die Anzeigebereitschaft bei den Betroffenen steigt, und zum anderen die Erfassung und Registrierung dieser Taten in die PMK-Statistik verbessert wird.

4. Kritik an der Erfassung der Zahlen zur PMK Hasskriminalität

Die bisherige Erfassung von LSBTI-feindlicher Hasskriminalität ist ungenau und weit davon entfernt, ein realitätsgerechtes Lagebild zu liefern. Nur ein Bruchteil LSBTI-feindlicher Hasskriminalität wird angemessen registriert und klassifiziert. Die bisherige Erfassung unter „Politisch motivierte Kriminalität“ greift dabei auch methodisch zu kurz und verstellt häufig den Blick. So wird sie häufig dem Bereich des politischen Extremismus zugeordnet. Zweifelsohne gehören Homophobie und Transfeindlichkeit zum Kernbestand menschenfeindlicher Ideologien wie Rechtsextremismus oder Islamismus. Hasskriminalität geschieht aber weit über den Bereich des politischen Extremismus hinaus. Beides ist in den Blick zu nehmen. Denn als Täter*innen LSBTI-feindlicher Gewalt kommen durchaus auch Familienangehörige, Kolleg*innen, Bekannte oder Mitschüler*innen in Frage, die dem vorherrschenden Bild von Hasskriminalität widersprechen. Tatsächlich offenbart die EU-Studie, dass die Opfer in etwa der Hälfte der Fälle die Täter*innen persönlich kennen.

Auch die gegenwärtigen Kategorien zur Erfassung sind unpräzise, ungeeignet und nicht detailliert genug. So gibt es einzelne Themenfelder, die sich mit ihrer Bezeichnung auf unterschiedliche Hassmotivationen bzw. Beweggründe beziehen. Dazu gehören zum Beispiel „antisemitische“, „rassistische“, „antiziganistische“, „ausländerfeindliche“, „islamfeindliche“ oder auch „christenfeindliche“ Straftaten. Andere Themenfelder benennen wiederum Taten, die sich gegen bestimmte Identitätsmerkmale oder Identitätszuschreibungen der Betroffenen richten. Dazu gehören u.a. gegen eine „Behinderung“, gegen den „gesellschaftlichen Status“, gegen „sonstige ethnische Zugehörigkeiten“ oder gegen „die sexuelle Orientierung“ bzw. gegen „Geschlecht/ sexuelle Identität“ gerichtete Taten. Hier fehlt es an Kohärenz.

Gleichzeitig werden die Zahlen auch nicht detailliert aufgeschlüsselt. So werden die Straftaten gegen die „sexuelle Orientierung“ nicht danach aufgeschlüsselt, ob das Opfer lesbisch, schwul oder bisexuell war bzw. so von den Täter*innen eingeordnet wurde. Bis 2020 wurde dieser Kategorie auch transfeindliche Gewalt zugeordnet, obwohl Transgeschlechtlichkeit/ Transsexualität keine sexuelle Orientierung ist. Das gleiche gilt für Gewalt gegen intergeschlechtliche Menschen, die bis heute nicht explizit ausgewiesen wird. Zum 01.01.2020 wurde das Unterthemenfeld "Geschlecht/sexuelle Identität" eingeführt, um laut Bundesinnenministerium „eine trennscharfe Unterscheidung der täterseitigen Motive 'transphob' bzw. 'homophob' in der zentralen Fallzahlendatei 'Lageauswertung Politisch motivierte Straftaten' (LAPOS) zu ermöglichen“.[8] Warum man für Angriffe auf trans* Personen die Kategorie „sexuelle Identität“ gewählt hat, wird nicht näher erläutert. Tatsächlich geht es bei Transsexualität/ Transgeschlechtlichkeit nicht um eine sexuelle Identität, sondern um die Geschlechtsidentität, sodass der Begriff „geschlechtliche Identität“ treffender gewesen wäre.

Unklar ist auch, ob interfeindliche Hassgewalt unter die neue Kategorie „Geschlecht/sexuelle Identität“ fällt oder weiterhin in der Kategorie „sexuelle Orientierung“ erfasst wird. Da Intergeschlechtlichkeit/ Intersexualität die geschlechtliche Identität einer Person betrifft, müssten interfeindliche Straftaten eigentlich ebenfalls unter die neue Kategorie fallen.

Für weitere Unschärfe sorgt, dass unter diesen Begriff auch frauenfeindliche Hasskriminalität fallen kann. Es scheint nicht klar, ob dies der Fall ist: während die Aussage des Bundesinnenministeriums nahelegt, dass mit dieser neuen Kategorie nur transphobe Straftaten gemeint seien, ergibt sich aus einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung, dass die Kriminalpolizei damit auch frauenfeindliche Straftaten erfasst.[9] Wie so eine „trennscharfe Unterscheidung“ der täterseitigen Motive ermöglicht werden soll, ist nicht nachvollziehbar.

Daher teilen wir die von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen in ihrem Antrag vorgebrachte Kritik und schließen uns auch der Forderung der FDP-Fraktion nach einer in den Bundesländern einheitlichen und gesonderten Erfassung homo- und transfeindlicher Straftaten an.

5. LSBTI-feindliche Hasskriminalität und Justiz

Leider müssen wir konstatieren, dass die gegen LSBTI gerichtete Hasskriminalität auch in der Justizpolitik kaum Anerkennung findet. Umso bemerkenswerter ist daher die Ankündigung der EU-Kommission, eine Initiative vorzulegen, um die Liste der „EU-Straftaten“ um Hassdelikte und Hetze zu erweitern, einschließlich um solche, die sich gegen LSBTI richten.

In Deutschland weigerten sich Bundesregierung und Regierungskoalition in den beiden Gesetzgebungsfahren 2014/2015 und 2020/2021 zur Hasskriminalität (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) hingegen, LSBTI-Feindlichkeit in den Normentext aufzunehmen. Sie betreiben damit die Unsichtbarmachung dieser Ausprägung von Hasskriminalität weiter.

Zur Begründung der in dieser Wahlperiode erfolgten und von uns unterstützten Ergänzung um antisemitische Beweggründe führte die Bundesregierung zu Recht unter anderem an, diese Ergänzung unterstreiche „nochmals konkret für antisemitische Taten, dass die Ermittlungsbehörden ihre Ermittlungen schon frühzeitig auf solche für die Bestimmung der Rechtsfolgen bedeutsamen Motive zu erstrecken haben.“ [10]

Es ist jedoch offen diskriminierend und unverständlich, dass die Bundesregierung den Ermittlungsbehörden in Bezug auf LSBTI-feindliche Taten weiterhin nicht konkret nahebringen will, dass diese ihre Ermittlungen schon frühzeitig auf solche für die Bestimmung der Rechtsfolgen bedeutsamen Motive zu erstrecken haben.

Wir erleben immer wieder, dass die Polizei bei Straftaten gegen LSBTI nur den Tathergang ermittelt, aber sich nicht bemüht aufzuklären, welche Beweggründe die Täter*innen veranlasst haben, die betroffene Person als Opfer auszusuchen. Auch die Staatsanwaltschaften nehmen solche Straftaten oft nicht ernst und verweisen beispielsweise Opfer von Beleidigungen, tätlichen Beleidigungen und Sachbeschädigungen auf den Privatklageweg.

Ein Verweis auf die Gesetzesbegründungen, wonach Tatmotive, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität richten, vom Begriff der „sonstigen menschenverachtenden“ Beweggründe umfasst werden, hilft nicht weiter. Das hat für die Praxis kaum Belang. Wenn homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Normentext genannt ist, finden diese Beweggründe in der Praxis der polizeilichen Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertung keine angemessene Beachtung.

Das ist rechtstatsächlich beim vergleichbaren Tatbestand der Volksverhetzung (§130 StGB) längst belegt. Dort werden als mögliche Ziele von Volksverhetzung „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe(n)“ ausdrücklich hervorgehoben. Sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sind dagegen nicht benannt. Das Ergebnis: Entscheidungen zu homophober oder sexistischer Volksverhetzung sind trotz weit verbreiteter homophober und sexistischer Hassreden äußerst selten. Die von den Gerichten entschiedenen Fälle beziehen sich „fast ausschließlich auf rassistische, antisemitische und rechtsextremistische Äußerungen.“[11] Auch in § 130 StGB ist demnach eine ergänzende Klarstellung erforderlich.

Die von der Bundesregierung geplante Schaffung des neuen Straftatbestands der verhetzenden Beleidigung ist dabei nur ein Mosaikstein im Kampf gegen Hasskriminalität. Damit soll es unter Strafe gestellt werden, Personen oder Gruppen Hetzschriften zu übersenden, die diese wegen ihrer nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Herkunft, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung oder ihrer sexuellen Orientierung beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden. Erstmalig benennt das Strafgesetzbuch hier ausdrücklich die sexuelle Orientierung des Opfers als Motiv für Hasskriminalität. Damit wird die sonst im Strafgesetzbuch vorherrschende Unsichtbarkeit von LSBTI als Zielgruppe politisch motivierter Kriminalität aufgebrochen. Wichtig wäre, dass auch die geschlechtliche Identität ausdrücklich mitgenannt wird. Trans- und intergeschlechtliche Menschen sind besonders häufig von Hasskriminalität betroffen, werden durch den neuen Straftatbestand jedoch nicht erfasst. Der neue Straftatbestand ist ein guter Anfang, er erfasst aber nur einen sehr kleinen Bereich der Hasskriminalität gegen LSBTI. Wichtig ist, dass wie im Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen vorgeschlagen nun auch die §§ 46 Abs. 2 und 130 StGB um homo- und transfeindliche Beweggründe erweitert werden. Die gleiche Zielsetzung findet sich auch im Antrag der FDP-Fraktion mit dem Vorschlag, alle Rechtsakte, die in Deutschland gegen rassistische Gewalt gelten, auch gegen homo- und transfeindliche Gewalt wirksam zu machen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)
LSVD-Grundsatzreferentin

Annex

Als Annex möchten wir die Forderungen des beim LSVD-Verbandstag 2020 verabschiedeten Positionspapiers „Frei und sicher leben: Homophobe und transfeindliche Hasskriminalität entschieden bekämpfen“ dokumentieren. Damit fordern wir eine Haltungsänderung ein. Das Thema Gewalt gegen LSBTI gehört auf die innenpolitische Agenda und muss einen angemessenen Stellenwert in der Kriminalpolitik, bei Erfassung, Prävention und Strafverfolgung erhalten:

Unabhängige Expert*innen-Kommission einsetzen für ein umfassendes Konzept gegen LSBTI-Feindlichkeit

Der LSVD fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich eine unabhängige Expert*innen-Kommission einzusetzen, die eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTI-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität erarbeitet und der Bundesregierung sowie dem Bundestag einen Lagebericht mit Handlungsempfehlungen vorlegt. Solche Kommissionen wurden bereits zu Antisemitismus und Antiziganismus eingesetzt und haben sich bewährt.

Der Expert*innen-Kommission sollen Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, insbesondere LSBTI-Organisationen, Wissenschaft, Justiz und Sicherheitsbehörden angehören, darunter auch erfahrene Praktiker*innen aus dem Kreis der Ansprechpersonen für LSBTI bei Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften.

  • Aktionsplan entwickeln: Die Kommission soll insbesondere Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan für Vielfalt und zur Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit erarbeiten, der diesen Namen auch verdient. Er muss klare zeitlich definierte Zielvereinbarungen, belastbare Selbstverpflichtungen der zuständigen staatlichen Stellen und angemessene Haushaltsmittel zur Prävention und Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit enthalten.
  • Bund-Länder-Programm auflegen: Bestandteil dieses Aktionsplans muss ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTI-feindliche Gewalt sein. Die eklatanten Forschungslücken im Hinblick auf LSBTI-feindliche Hasskriminalität müssen endlich angegangen werden. Es braucht mehr empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sowie Erkenntnisse über den Umgang von Sicherheitsbehörden und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität. Ebenso braucht es zielgenaue Konzepte zur Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen.

Sofortmaßnahmen im staatlichen Handeln

Viele praktische Verbesserungen könnten sofort umgesetzt werden, ohne dass hier auf die Ergebnisse der geforderten Kommission abgewartet werden müssten:

  • Bessere Erfassungsmethoden: Notwendig ist eine Reform der polizeilichen Erfassungsmethoden, damit ein realitätsgerechtes Lagebild über LSBTI-feindliche Hasskriminalität entsteht. Nur ein Bruchteil LSBTI-feindlicher Hasskriminalität wird angemessen registriert und klassifiziert. Die bisherige Erfassung unter „Politisch motivierte Kriminalität“ greift methodisch zu kurz und verstellt häufig den Blick. Zweifelsohne gehören Homophobie und Transfeindlichkeit zum Kernbestand menschenfeindlicher Ideologien wie Rechtsextremismus oder Islamismus. Hasskriminalität geschieht aber weit über den Bereich des politischen Extremismus hinaus. Beides ist in den Blick zu nehmen.
  • Zusammenarbeit mit LSBTI-Organisationen: Die Behörden müssen bei der Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt verstärkt mit LSBTI-Organisationen zusammenarbeiten, um Vertrauen zu schaffen, Opfern angemessen zu helfen und damit die Anzeigebereitschaft zu steigern. Es müssen in deutlich mehr Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften Ansprechpersonen für LSBTI bestellt werden, wie dies in einigen Städten längst erfolgreich praktiziert wird.
  • Wirksame Schutzkonzepte für Aufnahmeeinrichtungen: Überall dort, wo Menschen von Staats wegen in besonderen Einrichtungen leben (müssen), muss der Schutz vor Anfeindungen und LSBTI-feindlicher Hasskriminalität gewährleistet werden. Es gibt zahlreiche Berichte, dass LSBTI-Geflüchtete in Aufnahmeeinrichtungen eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht werden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Geflüchtete keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Hier braucht es verbindliche Gewaltschutzmaßnahmen und Präventionskonzepte.
  • Inklusion von LSBTI: In allen bestehenden Präventionsprogrammen gegen Mobbing und Gewalt muss auch LSBTI-feindliche Hasskriminalität angemessen berücksichtigt werden. Bei der Umsetzung des "Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" (Istanbul-Konvention) müssen ausdrücklich auch die Belange lesbischer, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Frauen selbstverständlicher und sichtbarer Bestandteil der Maßnahmen sein.
  • Schutz vor Gewalt in der Familie: Viele LSBTI, insbesondere junge Menschen, erfahren Anfeindungen und Gewalt in der eigenen Familie. Schule und Jugendhilfe müssen stärker für die Bedrohungen von LSBTI durch häusliche Gewalt in Familien sensibilisiert werden. Die dort Beschäftigten müssen qualifiziert sein, diese Bedrohungen zu erkennen, um die Betroffenen angemessen zu schützen und zu unterstützen.

Sofortmaßnahmen in der Gesetzgebung

Auch in der Gesetzgebung sind sofortige Schritte möglich und nötig:

  • Ergänzung der Strafvorschriften zur Hasskriminalität: Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD weigert sich hartnäckig, LSBTI-Feindlichkeit in den 2015 in das Strafgesetzbuch eingeführten und 2020 erweiterten Bestimmungen zur Hasskriminalität ausdrücklich zu benennen. Sie praktiziert damit selbst das homophobe und transfeindliche Muster der Unsichtbarmachung. Das muss umgehend korrigiert werden. Denn alle Erfahrung zeigt: Solange homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Gesetz benannt ist, werden diese Motive in der Praxis der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen und damit auch bei der Strafzumessung wenig Beachtung finden. § 46 Abs. 2 StGB (Strafzumessung / Hasskriminalität) und § 130 StGB (Volksverhetzung) müssen entsprechend ergänzt werden.
  • Wirksamer Diskriminierungsschutz: Der Diskriminierungsschutz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss ausgebaut und wirksamer gestaltet werden. So muss auch staatliches Handeln umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) muss in ihren Befugnissen, ihrer unabhängigen Stellung und ihrer finanziellen Ausstattung gestärkt werden, damit sie effektiv Anfeindungen entgegentreten und vor allem vorbeugen kann. Zahlreiche Ausnahmeregelungen im AGG müssen beseitigt und ein echtes Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände eingeführt werden.
  • Grundgesetz ergänzen: Gerade in einer Zeit, in der Hass und Hetze wieder deutlich lautstärker geworden sind, braucht es eine klare verfassungsrechtliche Absicherung, dass staatliche Ausgrenzung, Unterdrückung und Verfolgung in Deutschland nie wiederkehren können. Deshalb muss Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes endlich um ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität ergänzt werden, auch als Handlungsauftrag gegen LSBTI-Feindlichkeit.

Fußnoten

[1] Queer.de: "Gott hat mir gesagt, ich sollte einen bösen Menschen – einen Homosexuellen – töten". https://www.queer.de/detail.php?article_id=38801. (07.05.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]).

[2] Ezra Opferberatung: Mario K. wurde im Februar 2020 in Altenburg aus homofeindlichen Gründen brutal ermordet. https://ezra.de/opferberatung-ezra-registriert-todesopfer-rechtsmotivierter-gewalt-in-thueringen-mario-k-wurde-im-februar-2020-in-altenburg-aus-homofeindlichen-gruenden-brutal-ermordet. (02.04.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]). MDR: Mordprozess von Altenburg: Opferberatung Ezra sieht rechtes Tatmotiv. https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/altenburg/altenburg-mord-prozess-landgericht-gera-rechts-ezra-opferberatung-100.html. (02.04.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]).

[3] Bundesinnenministerium: Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität 2019 und 2020. https://www.lsvd.de/media/doc/2445/pmk-2020-hasskriminalitaet.pdf (04.05.2021 [17.05.2021]). 2019 gab es dem Bundesinnenministerium zufolge mindestens 576 politisch motivierte Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung, darunter 151 Gewalttaten.  Unter dem Begriff „Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung“ erfasste die Bundesregierung 2019 noch alle sich gegen LSBTI gerichteten Straftaten. Im Vergleich zu 2018 ist die Zahl der registrierten Straftaten gegen queere Menschen um über 60 % gestiegen, bei den Gewalttaten sogar um mehr als 70 %.

[4] Antwort des Bundesinnenministeriums vom 23.02.2021 auf eine schriftliche Frage von Ulle Schauws, MdB vom 10.01.2021. https://www.lsvd.de/media/doc/2445/2021-02-10_zahlen-hasskriminalitaet-lsbti-innenministerium-ulle_schauws.pdf (17.01.2021 [Zugriff vom 02.06.2021]).

[5] Hasskriminalität gegen queere Menschen entschlossen entgegentreten, Antrag der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/ Die Grünen und SPD in der Bremischen Bürgschaft (Drucksache 20/836): https://www.lsvd.de/media/doc/2445/20-0836_antr_bremen_hasskriminalitaet_gegen_queere_menschen_entschlossen_entgegentreten.pdf (18.02.2021 [Zugriff vom 02.06.2021])

[6] Ergebnisse der Onlinebefragung "Sicher out? Geschützt vor Diskriminierung und Gewalt in der Region Rhein-Neckar?" durch die Psychologische Lesben- u. Schwulenberatung Rhein- Neckar (PLUS) zeigen neben Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen von LSBTI sowie Erlebnissen mit der Polizei weitere Vermeidungsstrategien auf. Dazu gehören: im öffentlichen Raum nicht so aufzutreten oder zu bewegen, wie es eigentlich gewünscht würde, homosexuelle Zärtlichkeiten zu vermeiden und sich nicht als Paar erkennen zu geben, nachts oder tagsüber bestimmte Orte zu meiden bzw. einen Umweg in Kauf zu nehmen, auf bestimmte Verhaltensweisen zu verzichten, andere Kleidung anzuziehen oder die eigene Körpersprache zu kontrollieren. https://www.heidelberg.de/site/Heidelberg_ROOT/get/documents_E-172696825/heidelberg/Objektdatenbank/16/PDF/Diskriminierung/SICHER-OUT_Dokumentation_Web.pdf (2019 [Zugriff vom 17.05.2021]).

[7] EU-Grundrechteagentur: A long way to go for LGBTI equality. https://fra.europa.eu/en/publication/2020/eu-lgbti-survey-results. (14.05.2020 [17.05.2021]. Auf unserer Homepage haben wir die Ergebnisse für Deutschland übersetzt und veröffentlicht. LSVD: Diskriminierung von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans und inter Menschen in Deutschland. (03.08.2020 [02.06.2021]). Die Anzeigebereitschaft unterscheidet sich dabei auch innerhalb der Gruppe von LSBTI. So sind 10 % der lesbischen und 17 % der schwulen Befragten, 6 % der befragten bisexuellen Frauen und 14 % der befragten bisexuellen Männer, 12 % der trans- und 20 % der intergeschlechtlichen Befragten zur Polizei gegangen.

[8] Antwort des Bundesinnenministeriums vom auf eine schriftliche Frage von Ulle Schauws, MdB vom 10.01.2021. https://www.lsvd.de/media/doc/2445/2021-02-10_zahlen-hasskriminalitaet-lsbti-innenministerium-ulle_schauws.pdf (Zugriff vom 02.06.2021).

[9] Antwort der Bundesregierung vom 14.01.2021 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Ulle Schauws, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/25512 – https://dserver.bundestag.de/btd/19/258/1925876.pdf (Zugriff vom 02.06.2021).

[10] Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 10.03.2020 (BT-Drucksache 19/17741). S. 19. . https://dserver.bundestag.de/btd/19/177/1917741.pdf (Zugriff vom 02.06.2021).

[11] Lembke, Ulrike: Kollektive Rechtsmobilisierung gegen digitale Gewalt. S. 7. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/e-paper_43_kollektive_rechtsmobi.pdf. (Dezember 2017 [02.06.2021]).

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