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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

“Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung positioniert sich noch deutlicher als zuvor für eine offene, liberale, tolerante und plurale Gesellschaft.”

LSVD-Interview mit Prof. Dr. Beate Küpper, Mitautorin von „Gespaltene Mitte — Feindselige Zustände“.

fes-mitte-studie-cover.pngWas sind die sogenannten Mitte-Studien?

Die Mitte Studien untersuchen rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Begonnen haben damit die Kollegen Elmar Brähler und Oliver Decker von der Universität Leipzig im Jahr 2002. Ab 2006 ist dann die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit der Förderung eingestiegen. Seitdem heißt die Studie auch „Mitte-Studie“.

Parallel und unabhängig davon hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld die Studie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durchgeführt. Hier haben wir über zehn Jahre lang abwertende und ausgrenzende Einstellungen – also Vorurteile – gegen eine ganze Reihe sozialer Gruppen untersucht, z.B. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie. 

Seit 2014 führt Andreas Zick, der neue Direktor des Bielefelder Instituts, die Mitte Studien im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durch und hat beide Studienlinien zur FES-Mitte-Studie zusammengeführt. Die Leipziger Kollegen führen die Leipziger-Mitte Studie weiter.

In zwei-jährigem Abstand wird jeweils eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung zu ihren Einstellungen befragt. Erhoben werden rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen und verknüpfte Einstellungen z.B. zur Demokratie, zur Teilnahme an Protesten usw. In der FES-Mitte-Studie werden dazu telefonische Interviews mit rund 2.000 repräsentativ ausgewählten Personen ab 16 Jahren geführt.

Welche zentralen Ergebnisse hat die diesjährige FES-Mitte-Studie zu Tage gebracht?

Die FES-Mitte-Studie 2016 hat bemerkenswerte, aber auch alarmierende Befunde zu Tage befördert:

Erstens: Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung positioniert sich noch deutlicher als zuvor für eine offene, liberale, tolerante und plurale Gesellschaft. So ist z.B. die Stimmungen in Bezug auf die Aufnahme von Geflüchteten deutlich positiver, als manchmal suggeriert wird. Beispielsweise sagen 56% „Ich finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat.“ Weitere 24% stimmen hier immerhin teils-teils zu. Unter den grundsätzlich positiv Gestimmten sind auch mehr Befragte selbst für Geflüchtete engagiert oder kennen Leute in ihrem näheren Bekanntenkreis, die sich engagieren. Gleichzeitig gibt es aber eine nicht ganz kleine Minderheit, die sich ganz deutlich gegen eine offene, plurale Gesellschaft positioniert. So sind z.B. 9% eher und sogar 14% voll und ganz der Ansicht: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ Umgekehrt lehnen 56% der Befragten dies ganz klar ab, weitere 10% eher.

Mit Blick auf die Abwertung homosexueller Menschen geht es auch in 2016 mit dem positiven Trend weiter – in den letzten 15 Jahren stimmen immer weniger Befragte abwertenden Einstellungen gegenüber homosexuellen Menschen zu. Weil so viele Einstellungen gegenüber so vielen sozialen Gruppen erfasst werden, kann die Studie leider nicht zwischen der Einstellung zu diversen LSBT* Gruppen unterscheiden. Insgesamt stimmt nur noch jeder 10. homophoben Einstellungen zu, in 2005 waren es noch 22%. Die Ergebnisse im Einzelnen: 10% der FES-Mitte-Studie stimmen der Aussagen eher oder voll und ganz der Aussage zu: „Homosexualität ist unmoralisch.“ 16% der FES-Mitte-Studie stimmen eher oder voll und ganz der Aussage zu „Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen.“ Bemerkenswert ist: in der Leipziger Mitte Studie werden diese Einstellungen anonym per Fragebogen erhoben, also nicht offen im Telefoninterview. Hier stimmen der ersten Aussagen 25%, der zweiten Aussage sogar 40% der Befragten zu!

Es ist auch der Einstellungsforschung bekannt, dass Menschen unter anonymen Bedingungen anders antworten als im Gespräch. Das heißt nicht unbedingt, dass das ihre „eigentlichen“ Einstellungen sind, sondern nur, dass wir unter Anonymität auch ein bisschen zu anderen Menschen werden. Wir orientieren uns dann weniger an sozialen Normen, die uns normalerweise als soziale Wesen stark beeinflussen, z.B., weil wir möchten, das andere uns mögen und weil wir uns auch lieber selbst so sehen möchten, wie es die Normen einfordern.

Neu ist in diesem Jahr in der FES-Mitte-Studie auch die Erfassung von negativen Einstellungen gegenüber Trans*-Personen. 18% stimmten der Aussage zu, dass „Transsexuelle und Transgender Personen sollten versuchen, nicht so aufzufallen.“ Dies sind ehrlich gesagt weniger, als ich gedacht hätte. Hier könnte auch die Soziale Erwünschheit – also die Ausrichtung an sozialen Normen – ihre Wirkung entfaltet haben. Andere Studien zeigen, wie stark gerade Trans*-Personen im Alltag diskriminiert werden, z.B. bei der Suche nach einer Arbeit.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen gruppenbezogenen menschenfeindlichen Einstellungen?

Ja, ganz eindeutig. Die Abwertung von homosexuellen Menschen hängt sehr eng mit der Abwertung von Trans*-Personen zusammen – wer die einen abwertet, wertet auch die anderen ab.

Aber die Abwertung von homosexuellen Menschen korreliert auch mit allen Elementen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Z.B. mit Sexismus, aber auch mit Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, der Abwertung von Muslimen usw. Und diese Elemente Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hängen ihrerseits auch zusammen.

Im Durchschnitte der Bevölkerung ist es also eher selten, dass jemand „nur“ etwas gegen eine spezifisch Gruppe hat, in der Regel geht die Abwertung der einen Gruppe Hand in Hand mit der einer anderen.

Woran arbeiten Sie gerade?

Derzeit sitze ich unter Hochdruck an dem Abschlussbericht des unabhängigen Expertenrats Antisemitismus, der vom Deutschen Bundestag eingesetzt wurde und dessen Mitglied ich bin. Hier legen wir Anfang des nächsten Jahres einen Bericht über das Ausmaß von Antisemitismus in Deutschland vor.  Und gerade heute sind die Daten der Studie zu Abwertung nicht-heterosexueller Menschen gekommen, die ich zusammen mit Ulrich Klocke und Carlotta Hoffmann im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) durchführe. Hier unterscheiden wir in einer eigenen Studie nur über dieses Thema zwischen den Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Am 12.01.2017. wird es dazu eine Pressekonferenz in Berlin geben (wen es interessiert: dann mal auf die Homepage der ADS schauen).

Vielen Dank für das Gespräch.

Die neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen in Deutschland (FES-Mitte-Studie) ist im November 2016 erschienen.