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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Diskriminierung gefährdet nicht nur den Zusammenhalt in Unternehmen, sondern macht Mitarbeitende krank

Keynote von Kerstin Rudat aus dem Landesvorstand des LSVD Baden-Württemberg

Vortrag im Rahmen der Veranstaltung "Queeres Leben in der Arbeitswelt" der SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg am 26. Juli 2022

Keynote von Kerstin Rudat zur Veranstaltung "Queeres Leben am Arbeitsplatz"

Guten Abend!

Ich freue mich, dass ich zusammen mit Markus Pfalzgraf vom DJV Baden-Württemberg die Keynote des heutigen Abends halten und damit quasi den Input eröffnen darf!

Mein Name ist Kerstin Rudat, ich bin seit April 2018 im Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland, im Landesverband BW. Ich beschäftige mich schon länger mit dem Thema Diversity und Diversity Management, weil mich intersektionale Diskussionen zu Vielfalt seit der Studienzeit begleiten. Manche Diskussionen kommen wieder bzw. waren seit den Neunzigern eigentlich nie richtig weg, sondern heißen jetzt nur anders. Als LSVD beobachten wir Diversity-Management-Bestrebungen in Unternehmen genau. In Sachsen hat der Schwester-Landesverband sogar selbst ein Langzeit-Projekt „Queer am Arbeitsplatz“ gestartet.

Sichtbarkeit von LSBTTIQ am Arbeitsplatz

Das Thema des heutigen Abends ist ein sehr wichtiges. Nur etwas mehr als 30 Prozent aller LSBTTIQ-Beschäftigten sind out am Arbeitsplatz.

Lesbische Frauen sogar vermutlich noch nicht mal zu diesem Prozentsatz, weil sie als Frau und Lesbe doppelte Diskriminierung fürchten und gerne unsichtbar bleiben. Sie wollen nicht, dass weder ihr Lesbisch-Sein noch ihr Familie-Sein – denn ja, auch lesbische Frauen haben einen Kinderwunsch, für viele immer wieder und immer noch überraschend – ihnen ein gläsernes Hindernis wird. (Und natürlich sind an dieser Stelle auch schwule Männer mit Kinderwunsch mitgemeint, aber weil viele Bereiche der Arbeitswelt immer noch männerdominiert sind, stellt sich hier die Problematik anders dar.)

Trans* Menschen bleiben oft ebenfalls zu einem vermutlich höheren Prozentsatz – hier gibt es keine belastbaren Studien – unsichtbar, weil sie, leider zu Recht, hohe Diskriminierung fürchten.

Akzeptanz von Vielfalt ist ein Gewinn für jedes Unternehmen

Wir verbringen acht bis zehn Stunden täglich am Arbeitsplatz. Manche von uns sogar noch länger. Und damit meine ich auch explizit das Home-Office mit. Denn die Corona-Pandemie hat vielleicht in vielen Bereichen der Arbeitswelt für mehr Eigenverantwortung, teilweise auch Transparenz und erhöhte Toleranz gesorgt, sicherlich aber nicht für mehr Begegnungen und Austausch. Menschlicher Kontakt ist aber die Basis für Toleranz und Akzeptanz. Es ist wichtig, dass wir uns begegnen und uns kennenlernen, wenn wir zusammen arbeiten. Der Arbeitsort ist ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen muss, wohlfühlen will. Es ist zusätzlicher Stress, wenn ich mich hier verstellen muss.

Zur Entfaltung von Talenten und Fähigkeiten sind jedoch Sichtbarkeit, Offenheit sowie ein respektvolles Arbeitsklima wichtig. Ressentiments und Diskriminierungen gefährden nicht nur den Zusammenhalt in Unternehmen, sondern machen Mitarbeitende krank – und wirken sich somit auch negativ auf den Unternehmenserfolg aus. Denn Fakt ist, das ist durch mehrere Studien bewiesen, dass Unternehmen mit diverser Belegschaft effektiver und produktiver sind.

Natürlich trage ich erst einmal selbst Sorge dafür, dass mein Arbeitsplatz angenehm gestaltet ist. Aber eben auch mein Arbeitgeber, meine Arbeitgeber*in, die Vorgesetzten, mein Team, das gesamte Arbeitsumfeld. Das ist nicht selten ein Abstimmungsprozess, der auch irgendwie irgendwann von jemandem geleitet oder sogar erst initiiert werden muss. Das ist vielen Unternehmen nicht bewusst.

Ich weiß, das klingt an dieser Stelle ziemlich banal, aber hier gibt es eine große Diskrepanz zwischen Unternehmenswillen und Unternehmenswirklichkeit.

Regenbogenkompetenz und Empowerment als Unternehmenskultur

Um überhaupt etwas ändern zu können, ist dieses Verständnis elementar.
Zudem gibt es nicht selten ein strukturelles Gefälle – durch die Unternehmen selbst und ihre Philosophie, aber auch durch die Art des Gewerbes oder die geografische Lage. Ich würde sagen, in der Region Stuttgart ist es zu einem hohen Prozentsatz einfacher für Firmen und deren queere Mitarbeitende, sich um Diversity Management zu kümmern, als es das beispielsweise für Unternehmen in eher ländlichen, strukturschwachen Gegenden oder für „Hardcore-Familien-Traditionsunternehmen“ ist. Auch innerhalb eines Unternehmens können diese Unterschiede bestehen. Sie werden vor diesem Hintergrund sicher, ohne dass ich es groß erklären muss, sofort sehen, warum die Kolleg*innen in Sachsen es als notwendig betrachtet haben, so ein Projekt wie „Queer am Arbeitsplatz“ selbst zu starten und nicht erst auf die Unternehmen zu warten.

Natürlich gab es in den letzten Jahren schon viele Bestrebungen für mehr Regenbogenkompetenz in Unternehmen. Bitte nicht falsch verstehen – es ist beispielsweise toll, dass immer mehr Unternehmen der Charta der Vielfalt beitreten und hier eine Selbstverpflichtung eingehen.
Jedes Bisschen Sichtbarkeit hilft. Aber das mit der Vielfalt ist eben auch ein zweischneidiges Schwert.

Wenn es um äußerlich sichtbare Vielfalt geht, dann sind viele Unternehmen schnell dabei. Ja, es dauert, auch die Regenbogenfahne am CSD, am IDAHOBIT, am Diversity-Tag zu hissen. Ich möchte das je nach Gewerbe gar nicht infrage stellen oder das Engagement abwerten. Aber für viele Unternehmen ist dann auch bald Schluss.

Es geht aber darum, auch jenseits von bestimmten Tagen und Aktionen das Thema sichtbar zu halten, die eigenen queeren Mitarbeitenden zu empowern, das Bewusstsein der nicht-queeren Mitarbeitenden zu erweitern. Es bringt nichts, wenn nach dem Beitritt zur Charta der Vielfalt die Regenbogenfahne gehisst wird und vielleicht noch eine Podiumsdiskussion stattfindet, den Rest des Jahres die queeren Mitarbeitenden aber sehen müssen, wo sie bleiben, weiterhin Diskriminierung ausgesetzt sind und sich nichts an der Unternehmenskultur insgesamt ändert. Dafür Sorge trägt das Unternehmen.

Manche haben Vielfalts-Beauftragte und je nach Größe auch eigene queere Netzwerke. Das ist gut, aber hier lauert die nächste Falle: Es kommt Ehrenamts-Strukturen gleich, wenn das Unternehmen sich auf dem Engagement der queeren Mitarbeitenden ausruht. Aber diese brauchen Zeit, Räume, Support und ab und an halt auch einfach Kohle für Aktionen etc., machen wir uns nichts vor. Alleine können sie es nicht richten und die Unternehmenskultur ändern. Das funktioniert nicht. Der zweite Punkt hier ist die Investition in eher unsichtbare Faktoren für den Erfolg von Diversity Management. Intern Gespräche führen, Bedarfe abfragen, Empowerment, materielle Unterstützung, interne Schulungen – alles Dinge, die sich erst einmal nicht in eine Pressemitteilung und eine PR-Maßnahme gießen lassen. Aber sie sind ab einem bestimmten Punkt fast wichtiger als die öffentlichen Bekenntnis-Aktionen. Weil es hier primär um die Mitarbeitenden geht.

Es geht, ganz simpel gesagt, um Räume für LSBTTIQ-Mitarbeitende. Nicht jede:r will sich zudem outen am Arbeitsplatz, braucht aber trotzdem Freiraum für Begegnungen.

An dieser Stelle im Prozess holen sich viele Unternehmen extern Hilfe. Auch das ist natürlich nicht per se verkehrt. Aber Diversity Management ist zu einem Riesen-Geschäft geworden. Viele Einzelpersonen machen sich hier selbstständig und lassen sich ihre Beratung teuer bezahlen, es gibt Agenturen und nicht wenige Medien-Menschen, die hier Beratung mit in ihr Repertoire aufnehmen, weil sie sich ein zweites Standbein erschließen müssen. Googlen Sie das Thema mal, dann sehen Sie, wie Sie innerhalb weniger Millisekunden tausende Treffer bekommen. Wie sollen Unternehmen da wissen, welche die guten Angebote sind, die auch etwas bringen und nachhaltig sind? Und: Diversity ist ein In-Thema geworden, weil es ja nicht nur um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt geht, sondern um insgesamt sieben Vielfalts-Kategorien, und da ist kulturelle Herkunft oftmals die wichtigste, mit der sich Kasse machen lässt oder von der mensch irgendwas irgendwie ableitet. Was aber gefährlich ist. In vielen Unternehmen gibt es eine Quote für die Kategorie kulturelle Herkunft.

Ich stelle jetzt mal eine provokative Frage: Was, wenn ein Unternehmen eine Quote für LSBTTIQ machen würde? Klingt komisch, oder? Zurecht, denn das ist positive Diskriminierung.

Ich sage: Es ist immer gut, sich im Konfliktfall von außen helfen zu lassen. Aber bevor echtes Mentoring einsetzt oder eingesetzt wird, geht es um ganz andere Faktoren. Und die müssen nicht teuer sein.

Einfach mal den queeren Mitarbeitenden zuhören. Ihnen etwas zutrauen. Zusammen mit ihnen an Problemen wachsen – die zudem vielleicht auch gar kein Problem sind. Vertrauen und Geld investieren in die eigenen Leute, die am besten wissen, wie sich ein besseres Arbeitsumfeld schaffen lässt, in dem sich alle wohlfühlen. Vielen Dank!

Kerstin Rudat
LSVD Landesvorstand Baden-Württemberg
(Es gilt das gesprochene Wort)

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