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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LGBTIQ auf dem afrikanischen Kontinent: Die afrikanische Diaspora als Vermittler?

Tsepo Bollwinkel (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) beim 5. Fachtag Regenbogenphilanthropie

Selbsthilfeorganisationen der afrikanischen Diaspora als Vermittler im Dialog zwischen westlichen Geber_innen und LGBTIQ-Menschenrechtlern sowie gesellschaftlichen Repräsentant_innen des afrikanischen Kontinents. Vortrag auf dem Fachtag Regenbogenphilanthropie "Wer spricht, wer wird gehört. Interessenvertretung von Lesben, Schwulen und Transgender aus dem globalen Süden".

Bild vom Flyer des 5. Fachtags Regenbogenphilanthropie zur Entwicklungszusammenarbeit für LGBTI

Dokumentation des Vortrags vom 5. Fachtag Regenbogenphilanthropie "Wer spricht, wer wird gehört. Interessenvertretung von Lesben, Schwulen und Transgender aus dem globalen Süden". Schwerpunkt des Fachtages war die Kommunikation über die Menschenrechtslage von Lesben, Schwulen und Transgender und die Möglichkeiten eines konstanten und fachspezifischen Süd-Nord-Dialoges.

Humanitäre Hilfe für LGBTIQs Afrikas ist notwendig

Erlauben Sie mir drei Vorbemerkungen, bevor ich mich der Fragestellung selber widme:

Ohne Frage steht fest: Die Situation von LGBTIQs auf dem afrikanischen Kontinent ist schwierig bis verzweifelt, selbst in jenen Staaten, in denen keine juristischen Sanktionen gegen sie verhängt werden. Solidarischer Beistand queerer Menschen und ein handelndes Eintreten der Weltgemeinschaft zur Durchsetzung der Menschenrechte für alle ist dringend notwendig.

Nachhaltiger Dialog kann nur gelingen durch Kommunikation auf Augenhöhe

Interventionen besonders westlicher Geber_Innen sind aufgrund der (bis heute anhaltenden) Kolonialverbrechen gegen den afrikanischen Kontinent eine heikle, immer wieder kritisch zu hinterfragende Angelegenheit.

Die bisherige Geschichte der sog. Entwicklungshilfe gibt leider keinen Anlass zu unbefangenem Auftreten gegenüber Menschen und Staaten des Globalen Südens. Jede Attitüde des Besserwissens, Rechthabens, der Annahme einer Entwicklunghierarchie ist nicht nur für die unmittelbar Betroffenen verletzend und kommunikationshemmend sondern gesamtgesellschaftlich schädlich.

Es gibt nur eine Expertengruppe, die für LGBTIQs des afrikanischen Kontinents sprechen kann, die Auskunft darüber geben kann, ob und in welcher Form Unterstützung aus dem Westen sinnvoll sein könnte, nämlich diese Menschen selber – und zwar nur in einem Dialog unter Gleichwertigen und Gleichberechtigten.

Und dies gilt ebenso für einen Dialog mit gesellschaftlichen Repräsentantinn_en afrikanischer Staaten. Auch hier sind es die LGBTIQs innerhalb dieser Staaten selber, die sinnvolle Anregungen für eine gelingende Kommunikation mit politischen, religiösen und gesellschaftlichen Stellen geben können.

Austausch auf Augenhöhe bedingt den vorherigen Erwerb interkultureller Kompetenzen

Die Bereiche Gender und Sexual Orientation sind auch in der westlichen Welt durchaus immer noch schwierig zu kommunizieren. In einem Dialog mit Angehörigen von Kulturen des Globalen Südens ist von allen Beteiligten ein fundiertes Wissen um unterschiedliche Begrifflichkeiten und Sichtweisen sowie ein ernst gemeinter Respekt vor diesem Unterschieden entscheidend für eine gelingende Kommunikation und Zusammenarbeit.

Ich betone hier, dass tatsächlich der gesamte Themenkomplex LGBTIQ ein westlicher Ausdruck westlicher gesellschaftlicher Entwicklungen und Auseinandersetzungen ist. Übrigens gilt dies auch für Homo- und Transphobien. In Zuge von Kolonialisierung und Globalisierung sind sowohl westliche Identifizierungsmodelle als auch westliche Konfrontationen weltweit in anders strukturierte Kulturen eingedrungen und bilden gerade auf dem afrikanischen Kontinent eine sehr deutlich sichtbare Frontlinie beim Aufeinanderprallen verschiedener Identifizierungs- und Gesellschaftsmodelle, was ich später als Clash of Cultures bezeichnen werde.

Wenn sich aus über 50 afrikanischen Staaten und hunderten von Ethnien und Kulturen ein grob verallgemeinernder Vergleich mit westlichen Identitätsentwürfen zusammenfassen läßt, so hat im Westen die individuelle Lebensgestaltung Vorrang vor der kollektiven, die Einzelperson vor der Familie, der Gesellschaft, der Nation. In afrikanischen Gesellschaften ist dies eher umgekehrt, was zu einer vehementen Abwehr all dessen führt, was vermeintlich den Zusammenhalt von Familie, Gesellschaft und Nation bedrohen würde.

Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht die gleichgeschlechtliche Liebe oder die Non Gender Conforming Personality diese Abwehr hervorruft. All das ist in vielen Varianten integrativer Teil afrikanischer Kulturen, auch wenn dies heute von Vielen auf dem afrikanischen Kontinent verleugnet wird. (Übrigens eine Folge christlich/viktorianischer Kolonisierung …) Sondern der Wunsch, einen queeren Way of Life jenseits traditioneller Formen nach dem Vorbild westlicher Gesellschaften zu leben, ist der Punkt, der aufs Schärfste mit dem traditionellen Selbstverständnis kollidiert. An dieser Stelle kommt es zum Clash of Cultures.

Der Wunsch und das Bedürfnis von Menschen, nach westlicher Art auch ihre sexuelle und geschlechtliche Identität zu leben, ist eine Tatsache; und ihr Wunsch und Bedürfnis schafft ein Menschenrecht, dem sich die Gesellschaften des afrikanischen Kontinents endlich stellen müssen. Wer sich allerdings vom Westen aus der oben dargestellten Hintergründe nicht gewahr ist, wird in keinen konstruktiven und fruchtbaren Dialog eintreten können.

Wer also vom Westen aus menschenrechtliche Arbeit im Globalen Süden tun will, sollte sich dessen ebenso stets bewußt sein wie der geschichtlichen und gesellschaftlichen Relativität der eigenen Positionen.

Und nun zur eigentlichen Fragestellung: Können Selbsthilfeorganisationen der afrikanischen Diaspora den Dialog zwischen hiesigen Geber_Innen und afrikanischen LGBTIQs sowie gesellschaftlichen Repräsentantinn_en des afrikanischen Kontinents vermittelnd unterstützen

Selbsthilfeorganisationen der Diaspora im deutschsprachigen Raum/Clash of Cultures 1

Schon eine oberflächliche Google-Recherche ergibt für die Bundesrepublik etwa 250 Gruppen und Vereine der afrikanischen Diaspora. Ein Blick in ihre Satzungen zeigt unterschiedliche Ausrichtungen wie Pflege der eigenen Kultur und Zusammenhalt von Landsleuten, Unterstützung politischer Prozesse, Förderung der Interessen des Herkunftlandes/ der Herkunftsbevölkerung.

Eine von mir durchgeführte nicht repräsentative Umfrage sowohl unter Mitgliedern solcher Organisationen wie auch unter in Deutschland lebenden queeren Afrikanern hat ergeben, dass diese Gruppen für Themen und Menschen aus dem LGBTIQ Bereich nicht offen sind. Aus den Organisationen heraus kam in verkürzter Zuspitzung die Antwort, LGBTIQ-Belange seinen kein afrikanisches Thema. Von den queeren Menschen erfuhr ich, dass sie entweder diese Gruppen ganz meiden oder ihr Queersein dort und überhaupt in der Öffentlichkeit verbergen.

An dieser Stelle wiederholt sich also der gesellschaftliche Konflikt, der Clash of Cultures, der innerhalb des afrikanischen Kontinents zu Fragestellungen von Queersein und LGBTIQ Rechten herrscht.

Organisationen der afrikanischen Diaspora können also — zur Zeit zumindest — keine Vermittler im Dialog mit LGBTIQs Afrikas sein.

Selbsthilfeorganisationen Schwarzer Menschen und PoCs/ Clash of Cultures 2

Nun gibt es im deutschsprachigen Raum auch eine Reihe von Verbänden, die sich für die Interessen von hier lebenden Schwarzen Menschen und PoCs (die ich hier mit aufführe, weil auf dem afrikanischen Kontinent bekantlich nicht nur Schwarze Menschen leben) einsetzen. Und es gibt Selbsthilfeorganisationen, die sich für die Menschenrechte von Immigranten, und auch speziell die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung, einsetzen.

Ich habe mich also umgehört, wie es in diesen Organisationen mit der Wahrnehmung und Repräsentanz von LGBTIQs afrikanischer Herkünfte aussieht.

Die sicherlich wirkungsmächtigste Vereinigung Schwarzer Menschen in Deutschland ist die ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland), die bundesweit für die Rechte aller schwarzen Menschen im Lande eintritt und eine rassismusfreie Gesellschaft vehement einfordert. Innerhalb der ISD hat es eine sehr erfreuliche Entwicklung gegeben hin zu einem Bewußtsein für Mehrfachdiskriminierungen und einer Kultur des diskriminierungsfreien Umgangs miteinander, was ausdrücklich alle Formen queerer Lebensgestaltung einschließt. Auch nach außen hin vertritt die ISD diese Position.

Trotzdem gibt es zur Zeit noch zwei Wesenszüge der ISD, die sie nach meiner Wahrnehmung als Vermittler zu LGBTIQs und zu gesellschaftlichen Repräsentantinn_en des afrikanischen Kontinents ungeeignet machen: Zum einen gibt es innerhalb der ISD noch keine eigene queere Untergruppe und also auch keine öffentliche Wirkungsmacht. Daran scheint sich jedoch in nächster Zeit substantiell etwas zu ändern. Zum anderen, und das ist wesentlicher, gilt die ISD immer noch als vor allem von deutsch oder europäisch sozialisierten Schwarzen Menschen dominiert. Der Kontakt zu Schwarzen der 1. Immigrationsgeneration ist, vorsichtig ausgedrückt, schwierig. Und daraus folgt dann, dass die Expertise der ISD zur aktuellen Situation auf dem afrikanischen Kontinent oder zu Bedürfnissen einzelner Gruppen dort nicht über den allgemeinen Standard aufgeklärter kolonialismuskritischer Europäer hinausgeht.

Nun gibt es neben der ISD noch eine Reihe lokaler Organisationen, die Anlaufpunkte von queeren Immigranten sind oder sein könnten. Wie z. B. die von mir sehr geschätzten LesMigras hier in Berlin decken diese Gruppierungen aber nur Einzelaspekte der LGBTIQ relevanten Problematiken ab, arbeiten z. B. nur mit und für Frauen. Ein anderes Beispiel: Ich weiß von dem Versuch eines gemeinsamen schwulen Stammtisches von Afrodeutschen, Afroamerikanern und afrikastämmigen Immigranten der 1. Generation hier in Berlin vor einigen Jahren. Diese Gruppierung hat sich nach relativ kurzer Zeit wieder getrennt; es war auch hier zu einem Clash of Cultures gekommen, der sich nicht auflösen ließ.

Tatsächlich haben die von mir befragten queeren afrikanischen Menschen übereinstimmend von sich gesagt, sich als queere Schwarze Menschen auch in keiner deutschen Organisation, keinem deutschen Netzwerk bisher wiederzufinden.

Anlaufstellen und Netzwerke für queere Immigranten: Wohin kann sich ein queerer afrikanischer Mensch also wenden in Deutschland?

Nach meinem Wissen nur an Queeramnesty, die allerdings kein eigenes Netzwerk für afrikanische Menschen anbieten, von dem aus ihre Stimmen gehört werden könnten. Und Queeramnesty selber vertritt nach meiner Erfahrung leider zumeist ein gutmeinendes aber extrem eurozentrisches Weltbild und disqualifiziert sich so für eine Sprecher_Innenrolle für die genannten Menschen.

Es bleiben also nur einzelne marginalisierte queere Schwarze Menschen afrikanischer Herkunft, die einem Dialog zwischen westlichen Geber_Innen und afrikanischen LGBTIQ Menschenrechtlern sowie Repräsentantinn_en afrikanischer Gesellschaften vermittelnd beistehen könnten. Diese Menschen gibt es zur Genüge im Lande.

Jedoch scheuen viele von ihnen jeden öffentlichen Auftritt, der sie ihrer Anonymität als queere Menschen berauben könnte, sind viele durch die menschenrechtswidrigen Aufenthaltsbeschränkungen für Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert, sind Furcht vor den eigenen heteronoemativen Landsleuten und Misstrauen gegenüber weißen westlichen Menschen so hoch, dass eine Kontaktaufnahme abgelehnt wird.

Ich kann hier als mich wirklich traurig machendes Beispiel anführen, dass sich niemand von diesen Menschen aus den oben genannten Gründen bereit gefunden hat, an meiner Stelle auf dieser Tagung zu sprechen. Und deshalb erhalten Sie meine Standpunkte nun in schriftlicher Form …

Zusammenfassung und Konsequenzen

Nach meiner Wahrnehmung gibt es im Moment in Deutschland keine Selbsthilfeorganisation der afrikanischen Diaspora oder eine andere Vertretung Schwarzer Menschen oder PoCs, die als Vermittler im Dialog zwischen westlichen Gebern und LGBTIQ Menschenrechtlern sowie gesellschaftlichen Repräsentantinn_en des afrikanischen Kontinents dienen könnten.

Den westlichen Geber_Innen bleibt also nur der direkte Kontakt mit den Menschen auf dem afrikanischen Kontinent, wie schwierig auch immer der zur Zeit herzustellen ist.

Und den westlichen Geber_Innen bleibt als Aufgabe, sich intensiv mit den verschiedenen kulturellen Hintergründen afrikanischer Gesellschaften und afrikanischer LGBTIQs auseinanderzusetzen, damit ein fruchtbarer Dialog auf Augenhöhe und eine sinnvolle Menschenrechtsarbeit möglich werden kann.

Meine persönliche Konsequenz aus dem ober Ausgeführten ist, dass ich mich sowohl innerhalb meiner Organisation, der ISD, als auch außerhalb intensiv für die Errichtung und Pflege von Netzwerken Schwarzer und afrikanisch stämmiger LGBTIQs hier im Lande einsetzen werde. Und ich hoffe, in einigen Jahren an dieser Stelle ganz anderes berichten zu können.

Tsepo Andreas Bollwinkel Keele
Beirat der ISD

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