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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Sexuelle Identität und Gender. (K)Ein Thema in Schulbüchern?

Was in Schulbüchern steht, gilt als relevant

Kinder wachsen in Regenbogenfamilien auf. Seit über zehn Jahren gibt es das Lebenspartnerschaftsgesetz und in Berlin steht ein nationales Denkmal für die verfolgten Homosexuellen. In Schulbüchern ist dieses Wissen noch nicht angekommen.

Bericht von der Konferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), des Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) 2012 in Berlin.

Kinder wachsen in Regenbogenfamilien auf. Seit über zehn Jahren gibt es das Lebenspartnerschaftsgesetz und in Berlin steht ein nationales Denkmal für die verfolgten Homosexuellen. In Schulbüchern ist dieses Wissen noch nicht angekommen.

Das bestätigt die auf Initiative von Anne Jenter (GEW-Hauptvorstand) im Auftrag der GEW und mit Unterstützung der Max-Traeger-Stiftung herausgegebene Studie von Melanie Bittner „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in Schulbüchern“.

Ob Bücher für den Englisch- oder den Biologie-Unterricht: Homo- und Bisexualität entweder unsichtbar oder als Abweichung

In den untersuchten Englisch-Büchern gibt es keine schwulen, lesbischen oder bisexuellen Menschen. Mit den Biologie-Büchern ist es kaum besser: Immer wird die heterosexuelle Norm vermittelt, Homo- oder Bisexualität keineswegs als gleichwertig gezeigt. In den Geschichts-Büchern gibt es Erwähnungen von Bürgerrechts-Bewegungen, Emanzipation und Diskriminierung – allerdings nie mit Bezug auf LSBTI.

In Reden und Diskussionen kommentieren Expertinnen, Lehrende und politisch Aktive die Ergebnisse der Studie. Günter Dworek vom LSVD-Bundesvorstand betonte: „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten oft erfolgreich gegen die Haltung angekämpft ‚Homosexuelle gehören hier nicht herein‘, sei es beispielsweise beim Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus, sei es beim Zugang zum Standesamt.“ In diese Reihe der Ausgrenzung gehöre auch das Tabu, das sich in den Schulbüchern zeigt. Es sei Ausdruck eines informellen „Gesetz des Schweigens“ und müsse im Kontext anderer Sprech- und Schreibverbote gesehen werden.

Tabu in den Schulbüchern vs. Informations-Anspruch von Schüler*innen

Zu Recht empöre sich die demokratische Welt gegen Zensurgesetze, wie das Anti-Homosexuellengesetz etwa in St. Petersburg. Diese zielten darauf, öffentliches Darstellen von Homo- und Transsexualität zu verbieten. In der Erstellung und in der Genehmigung von Schulbüchern wirken unausgesprochen hierzulande oft noch ähnliche Mechanismen. „‘Das Gesetz des Schweigens‘ schneidet Informationen ab. Es ist undemokratisch, nicht nur gegenüber LSBTI, sondern auch hinsichtlich des Informations-Anspruchs aller Schülerinnen und Schüler.“

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die als Lehrerin einer sogenannten Brennpunkt-Schule in Frankfurt gearbeitet hat, sieht großen Handlungsbedarf. „Die Diskriminierung, die lesbische, schwule und transidente Jugendliche an deutschen Schulen erleiden, ist mit dem Fürsorgeauftrag von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nicht vereinbar“, betont sie in ihrer Rede, die auf der Konferenz – bedingt durch eine Erkrankung – von ihrem Sprecher Karl Moehl vorgetragen wurde. Die Erfahrung zeige, „dass die Thematisierung unterschiedlicher sexueller Identitäten gerade in Schulen oft auf Widerstände stößt. Nicht zuletzt ist es immer wieder der Jugendschutz, der als Argument dafür herhalten muss, die Rechte und die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft einzuschränken“.

Schulbuchverlage in der Pflicht, aber die blocken ab

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) begrüßt die Studie als ein „richtiges und wichtiges Signal auch an die Schulbuchverlage“. Schulbücher müssten realitätsnäher sein. Es sei die fundamentale Aufgabe aller Bildungs-Einrichtungen jeder Hierarchisierung, Diskriminierung und Klassifizierung von Menschen entgegenzutreten. Das gelte auch für seine Organisation: „Eine Bundeszentrale für politische Bildung hat ihren Namen nicht verdient, wenn sie nicht Geschlechter-Demokratie vermittelt und die Vorzüge der Diversität zum Ausdruck bringt.“

Auffallend finden die Veranstalter das mangelnde Interesse der Schulbuchverlage: Christina Schildmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung konnte trotz wiederholter Anfragen bei den Verlagen, deren Schulbücher von Bittner untersucht worden waren, niemanden dazu bewegen, im Kontext der Schulbuchtagung zu sprechen: „Ein Verlag aus Niedersachsen schrieb, sie hätten keine Person, die dafür zuständig sei.“

Zum Abschluss der Tagung rief Anne Jenter alle Akteure dazu auf, intensiver zu kooperieren: „Auf den Schulen und den Lehrenden liegt mehr und mehr Druck, ständig gibt es Evaluationen und Schulvergleiche, ob denn alle das Wichtigste gelernt haben. Das stärkt die Rolle des Schulbuchs und der staatlich legitimierten Materialien: Was da steht, ist relevant.

Die Konferenz hat gezeigt, es gibt strukturelle Defizite im Bildungsbereich und in der Verlagspolitik. Der LSVD und die GEW werden daher gezielt den Fachdiskurs mit den Verlagen suchen.

Renate Rampf
LSVD-Pressesprecherin

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