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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Brutale Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen in Tschetschenien

Was ist in Tschetschenien passiert?

Im April 2017 berichtete die russische Zeitung Nowaja Gaseta erstmals über eine brutale, staatlich organisierte Verfolgungswelle gegen Homosexuelle in der autonomen russischen Teilrepublik Tschetschenien.

Im April 2017 berichtete die russische Zeitung Nowaja Gaseta erstmals über eine brutale, staatlich organisierte Verfolgungswelle gegen Homosexuelle in der autonomen russischen Teilrepublik Tschetschenien. Danach wurden seit Februar 2017 drei schwule Männer ermordet, über 100 weitere Männer von staatlichen Milizen in Geheimgefängnisse verschleppt und dort gefoltert. Dem tschetschenischen Parlamentsvorsitzenden Magomed Daudow wird eine direkte Beteiligung vorgeworfen.

Kurz darauf wurden die Vorkommnisse auch von Human Rights Watch bestätigt. Aufgrund zunehmenden internationalen Drucks wurde die Verfolgung kurzzeitig eingestellt, inzwischen jedoch wieder aufgenommen. Im Fokus stehen auch Familienangehörige der Opfer.

Flucht und Ausreise sind die einzige Chance. Sowohl tschetschenische Sicherheitskräfte als auch zum Teil die eigenen Angehörigen, verfolgten die Geflohenen jedoch über die Grenzen Tschetscheniens.

Human Rights Watch sei zwar von einem ähnlich systematischen Vorgehen gegen andere Teile der LGBTI-Community bislang nichts bekannt, wisse aber von einigen Fällen von „Ehrenmorden“ an lesbischen und bisexuellen Frauen. Auch lägen ihnen drei Berichte über trans* Personen vor, die aus Angst, Opfer von solchen „Ehrenmorden“ zu werden, aus der Region geflohen sind.

Das Russian LGBT-Network hat nach eigenen Angaben bis Mitte Juli mehr als 60 Menschen aus Tschetschenien evakuiert, 27 befinden sich mittlerweile außerhalb von Russland. Über 120 Personen haben sich über die Notrufhotline des Netzwerkes an sie gewandt. Mittlerweile seien dem Netzwerk die Namen von sechs während der Verfolgung ermordeten Männer bekannt. Die Arbeit des Russian LGBT-Network muss finanziell unterstützt werden. Spenden können über die Homepage der ILGA Europa getätigt werden.

Laut Angaben des Auswärtigen Amtes hat Deutschland inzwischen mehrere humanitäre Visa für Betroffene ausgestellt. Die Botschaft in Moskau ist in Kontakt mit weiteren tschetschenischen Geflüchteten.

Was fordert der Lesben- und Schwulenverband (LSVD)?

Deutschland muss weiter hartnäckig auf Aufklärung der Morde, Bestrafung der Schuldigen und sofortiger Freilassung aller verschwundenen Männer bestehen. Für die Verletzung grundlegender Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie die auch von Russland unterzeichnete Antifolterkonvention müssen auch staatliche Milizen bestraft werden. Die Unabhängigkeit der mittlerweile eingeleiteten Ermittlungen der förderalen Staatsanwaltschaft in Russland muss gewährleistet sein.

Das LGBT Network hofft, Flüchtlinge ins Ausland vermitteln zu können. Denn diese sind auch in Russland nicht sicher. Daher sollte Deutschland ihnen die Aufnahme anbieten und die Visa-Vergabe lockern. Die deutsche Botschaft muss dementsprechend angewiesen werden.

Des Weiteren müssen diese schrecklichen Berichte Einfluss auf die Entscheidungen über laufende Asylverfahren haben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darf nach Kenntnis der derzeitigen Situation die Asylanträge lesbischer, schwuler, bisexueller und transgeschlechtlicher Tschetschenen nicht ablehnen. Eine Aufforderung, Schutz in anderen Teilen Russlands zu suchen, ist angesichts der dortigen Menschenrechtslage ebenfalls keine Alternative. Zu groß ist die Gefahr, dass die Familien den Wohnort erfahren, die Geflüchteten dort angreifen oder ermorden.

Unmittelbar nach den ersten Meldungen hat der LSVD Kanzlerin Merkel, Außenminister Gabriel, die Menschenrechtsbeauftragte Kofler sowie den Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses Zimmer gebeten, gegenüber der russischen Regierung aktiv zu werden. Merkel und Gabriel haben inzwischen auch öffentlich die Einhaltung der Menschenrechte von Homosexuellen angemahnt.

Wie sieht die generelle Menschenrechtslage in Tschetschenien aus?

Die Brutalität der Milizen des Präsidenten Kadyrow gehört zum Alltag in der russischen Teilrepublik. Sie bestimmen wer „vogelfrei“ ist. Ihnen werden schwere Menschenrechtsverletzungen, Entführungen, Folter und Morde von politischen Gegner*innen, kritischen Journalist*innen und als „unerwünscht“ geltende Gruppen vorgeworfen. Bestraft werden sie dafür nicht.

Ein offenes Leben ist für LSBT in Tschetschenien unmöglich. Menschen mit „nicht traditioneller sexueller Orientierung“ werden auch durch die Sicherheitsbehörden erpresst, eingeschüchtert und bedroht. In der Bevölkerung sind feindliche Einstellungen weit verbreitet. LSBT werden auch regelmäßig Opfer von Gewalt durch Familienangehörige bzw. auch von ihnen ermordet.

Cheda Saratowa, Mitglied im tschetschenischen „Rat für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und die Menschenrechte“, erklärte erst kürzlich, Homosexualität sei „das Böse, gegen das jeder Tschetschene kämpfen wird“. Die Intensität und Brutalität hat jedoch mit der Verfolgungswelle einen neuen dramatischen Höhepunkt erreicht.

Wie hat Tschetschenien auf die Berichte reagiert?

Präsident Kadyrow, staatliche Medien und weitere Offizielle tschetschenischer Behörden stritten entweder alles ab oder verharmlosten die Taten. Elena Milaschina und Irina Gordijenko, die beiden Journalistinnen der Noweja Gazeta, wurde bisweilen offen mit Gewalt gedroht.

So erklärte Regierungssprecher Alwi Karimow: „Man muss niemanden festnehmen oder unterdrücken, den es in unserer Republik gar nicht gibt.“ Präsident Kadyrow forderte die „korrupten, teuflischen“ Journalistinnen auf, „vor dem tschetschenischen Volk nieder[zu]knien, weil sie es beleidigt und gedemütigt“ hätten.

Inzwischen wird versucht die Ermittlungen zu erschweren, Überlebende und ihre Familien werden eingeschüchtert. Mittlerweile wurde die Verfolgung wieder aufgenommen.

Welche Reaktionen gab es in Russland?

Kurz nach den Enthüllungen erklärte Putin-Sprecher Dmitri Peskow, dass man die Berichte über Angriffe auf Homosexuelle in Tschetschenien überprüfen werde. Er sei jedoch „kein großer Spezialist in Sachen nichttraditioneller Orientierung“ und das Thema stehe auch nicht „auf der Agenda des Kreml“. Offizielle Bestätigungen der Vorkommnisse gibt es bislang nicht.

Präsident Putin hat jedoch Präsident Kadyrow Mitte April zum Gespräch nach Moskau eingeladen. Inzwischen wurden Ermittlungen aufgenommen, bislang jedoch keine Aussagen über den Ermittlungsstand veröffentlicht.

Quellen