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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Andere Rechtsgebiete - Teil I

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Adoption

  • Wird die Aufhebung der Volljährigenadoption abgelehnt, ist weder der Erbe des Antragstellers noch der Nachlasspfleger beschwerdebefugt.
         Die Aufhebung der Adoption eines Volljährigen aus wichtigem Grund kann nicht auf einseitigen Antrag des Annehmenden erfolgen.
         Ein Antrag auf Aufhebung einer Volljährigenadoption, der auf Erklärungsmängel gestützt wird, kann nur innerhalb der in § 1762 Abs. 2 BGB bestimmten Fristen gestellt werden.
    • OLG München, Beschl. v. 16.04.2007 - 31 Wx 102/06; OLG München, Beschl. v. 16.04.2007 - 31 Wx 102/06; FamRZ 2007, 743; BtPrax 2007, 81; ZErb 2007, 23; NJW-RR 2007, 1087; MDR 2007, 482; Rpfleger 2007, 467
  • Die Erteilung eines Visums zum Zwecke der Adoption eines Kindes aus einem Staat, der dem Haager Adoptionsübereinkommen nicht beigetreten ist, richtet sich nach § 6 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG.
         Wird zu diesem Zweck ein Einreisevisum beantragt, liegt ein "begründeter Fall" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich nur vor, wenn das im Adoptionsvermittlungsgesetz geregelte internationale Adoptionsvermittlungsverfahren vollständig durchgeführt worden ist und mit einer positiven Empfehlung der zuständigen Adoptionsvermittlungsstelle geendet hat.

Siehe im Übrigen den Abschnitt "Adoption" in der Rechtsprechungsliste "Lebenspartnerschaft"

Arbeitsrecht - Allgemein

--- Alkoholabhängigkeit

  • 1.     Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem schuldhaften Verhalten iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgegangen werden.
    2.     Im Falle eines Rückfalls nach einer erfolgreich durchgeführten Therapie wird die Multikausalität der Alkoholabhängigkeit sich häufig in den Ursachen eines Rückfalls widerspiegeln und deshalb ein schuldhaftes Verhalten im entgeltfortzahlungsrechtlichen Sinn nicht festzustellen sein. Da es jedoch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die in diesem Fall ein Verschulden iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG generell ausschließen, kann nur ein fachmedizinisches Gutachten genauen Aufschluss über die willentliche Herbeiführung des Rückfalls geben.

--- Fragen nach Behinderung

  • 1.      Die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft vor der geplanten unbefristeten Einstellung einer Frau verstößt regelmäßig gegen § 611a BGB.
    2.     Das gilt auch dann, wenn die Frau die vereinbarte Tätigkeit wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes zunächst nicht aufnehmen kann.
  • Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.
    • BAG, Urt. v. 16.2.2012 - 6 AZR 553/10; NJW 2012, 2058; NZA 2012, 555; ZTR 2012, 295; DB 2012, 1042; ZIP 2012, 1572; RDV 2012, 141; DuD 2012, 606; Behindertenrecht 2012, 129; MDR 2012, 920: Anm. Steffen Krieger, ArbR 2012, 116; Besprechung Peter Schrader, Jens Siebert, ArbR 2012, 157; Anm. Jessica Jacobi, ArbRB 2012, 136

--- HIV/AIDS

  • 1.     Kündigt der Arbeitgeber einem mit dem HIV-Virus infizierten Arbeitnehmer, der noch nicht den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 Abs 1 KSchG genießt, fristgerecht, so ist die Kündigung jedenfalls nicht sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitnehmer nach Kenntnis von der Infektion einen Selbsttötungsversuch unternommen hat, danach längere Zeit (hier: nahezu drei Monate) arbeitsunfähig krank war, dieser Zustand nach einem vor Ausspruch der Kündigung vorgelegten ärztlichen Attest "bis auf weiteres" fortbestehen sollte und diese Umstände für den Kündigungsentschluss jedenfalls mitbestimmend waren.
    2.     Eine unter solchen Umständen ausgesprochene Kündigung ist ferner nicht nach § 242 BGB treuwidrig und verstößt auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 GG und das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.
  • Ein Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, im laufenden Arbeitsverhältnis routinemäßigen Blutuntersuchungen zur Klärung, ob er alkohol- oder drogenabhängig ist, zuzustimmen.
  • 1.     Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.
    2.     Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.
    • BAG Urt. v. 19.12.2013, 6 AZR 190/12; NZA 2014, 372, m. Bespr. Jens Günther, Anna, Frey, 584; MDR 2014, 547; RuP 2014, 151; Anm. Jens Günther, ArbR 2014, 150; Aufs. Michael Fuhlrott, ArbR 2014, 307; Anm. Axel Groeger, ArbRB 2014, 67; Bespr. Nathalie Oberthür, ArbRB 2014, 212; Bespr. Tim Jesgarzewski, AA 2014, 57; Bespr. Tanja Hiebert, DB 2014, 1555; Anm. Volker Wagner, FA 2014, 109; Anm. Brigitte Glatzel, NZA-RR 2014, 290; Bespr. Sebastian Busch, AiB 2014, Nr 7/8, 29; Anm. Peter Klenter, AiB 2014, Nr 7/8, 69 
    • LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.01.2012 - 6 Sa 2159/11; NZA-RR 2012, 183
  • siehe auch HIV-Antikörpertest

--- Homosexualität

  • Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Im Rahmen einer solchen, einerseits die Grundrechte der Vertragsfreiheit (Kündigungsfreiheit) und andererseits die Rechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit konkretisierenden Generalklausel sind diese Rechte gegeneinander abzuwägen. Insofern ist es rechtsmißbräuchlich, wenn der Arbeitgeber unter Ausnutzung der Privatautonomie dem Arbeitnehmer nur wegen seines persönlichen Sexualverhaltens (Homosexualität) innerhalb der Probezeit kündigt.
    • BAG, Urt. v. 23.06.1994 - 2 AZR 617/93; BAG, BAGE 77, 128; NJW 1995, 275; NZA 1994, 1080; BB 1995, 204; DB 1994, 1380; SAE 1995, 103;  ArbuR 1995, 198; ARSt 1994, 231; AuA 1995, 178; MDR 1995, 180; DStR 1994, 1546; AIFO 1995, 79
  • 1.     Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß ein Arbeitnehmer, der Sexualpraktiken zugeneigt bzw solche privat praktiziert, die von der gesellschaftlichen Mehrheit abgelehnt werden, Distanzverletzungen bei der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten befürchten lässt.
    2.     Bekennt sich ein Arbeitnehmer; der als Krankenpfleger auf einer geschlossenen psychiatrischen Station arbeitet, in einer Fernsehtalkshow zu sadomasochistischen Sexualpraktiken, rechtfertigt dies allein eine personenbedingte Kündigung wegen mangelnder Eignung nicht.
    3.     Ein dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche angehörender Arbeitgeber kann sich auf eine Unvereinbarkeit eines Verhaltens des Arbeitnehmers mit dem diakonischen Auftrag jedenfalls dann nicht berufen, wenn er im Vorfeld der Kündigung ernsthaft erwogen hat, den Arbeitnehmer auf einer anderen Station als Krankenpfleger weiterzubeschäftigen.

--- Internationale Gerichte

ILO:

  • Einem verpartnerten Arbeitnehmer der internationalen Arbeitsorganisation stehen dieselben Vergünstigungen zu wie einem verheirateten Arbeitnehmer.
  • Einem nach dänischem Recht verpartnerten Arbeitnehmer der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) stehen dieselben Vergünstigungen zu wie einem verheirateten Arbeitnehmer.
  • siehe dazu Bruns, Manfred; Belau, Dirk:
    • Gleichstellung von verpartnerten Beamten mit ihren verheirateten Kollegen in Deutschland, in der EG und in den internationalen Organisation, NVwZ 2007, 552

Siehe außerdem:

EGMR: 

EUGH:
  • Ein Arbeitgeber ist nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, die Situation einer Person, die eine feste Beziehung mit einem Partner des gleichen Geschlechts unterhält, der Situation einer Person, die verheiratet ist oder die eine feste nichteheliche Beziehung mit einer Person des anderen Geschlechts unterhält, gleichzustellen.
    • EuGH, Urt. v. 17.02.1998 C-294/96 (Fall Grant); Slg. 1998, I - 621; NJW 1998, 969, mit Anm. Cirkel, 3332-3333; JZ 1998, 724, mit Anm. Giegerich, 726-730; NZA 1998, 301; BB 1998, 899; EuGRZ 1998, 140; ZFSH/SGB 1998, 294 
  • Der Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft schwedischen Rechts ist kein "verheirateter Beamter" i.S. des Statuts der Beamten der EG
    • EUGH, Urt. v. 31.05.2001 - C-122 und 125/99 P (Fall D und Schweden) - Schlussanträge; Slg. 2001, I-4319 ; EuGRZ 2001, 410; DVBl 2001, 1199; NVwZ 2001, 1259; FamRZ 2001, 1053; ZBR 2001, 403
      Hinweis: Die Entscheidung ist durch die Verordnung (EG, EGKS, Euratom) Nr. 781/98 des Rates v. 07.04.1998 zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften hinsichtlich der Gleichbehandlung, AmtsBl. L 113/4 v. 15.04.1998, überholt, siehe Rn 10 des Urteils).
  • 1.     Der Begriff „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist. Für die Frage, ob der Gesundheitszustand einer Person unter diesen Begriff fällt, kommt es nicht auf die Art der Maßnahmen an, die der Arbeitgeber ergreifen muss.
    2.     Art. 5 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass die Verkürzung der Arbeitszeit eine der in dieser Vorschrift genannten Vorkehrungsmaßnahmen darstellen kann. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob unter den Umständen der Ausgangsverfahren die Verkürzung der Arbeitszeit als Vorkehrungsmaßnahme eine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers darstellt.
    3.     Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung, nach der ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn der betroffene behinderte Arbeitnehmer innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war, entgegensteht, wenn diese Fehlzeiten darauf zurückzuführen sind, dass der Arbeitgeber nicht gemäß der Verpflichtung nach Art. 5 dieser Richtlinie, angemessene Vorkehrungen zu treffen, die geeigneten Maßnahmen ergriffen hat.
    4.     Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung, nach der ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn der betroffene behinderte Arbeitnehmer innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war, entgegensteht, wenn diese Fehlzeiten auf seine Behinderung zurückzuführen sind, es sei denn, diese Bestimmung verfolgt ein rechtmäßiges Ziel und geht nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinaus, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
    • EuGH (Zweite Kammer), Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11 und C-337/11 (Rs. HK Danmark) - Schlussanträge; NZA 2013, 553; RIW 2013, 467; ZBR 2013, 341; ZESAR 2013, 415, m. Anm. Christina Hießl, 423; RDV 2013, 196; Anm. Axel Groeger, ArbRB 2013, 135; Anm. Johannes Heuschmid, ArbuR 2013, 411; Anm. Monika Birnbaum, AuA 2013, 610; Besprechung Dirk Selzer, EuZA 2014, 95; Besprechung Thomas P. Stähler, ZFSH/SGB 2013, 465
  • Es ist hinzuzufügen, dass der Begriff „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78 so zu verstehen ist, dass er nicht nur die Unmöglichkeit erfasst, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, sondern auch eine Beeinträchtigung der Ausübung einer solchen Tätigkeit. Eine andere Auslegung wäre mit dem Ziel dieser Richtlinie unvereinbar, die insbesondere Menschen mit Behinderung Zugang zur Beschäftigung oder die Ausübung eines Berufs ermöglichen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil HK Danmark, Rn. 44).

--- Kopftuch

    EuGH:

  • 1.     Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.
    2.     Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Vorlage an den EuGH:
  • I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:
    1. Kann eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion im Sinn von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens nur dann angemessen sein, wenn nach dieser Regel das Tragen jeglicher sichtbarer und nicht nur das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verboten ist?
    2. Sofern die Frage zu 1. verneint wird:
    a) Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass die Rechte aus Art. 10 GRC und Art. 9 EMRK in der Prüfung berücksichtigt werden dürfen, ob eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens angemessen ist, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet?
    b) Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass nationale Regelungen von Verfassungsrang, die die Religionsfreiheit schützen, als günstigere Vorschriften im Sinn von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG in der Prüfung berücksichtigt werden dürfen, ob eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens angemessen ist, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet?
    3. Sofern die Fragen zu 2a) und 2b) verneint werden:
    Müssen nationale Regelungen von Verfassungsrang, die die Religionsfreiheit schützen, in der Prüfung einer Weisung aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet, wegen primären Unionsrechts unangewendet bleiben, auch wenn primäres Unionsrecht, wie zum Beispiel Art. 16 GRC, einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkennt?
    II. Das Revisionsverfahren wird bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Bundesverfassungsgericht:
  • 1.     Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.
    2.     Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.
    3.     Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden.
    4.     Werden äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos geschehen.
    • BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 - 1 BvR 471/10 und 1181/10; BVerfGE 138, 296; NJW 2015, 1359; JZ 2015, 666; DVBl 2015, 565; DÖV 2015, 471; NVwZ 2015, 884; ZTR 2015, 275; EuGRZ 2015, 181; KuR 2015, 105. Zu dieser Entscheidung sind viele Anmerkungen, Besprechungen und Aufsätze erschienen. Wir haben sie hier nicht mit aufgenommen.
  • Das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art 4 Abs 1, Abs 2 GG) gewährleistet auch den Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft die Freiheit, einem religiösen Bedeckungsgebot - etwa durch das Tragen eines Kopftuchs - zu genügen, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (vgl. für die öffentliche bekenntnisoffene Gemeinschaftsschule BVerfG, 27.01.2015, 1 BvR 471/10, BVerfGE 138, 296 <328 Rn 83>).

BAG:
  • Das Tragen eines - islamischen - Kopftuchs allein rechtfertigt regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen nach § 1 Abs 2 KSchG.
    • BAG, Urt. v. 10.10.2002 - 2 AZR 472/01; BAGE 103, 111; NJW 2003, 1685; NZA 2003, 483; DB 2003, 830; BB 2003, 1283; ZTR 2003, 351; RdA 2003, 240; SAE 2003, 331; GewArch 2003, 244; InfAuslR 2003, 355; ZEuP 2004, 399
  • 1.     Das Verbot religiöser Bekundungen in der Schule gem. § 57 Abs. 4, § 58 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen (juris: SchulG NW) erfasst auch das Tragen einer Haaransatz und Ohren vollständig bedeckenden Mütze durch eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens.
    2.     Das landesgesetzliche Bekundungsverbot verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
    • BAG, Urt. v. 20.08.2009 - 2 AZR 499/08; BAGE 132, 1; NZA 2010, 227; ZTR 2010, 205; MDR 2010, 394; KirchE 54, 94; Bspr. Wolfgang Lipinski, BB 2009, 2085; Aufs. Peter Conze, öAT 2010, 153; Anm. Stein, AP Nr 6 zu Art 4 GG ;Anm. Sascha Schewiola, ArbRB 2010, 38
  • Es verstößt gegen das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 SchulG NW, wenn eine Lehrerin ein Kopftuch trägt, weil sie dem von ihr als maßgeblich angesehenen Religionsbrauch folgen will.
          Die Regelung des § 57 Abs 4 SchulG NW verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
  • Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu einem zumindest neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.
    • BAG, Urt. v. 24.9.2014, 5 AZR 611/12; NZA 2014, 1407; ZTR 2015, 95; MDR 2015, 106; PflR 2015, 13, m. Anm. Robert Roßbruch, 26; Anm. Volker Wagner, FA 2015, 50; Bespr. Florian Marquardt, DB 2015, 381; Anm. Brigitte Glatzel, NZA-RR 2015, 293; Anm. Judith Brockmann, GesR 2015, 158; Anm. Susanne Paul, öAT 2015, 15; Anm. Cornelia Marquardt, ArbRB 2015, 4-5; Doris-Maria Schuster, ArbR 2015, 13

LAG:
  • 1.     Das „Berliner Neutralitätsgesetz“ (Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27.01.2005, GVBl. 2005, 92) muss im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) und vom 18.10.2016 (1 BvR 354/11) so ausgelegt werden, dass Bewerberinnen für den Grundschuldienst, die ankündigen, dass sie auch im Unterricht ein Kopftuch tragen wollen, nur abgelehnt werden dürfen, wenn dadurch der Schulfriede konkret gefährdet wird.
    2.     Wenn eine solche Bewerberin abgelehnt wird, obwohl der Schulfriede durch ihr Kopftuch nicht konkret gefährdet wird, kann sie nach dem AGG eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern verlangen. 
  • Das Verbot, während der Arbeitszeit aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen, stellt eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Absatz 2 AGG dar. Darüber hinaus beeinträchtigt das Kopftuchverbot die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 4 GG. Insofern hat eine Abwägung mit den sich aus Art. 12 und 2 GG ergebenden Grundrechten des Arbeitgebers zu erfolgen. Bei der Auslegung des § 106 GewO steht Gemeinschaftsrecht der Anwendung der Grundrechte nach dem Grundgesetz nicht entgegen.
  • 1.     Zur Bindungswirkung nach Art. 31 BVerfGG an die Entscheidung des BVerfG vom 27.01.2015 - 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 - BVerfGE 138, 296.
    2.     Ein Kopftuchverbot, wie § 2 VerfArt29G BE 2005 es vorsieht, kann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.v. § 8 AGG nur dann darstellen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden besteht.
    3.     Das Berliner Neutralitätsgesetz kann verfassungskonform ausgelegt werden (Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg vom 09.02.2017 - 14 Sa 1038/16.
  • 1.     Hat sich ein nichtchristlicher Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag nicht nur verpflichtet, sich gegenüber der Evangelischen Kirche loyal zu verhalten (§ 4 Abs 1 EvKiLoyRL), sondern darüber hinaus den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihr übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen (§ 4 Abs 4 EvKiLoyRL), ergibt sich daraus unmittelbar - als Mindestanforderung an die Aufgabenerfüllung im kirchlichen Dienst - eine Verpflichtung zu einem neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche.
    2.     Das Tragen eines Kopftuchs oder einer entsprechenden anderen Kopfbedeckung ist ein nach außen hin sichtbares Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit die Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit. Angesichts der von der Arbeitnehmerin ausgeübten Tätigkeit einer Krankenschwester ist dies mit der Verpflichtung zu neutralem Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.
    3.     Die der Arbeitnehmerin auferlegte Pflicht, das Tragen eines Kopftuchs oder einer vergleichbaren, ihren Glaubensgeboten entsprechenden Kopfbedeckung während der Arbeitszeit zu unterlassen, ist zur Gewährleistung des aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht resultierenden Neutralitätsgebots geeignet, erforderlich und angemessen.
    4.     § 9 Abs. 2 AGG ist europarechtskonform dahin auszulegen, dass die Religionsgemeinschaften sowie die ihnen zuzuordnenden Einrichtungen ein loyales und aufrichtiges Verhalten ihrer Arbeitnehmer insoweit verlangen können, als es sich nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung um eine wesentliche, rechtmäßige, gerechtfertigte und verhältnismäßige berufliche Anforderung angesichts ihres Ethos handelt.
    5.      Wird einer Krankenschwester auferlegt, sie dürfe den Dienst nicht mit einem islamischen Kopftuch versehen, erweist sich dies nach den vorgesehenen Umständen, unter denen die Tätigkeit auszuüben ist, als eine wesentliche, rechtmäßige, gerechtfertigte und verhältnismäßige berufliche Anforderung.

ArbG:
  • 1)     Trägt eine muslimische Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch, ist dies als Teil ihres religiösen Bekenntnisses und als Akt der Religionsausübung anzuerkennen.
    2)     Wird eine Bewerberin bereits vor dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens aus dem Kreis der in Betracht zu ziehenden Bewerberinnen ausgeschlossen, weil sie auf Nachfrage des potentiellen Vertragspartners angibt, das Kopftuch auch während der Arbeitszeit nicht ablegen zu wollen, wird die Bewerberin wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit diskriminiert.
    3)     Gesetzgeberische Intention des AGG ist es auch, dass sich die Subjekte der Vertragsfreiheit nicht von dem Gedanken leiten lassen mögen, der potentielle Vertragspartner zeige in Lebensfragen im Sinne von § 1 AGG eine Haltung, die von der Mehrheitshaltung abweicht.

VerwG:
  • Das mittels Auflage im Bescheid über die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst verfügte Verbot für eine muslimische Rechtsreferendarin, bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung im Rahmen ihrer praktischen Ausbildung in der Zivil- und Strafrechtsstation ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Bundes und des Freistaats Bayern keine (hinreichend bestimmte) gesetzliche Grundlage.
  • § 27 Abs. 1 JAG i.V.m. § 45 Abs. Satz 1, 2 HBG ist eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Dienstherrn, einer aus religiösen Gründen Kopftuch tragenden Rechtsreferendarin zu untersagen, mit Kopftuch im Gerichtssaal auf der Richterbank zu sitzen, Sitzungsleitungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen, Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft zu übernehmen oder während der Ausbildung in der Verwaltungsstation einen Anhörungsausschuss zu leiten.
  • Der Dienstherr darf den Antrag einer Beamtin, ein islamisches Kopftuch während des Dienstes tragen zu dürfen, gestützt auf die beamtenrechtliche Neutralitätspflicht nicht allein deswegen ablehnen, weil die Beamtin in einem Aufgabenbereich mit Publikumsverkehr tätig ist. Dies stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beamtin dar. Es bedarf zur Rechtfertigung dieses Eingriffs einer konkreten Gefahr für die staatliche Neutralität oder für die Grundrechte Dritter.

--- sexuelle Belästigung

  • Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es nicht an.
  • Eine begangene sexuelle Belästigung macht die Weiterbeschäftigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht per se kraft Gesetzes unzumutbar.
         Auch bei nur verbalen sexuellen Belästigungen durch einen langjährig beschäftigten männlichen Arbeitnehmer kann eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung verhältnismäßig sein (Abgrenzung zu ArbG Kaiserslautern vom 27.03.2008 - 2 Ca 1784/07).
  • 1.     Die sexuelle Belästigung eines Arbeitskollegen kann einen wichtigen Grund "an sich" für eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen. Maßgeblich sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls kann auch eine Abmahnung als Reaktion auf eine solche Pflichtwidrigkeit ausreichen, so dass sich eine Kündigung als unverhältnismäßig erweist.
    2.     § 15 AGG verdrängt § 10 KScHG nicht.
    3.     Zur Bemessung einer Abfindung nach § 10 KSchG.

--- Vorstrafen

  • Der Arbeitgeber darf den Bewerber bei der Einstellung nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert (st. Rspr. seit BAGE 5, 159, 163).
         Bei der Prüfung der Eignung des Bewerbers für die geschuldete Tätigkeit (hier: Einstellung in den Polizeivollzugsdienst) kann es je nach den Umständen zulässig sein, dass der Arbeitgeber den Bewerber auch nach laufenden Ermittlungsverfahren fragt bzw. verpflichtet, während eines längeren Bewerbungsverfahrens anhängig werdende einschlägige Ermittlungsverfahren nachträglich mitzuteilen.
         Die wahrheitswidrige Beantwortung einer danach zulässigen Frage nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren bzw. die pflichtwidrige Unterlassung der nachträglichen Mitteilung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen unter den Voraussetzungen der §§ 123, 124 BGB die Anfechtung des Arbeitsvertrags.
    • BAG, Urt. v. 20.05.1999 - 2 AZR 320/98; BAGE 91, 349; NJW 1999, 3653; NZA 1999, 975; ZTR 1999, 523; PersV 2000, 128;  AiB 2000, 220; BB 1999, 2249; DB 1999, 1859; RDV 2000, 23; MDR 1999, 1274
    • BAG; Urt. 06.09.2012 - 2 AZR 270/11; NJW 2013, 1115
  • An der Informationsbeschaffung durch die unspezifizierte Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren an den Stellenbewerber besteht grundsätzlich kein berechtigtes Interesse des potenziellen Arbeitgebers. Eine solche Frage ist damit im Regelfall nicht erforderlich iSv. § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW. Das ergibt sich aus den Wertentscheidungen des § 53 BZRG. 
         Eine allein auf die wahrheitswidrige Beantwortung einer solchen Frage gestützte Kündigung verstößt deshalb gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie im Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, und ist nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.
    • BAG, Urt. v. 15.11.2012 - 6 AZR 339/11; BAGE 143, 343; NZA 2013, 429; ZTR 2013, 204; DVP 2013, 264, m. Anm Jürgen Vahle, 264; PersR 2013, 166; RDV 2013, 152; DuD 2013, 543; ZD 2013, 235, m. Anm. Tim Wybitul, ZD 2013, 238; MDR 2013, 413; Aufs. Roland Ismer, Klaus Meßerschmidt, Stefanie Baur, DÖV 2014, 594; Anm Tim Jesgarzewski, AA 2013, 10; Anm. Marin Diller, ArbR 2013, 158; Anm. Cornelia Marquardt, ArbRB 2013, 69; Anm. Feyzan Ünsal, AuA 2013, 436; Anm. Volker Wagner, FA 2013, 140; Anm. Jörg Bredemeier, öAT 2013, 86
  • Verurteilungen, die im Bundeszentralregister getilgt sind, braucht ein Stellenbewerber auf die pauschale Frage nach dem Vorliegen von Vorstrafen auch dann nicht anzugeben, wenn er sich um eine Stelle im Justizvollzugsdienst bewirbt.

--- Wettbewerbsverbot

  • Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung enthält, ist kraft Gesetzes nichtig. Eine salvatorische Klausel ist nicht geeignet, diese Folge zu beseitigen oder zu heilen.
    • BAG, Urt. v. 22.03.2017 - 10 AZR 448/15; NJW 2017, 2363; NZA 2017, 845; DB 2017, 1658; BB 2017, 1981, m. Anm. Christian Ley, 1984; ZIP 2017, 1387; MDR 2017, 953; DZWIR 2017, 380; Anm. Axel Braun, ArbRB 2017, 232, und Birger Baumgarten, 329; Anm. Herbert Hertzfeld, EWiR 2017, 573  

--- Zeugnis

BAG:

  • Soweit für eine Berufsgruppe oder in einer Branche der allgemeine Brauch besteht, bestimmte Leistungen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers im Zeugnis zu erwähnen, ist deren Auslassung regelmäßig ein (versteckter) Hinweis für den Zeugnisleser, der Arbeitnehmer sei in diesem Merkmal unterdurchschnittlich oder allenfalls durchschnittlich zu bewerten (beredtes Schweigen). Der Arbeitnehmer hat dann Anspruch darauf, dass ihm ein ergänztes Zeugnis erteilt wird. Dies gebieten die Grundsätze von Zeugnisklarheit und Zeugniswahrheit.
  • Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in einem Zeugnis: "Wir haben Herrn K. als sehr interessierten und hochmotivierten Mitarbeiter kennen gelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbereitschaft zeigte", handelt es sich nicht um eine dem Gebot der Zeugnisklarheit widersprechende verschlüsselte Formulierung (Geheimcode). Mit der Wendung "kennen gelernt" bringt der Arbeitgeber nicht zum Ausdruck, dass die im Zusammenhang angeführten Eigenschaften tatsächlich nicht vorliegen.
    • BAG, Urt. v. 15.11.2011, 9 AZR 386/10; NJW 2012, 1754; NZA 2012, 448; DB 2012, 636; MDR 2012, 657; Anm. Jobst-Hubertus Bauer, ArbR 2011, 663; Anm. Sascha Schewiola, ArbRB 2012, 104; Anm. Volker Wagner, FA 2012, 143; Anm. Edith Linnartz, StBW 2012, 238
  • 1.     Aussagen über persönliche Empfindungen des Arbeitgebers in einer Schlussformel, zB Dank für die Zusammenarbeit, gehören nicht zum erforderlichen Inhalt eines Arbeitszeugnisses.
    2.     Ist der Arbeitnehmer mit einer vom Arbeitgeber in das Zeugnis aufgenommenen Schlussformel nicht einverstanden, hat er keinen Anspruch auf Ergänzung oder Umformulierung der Schlussformel, sondern nur Anspruch auf die Erteilung eines Zeugnisses ohne Schlussformel.
  • Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis unter Verwendung der Zufriedenheitsskala, die ihm übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erfüllt zu haben, erteilt er in Anlehnung an das Schulnotensystem die Note "befriedigend". Beansprucht der Arbeitnehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute ("stets zur vollen Zufriedenheit") oder sehr gute ("stets zur vollsten Zufriedenheit") Endnoten vergeben werden.
    • BAG, Urt. v. 18.11.2014 - 9 AZR 584/13; BAGE 150, 66; NJW 2015, 1128: NZA 2015, 435: ZTR 2015, 284: DB 2015, 868, m. Aufs. Marc Ecklebe, 923; MDR 2015, 599: ArztR 2015, 180; Tim Jesgarzewski, BB 2015, 1216; Aufsatz Armin Rudolf, AA 2015, 33; Anm. Herbert Grimberg, AiB 2015, Nr 6, 58: Anm. Arnulf Weuster, Jörg-Andreas Weber, AP Nr 5 zu § 109 GewO: Anm. Jobst-Hubertus Bauer, ArbR 2014, 615; Anm. Sascha Schewiola, ArbRB 2014, 360; Aufs. Günter Schmitt-Rolfes, AuA 2015, 71, u. Kerstin Hennes, AuA 2015, 244; Anm. Volker Wagner, FA 2015, 146 
  • Das Zeugnis muss in erster Linie wahr sein. Als Bewerbungsunterlage des Arbeitnehmers und Entscheidungsgrundlage für die Personalauswahl künftiger Arbeitgeber muss das Zeugnis inhaltlich wahr und zugleich von verständigem Wohlwollen gegenüber dem Arbeitnehmer getragen sein. Es darf dessen weiteres Fortkommen nicht unnötig erschweren (BAG 20. Februar 2001 - 9 AZR 44/00 - Rn. 17, BAGE 97, 57). Die Wahrheitspflicht umfasst alle Fragen des Zeugnisrechts und damit den gesamten Inhalt eines Zeugnisses. Zwar soll ein Zeugnis das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschweren. Es kann aber nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein (BAG 9. September 1992 - 5 AZR 509/91 - zu III der Gründe).
  • 1.     Verlangt ein Arbeitnehmer nicht nur ein einfaches oder qualifiziertes Zeugnis, sondern außerdem auch einen bestimmten Zeugnisinhalt, so hat er im Klageantrag genau zu bezeichnen, was das Zeugnis in welcher Form enthalten soll (BAG 14. März 2000 - 9 AZR 246/99 - zu II 2 der Gründe). Denn nur wenn der Entscheidungsausspruch bereits eine hinreichend klare Zeugnisformulierung enthält, wird verhindert, dass sich der Streit über den Inhalt des Zeugnisses vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren verlagert (in diesem Sinne BAG 14. März 2000 - 9 AZR 246/99 - aaO). Aufgabe des Vollstreckungsgerichts ist es zu klären, ob der Vollstreckungsschuldner seiner festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber, worin diese besteht (vgl. BAG 9. September 2011 - 3 AZB 35/11 - Rn. 13). Diese Erwägungen fußen letztlich auf dem Rechtsstaatsprinzip. Dieses verlangt, dass für den Schuldner erkennbar sein muss, in welchen Fällen er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat (vgl. BAG 9. September 2011 - 3 AZB 35/11 - Rn. 14).
    2.     In Anwendung dieser Grundsätze geht die herrschende Meinung zu Recht davon aus, dass ein Vollstreckungstitel, der den Arbeitgeber zur Erteilung eines Zeugnisses verpflichtet, dessen Inhalt einer bestimmten Notenstufe entspricht, nicht den zwangsvollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt.
    3.     Anders als bei der Verpflichtung, ein Zeugnis gemäß einem Entwurf des Arbeitnehmers zu erteilen (vgl. hierzu BAG 9. September 2011 - 3 AZB 35/11 - Rn. 15 ff.; LAG Hamm 14. November 2016 - 12 Ta 475/16 - zu II 2 b bb der Gründe), lässt die Vereinbarung einer bestimmten Notenstufe dem Arbeitgeber einen derart weiten Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Auswahl und Gewichtung einzelner Gesichtspunkte, des Umfangs des Zeugnistextes sowie der Formulierung der Leistungs- und Führungsbeurteilung, dass von einem konkreten Leistungsbefehl, der die Grundlage einer mit staatlichen Zwangsmitteln zu vollziehenden Vollstreckung bildet, nicht die Rede sein kann. 

andere Arbeitsgerichte:
  • 1.     Der Arbeitgeber ist zwar bei der Ausstellung des Zeugnisses grundsätzlich in seiner Ausdrucksweise frei, muß sich aber - auch wenn er vom Beruf her kein Germanist ist - der in der Praxis allgemein angewandten Zeugnissprache bedienen und bei der Beurteilung des Arbeitnehmers den nach der Verkehrssitte üblichen Maßstab anlegen. Er hat auch die gebräuchliche Gliederung eines qualifizierten Zeugnisses zu beachten, denn diese ist inzwischen weitgehend standardisiert.
    2.     Mit "Führung" ist ein zusammenfassendes Urteil über die Eigenschaften und das gesamte dienstliche Verhalten des Arbeitnehmers, also um das betriebliche Zusammenwirken, nämlich sein Verhalten zu Vorgesetzten, gleichgeordneten Arbeitskollegen, nachgeordneten Mitarbeitern, aber auch gegenüber Kunden gemeint. Es ist wichtig, daß alle Verhaltensrichtungen beurteilt werden, da Auslassungen - bspw Nichterwähnung einer Gruppe - Rückschlüsse auf Verhaltens-, Anpassungs-, Kontakt- oder Führungsschwierigkeiten zulassen. In der Zeugnissprache spricht man von einem "beredetem Schweigen".
    3.     Ein Zeugnis darf nicht in sich widersprüchlich sein und mit Hilfe von Widersprüchen darf auch keine Herabsetzung der Verhaltensbeurteilung erfolgen. Dies gilt vor allem bei der Verwendung von "verschlüsselte" oder "doppelbödigen" Zeugnisformulierungen, bei denen es sich um ständig wiederkehrende floskelhafte Sätze handelt, die wohlwollender klingen, als sie gemeint sind. Es ist der Verdienst der Sprachwissenschaft, eine Reihe "beschönigender" Zeugnisformulierungen ("Zeugniscode") nebst Übersetzung veröffentlicht und ausgewertet zu haben, bei denen vielfach Lob in Wahrheit Kritik bedeutet, wie einige vergleichbare Beispiele zeigen mögen:
           Formulierung: Er verfügt über Fachwissen und hat ein gesundes Selbstvertrauen. Bedeutung: Er klopft große Sprüche, um mangelndes Fachwissen zu überspielen.
           Formulierung: Er war sehr tüchtig und wußte sich gut zu verkaufen. Bedeutung: Er war ein unangenehmer Zeitgenosse und Wichtigtuer, dem es an Kooperationsbereitschaft fehlte.
           Formulierung: Sie ist eine anspruchsvolle und kritische Mitarbeiterin. Bedeutung: Sie war eigensüchtig, pocht anderen gegenüber auf ihre Rechte und nörgelt gerne.
           Formulierung: Wir lernten sie als umgängliche Kollegin kennen. Bedeutung: Viele Mitarbeiter sahen sie lieber von hinten als von vorn.
           Formulierung: Im Kollegenkreis galt er als toleranter Mitarbeiter. Bedeutung: Für Vorgesetzte war er ein schwerer Brocken.
    4.     Auf der gleichen Ebene liegen die vorliegend gewählten Formulierungen: "Sie war sehr tüchtig und in der Lage, ihre eigene Meinung zu vertreten." Im Klartext heißt das: "Sie hat eine hohe Meinung von sich und vermag hiervon ausgehend sachliche Kritik nicht zu akzeptieren." Solche "doppelbödigen" Zeugnisformulierungen sind ersatzlos zu streichen, denn das Zeugnis darf nicht mit Merkmalen (Geheimzeichen) oder mit geheimen bzw verschlüsselten Kennzeichen oder Formulierungen versehen werden, welche den Zweck haben, den Arbeitnehmer in einer aus dem Wortlaut des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu charakterisieren. Hierbei handelt es sich um einen in § 113 Abs 3 GewO zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz des Zeugnisrechts.
  • Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf die Aufnahme einer Dankes- und Zukunftsformel, wenn die ihm zustehende Leistungs- und Verhaltensbewertung über ein "befriedigend" signifikant hinausgeht. In dieser Konstellation stellt das Fehlen einer Schlussformulierung eine unzulässige Abwertung der Beurteilung dar.
  • Ein Zeugnis ist am Ende des Arbeitsverhältnisses im Betrieb abzuholen, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände dieses unzumutbar machen. Wer ohne Abholversuch ein Zeugnis einklagt, hat deshalb in aller Regel die Kosten zu tragen.
  • Zu den an die Erfüllung eines jeden Anspruchs auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses zu stellenden, aus § 109 GewO abzuleitenden, Anforderungen gehört u. a.
    • dass bei einem zur Zeugniserteilung verwendeten Geschäftsbogen das Adressfeld nicht ausgefüllt sein darf, um eventuelle Hinweise auf einen vorherigen Streit der Parteien zu vermeiden
    • dass das Zeugnis frei von Rechtschreibfehlern ist, denn im Zeitalter des PC mit Rechtschreibkontrolle lassen diese eher vermuten, der Aussteller distanziere sich vom Inhalt des Zeugnisses, als dass sie lediglich eine Rechtschreibschwäche des Ausstellers offenbaren.
    • LArbG Hessen, Urt. v. 21.10.2014 - 12 Ta 375/14
  • 1.     Es ist möglich, in einem Vergleich bestimmte Vorgaben an ein zu erteilendes Arbeitszeugnis festzulegen. Die Erfüllung dieser Vorgaben kann im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn die fragliche Verpflichtung in anderen Teilen nicht dem Bestimmtheitserfordernis genügt.
    2.     Die Erteilung eines Arbeitszeugnisses unterliegt der gesetzlichen Schriftform. Die Unterschrift muss in der Weise erfolgen, wie der Unterzeichner auch sonst wichtige betriebliche Dokumente unterzeichnet. Weicht der Namenszug hiervon ab, liegt lediglich ein Handzeichen vor, das nach § 126 Abs. 1 BGB der notariellen Beglaubigung oder nach § 129 Abs. 2 BGB der notariellen Beurkundung bedarf. Es bleibt offen, ob Arbeitszeugnisse unter diesen Voraussetzungen wirksam mit einem Handzeichen unterzeichnet werden können.
    3.     Eine quer zum Zeugnistext verlaufende Unterschrift begründet regelmäßig Zweifel an dessen Ernsthaftigkeit und verstößt damit gegen § 109 Abs. 2 Satz 2 GewO. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Zwecksetzung des Unterzeichnenden an.

--- Sonstiges

  • Eine betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn die im Betriebsrentengesetz abschließend aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sind: Der Arbeitgeber muss die Zusage aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses erteilen. Die Leistungspflicht muss nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz genanntes biologisches Ereignis (Alter, Invalidität oder Tod) ausgelöst werden. Die zugesagte Leistung muss einem Versorgungszweck dienen. 
         Unter einer „Versorgung“ sind alle Leistungen zu verstehen, die den Lebensstandard des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Versorgungsfall, wenn auch nur zeitweilig, verbessern sollen. Auf die Bezeichnung der Leistung und sonstige Formalien kommt es nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, aus welchen Gründen und aus welchem Anlass die Versorgungsleistung versprochen wurde.
         Wird im Zuge einer Umstrukturierung der betrieblichen Altersversorgung die feste Altersgrenze von 65 Jahren auf 60 Jahre abgesenkt und ist zum Ausgleich in einer besonderen Richtlinie ab Eintritt in den Ruhestand bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Zahlung sog. "Übergangsbezüge" vorgesehen, die bei einem Ausscheiden vor Vollendung des 60. Lebensjahres entfallen soll, umfasst die unverfallbare Versorgungsanwartschaft (§ 1b BetrAVG) auch die "Übergangsbezüge", weil sie erst bei Eintritt in den Ruhestand gezahlt werden sollen. Die Verfallklausel ist deshalb nichtig (§ 17 Abs. 3 BetrAVG, § 134 BGB).

  • Eine Betriebsvereinbarung, die das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter verletzt, ist unwirksam und darf nicht angewandt werden.
         Das zulässige Ausmaß einer Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit der Mitarbeiter bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die jeweilige Regelung muss geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen.
         Mitarbeiterinnen darf nicht vorgeschrieben werden, die Fingernägel nur einfarbig zu tragen, und von männlichen Mitarbeitern darf nicht verlangt werden, bei Haarfärbungen nur natürlich wirkende Farben zu verwenden, und ihnen darf das Tragen von künstlichen Haaren oder Einflechtungen nicht verboten werden.
  • 1.     Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 01.01.2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist deshalb – jedenfalls dann – insgesamt unwirksam ist, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde.
    2.     Die Klausel kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). 

Arbeitsrecht - Kirchliche Mitarbeiter

ERMR:

  • Bei der Kündigung von Kirchenangestellten wegen Ehebruchs müssen die Kirchen zwischen den Rechten beider Parteien abwägen und die Art der Tätigkeit berücksichtigen (Nähe zum Verkündigungsauftrag)
    • EGMR (5. Sektion), Urt. v. 23.09.2010 - 425/03 (Fall  Obst v. Deutschland) - deutsche Version; NZA 2011, 277; EuGRZ 2010, 571; ZevKR 56, 82; Aufsatz Isabella Risini u. Benjamin Böhm, DVBl 2011, 878; Anm. Lothar Beseler, AA 2010, 211; Besprechung Ulrich Hammer, ArbuR 2011, 278; Besprechung Udo R Mayer, dbr 2010, Nr 12, 19-21
    • EGMR (5. Sektion), Urt. 23.09.2010 - 1620/03 (Fall Schüth v. Deutschland) - deutsche Version; NZA 2011/279; EuGRZ 2010, 560; ArbuR 2011, 307; ZevKR 56, 195; AfkKR 179, 61; Anm. Angela Emmert, ArbR 2010, 551; Anm. Lothar Beseler, AA 2010, 211; Besprechung Ulrich Hammer, ArbuR 2011, 278; Anm. Elisabeth Kotthaus, ArbRB 2010, 294; Besprechung Udo R Mayer, dbr 2010, Nr 12, 19-21
    • Vorinstanzen zum Urteil Schüth:
    • BAG, Urt. v. 08.09.2011 - 2 AZR 543/10; NJW 2012, 1099; NZA 2012, 443; DB 2012, 690; ZTR 2012, 233; ZMV 2012, 112, m. Anm. Detlev Fey, ZMV 2011, 274; Aufsatz Joachim Trebeck, Astrid Weber, ArbR 2012, 29, 83; Anm. Axel Groeger, ArbRB 2012, 73
    • LAG Düsseldorf, Urt. v. 01.07.2010 - 5 Sa 996/09; MedR 2011, 169
    • Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2011 durch Beschluss vom vom 22.10.2014 aufgehoben (siehe unten). Daraufhin hat das BAG die Sache dem EuGH vorgelegt. Der hat dem BAG Recht gegeben (siehe unten).

__________
  • Die Kündigung einer bei der evangelischen Kirche angestellten Kindergärtnerin wegen Mitgliedschaft in anderer Religionsgemeinschaft ist gerechtfertigt, wenn die Kündigung notwendig ist, um die Glaubwürdigkeit der Kirche zu wahren, und wenn dieser Gesichtspunkt schwerer wiegt als das Intersse der Kindergärtnerin, ihre Stelle zu behalten. Dabei fällt auch die relativ kurze Betriebszugehörigkeit der Kindergärtnerin ins Gewicht.
    • EGMR (Fünfte Kammer), Urt. v. 03.02.2011 - 18136/02 - (Fall Siebenhaar vs. Deutschland) - deutsche Version; NZA 2012, 199, m. Aufs. Martin Plum, NZA 2011, 1194;Aufsatz Hermann Reichold, EuZA 2011, 320; Aufs. Martin Reufels, Karl Molle, KSzW 2012, 3;  Anm. Elisabeth Kotthaus, ArbRB 2011, 66
  • Die Kirchen haben das Recht, die Dienstverhältnisse ihrer Geistlichen ausschließlich durch kirchliches Recht zu regeln.
         Es ist nicht zu beanstanden, dass die staatlichen Gerichte nur überprüfen dürfen, ob die Entscheidungen der Kirchen mit den Grundsätzen der Rechtsordnung, wie dem Willkürverbot, den guten Sitten oder der öffentlichen Ordnung, vereinbar sind.
  • 1.     Einschränkungen des Berufslebens können in den Anwendungsbereich des Art 8 MRK fallen, wenn sie Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie die betroffene Person ihre soziale Identität durch die Entwicklung von Beziehungen zu anderen gestaltet. Dies gilt auch für die Verweigerung der Verlängerung eines Arbeitsvertrags.
    2.     Einen Eingriff in Art 8 MRK stellt auch das Verhalten einer Behörde dar, die eine Beendigungsentscheidung als Arbeitgeberin umsetzt, auch wenn sie die Entscheidung über die Beendigung eines Dienstverhältnisses selbst nicht getroffen hat.
    3.     Beim Entzug einer kirchlichen Lehrerlaubnis eines staatlich angestellten Religionslehrers sind das Recht auf Achtung des Privatlebens gegen das Recht der Kirche auf Religionsfreiheit und auf Wahrung ihrer Autonomie bei der Wahl der Personen, die ihre Doktrin unterrichten dürfen, abzuwägen.
    4.     Angesichts der erhöhten Loyalitätspflicht von Personen, die Religion unterrichten, ist es nicht unverhältnismäßig, ihnen die Lehrbefugnis zu entziehen, wenn sie öffentlich den Regeln dieser Religionsgemeinschaft widersprechen und ihren mit diesen unvereinbaren Lebensstil propagieren.

EuGH:
  • 1.     Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist in Verbindung mit deren Art. 9 und 10 sowie mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass für den Fall, dass eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend macht, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, ein solches Vorbringen gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss, damit sichergestellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.
    2.     Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass es sich bei der dort genannten wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung um eine Anforderung handelt, die notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist und keine sachfremden Erwägungen ohne Bezug zu diesem Ethos oder dem Recht dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie umfassen darf. Die Anforderung muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.
    3.     Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den Art. 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt.
  • Folgeentscheidung des BAG
  • 1.     § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG, wonach ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, ist mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar und muss unangewendet bleiben.
    2.     § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
  • 1.     Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass
          zum einen eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete Klinik betreibt, nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, ohne dass dieser Beschluss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann, damit sichergestellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie genannten Kriterien erfüllt sind, und
    –     zum anderen bei Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne des genannten Ethos eine Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit nur dann mit der Richtlinie im Einklang steht, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
    2.    Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts wie insbesondere dem nunmehr in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der sich daraus ergebenden Rechte zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt.
  • Folgeentscheidung des BAG
  • § 9 Abs. 2 AGG ist aufgrund von unionsrechtlichen Vorgaben dahin auszulegen, dass eine der Kirche zugeordnete Einrichtung nicht das Recht hat, bei einem Verlangen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, wenn nicht die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

BVerfG:
Hinweis: Die nachfolgenden Entscheidungen des BVerfG sind durch die vorstehende Entscheidung des EuGH vom 17.04.2018 und vom 11.09.2018 überholt.
  • Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gewährleistet den Kirchen, darüber zu befinden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Die Kirchen können sich dabei auch der Privatautonomie bedienen, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen und zu regeln. Auf dieses findet das staatliche Arbeitsrecht Anwendung; hierbei bleibt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wesentlich. Das ermöglicht den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu machen.     
         Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflußt sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter Kirchengliedern oder etwa gar einzelner bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an.     
         Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubenslehre und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist.     
         Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit.     
         Liegt eine Verletzung von Loyalitätspflichten vor, so ist die weitere Frage, ob sie eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften des § 1 KSchG, § 626 BGB zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz im Sinne der Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungen.
  • 1.     Soweit sich die Schutzbereiche der Glaubensfreiheit und der inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung überlagern, geht Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (sog. Schrankenspezialität). Bei der Anwendung des für alle geltenden Gesetzes durch die staatlichen Gerichte ist bei Ausgleich gegenläufiger Interessen aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.
    2.     Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen. Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt.
    3.     Die staatlichen Gerichte haben im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt. Sie haben sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“ eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die - im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen - kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind dabei jeweils in möglichst hohem Maße zu verwirklichen.
    • BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 - 2 BvR 661/12; BVerfGE 137, 273; NZA 2014, 1387, u. Anm. Andrea Edenharter, NZA 2014, 1378; JZ 2015, 188, m. Anm. Claus Dieter Classen, 199, und Stephan Rixen, 202; ZTR 2015, 34; DÖV 2015, 240; GesR 2015, 38; EuGRZ 2014, 698; MedR 2015, 339; ZMV 2015, 43,. m. Bespr. Renate Oxenknecht-Witzsch, 8, u. Anm. Detlev Fey, ZMV 2014, 345; KuR 2014, 235, m. Aufs. Felix Hammer, 145; Aufs. Georg Neureither, NVwZ 2015, 493; Anm. Axel Groeger, ArbRB 2014, 359; Anm. Elena Wilke, ArbR 2014, 614, Bespr. Joachim Trebeck, ArbR 2015, 92; Bespr. Georg Neureither, NVwZ 2015, 493; Anm. Martin Ruhkamp, ArztR 2015, 65; Bespr. Gregor Thüsing, ZAT 2014, 193 und Christoph Schmitz-Scholemann, ZAT 2015, 43

BAG:
  • Die unmittelbare Benachteiligung wegen eines vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpönten Merkmals muss in vergleichbarer Situation geschehen. Ist der „Beschäftigte“ erst Bewerber, so muss seine Bewerbung mit der anderer Bewerber vergleichbar sein. Dies ist nach dem vom Arbeitgeber entwickelten Anforderungsprofil zu beurteilen, wenn dieses nach der allgemeinen Verkehrsanschauung plausibel erscheint.
    • BAG, Urt. v. 19.08.2010 - 8 AZR 466/09; NZA 2011, 203; DB 2011, 359
    • Vorinstanzen:
    • Stellenbewerber können nur dann im Sinne der §§ 7 ff AGG benachteiligt werden, wenn sie für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet sind. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn sie dem in der Stellenausschreibung enthaltenen Anforderungsprofil nicht ansatzweise entsprechen, sofern der Arbeitgeber seinerseits bei der Auswahlentscheidung vom Anforderungsprofil nicht abweicht.
    • Der Ausschluss einer muslimischen Bewerberin aus dem Auswahlverfahren um die Besetzung einer von einer Einrichtung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgeschriebenen Stelle einer Sozialpädagogin für ein aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie des Bundes finanziertes Projekt zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten wegen Nichtzugehörigkeit zur christlichen Religion verstößt in unzulässiger Weise gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG und begründet einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG. Die Voraussetzungen für eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der evangelischen Kirche oder auf eine nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigte berufliche Anforderung im Sinne von § 9 AGG sind in einem solchen Fall nicht gegeben.
  • Beruft sich der Arbeitnehmer gegenüber einer Arbeitsanweisung des Arbeitgebers auf einen ihr entgegenstehenden, ernsthaften inneren Glaubenskonflikt, kann das Beharren des Arbeitgebers auf Vertragserfüllung ermessensfehlerhaft iSv. § 106 Satz 1 GewO iVm. Art. 4 Abs. 1 GG sein.
         In diesem Fall stellt zwar die Weigerung des Arbeitnehmers, der Weisung nachzukommen, keine vorwerfbare Pflichtverletzung dar, kann aber geeignet sein, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweit sinnvoll einzusetzen.
    • BAG, Urt. v. 24.2.2011 - 2 AZR 636/09; NJW 2011, 3319; NZA 2011, 1087; DB 2011, 2094; Anm. Bauer, Jobst-Hubertus, ArbR 2011, 143; Anm. Marquardt Cornelia, ArbRB 2011, 293, Aufsatz Hunold, Wolf, AuA 2011, 344, und DB 2011, 1580; Anm. Barth, Tobias, BB 2011, 1267; Aufsatz  Eckert, Michael, DStR 2011, 865; Anm. Wagner, Volker, FA 2011, 300 Aufsatz Lüers, Dennis, StBW 2011, 905; Anm. Lüders, Holger, GWR 2011, 457; Aufsatz Kursawe, Stefan, Personal 2011, Nr 4, 52
  • Der Austritt eines im verkündigungsnahen Bereich eingesetzten Mitarbeiters einer ihrer Einrichtungen aus der katholischen Kirche kann die - ggf. außerordentliche - Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
    • BAG, Urt. v. 25.4.2013, 2 AZR 579/12; NJW 2014, 104; NZA 2013, 1131; ZTR 2013, 627; DB 2013, 2274; MDR 2013, 1286; ZMV 2013, 283, m. Anm. Renate Oxenknecht-Witzsch, 288; Anm. Jobst-Hubertus Bauer, ArbR 2013, 259; Anm. Axel Groeger, ArbRB 2013, 296; Aufsatz Michael Eckert, DStR 2013, 1840; Anm. ZAT 2013, 215, Aufsatz Elisabeth Hartmeyer, ZAT 2014, 20; Aufsatz Christian von Tiling, öAT 2013, 227
  • Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu einem zumindest neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.
    • BAG, Urt. v. 24.9.2014, 5 AZR 611/12; NZA 2014, 1407; ZTR 2015, 95; MDR 2015, 106; PflR 2015, 13, m. Anm. Robert Roßbruch, 26; Anm. Volker Wagner, FA 2015, 50; Bespr. Florian Marquardt, DB 2015, 381; Anm. Brigitte Glatzel, NZA-RR 2015, 293; Anm. Judith Brockmann, GesR 2015, 158; Anm. Susanne Paul, öAT 2015, 15; Anm. Cornelia Marquardt, ArbRB 2015, 4-5; Doris-Maria Schuster, ArbR 2015, 13
  • 1.     Die nationalen Gerichte haben die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen und in die nationale Rechtsordnung mittels einer konventionsfreundlichen Auslegung einzupassen.
    2.     Lässt sich aus dem nationalen Recht auch nach konventionsfreundlicher Auslegung unter Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation kein Anspruch herleiten, dürfen die Gerichte keine Anspruchsgrundlage annehmen.
    3.     Die nationale Zivilrechts- und Zivilverfahrensrechtsdogmatik stehen der richterrechtlichen Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs trotz einer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konventionsverletzung durch ein rechtskräftiges klageabweisendes Urteil im Kündigungsschutzverfahren entgegen.
  • 1.     § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG unter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht zugänglich und muss deshalb unangewendet bleiben.
    2.     Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Unter diesen engen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB auch keinen unionsrechtlichen Bedenken.
    3.     Würdigung des Inhalts des Bewerbungsschreibens mit dem Ergebnis, dass der Bewerber es geradezu auf eine Absage des Arbeitgebers angelegt, mithin eine Absage provoziert hat.

Arbeitsgerichte:
  • Hat der kirchliche Arbeitgeber Kenntnis von der Nichtzugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einer christlichen Kirche im Sinne der ACK-Klausel und erfolgt gleichwohl die Begründung eines Arbeitsverhältnisses, so kann unter Hinweis auf diesen "personenbezogenen" Mangel das Arbeitsverhältnis nicht aufgekündigt werden, wenn - und solange - sich dieser Mangel nicht nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt.
    • ArbG Ludwigshafen, Urt. v. 26.05.2010 - 3 Ca 2807/09 
  • 1.     Für die Ausübung des pastoralen Berufes der Gemeindereferenten/innen ist eine kanonische Beauftragung durch den zuständigen (Erz-)Bischof erforderlich.
    2.     Der Entzug der kanonischen Beauftragung stellt eine innerkirchliche Maßnahme dar, die von den staatlichen Gerichten nicht auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern allenfalls auf ihre Wirksamkeit, d. h. darauf hin überprüft werden kann, ob sie gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt, wie sie in dem allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der guten Sitten (§ 138 BGB) und dem des ordre public (Art. 6 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben.
    3.     Der Entzug der kanonischen Beauftragung ist wegen der daraus resultierenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung an sich geeignet, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.
  • Weist ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft die Bewerbung eines Krankenpflegers allein mit der Begründung zurück, er sei nicht Mitglied einer Religionsgemeinschaft,  stellt dies eine Diskriminierung im Sinne des AGG dar und löst eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aus. 
         Die Religionsgemeinschaft kann sich insoweit nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Sonderstatus berufen, wenn sie allein auf die formelle Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft abstellt. Nach ihren eigenen Vorgaben in § 3 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes darf sie nur bei der Besetzung von Stellen im  pastoralen, katechetischen sowie in der Regel im erzieherischen Bereich und bei leitenden  Aufgaben die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche verlangen. Bei allen übrigen Stellen reicht es aus, dass der Bewerber sicher stellt, den besonderen Auftrag glaubwürdig zu erfüllen.
         Nach dem Wortlaut der Grundordnung ergibt sich dies aus der fachlichen Tüchtigkeit, der gewissenhaften Erfüllung der übertragen Aufgaben und der Zustimmung des Bewerbers zu den Zielen der Einrichtung.  

BVerwG:
  • 1.     Der verfassungsrechtlich gewährleistete Justizgewährungsanspruch gibt Geistlichen und Beamten einer Religionsgesellschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte, um dienstrechtliche Maßnahmen dieser Religionsgesellschaft ihnen gegenüber auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht hin überprüfen zu lassen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, Urteil vom 30. Oktober 2002 - BVerwG 2 C 23.01 - BVerwGE 117, 145).
    2.     Dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) ist erst bei Umfang und Intensität der gerichtlichen Kontrolle Rechnung zu tragen. Inhalt und Reichweite der Prüfung durch das staatliche Gericht hängen davon ab, inwieweit im jeweiligen Regelungsbereich staatliches Recht das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften einschränkt.
    3.     Das Dienstrecht der Geistlichen und Beamten gehört zum Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts einer Religionsgesellschaft. In diesem Bereich ist die Kontrolle durch die staatlichen Gerichte darauf beschränkt, ob die angegriffene Maßnahme gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien verstößt.
    4.     In dienstrechtlichen Angelegenheiten muss vor Anrufung des staatlichen Gerichts ein von der Religionsgesellschaft eröffneter eigener Rechtsweg erfolglos beschritten sein.
    5.     Scheidet ein Geistlicher oder Beamter aus dem Dienstverhältnis mit einer Religionsgesellschaft aus, muss diese aufgrund ihrer aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) folgenden Fürsorgepflicht für eine ausreichende soziale Absicherung des bisherigen Bediensteten Sorge tragen.
    • BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 - 2 C 19.12; BVerwGE 149, 139; NVwZ 2014, 1101, m. Anm. Robert Hotstegs, 1106; DVBl 2014, 993, m. Anm. Robert Hotstegs, 997; JZ 2014, 950, m. Anm. Matthias Friehe, 954; NWVBl 2014, 375; Aufs. Christian Kirchberg, NJW 2014, 2763; Bespr. Johannes Kuntze, ZevKR 2015, 195
  • 1.     Aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes können kirchenrechtliche Ansprüche im Klageverfahren vor staatlichen Gerichten geltend gemacht werden, wenn dies erforderlich ist, um sie zwangsweise durchsetzen zu können.
    2.     Die staatlichen Gerichte dürfen kirchenrechtliche Ansprüche nur anerkennen, wenn die staatliche Rechtsordnung nicht entgegensteht.
    3.     Die grundgesetzlich geschützte Organisationsgewalt der Religionsgesellschaften umfasst die Einrichtung unabhängiger Kirchengerichte, die Festlegung ihrer Entscheidungszuständigkeiten und den Erlass einer Verfahrensordnung.
    4.     Die von den Kirchengerichten zuerkannten und festgesetzten Ansprüche auf Erstattung der Kosten eines kirchengerichtlichen Verfahrens sind von staatlichen Gerichten anzuerkennen, wenn sie nicht auf einer Verletzung der fundamentalen Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG, des Willkürverbots oder elementarer Verfahrensgarantien beruhen.

Verwaltungsgerichte:
  • Bei Statusklagen kirchlicher Bediensteter ist der den Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung gegeben, soweit die Verletzung staatlichen Rechts gerügt wird.
  • Die Leiterin eines katholischen Kindergartens kann nicht wegen Eingehens einer Lebenspartnerschaft während der Elternzeit gekündigt werden.
         Das Interesse der Leiterin des Kindergartens an einem kontinuierlichen Erwerbsleben und an der Einhaltung der Kündigungsfrist nach Ablauf der Elternzeit ist höher zu bewerten als das Interesse der Kirche, das Arbeitsverhältnis bereits während der Elternzeit zu beenden, zumal da die staatliche Rechtsordnung Lebenspartnerschaften zulässt, die Leiterin des Kindergartens den Fall nicht öffentlich gemacht hat und sie seit 13 Jahren im Kindergarten beschäftigt ist.
  • Die vom einem Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Antragsgegner) einem katholischen Pfarrer (Antragsteller) als disziplinarische Maßnahme im Wege der Buße nach kanonischem Recht auferlegte Gehaltskürzung unterliegt nicht der Kontrolle durch die staatliche Gerichtsbarkeit.

Arbeitslosengeld

  • Der Umzug zum Partner einer nichtehelichen Gemeinschaft kann als wichtiger Grund dem Eintritt einer Sperrzeit entgegenstehen, wenn bereits bei Lösung des Beschäftigungsverhältnisses eine eheähnliche Gemeinschaft (Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft) bestanden hat (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung
  • Das gilt auch für gelichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften
  • Die erstmalige Herstellung einer ernsthaften und auf Dauer angelegten Erziehungsgemeinschaft durch Zuzug mit dem minderjährigen Kind zum nichtehelichen Partner bildet unabhängig davon, ob es sich bei dem Partner um ein leibliches Elternteil handelt, einen wichtigen Grund iS des Sperrzeitrechts, wenn Gründe des Kindeswohls dies erfordern (Weiterentwicklung von BSG vom 12.11.1981 - 7 RAr 21/81 = BSGE 52, 276 = SozR 4100 § 119 Nr 17).
  • Wer die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an sich selbst und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen dadurch herbeigeführt hat, dass er seinen Arbeitsplatz leichtfertig aufgegeben und die Verhängung einer Sperrzeit durch das Arbeitsamt veranlasst hat, muss die Kosten der Sozialhilfe, die für die Dauer der Sperrzeit gewährt worden ist, ersetzen.
    • OVG Lüneburg, Urt. v. 22.11.1995 - 4 L 817/95; ZFürsW 1998, 62
  • Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze zum Vorliegen eines wichtigen Grundes gem § 144 SGB III (jetzt: § 159 SGB III) beim Zuzug zur Aufrechterhaltung einer bereits bestehenden eheähnlichen Gemeinschaft sind auch auf die gleichgeschlechtliche nicht eingetragene Lebenspartnerschaft anzuwenden.
  • 1.     Schließt ein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer einen Änderungsvertrag mit dem Inhalt, für zwei Jahre in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (Transfergesellschaft) zu wechseln und anschließend mit Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, so steht ihm ein wichtiger Grund zur Seite, der eine Sperrzeit ausschließt, wenn ihm eine außerordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung droht.
    2.     Dies gilt auch, wenn die Abfindungsleistungen die Grenzen des § 1a Kündigungsschutzgesetz erheblich überschreiten, wenn keine Gesetzesumgehung im Sinne eines "Freikaufs" vom Kündigungsschutz festzustellen ist.
  • Die Feststellung der Lohnsteuer richtet sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet war (§ 153 Abs. 2 Satz 1 SGB 3). Daran ist die Arbeitsverwaltung gebunden. Sie darf der Bewilligug von Arbeitslosengeld nicht die Steuerklase zugrunde legen, die im Falle einer Arbeitsaufnahme in Betracht kommt. 
  • 1.     Nur die abhängige Beschäftigung gegen Entgelt führt nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III zur Versicherungspflicht.
    2.     Arbeitsentgelte sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht und in welcher Beziehung und Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
    3.     Das Beschäftigungsverhältnis besteht trotz fehlender Arbeitsleistung fort, wenn der Arbeitnehmer noch dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen ist und das Entgelt weitergezahlt wird.
  • Ein wichtiger Grund zur Aufgabe des Arbeitsplatzes zwecks Umzuges zum Lebensgefährten kann sperrzeitrechtlich auch bei der erstmaligen Begründung eines gemeinsamen Haushaltes vorliegen (a.A. BSG 17. Oktober 2007 - B 11a/7a AL 57/06 R -).

Die nachfolgende Entscheidung des BSG ist durch die Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten im Einkommensteuerrrecht überholt:
  • Die Bemessung von Arbeitslosengeld nach Leistungsgruppen, die Steuerklassen entsprechen, ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern die Eheschließung verwehrt ist.
    • BSG, Beschl. v. 13.03.1997 - 11 BAr 237/96; NJW 1997, 2620; NZS 1998, 45;HFR 1998, 767

Arzt/Patient

  • a)     Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten erfordert grundsätzlich, daß ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Eine erst später erfolgte Aufklärung ist zwar nicht in jedem Fall verspätet. Eine hierauf erfolgte Einwilligung ist jedoch nur wirksam, wenn unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Deshalb ist bei stationärer Behandlung eine Aufklärung erst am Tag des Eingriffs grundsätzlich verspätet.
    b)     Eine Haftung wegen nicht ausreichender oder nicht rechtzeitiger Aufklärung entfällt, wenn der Patient über das maßgebliche Risiko bereits anderweitig aufgeklärt ist. 
    • BGH, Urt. v. 25.03.2003 - VI ZR 131/02; NJW 2003, 2012; GesR 2003, 264; MedR 2003, 576; KH 2003, 635; Rechtsmedizin 13, (2003), 331; ArztR 2004, 94; ZfSch 2003, 337, m. Anm Heinz Diehl, 339; RuS 2004, 254; KHuR 2003, 166; Aufsatz Markus Gehrlein, NJ 2016, 89

Ausgleichsansprüche

  • Bei einer Ehegatteninnengesellschaft kommt ein Ausgleichsanspruch eines Ehegatten nicht erst dann in Betracht, wenn der Zugewinnausgleich nicht zu einem angemessenen Ergebnis fuhrt. Ein gesellschaftsrechtlicher Ausgleichsanspruch besteht vielmehr neben einem Anspruch auf Zugewinnausgleich (im Anschluss an BGH v. 25. 6. 2003, XII ZR 161/01, BGHZ 155, 249, 255, DStR 2003, 1805).
         Auch im Rahmen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft setzt die Annahme einer nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilenden Zusammenarbeit der Partner einen zumindest schlüssig zu Stande gekommenen Vertrag voraus (in Abweichung von BGH v. 24. 3. 1980, II ZR 191/ 79, BGHZ 77, 55, NJW 1980, 1520 und v. 12. 7. 1982, II ZR 263/81, BGHZ 84, 388, NJW 1982, 2863; im Anschluss an BGH v. 30. 6. 1999, XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137, 153, NJW 1999, 2962).
    • BGH, Urt. 28.09.2005 - XII ZR 189/02; BGHZ 165, 1; NJW 2006, 1268; FamRZ 2006, 607, m. Anm. Hoppenz, Rainer, 610, Vollmer, Michael, 844, Kogel, Walter 1179; FuR 2006, 273; ZEV 2006, 216; DB 2006, 886; DStR 2006, 1467; MDR 2006, 997; Anm. Kogel, Walter, FF 2006, 149; WM 2006, 974; DNotZ 2006, 531; MittBayNot 2006, 420
  • Zu Ausgleichsansprüchen des Erben gegen den überlebenden Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die bis zum Tod des Erblassers bestanden hat.
  • Nach Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kommen wegen wesentlicher Beiträge eines Partners, mit denen ein Vermögenswert von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung (hier: Wohnhaus) geschaffen wurde, dessen Alleineigentümer der andere Partner ist, nicht nur gesellschaftsrechtliche Ausgleichsansprüche, sondern auch Ansprüche aus ungerechtfertiger Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB) sowie nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, vgl. etwa BGH Urteile vom 6. Oktober 2003 - II ZR 63/02 - FamRZ 2004, 94, und vom 8. Juli 1996 - II ZR 193/95 - NJW-RR 1996, 1473 f.).
         Zur Abgrenzung von gemeinschaftsbezogener Zuwendung und Schenkung unter Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
    • BGH, Urt. v. 09.07.2008 - XII ZR 179/05; BGHZ 177, 193; NJW 2008, 3277, m. Aufs. Proff, Maximilian von, NJW 2008, 3266; FamRZ 2008, 1828, m. Anm. Grziwotz, 1829; JZ 2009, 413, m. Anm. Dethloff, Nina, 418; NZM 2008, 694; ZEV 2008, 489; RNotZ 2008, 611, m. Anm. Proff, Maximilian Frhr. von; DNotz 2009, 52, m. Anm. Löhnig, 59; MittBayNot 2009, 137, m. Anm. Bruch, Alban, 142, und Aufs. Schlögel, Jürgen, 100; MDR 2008, 1275; Aufs. Willemsen, Volker, ZEF 2009, 44
  • Das kann auch dann der Fall sein, wenn die Partner Miteigentümer einer Immobilie zu je ½ sind, der eine aber erheblich höhere Beiträge hierzu geleistet hat als der andere.
  • Ein Ehemann kann eine zur Absicherung der Ehefrau geleistete Zuwendung nicht wegen außerehelicher Abstammung des während der Ehe geborenen Kindes nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückfordern. Die eheliche Abstammung des Kindes gehört als einseitige Erwartung des Ehemannes grundsätzlich nicht zur Geschäftsgrundlage.
         Auch ein Schenkungswiderruf wegen vor der Schenkung begangener ehelicher Untreue kommt nicht in Betracht.
         Die eheliche Untreue kann den Widerruf einer Schenkung nur dann rechtfertigen, wenn sie der Schenkung nachfolgt, denn die darin möglicherweise liegende schwere Verfehlung muss sich gerade im Lichte der vorangegangenen Schenkung als grober Undank darstellen.
    • OLG München, Urt. v. 28.01.2009 - 20 U 2673/08; FamRZ 2009, 1831; RNotZ 2009, 339; MittBayNot 2009, 308
  • Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung wegen Zweckverfehlung setzt voraus, dass mit dem Empfänger der Leistung eine Willensübereinstimmung über den mit der Leistung verfolgten Zweck erzielt worden ist; einseitige Vor-stellungen genügen nicht.
         Nach Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kommt eine über die Ausgestaltung des nichtehelichen Zusammenlebens hinausgehende Zweckbestimmung regelmäßig nur bei solchen Leistungen in Betracht, die deutlich über das hinausgehen, was die Gemeinschaft Tag für Tag benötigt (im Anschluss an das Senatsurteil BGHZ 177, 193).
         Für den Bereicherungsanspruch trägt grundsätzlich derjenige die volle Darlegungs- und Beweislast, der den Anspruch - sei es im Wege der Klage, sei es zum Zwecke der Aufrechnung - geltend macht. Durch die den Bereicherungsschuldner für sog. negative Umstände treffende sekundäre Behauptungslast und durch seine Verpflichtung zum substantiierten Bestreiten des gegnerischen Vortrags ändert sich nichts an der grundsätzlichen Beweislast des Bereicherungsgläubigers.
    • BGH, Urt. v. 18.02.2009 - XII ZR 163/07; FamRZ 2009, 849, m. Anm. Grziwotz, Herbert, 852; NJW-RR 2009, 1142; ZFE 2009, 308; NZM 2009, 798; ZNotP 2009, 199; NotBZ 2010, 99; WM 2009, 2093; MDR 2009, 693
  • Hat der gemeinschaftsbezogenen Zuwendung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Vorstellung oder Erwartung zugrunde gelegen, die Lebensgemeinschaft, deren Ausgestaltung sie allein gedient hat, werde Bestand haben, entfällt die Geschäftsgrundlage nicht dadurch, dass die Lebensgemeinschaft durch den Tod des Zuwendenden ein natürliches Ende gefunden hat.
         Hat der Zuwendende das Vermögen des anderen in der Erwartung vermehrt, an dem erworbenen Gegenstand im Rahmen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft langfristig partizipieren zu können, schließt der Tod des Zuwendenden eine Zweckverfehlung i.S. des § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB regelmäßig aus.
    • BGH, Urt. v. 25.11.2009 - XII ZR 92/06; NJW 2010, 998, m. Aufs. Proff, Maximilian Freiherr von, 980; FamRZ 2010, 277, m. Anm. Grziwotz, Herbert, 282; ZEV 2010, 144, m. Anm. Muscheler, Karl-Heinz, 149; ZNotP 2010, 190; DNotZ 2010, 446; ZFE 2010, 151; MDR 2010, 445
  • Obliegt nach der von den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gewählten Aufgabenverteilung einem von ihnen, für die Kosten der gemeinsamen Lebensführung (hier: Miete der gemeinsamen Wohnung) aufzukommen, so umfasst die für die Zeit des Zusammenlebens anzunehmende anderweitige Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Aufwendungen, die in dieser Zeit zu begleichen gewesen wären. Ein Gesamtschuldnerausgleich scheidet deshalb auch dann aus, wenn die vor der Trennung der Parteien fällig gewordenen Zahlungsverpflichtungen erst nach der Trennung erfüllt worden sind.
  • Zuwendungen der Eltern, die um der Ehe ihres Kindes Willen an das (künftige) Schwiegerkind erfolgen, sind nicht als unbenannte Zuwendung, sondern als Schenkung zu qualifizieren (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsurteile v. 07.09. 2005 - XII ZR 316/02 - FamRZ 2006, 394 m.w.N.; BGHZ 129, 259, 263). Auch auf derartige Schenkungen sind die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzuwenden.
         Rückforderungsansprüche der Schwiegereltern nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage können nicht mit der Begründung verneint werden, dass das beschenkte Schwiegerkind mit dem eigenen Kind der Schwiegereltern in gesetzlichem Güterstand gelebt hat und das eigene Kind über den Zugewinnausgleich teilweise von der Schenkung profitiert (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil BGHZ 129, 259, 266 f.).
         Im Falle schwiegerelterlicher, um der Ehe des eigenen Kindes mit dem Beschenkten Willen erfolgter Schenkungen sind nach Scheitern der Ehe Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB denkbar (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil BGHZ 129, 259, 264 m.w.N.).
  • Nach Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kommen Ausgleichsansprüche wegen finanzieller Zuwendungen (hier: Darlehensraten) des einen Partners für den Erwerb und Umbau eines im Alleineigentum des anderen Partners stehenden Wohnhauses grundsätzlich insoweit nicht in Betracht, als die Leistungen nicht deutlich über die Miete hinausgehen, die für vergleichbaren Wohnraum aufzuwenden wäre. 
  • a)     Die Zuwendung eines Vermögenswerts, die der Absicherung des anderen Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft für den Fall dienen soll, dass der Zuwendende während des Bestands der Lebensgemeinschaft verstirbt, ist regelmäßig keine Schenkung, sondern eine gemeinschaftsbezogene Zuwendung.
    b)     Die Zuwendung kann wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückzugewähren sein, wenn die Lebensgemeinschaft nach der Zuwendung scheitert.
  • Erbringt jemand nicht unerhebliche Arbeits- und Materialleistungen in einer von ihm und seiner, mit ihm nicht verheirateten Partnerin bewohnten, im Eigentum ihrer Eltern stehenden Immobilie, zu dem Zweck, sich und seiner Familie dort langfristig ein Unterkommen zu sichern, kann nicht ohne Weiteres von dem Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen ihm und den Eltern ausgegangen werden (Abgrenzung zu Senatsurteilen BGHZ 184, 190 = FamRZ 2010, 958 und vom 21. November 2012 XII ZR 48/11 FamRZ 2013, 269).
    • BGH, Urt. v. 04.03.2015 - XII ZR 46/13; NJW 2015, 1523, m. Bspr. Maximilian v Proff, 1482; FamRZ 2015, 833, m. Anm. Reinhardt Wever, 836; NZFam 2015, 502, m. Anm. Gerd Weinreich, 504; DNotZ 2015, 534 

alte Rechtsprechung

Beamte

  • Im Freistaat Bayern hat allein die oberste Dienstbehörde generell und einheitlich zu entscheiden, ob Anordnungen über das äußere Erscheinungsbild uniformierter Beamtert wegen der Funktion der Dinestkleidung erforderlich sind. Nachgeordnete Behörden dürfen Ohrschmuck und lange Haartracht zur Dienstkleidung nicht eigenständig verbieten.
    • BVerwG, Urt. v. 15.01.1999 2 C 11/99; NJW 1999, 1985; DVBl 1999, 929; DÖV 1999, 695; DÖD 1999, 271; ZBR 1999, 277; PersR 1999, 415; RiA 2000, 259; ZTR 1999, 287; BayVBl 1999, 377
  • Ein Justizvollzugsbeamter kann zur Gewährleistung der Ordnung innerhalb der Justizvollzugsanstalt und im Intersse des Staates an einem einheitlichen und neutralen Auftreten seiner uniformierten Vollzugsbeamten aufgefordert werden, nach Art und Größe auffällige Tätowierungen beim Tragen von Dienstkleidung zu verbergen.
    • OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.06.2005 - 2 A 10254/05.OVG; Recht im Amt 2006, 35
  • Eine Regelung der obersten Dienstbehörde, die uniformierten Polizeibeamten vorschreibt, die Haare in Handkragenlänge zu tragen, verstößt gegten Art. 2 Abs. 1 GG.
    • BVerwG, Urt. v. 02.03.2006 - 2 C 03/05; BVerwGE 125, 85; DVBl 2006, 1187; DÖV 2006, 694; DÖD 2006, 249; ZBR 2006, 380; RiA 2006, 270; NVwZ-RR 2007, 781; AuR 2006, 327; ZTR 2006, 448; PersR 2006, 339; PersV 2007, 58; BayVBl 2007, 23
  • Die sexuellen Aktivitäten eines Beamten sagen grundsätzlich nichts über seine charakterliche Eignung aus und sind für das Beamtenverhältnis nur dann von Belang, wenn der Beamte dadurch Strafgesetze verletzt, die öffentliche Ordnung stört oder er sein Sexualleben in einer Form öffentlich macht, die geeignet ist, den Dienstbetrieb zu beeinträchtigen oder das Ansehen des Dienstherrn herabzusetzen.
  • Der Begriff der gesundheitlichen Eignung eines Beamtenbewerbers, der behindert, aber nicht schwerbehindert ist, ist dahin zu modifizieren, dass der Bewerber für die Übernahme in das Probebeamtenverhältnis als gesundheitlich geeignet anzusehen ist, wenn sich nach der prognostischen Einschätzung des Dienstherrn künftige Erkrankungen des Bewerbers und dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit einem überwiegenden Grad an Wahrscheinlichkeit, also mit mehr als 50 vom Hundert, ausschließen lassen.
  • 1.     Bei der Feststellung der gesundheitlichen Eignung von Beamtenbewerbern steht dem Dienstherrn kein Beurteilungsspielraum zu.
    2.     Ein Beamtenbewerber ist gesundheitlich nicht geeignet, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist (Änderung der Rechtsprechung).
  • Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Probebeamten ist der Ablauf der Probezeit, nicht der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung.
         Einem Beamten auf Probe fehlt die gesundheitliche Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird (im Anschluss an Urteil vom 25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 12.11)
  • 1.     Der Bundesminister der Verteidigung hat bei der Ausübung seiner Befugnis, die Haar- und Barttracht der Soldaten durch Verwaltungsvorschriften zu regeln, einen Einschätzungsspielraum. Einschränkungen der freien Gestaltung der Haartracht können durch das Regelungsziel eines - für das Selbstverständnis und die öffentliche Wahrnehmung bestimmenden - einheitlichen äußeren Erscheinungsbilds und Auftretens der deutschen Streitkräfte im In- und Ausland bei der Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags gerechtfertigt sein.
    2.     Der Erlass über die Haar- und Barttracht der Soldaten (Anlage 1 zur Zentralen Dienstvorschrift 10/5) ist rechtmäßig. Die - von der Regelung für männliche Soldaten abweichende - Regelung über die Haartracht von Soldatinnen ist eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr.
  • 1.     Für Besoldungsansprüche gilt die (kenntnisabhängige) Regelverjährung der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB entsprechend.
    2.     Der Beamte muss den Hergang in seinen Grundzügen kennen und wissen, dass der Sachverhalt erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung des Anspruchs bietet. Maßgebend und entscheidend ist, ob dem Beamten die Erhebung einer entsprechenden Klage erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich, mithin zumutbar sein.
    3.     Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Billigkeit ist es in der Regel nicht erforderlich, dass der Beamte aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Anders kann es nur dann zu beurteilen sein, wenn es sich um eine unübersichtliche Rechtslage handelt, so dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag.
    4.      Ist der Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Fällen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage ausnahmsweise wegen der Rechtsunkenntnis des Beamten hinausgeschoben, beginnt die Verjährung mit der objektiven Klärung der Rechtslage; auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnisse des Beamten von dieser Klärung kommt es nicht an (Nds. OVG, Beschluss vom 18.3.2014 - 5 LA 183/13 -, m. w. Nw.). 
  • 1.     Das in Nr. 3.3 der Leitlinien des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Dienst- und Zivilkleidung sowie zum äußeren Erscheinungsbild der Polizei Baden-Württemberg (Az. 3-0303/9) enthaltene Verbot von Tätowierungen, die einen vertrauensunwürdigen Eindruck erwecken und im Dienst sichtbar sind, ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
    2.     Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt einem Bewerber für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für den mittleren Polizeivollzugsdienst des Landes Baden-Württemberg einen Anspruch auf Gleichbehandlung bei der "Tolerierung" von Tätowierungen nur innerhalb des Geltungsbereichs der baden-württembergischen Landesverfassung.

Beihilfe

  • Eine Regelung, nach der die Aufwendungen für die Beschaffung einer Perücke für männliche Personen nur beihilfefähig sind, wenn eine bestimmte Altersgrenze nicht überschritten ist, während eine solche Altersgrenze bei Frauen nicht vorgeschrieben ist, verletzt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 3 GG.
    • BVerfG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 1/01, NJW 2002, 2045; DÖD 2002, 172; DVBl. 2002, 1216
  • Der Haarausfall bei einem Mann (hier: androgenetische Alopezie) ist keine Krankheit i.S.d. Beihilferechts, solange er nicht ursächlich zu krankhaften Folgeerscheinungen anderer Art, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen führt.
    • VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 10.03.2005 - 4 S 2222/03; Die Justiz 2005, 402
  • Die Begrenzung der Beihilfegewährung auf die Erhöhungssätze, die für Versicherte im Basistarif der privaten Krankenversicherung gelten, verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Beamte und deren berücksichtigungsfähige Angehörige, die in Ermangelung einer Alternative im Basistarif versichert sind, werden dadurch gegenüber im Regeltarif krankenversicherten Beihilfeberechtigten benachteiligt. Hierfür fehlt es an einem sachlichen Rechtfertigungsgrund.

Beschneidung

  • Zur Frage, ob die allein sorgeberechtigte Mutter in die medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres sechsjährigen Sohnes nach § 1631d BGB einwilligen kann.

Bestattungskosten

Bundesozialgericht:

  • Der Sozialhilfeträger darf für die Übernahme von Bestattungskosten deren Erforderlichkeit nicht allein anhand pauschalierend begrenzender Vergütungssätze bestimmen, wenn die tatsächlichen Kosten höher sind.

Bundesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichte:
  • Bei dem Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten durch den Träger der Sozialhilfe gemäß § 15 BSHG handelt es sich um einen sozialhilferechtlichen Anspruch eigener Art, dem nicht entgegensteht, dass die Bestattung bereits vor Unterrichtung des Sozialhilfeträgers durchgeführt worden ist und die Kosten vor seiner Entscheidung beglichen worden sind.
    • BVerwG, Urt. v. 05.06.1997 - 5 C 13.96; BVerwGE 105, 51; NJW 1998, 1329; DVBl. 1997, 1443; FEVS 1998, 1; ZfS 1998, 23; ZFSH/SGB 1998, 47
    • BVerwG, Urt. v. 30.05.2002 - 5 C 14/01; BVerwGE 116, 287; NJW 2003, 78; DVBl. 2003, 147
    • BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 - 5 C 2.02; NJW 2003, 3146; ZFSH/SGB 2003, 613; FEVS 2003, 490; BtPrax 2004, 238
  • Wer in Erfüllung einer öffentlichrechtlichen Bestattungspflicht eine Bestattung veranlasst und deshalb Bestattungskosten zu tragen hat, kann Verpflichteter i.S.d. § 15 BSHG sein.
    • BVerwG, Urt. v. 22.02.2001 - 5 C 8.00; BVerwGE 114, 57; DÖV 2001, 786; FEVS 2001, 441; ZFSH/SGB 2001, 539; ZEV 2001, 447; BayVBl 2001, 601
    • BVerwG, Urt. v. 30.05.2002 - 5 C 14/01; BVerwGE 116, 287; NJW 2003, 78; DVBl. 2003, 147
    • BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 - 5 C 2.02; NJW 2003, 3146; ZFSH/SGB 2003, 613; FEVS 2003, 490; BtPrax 2004, 238
  • Wer die Durchführung der Bestattung aus dem Gefühl sittlicher Verpflichtung, aber ohne Rechtspflicht übernimmt, ist nicht "Verpflichteter" im Sinne des § 15 BSHG (im Anschluss an BVerwGE 116, 287).
    • BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 - 5 C 2.02; NJW 2003, 3146; ZFSH/SGB 2003, 613; FEVS 2003, 490; BtPrax 2004, 238
  • Im Rahmen des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 1615 Abs. 2 BGB, der den Unterhaltspflichtigen mit den Kosten der Beerdigung belastet, richtet sich die Zumutbarkeit der Vermögensverwertung nicht nach den Regelungen im Sozialhilferecht (§ 88 BSHG), sondern allein nach den Kriterien des § 1603 BGB. Ein Vermögen von weniger als 10.000 € dient vorrangig der Absicherung unvorhersehbarer Ausgaben der eigenen Familie des volljährigen Kindes.
    • VGH Bayern, Urt. v. 27.10.2005 - 12 B 03.756; FEVS 2006, 372
  • Grabpflegekosten sind keine Bestattungskosten nach § 74 SGB XII. Auch ein Anspruch auf Leistungen nach §§ 67 f. SGB XII besteht nicht.

Sozialgerichte:
  • Die Entscheidung, inwieweit einem Verpflichteten die Tragung der Kosten für die Bestattung des Verstorbenen zugemutet werden kann (§ 74 SGB XII), ist eine Billigkeitsentscheidung, die der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Es handelt sich bei dem Begriff der Zumutbarkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts.
         Bezieher von Leistungen nach dem SGB II kann nicht zugemutet werden, die Friedhofsgebühren für die Beerdigungen eines Elternteils aus eigenem Einkommen oder Vermögen selbst zu tragen.
  • Erforderliche Kosten einer Bestattung sind die Kosten, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende einfache Bestattung anfallen, nicht die Aufwendungen für eine standesgemäße Beerdigung. Angemessenen Wünschen des Verstorbenen bzw. Bestattungsverpflichteten nach einer bestimmten Bestattungsart ist regelmäßig und insbesondere dann zu entsprechen, wenn sie den religiösen Bindungen des Verstorbenen entsprechen. Der Sozialhilfeträger darf nicht generell auf eine etwa kostengünstigere Feuerbestattung oder gar eine anonyme Bestattung verweisen; der Eindruck eines Armenbegräbnisses bzw. Armengrabes ist zu vermeiden.
         Was ortsüblich und angemessen ist, bestimmt sich in erster Linie nach den einschlägigen friedhofsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere nach der jeweiligen maßgeblichen Friedhofssatzung.
         Die Zumutbarkeit der Kostentragung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar und nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles ausfüllungsbedürftig ist. Stets zumutbar ist der Einsatz des vorhandenen Nachlasses sowie von Leistungen, die aus Anlass des Todes des Verstorbenen erbracht wurden. Sind die Bestattungskosten nicht durch den Nachlass gedeckt, so kann die Zumutbarkeit in Anlehnung an die sozialhilferechtlichen Grundsätze über den Einsatz von Einkommen beurteilt werden.
  • Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber bei der Bestattungspflicht an die den nächsten Angehörigen gewohnheitsrechtlich obliegende Totenfürsorge anknüpft und diese auch bei gestörten Familienverhältnissen vorgesehen hat, anstatt die Kosten der Bestattung auf die Allgemeinheit zu verlagern.
         In der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei.
    • BayVGH, Beschl. v. 09.06.2009 - 4 ZB 07.2815; BayVBl 2009, 537
  • Die Erben schulden die Kosten für ein im Hinblick auf eine Lebensgefährtin beschafftes Doppelgrab und die darauf bezogene Dimensionierung des Grabsteins nicht.
    • OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.07.2009 - 4 U 472/08-72; MDR 2009, 1341
  • Die Regelungen über die Bestattungspflicht präjudizieren nicht die in anderen Vorschriften enthaltenen Regelungen über die Pflicht zur Tragung der Begräbniskosten.
  • Bei der Frage, ob es dem Verpflichteten zugemutet werden kann, die Kosten der Bestattung zu tragen, sind neben seinen wirtschaftlichen Verhältnissen auch andere Momente zu berücksichtigen.
         Eine besondere Bedeutung kommt gleichwohl im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit zunächst den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten zu.
         Ist ein etwaiger Ausgleichsanspruch des Verpflichteten zweifelhaft und ist sogar die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs erforderlich, weil der Anspruchsgegner die Übernahme der Bestattungskosten bereits abgelehnt hat, kann es dem Verpflichteten nicht zugemutet werden, gegen den Anspruchsgegner gerichtlich vorzugehen und sich auf einen langwierigen Prozess mit ungewissem Ausgang einzulassen. Der Träger der Sozialhilfe hat hier die Möglichkeit, den behaupteten Ausgleichsanspruch auf sich nach §93 SCB XII überzuleiten.
  • Zielsetzung des § 74 SGB 12 ist die Sicherstellung einer der Würde des Toten entsprechenden Bestattung (vgl BVerwG vom 29.1.2004 - 5 C 2/03 = BVerwGE 120, 111). Den sozialhilferechtlichen Bedarf stellt nicht die Bestattung als solche oder deren Durchführung dar; vielmehr dient die Regelung der Vermeidung einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten durch die Kosten der Beerdigung (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R = ZFSH/SGB 2010, 42 und zu § 15 BSHG BVerwG vom 5.6.1997 - 5 C 13/96 = BVerwGE 105, 51). § 18 SGB 12 findet im Rahmen des § 74 SGB 12 keine Anwendung. Für einen Kostenübernahmeanspruch iS des § 74 SGB 12  ist es ohne Bedeutung, ob die Bestattung und eine etwaige Begleichung der Bestattungskosten bereits vor der Unterrichtung des Sozialhilfeträgers erfolgt ist (vgl BSG vom 29.9.2009 aaO und BVerwG vom 5.6.1997 aaO).
  • 1.     Der Sozialhilfeträger darf den Bestattungspflichtigen wegen der noch ungedeckten Bestattungskosten auf Ausgleichsansprüche gegen andere Familienmitglieder verweisen, auch wenn deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht geklärt sind.
    2.    Es ist Sache des Bestattungspflichtigen darzulegen und zu beweisen, dass anderweitige Ansprüche nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sind.
    3.     Der Sozialhilfeträger ist nicht verpflichtet, ein Familienmitglied bei zerrütteten innerfamiliären Verhältnissen durch Überleitung der Ansprüche gegen die  anderen Familienmitglieder bereits von vornherein davon zu entlasten, sich ernsthaft um einen Ausgleich zu bemühen.

Zivilgerichte:
  • Ein Kind, welches nach § 1615 Abs. 2 BGB zur Zahlung der Beerdigungskosten seiner Mutter oder seines Vaters in Anspruch genommen wird, hat seine Leistungsfähigkeit detailliert darzulegen.

Betreuung

BVerfG:

  • Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gebieten eine bevorzugte Berücksichtigung der Familienangehörigen bei der Auswahl von Pflegern und Vormündern, sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt.
         Nach Auffassung des EGMR umfasst das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zumindest - auch - nahe Verwandte - zum Beispiel Großeltern und Enkel. Hieraus folgt, dass die Gerichte bei der Auswahl eines Vormunds bestehende Familienbande zwischen Großeltern und Enkeln zu beachten haben.
  • Die in § 1906 Abs. 5 BGB festgeschriebene Verpflichtung, vor zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen trotz Einwilligung des durch Vorsorgevollmacht Bevollmächtigten eine gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einholen zu müssen, greift zwar in das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Das Recht auf Selbstbestimmung wird jedoch nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Bestandteil dieser verfassungsmäßigen Ordnung ist jede Rechtsnorm, die formell und materiell der Verfassung gemäß ist. Diese Voraussetzung erfüllt die angegriffene Vorschrift des § 1906 Abs. 5 BGB, aufgrund derer die Fachgerichte die Einwilligung des Bevollmächtigten in freiheitsbeschränkenden Maßnahmen genehmigen müssen.
  • 1.     Angesichts der mit einer Betreuung verbundenen tiefen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine persönliche Anhörung durch das Betreuungsgericht grundsätzlich unverzichtbar.
    2.     Die Anordnung einer Betreuung ohne diese Anhörung verletzt nicht nur das Recht auf rechtliches Gehör, sondern stellt auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dar.

BGH:
1996:
  • Zur Beschwerdebefugnis naher Angehöriger des Betreuten hinsichtlich der Auswahl des Betreuers (hier verneint für die Ablehnung des Begehrens der Tochter, den bestellten Betreuer zu entlassen und ihr selbst die Betreuung zu übertragen):
    • BGH, Beschl. v. 06.03.1996 - XII ZB 7/96; BGHZ 132, 157; NJW 1996, 1825; FamRZ 1996, 607; DAVorm 1996, 511; FGPrax 1996, 107; BtPrax 1997, 28; MDR 1996, 714 

2006: 
  • Der Betreuer ist als gesetzlicher Vertreter des Betreuten grundsätzlich befugt, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten einzuwilligen.
         Im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB umfasst diese Befugnis ausnahmsweise auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betreuten zu überwinden (Fortführung des Senatsbeschlusses BGHZ 145, 297 ff.).
    • BGH, Beschl. v. 01.02.2006 - XII ZB 236/05; BGHZ 166, 141; NJW 2006, 1277; FamRZ 2006, 615; JZ 2006, 685; JR 2007, 245, m. Anm. Olzen, Dirk; Sanden, Micheal van der, 248; BtPrax 2006, 145; DNotZ 2006, 626; RuP 2006, 141; GesR 2006. 475; ArztR 2007, 17; MedR 2007, 104; MDR 2006, 995

2009:
  • Ein Wunsch des Betreuten läuft nicht bereits dann im Sinne des § 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB dessen Wohl zuwider, wenn er dem objektiven Interesse des Betreuten widerspricht. Vielmehr ist ein Wunsch des Betreuten im Grundsatz beachtlich, sofern dessen Erfüllung nicht höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährden oder seine gesamte Leben- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde. Allerdings gilt der Vorrang des Willens des Betreuten nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sind und sich nicht nur als bloße Zweckmäßigkeitserwägungen darstellen. Beachtlich sind weiter nur solche Wünsche, dien icht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sind und auf der Grundlage ausreichender Tatsachenkenntnis gefasst wurden.
         Es gehört jedenfalls dann nicht zu den Aufgaben des Verfahrenspflegers gemäß § 67 FGG, die objektiven Interessen des Betreuten zu ermitteln, wenn für den Betroffenen bereits ein Betreuer bestellt ist und dessen Aufgabenkreis den jeweiligen Verfahrensgegenstand umfasst. Der Verfahrenspfleger hat hier in erster Linie die Pflicht, den Verfahrensgarantien, insbesondere dem Anspruch des Betreuten auf rechtliches Gehör, Geltung zu verschaffen. Außerdem hat er den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Betreuten zu erkunden und in das Verfahren einzubringen (Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 25. Juni 2003 - XII ZB 169/99 - FamRZ 2003, 1275, 1276).

2010:
  • Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt.

2011
  • Eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht hindert die Bestellung eines Betreuers nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11).
         Eine Vorsorgevollmacht steht der Anordnung der Betreuung auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte  als zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen nicht tauglich erscheint, namentlich erhebliche Zweifel an seiner Redlichkeit im Raum stehen. In diesem Fall genügt die Einsetzung eines Kontrollbetreuers gemäß § 1896 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht.

2012:
  • Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und FamRZ 2011, 1927 Rn. 38) fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung (Aufgabe der Senatsrechtsprechung Senatsbeschlüsse BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008  XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 und vom 22. September 2010  XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
         Deshalb darf der Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlung veranlassen.
  • a)   Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung mangels gesetzlicher Grundlage nicht genehmigungsfähig ist, kommt die Genehmigung einer entsprechenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht in Betracht, wenn die Heilbehandlung wegen der Weigerung des Betroffenen, sich behandeln zu lassen, nicht durchgeführt werden kann (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 20.06.2012 - XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12 - jeweils juris).
    b)   Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt allerdings noch in den Fällen in Betracht, in denen  nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass sich der Betroffene in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht und er die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 152 = FamRZ 2006, 615, 618).

2013:
  • Ein Vorsorgebevollmächtigter ist auch dann ungeeignet, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, wenn er - auch unverschuldet - objektiv nicht in der Lage ist, die Vorsorgevollmacht zum Wohle des Betroffenen auszuüben (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 07.03.2012 - XII ZB 583/11 - FamRZ 2012, 868).
  • Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen, sofern gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen oder der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Der Wille des Betroffenen kann dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohle des Betroffenen zuwiderläuft. Das Gericht, auch das Beschwerdegericht, hat alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Um festzustellen, ob die vom Betroffenen vorgeschlagene Person ungeeignet ist, die Betreuung zu übernehmen, bedarf es im Zweifel der Anhörung dieser Person.

2015:
  • a)     Wird die Betreuung eines Volljährigen gegen dessen Willen angeordnet, so muss festgestellt werden, dass dem an einer psychischen Erkrankung (hier: paranoiden Schizophrenie) leidenden Betroffenen die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für seine Lebensgestaltung zu erkennen.
    b)     Dass gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (Fortführung BGH, 14. März 2012, XII ZB 502/11, FamRZ 2012, 869).
    c)     Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft.
  • a)     Der Betreuer kann eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen ist (Abgrenzung zu den Senatsbeschlüssen vom 13. November 2013 - XII ZB 339/13 - FamRZ 2014, 192 und vom 1. August 2012 - XII ZB 438/11 - FamRZ 2012, 1631).
    b)     Dieser Aufgabenkreis darf einem Betreuer nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen nicht zur Abwehr eines Schadens für den Betroffenen geeignet erscheinen.
    c)     Auch nach einem wirksamen Widerruf der Vorsorgevollmacht durch den Betreuer kann der Bevollmächtigte noch im Namen des Betroffenen Beschwerde gegen die Betreuerbestellung einlegen (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 - XII ZB 330/14 - FamRZ 2015, 1015 und vom 5. November 2014 - XII ZB 117/14 - FamRZ 2015, 249).
    • BGH, Beschl. v. 28.07.2015 - XII ZB 674/14; BGHZ 206, 321; NJW 2015, 3572-3575; FamRZ 2015, 1702; NZFam 2015, 982; BtPrax 2015, 241, m. Aufs. Werner Bienwald, 230; MDR 2015, 1072; DNotZ 2015, 848; ZNotP 2015, 305; ZEV 2015, 644; WM 2015, 1670; Rpfleger 2016, 26, m. Anm. Horst Bestelmeyer, Rpfleger 2015, 705; Anm. Gabriele Müller, NotBZ 2016, 35; Anm. Sybille Meier, FamRB 2015, 469
  • Ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung kann nur abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers noch vorliegen. Deshalb erfordert die Ablehnung eines solchen Antrags die Feststellung, dass dem Betroffenen die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB zu bilden. 
    • BGH, Beschl.v. 16.09.2015 - XII ZB 500/14; FamRZ 2015, 2160, m. Anm. Susanne Sonnenfeld, 2161; NJW-RR 2016, 3; MDR 2015, 1367; BtPrax 2016, 39; FGPrax 2016, 24; RuP 2016, 66; Anm. Matthias Locher, FamRB 2016, 151
  • a)     Zu den bei der gemäß § 1897 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Beurteilung der Eignung als Betreuer zu berücksichtigenden Umständen.
    b)     Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt.
    c)     Bei der Auswahl gemäß § 1897 Abs. 5 BGB zwischen mehreren geeigneten Personen steht dem Tatrichter ein Ermessen zu. Die Auswahlentscheidung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter sich des ihm zustehenden Ermessens bewusst gewesen ist, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat. Hingegen sind Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der Auswahl der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich entzogen. Ausreichend ist insofern, dass die vom Tatsachengericht vorgenommene Auswahl möglich ist, auch wenn sie nicht zwingend erscheint oder eine andere Auswahl ebenso nahe- oder sogar nähergelegen hätte. 

2016:
  • Zur Frage, wann die Einrichtung einer Betreuung trotz bestehender Vorsorgevollmacht erforderlich sein kann.
  • a)     Das krankheitsbedingte Fehlen eines freien Willens i.S.d. § 1896 Abs. 1 a BGB hat das sachverständig beratene Gericht auch dann festzustellen, wenn sich der Betroffene gegen die Bestellung eines Betreuers allein wegen einer vermeintlich wirksamen Vorsorgevollmacht wendet (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 und vom 14. Januar 2015 - XII ZB 352/14 - FamRZ 2015, 648).
    b)     Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Insoweit bedarf es nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14 - FamRZ 2015, 2047).
    c)     Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung.
           Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung, die auch nach den vom Gericht anzustellenden Ermittlungen verbleiben, führen nur dann zur Erforderlichkeit der Betreuung, wenn die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr eingeschränkt ist, entweder weil Dritte die Vollmacht unter Berufung auf diese Bedenken zurückgewiesen haben oder weil entsprechendes konkret zu besorgen ist (Abgrenzung zu Senatsbeschlüssen vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 und vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14 - FamRZ 2015, 2047).
    • BGH, Beschl. v. 03.02.2016 - XII ZB 425/14; NJW 2016, 1514; FamRZ 2016, 701, m. Anm. Tobias Fröschle, 703, u. Anm. Georg Dodegge, 806; BtPrax 2016, 112; FGPrax 2016, 123, m. Anm. Uwe Seifert, FGPrax 2016, 123; GesR 2016, 464: ZEV 2016, 461; Rpfleger 2016, 410

2017:
  • a)     Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Für welche Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann.
  • b)     Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betreute wünscht. Der Wille des Betreuten kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will, etwa weil die vorgeschlagene Person die Übernahme der Betreuung ablehnt oder durch die Übernahme des Amtes in die konkrete Gefahr eines schwerwiegenden Interessenkonflikts gerät (Fortführung BGH, 15. September 2010, XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 und BGH, 17. September 2014, XII ZB 220/14, FamRZ 2014, 1998).
    c)     Das Sachverständigengutachten in einem Betreuungsverfahren muss Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen. Nur dann ist das Gericht in der Lage, das Gutachten zu überprüfen und sich eine eigene Meinung von der Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen zu bilden.
  • a)     Gegen den freien Willen des volljährig Betroffenen kann gemäß § 1896 Abs. 1a BGB kein Betreuer bestellt werden. Entscheidende Kriterien für den freien Willen sind die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und die Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln.
    b)     Die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Festhaltung BGH, 22. Januar 2014, XII ZB 632/12, FamRZ 2014, 647 und BGH, 7. Oktober 2015, XII ZB 58/15, FamRZ 2015, 2158)
    c)     Hat das Tatgericht lediglich angenommen, die Willensbildung bei dem Betroffenen sei "deutlich eingeschränkt bis aufgehoben", so steht damit nicht fest, dass der Betroffene zu einer Willensbildung nicht mehr in der Lage ist. 
  • Ein Betreuervorschlag nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird vielmehr hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Januar 2015 - XII ZB 352/14 - FamRZ 2015, 648). 
  • Ein naher Verwandter des Betroffenen, der zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und den der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, kann nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten seiner Bestellung entgegenstehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285). 
  • Kommt das Beschwerdegericht in einem Betreuungsverfahren zu dem Ergebnis, dass die Betreuung zu Recht angeordnet ist, muss es auch die Betreuerauswahl auf ihre Richtigkeit hin überprüfen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 30. August 2017 - XII ZB 16/17 - juris). 

2018:
  • Zu den Voraussetzungen, unter denen nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB bei der Auswahl eines Betreuers vom Vorschlag des volljährigen Betreuten abgewichen werden darf (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 222/17 - FamRZ 2018, 55).
  • 1.     Ein Vorschlag nach § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt es, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (Fortführung BGH, 14. März 2018, XII ZB 589/17, FamRZ 2018, 945, und BGH, 19. Juli 2017, XII ZB 57/17, FamRZ 2017, 1612).
    2.     Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft.

Andere Zivilgerichte:
  • Bei der Auswahl des Betreuers hat der Wille des Betreuten unbedingt Vorrang. Sein Vorschlag darf nur übergangen werden, wenn die Gefahr begründet ist, dass der Vorgeschlagene sein Amt nicht zum Wohle des Betreuten führen werde. Der Umstand, dass noch geeignetere Personen in Betracht kommen, vermag den Vorschlag des Betreuten nicht zu entkräften.
    • OLG Hamm, Beschl. 30.05.1996 - 15 W 122/96, FamRZ 1996, 1372; NJW-RR 1997, 70
    • OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.06.1996 - 25 Wx 8/96, FamRZ 1996, 1373
    • ObLG München, Beschl. v. 14.06.1996 - 3Z BR 125/96, FamRZ 1996, 1374; NJW-RR 1997, 71
    • OLG Köln, Beschl. v. 16.03.1998 - 16 Wx 48/98, FamRZ 1999, 811
    • ObLG München, Beschl. v. 26.03.1998 - 47 BR 33/98, FamRZ 1999, 53
    • OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.02.2000 - 25 Wx 65/99, NJWE-FER 2000, 291
    • ObLG München, Beschl. v. 22.08.2001 - 3Z BR 221/01, FPR 2002, 274; BtPrax 2002, 36
    • OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.03.2002 - 3 W 14/02, MDR 2002, 949
    • OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.03.2005 - 11 Wx 3/05, BtPrax 2005, 157 
  • Dem nichtehelichen Lebensgefährten des Betroffenen steht gegen Bestellung eines Betreuers kein Beschwerderecht zu.
    • OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.07.1996 - 5 W 127/96, NJW-RR 1997, 451
    • ObLG München, Beschl. v. 22.01.1998 - 4Z BR 1/98. NJW 1998, 1567; MDR 1998, 414
    • OLG Schleswig, Beschl. v. 30.01.2002 - 2 W 5/02, FamRZ 2002, 987; FGPrax 2002, 114; FPR 2002, 277, MDR 2002, 645 
    • OLG Karlsuhe, Beschl. v. 04.09.2007 - 19 Wx 35/07; BtPrax 2007, 258; FamRB 2008, 108; Rpfleger 2008, 74
  • Langjährige nichteheliche Lebensgefährten stehen bei der Auswahl des Betreuers im Rahmen des § 1897 Abs. 5 BGB gleichrangig neben den Kindern und Eltern des Betreuenden. Die Auswahl unter gleichrangig zur Verfügung stehenden, zur Übernahme der Betreuung bereiten Kandidaten erfolgt nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. In diesem Rahmen ist auch der hypothetische Wille des zu Betreuenden zu berücksichtigen.
    • OLG Köln, Beschl. v. 16.04.2002 - 16 Wx 51/99, NJWE-FER 1999, 271
  • § 1896 Abs. 2 BGB ist Ausdruck des das Betreuungsrecht beherrschenden Subsidiaritätsgrundsatzes. Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift ist nach Erteilung einer Vollmacht die Bestellung eines Betreuers nicht bereits dann möglich, wenn nach der Auffassung des Gerichts die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Betreuer vorzuziehen ist.
         Der in der Vollmachtserteilung zum Ausdruck gekommene Wille des Betroffenen verlangt grundsätzliche Beachtung, solange die Ausübung der Vollmacht durch den Bevollmächtigten dem Wohl des Vollmachtgebers nicht zuwiderläuft und auch ergänzende Hilfen nicht möglich sind. Insoweit kann auf die zur Anwendung des § 1897 Abs. 4 BGB (Vorschlag des Volljährigen zur Betreuerbestellung) entwickelten Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden.
    • OLG Brandenburg, Beschl.v. 10.03.2005 - 11 Wx 3/05 3/05; NotBZ 2005, 362
  • Die Anordnung einer Kontrollbetreuung kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Kontrollbetreuung bestehen, weil entweder die Art oder der Umfang der für den Vollmachtgeber auszuführenden Geschäfte dies erfordern oder aber ein konkretes Verhalten des Bevollmächtigten vorliegt, aus dem sich die Möglichkeit einer nicht im Interesses des Vollmachtgebers erfolgenden Geschäftsführung ergibt.
    • OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.11.2005 - 8 W 392/05; BWNotZ 2006, 167
    • Schlesw.-Holst. OLG, Beschl. v. 02.11.2005 - 2 W 169/05; FGPrax 2006, 73
  • Stößt eine Vorsorgevollmacht im Rechtsverkehr in Ansehung des Rechtsberatungsgesetzes auf Akzeptanzprobleme, so können damit die Angelegenheiten des Betroffenen nicht "ebenso gut wie durch einen Betreuer" (vgl. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB) besorgt werden.
    • Schlesw.-Holst. OLG, Beschl. v. 02.11.2005 - 2 W 169/05; FGPrax 2006, 73
  • Legt ein Betroffener in einer Vorsorgevollmacht fest, dass ein Überwachungsbetreuer nur bestellt werden soll, wenn dem Gericht konkrete Tatsachen über den Missbrauch der Vollmacht offen gelegt werden, so hat dies das Vormundschaftsgesreicht grundsätzlich zu beachten.
         Gibt der nicht mehr geschäftsfähige Betroffene jedoch z.B. im Rahmen seiner Anhörung zu erkennen, dass er nunmehr auch ohne die in der Vollmacht festgelegten Voraussetzungen mit der Bestellung eines Überwachungsbetreuers einverstanden ist, ist das Gericht nicht mehr an die frühere Erklärung des Betroffenen gebunden.
    • OLG München, Beschl. v. 27.10.2006 -33 Wx 159/06
  • Wurde dem Betreuer u. a. der Aufgabenkreis „Widerruf von Vollmachten“ übertragen und widerruft er hierauf eine Vorsorgevollmacht, ist der Bevollmächtigte weder in eigenem noch im Namen des Betroffenen befugt, Rechtsmittel gegen die Betreuerbestellung zu erheben.

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Boykott

  • Ob der in der Untersagung eines Boykottaufrufs (hier: durch die CSU-Jugendorganisation gegen Plakatflächenvermieter, die Werbung für die Scientology-Bewegung zulassen) liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt ist, hängt von einer Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen ab. Wesentlich sind zunächst die Motive, das Ziel und der Zweck des Aufrufs. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. I Satz 1 GG grundsätzlich Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf aber das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten. Schließlich müssen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich zu billigen sein.
         Zur Zulässigkeit einer „Prangerwirkung" im Rahmen eines Boykottaufrufs.

Blutspende

  • Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22. März 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile ist dahin auszulegen, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Kriterium für einen Ausschluss von der Blutspende, nämlich das Sexualverhalten, den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die in diesem herrschende Situation eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden für Männer vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.

Ehe

  • Klein, Björn:
    • Das neue Eheverbot der bestehenden eingetragenen Lebenspartnerschaft gemäß § 1306 BGB am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 GG - Unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Gefüge des Grundgesetzes - Frankfurt a.M.: Lang, 2008

Eheähnliche Gemeinschaft

Bundesverfassungsgericht:

  • Mit dem Begriff "eheähnliche Gemeinschaft" in § 137 Abs. 2 AFG ist bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau gemeint, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
    Gemeinschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern oder Verwandten fallen nicht unter diesen Begriff.

    • BVerfG, Urt. v. 17.11.1992 - 1 BvL 8/87; BVerfGE 87, 234; NJW 1993, 643; JZ 1993, 144, mit Anm. Seewald, Otfried, 148

Bundesgerichtshof:
  • Eine eheähnliche Gemeinschaft setzt eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden damit von vornherein aus.
    • BGH, Urt. v. 13.01.1993 - VIII ARZ 6/92; BGHZ 121, 116; NJW 1993, 999; JZ 1993, 950, mit Anm. Medicus, Dieter, 952, JR 1993, 503, mit Anm. Haase, 506, Heinz, Karl Eckhart, JR 1994, 89; ZMR 1993, 261, m. Anm. Merschmeier, Andreas, ZMR 1994, 13; FuR 1993, 156, mit Anm. Finger, Peter, 159

Bundesverwaltungsgericht:
  • Eine eheähnliche Gemeinschaft i.S.d. § 122 Satz 1 BSHG liegt nur dann vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen (im Anschluss an BVerfGE 87, 234 [264 f.] - Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
    • BVerwG, Urt. v. 17.05.1995 - 5 C 16.93; BVerwGE 98, 195; NJW 1995, 2802; DÖV 1995, 865; DVBl. 1995, 1184; FamRZ 1995, 1352; ZfSH/SGB 1995, 640; FEVS 1996, 1; MDR 1996, 216; Anm. Schellhorn in FuR 1995, 311

Bemerkenswert erscheinen auch folgende Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (201/202):

„In Anbetracht der Rechtsprechung einiger Oberverwaltungsgerichte (vgl. ...), dem Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft sei der Einwand abgeschnitten, er unterstütze den bedürftigen Partner nur vorschussweise anstelle des nicht oder nicht rechtzeitig leistungsbereiten Sozialhilfeträger (zur grundsätzlichen Beachtlichkeit dieses Einwands im Sozialhilferecht vgl. BVerwGE 90, 154 [156]; 98, 18 [19 f.]), sieht sich der Senat schließlich zu folgendem Hinweis veranlasst: Die Intention, bedarfsdeckende Leistungen für den Lebensunterhalt eines anderen nur vorschussweise im Wege der „Nothilfe“ anstelle des Sozialhilfeträgers zu erbringen, ist unvereinbar mit der Annahme einer eheähnliche Gemeinschaft. Denn diese ist geprägt durch das Sich-füreinander-verantwortlich-Fühlen, durch innere Bindungen von einer Intensität, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner auch für den Lebensunterhalt des anderen als selbstverständlich erscheinen lassen. Ist der vermögende Partner hierzu nicht bereit, sondern allenfalls zu einer darlehensweisen Überbrückungshilfe, so besteht - wie im Falle der Verwendung des Einkommens ausschließlich zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder zur Erfüllung eigener Verpflichtungen (BVerfGE 87, 234, 8265]) - eine eheähnliche Gemeinschaft noch nicht oder nicht mehr.“

  • siehe dazu:
    • OVG Mannheim, Urt. v. 14.04.1997 - 7 S 1816/95; FEVS 1998, 29; ZFSH/SGB 1998, 471
    • OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.01.1998 - 12 M 345/98; FEVS 1998, 545
    • OVG Saarlouis, Beschl. v. 03.04.1998 - 8 V 4/98; FEVS 1998, 557
    • VGH München, Beschl. v. 01.07.1998 - 12 CE 98.1061; FEVS 1999, 107
    • OVG Schleswig, Beschl. v. 02.01.2002 - 2 M 104/01; FEVS 2003, 166
    • VGH München, Beschl. v. 16.01.2002 - 12 CE 01.2310; FEVS 2002, 550; BayVBl. 2003, 179
  • Die Unterhaltung getrennter Wohnungen stellt ein wesentliches Indiz gegen das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft dar.
    • OVG Schleswig, Beschl. v. 29.06.2000 - 1 M 60/00; FEVS 2001, 223
  • Bei der Prüfung, ob von dem Angehörigen nach dessen Einkommen und Vermögen Leistungen zum Lebensunterhalt an dem mit ihm in Haushaltsgemeinschaft lebenden Hilfesuchenden erwartet werden kann, sind Maßstäbe anzulegen, die sicherstellen, dass dem Angehörigen ein Lebenshaltungsniveau verbleibt, das deutlich über dem der Hilfe zum Lebensunterhalt liegt. Dabei darf von dem doppelten Regelsatz eines Haushaltsvorstandes ausgegangen werden.
    • BVerwG, Urt. v. 29.02.1996 - 5 C 2/95; NJW 1995, 2880; FEVS 1996, 44
  • Genügen die einer Einstandsgemeinschaft im Sinne des Abs. 1 BSHG zur Verfugung stehenden Mittel vorübergehend nicht, den Bedarf insgesamt zu decken, ist zu erwarten, dass sich ein erwachsenes Mitglied der Gemeinschaft, das ein seinen eigenen Bedarf übersteigendes Einkommen erzielt, auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt, wenn dies den übrigen Mitgliedern ermöglicht, ebenfalls den unerlässlichen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Beschränkung ist in einem Umfang von bis zu 20 Prozent des Regelsatzes zu erwarten.
    • OVG Münster, Beschl. v. 10.05.2002 - 12 B 423/02; ZFS 2004, 114
       
  • Ist aufgrund verschiedener Indizien fraglich, ob die zuvor gegebene eheähnliche Gemeinschaft weggefallen war, besteht weiterer Anlass zur Sachverhaltsaufklärung (z.B. durch Hausbesuch). Weigern sich die Antragsteller, einen weiteren Hausbesuch zuzulassen, und ist der Sozialhilfeträger dadurch gehindert, die Hilfebedürftigkeit aufzuklären, so ist er nach §§ 60 Abs. 1 Nr. 1, 66 Abs. 1 S. 1 SGB I berechtigt, die begehrte Sachleistung zu versagen.
    • OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 31.05.2002; 4 B 64/02; FEVS 2003, 40

Bundessozialgericht:
  • Eheähnlich ist die Verbindung zweier Partner unterschiedlichen Geschlechts, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
  • Der Umzug zum Partner einer nichtehelichen Gemeinschaft kann als wichtiger Grund dem Eintritt einer Sperrzeit entgegenstehen, wenn bereits bei Lösung des Beschäftigungsverhältnisses eine eheähnliche Gemeinschaft (Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft) bestanden hat (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung)

Zur Rechtsprechung zur "eheähnliche Gemeinschaft" i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b SGB II a.F. siehe hier.
Zur Rechtsprechung zur "Bedarfsgemeinschaft" i.S.v. § 7 Abs. 3 und 3a SGB II siehe hier.

Eigentumsvermutung

  • Die gesetzliche Vermutung, dass die im Besitz beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner allein gehören, ist auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht entsprechend anzuwenden.
    • BGH, Urt. v. 14.12.2006 - IX ZR 92/05; BGHZ 170, 187; NJW 2007, 992, m. Anm. Metz, Bernhard, 995; FamRZ 2007, 457, m. Anm. Böttcher, Leif, 459; JZ 2007, 528, m. Anm. Roth, Herbert, 530; ZIP 2007, 352; DNotZ 2007, 386; MiiBayNot 2007, 317; MDR 2007, 660

Erbrecht

  • Unentgeltliche Zuwendungen unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen zugunsten eines nichtehelichen Partners sind nur dann sittenwidrig, wenn sie ausschließlich die geschlechtliche Hingabe belohnen oder den Empfänger zur Fortsetzung der sexuellen Beziehung bestimmen oder diese festigen sollen.
    Fehlt es an der Ausschließlichkeit der sexuellen Motive, wirken vielmehr auch andere, achtenswerte oder wertneutrale Beweggründe bei der unentgeltlichen Zuwendung mit, so kommt es entscheidend auf die sonstigen Auswirkungen des Rechtsgeschäfts für Dritte an. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wer zugunsten des Bedachten - etwa die nächsten Angehörigen wie der Ehegatte und die Kinder - zurückgesetzt worden ist, in welchen Beziehungen der Zuwendende zu den Zurückgesetzten stand und wie sich die Verfügung für sie wirtschaftlich auswirkt.
    Diese für die Beurteilung eines "Geliebtentestaments“ inzwischen allgemein anerkannten Grundsätze sind auch für die Beurteilung von Zuwendungen an einen gleichgeschlechtlichen Partner maßgebend.
    • OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 27.06.1994 - 20 W 108/94; FamRZ 1995, 1026; FGPrax 1995, 66; NJW-RR 1995, 265
  • a)     Der Erbe ist nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen; er hat auch die Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in anderer Form zu erbringen.
    b)     Ein eröffnetes öffentliches Testament stellt in der Regel einen ausreichenden Nachweis für sein Erbrecht dar. 
    • BGH, Urt. v. 07.06.2005 - XI ZR 311/04; NJW 2005, 2779; FamRZ 2005, 1548; WM 2005, 1432; ZIP 2005, 1588; MDR 2005, 1352; ZEV 2005, 388; ZErb 2006, 29; DNotZ 2006, 300; ZNotP 2005, 347; MittBayNot 2006, 157; BKR 2005, 316; WuM 2005, 524; Rpfleger 2005, 536. Zu dieser Entscheidung sind viele Anmerkungen, Besprechungen und Aufsätze erschienen, die wir hier nicht dokumentiert haben.
  • Vererbt der Erblasser seiner langjährigen Geliebten einen Miteigentumsanteil am ehelichen Wohnhaus, ist das Testament nicht deswegen sittenwidrig, weil der andere Anteil seiner Ehefrau zusteht und deshalb nach dem Erbfall die Teilungsversteigerung der Immobilie droht.
  • Der Ausschluss der vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kinder von der gesetzlichen Erbfolge nach ihrem Vater gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG verstößt gegen das Diskriminierrungsverbot des Art. 145 i.V.m. Art. EMRK.
  • Eine Benachteiligung nichtehelicher Kinder, deren Eltern die Ehe nach dem 01.07.1998 geschlossen haben, gegenüber denjenigen, deren Eltern vor diesem Tag geheiratet haben, ist mit Art. 6 Abs. 5 GG nicht vereinbar.
  • Wendet der Erblasser die Todesfallleistung aus einem Lebensversicherungsvertrag einem Dritten über ein widerrufliches Bezugsrecht schenkweise zu, so berechnet sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB weder nach der Versicherungsleistung noch nach der Summe der vom Erblasser gezahlten Prämien (Aufgabe von BGHZ 7, 134; Senatsurteil vom 4. Februar 1976 - IV ZR 156/73 - FamRZ 1976, 616 unter 2; vgl. auch RGZ 128, 187).
         Die Pflichtteilsergänzung richtet sich vielmehr allein nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten - juristischen - Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In aller Regel ist dabei auf den Rückkaufswert abzustellen. Je nach Lage des Einzelfalls kann gegebenenfalls auch ein - objektiv belegter - höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein.
  • Ein Grundbuchamt hat einen Erbvertrag auszulegen. Die Vorlage eines Erbscheins kann nur verlangt werden, wenn entscheidungserheblicher Sachverhalt aufzuklären ist.
         Zur Auslegung eines Testaments, in dem eine Nacherbfolge und eine Schlusserbfolge angeordnet sind.
  • Die dem Muster von Nr. 5 Abs. 1 AGB-Sparkassen nachgebildete Klausel einer Sparkasse
    "Nach dem Tode des Kunden kann die Sparkasse zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, ei-nes Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen; fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen der Sparkasse mit deutscher Übersetzung vorzulegen. Die Sparkasse kann auf die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstrecker-zeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie der Nieder-schrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird."
    ist im Verkehr mit Verbrauchern nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
  • Der Erbe kann sein Erbrecht auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegen, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist (Fortführung Senatsurteil vom 7. Juni 2005 - XI ZR 311/04, WM 2005, 1432). 
    • BGH, Urt. v. 05.04.2016 - XI ZR 440/15; NJW 2016, 2409; FamRZ 2016, 1073; WM 2016, 868; ZIP 2016, 1015; ZNotP 2016, 107; ZEV 2016, 320, m. Anm. Dierk Bredemeyer, 322; Erb 2016, 201;  ErbR 2016, 376; DB 2016, 113;1; Rpfleger 2016, 415; Anm. Herbert Grziwotz, EWiR 2016, 357; Anm. Manzur Esskandari, ErbStB 2016, 228; Anm. Ernst Sarres, FamRB 2016, 318

Erektionsstörung

Gesetzliche Krankenversicherung:

  • Das Arzneimittel Viagra war zur Behandlung einer krankheitsbedingten erektilen Dysfunktion bis Ende 2003 nicht von der Versorgung durch die Krankenkassen ausgeschlossen (Fortführung von BSG vom 30.9.1999 - B 8 KN 9/98 KR R = BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11).
         Der ab 1.1.2004 gesetzlich angeordnete Ausschluss der Versorgung mit Arzneimitteln, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, verstößt nicht gegen Art 2 GG.
  • Der durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. 11. 2003 (BGBl. I S. 2190) ab dem 1.1. 2004 in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V eingeführte Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der erektilen Dysfunktion von der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist wegen der gleichzeitig eingeführten strengen Akzessorietät auch im Rahmen der Krankenhilfe nach dem BSHG zu beachten. Nach dieser Neufassung kommt jedenfalls ab dem 01.01. 2004 ein Anspruch eines Hilfeempfängers auf Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra im Rahmen der genannten Hilfeart nicht mehr in Betracht.
    • VGH Kassel, Beschl. v. 11.10.2004 - 10 UE 2731/03; FEVS 2005, 180
  • Versicherte haben gegen ihre Krankenkasse keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung ihrer erektilen Dysfunktion.

altes Recht:

  • Eine erektile Dysfunktion kann i.S.d. gesetzlichen Krankenversicherung eine behandlungsbedürftige Krankheit sein.
         Soweit die Arzneimittel-Richtlinien dem Anspruch auf Verordnung eines entsprechenden Arzneimittels pauschal entgegenstehen, sind sie unwirksam.
         Zum Anspruch auf Versorgung mit einem für die vorgesehen Verwendung nicht zugelassenen Arzneimittel 
    • BSG, Urt. v. 30.09.1999 - B 8 KN 9/98 KR R; BSGE 85, 36; NJW 2000, 2764 (hier: Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie - SKAT).

Beihilfe:
  •  Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet, den amtsangemessenen Lebensunterhalt des Beamten auch in Krankheitsfällen sicherzustellen. Erfüllt er diese Pflicht durch Gewährung ergänzender Beihilfen zu den Krankheitskosten, kann er nicht ein einzelnes ärztlich verschriebenes, wirksames und nicht kostengünstiger erhältliches Medikament generell und ohne Rücksicht auf den Grund der Verschreibung von der Beihilfefähigkeit ausnehmen.
         Dient das Medikament „Viagra" nach ärztlicher Feststellung der Linderung eines durch Krankheit verursachten behandlungsbedürftigen Leidens, können die Aufwendungen für seine Beschaffung beihilfefähig sein.
  • Der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für potenzsteigernde Mittel auch in Krankheitsfällen ist mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
  • Der in § 5 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 BhV SL enthaltene Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel, die zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion verordnet sind (hier: Veridal), ist wirksam (im Anschluss an BVerwG, Urt.v.28.5.2008 - 2 C 108/07).

Private Krankenversicherung:
  • Das Präparat Viagra ist ein spezifisches Medikament zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion, wenn es sich bei dieser um eine Folgeerkrankung des Diabetes mellitus Typ II handelt.
    • OLG München, Urt. v. 08.08.2000 - 25 U 4628/99; NJW 2000, 3422; VersR 2001, 577
  • Ist die Verordnung von "Viagra" aus medizinischen Gründen erfolgt, kann die Krankenversicherung ihrem Versicherungsnehmer nicht entgegenhalten, die Einnahme des Mittels und die Ausübung der Geschlechtsverkehrs seien wegen seiner Kreislauferkrankung zu gefährlich.
    • OLG Karlsruhe, Urt. v. 03.07.2003 - 12 U 32/03; NJW 2003, 3279; VersR 2003, 1432
  • Der Verbrauch einer zwölf Tabletten umfassenden Packung alle zwei bis drei Monate, was einem Verbrauch von weniger als 1,5 Tabletten pro Woche entspricht, ist nicht zu beanstanden.
    • AG Mannheim, Urt. v. 21.03.2003 - 11 C 574/02; VersR 2003, 1434

Familien- und Ortszuschlag


  • Ein Beamter, der in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt, hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 2.


    • BVerwG, Urt. v. 28.10.1993 - 2 C 39.91 - BVerwGE 94, 253; NJW 1994, 1168; DVBl. 1994, 584; DÖV 1994, 303; DÖD 1994, 285; RiA 1995, 28
       

  • Angestellte, die in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft leben, haben keinen Anspruch auf den erhöhten Ortszuschlag für verheiratete Angestellte. § 29 B BAT verstößt insoweit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.


    • BAG, Urt. v. 15.05.1997 - 6 AZR 26/96, NJW 1998, 1012; NZA 1998, 207; FamRZ 1998, 545; DB 1998, 2612, ZTR 1998, 126
    • BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats) Beschl. v. 21.05.1999 - 1 BvR 726/98; NZA 1999, 878; FamRZ 1999, 1417; ZTR 1999, 412; BayVBl. 1999, 626
       

  • Wenn eine Frau mit einer anderen Frau zusammenlebt und deren Kindern Unterhalt gewährt, steht ihr nach BAT für die Kinder der erhöhte Ortszuschlag zu.


    • ArbG Hamburg, Urt. v. 01.12.1999 - 11 Ca 137/99 (PDF-Dokument - 705 KB), STREIT, 2000, 86
      Gegen dieses Urteil hatte die Arbeitgeberin Sprungrevision zum BAG eingelegt, sie nach der mündlichen Verhandlung aber zurückgenommen.

GAY-Saunen

--- Gaststättengesetz

  • 1.     Wer ohne strafrechtlich relevantes Verhalten in einem abgeschirmten Bereich einen Swinger-Club betreibt, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub.
    2.     Der Betrieb eines Swinger-Clubs ist nicht generell verboten.
    3.     Der Gefahrenabwehrcharakter des § 4 Abs. 1 Satz 1  Nr. 1 GastG beschränkt dessen Anwendungsbereich auf solche Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, durch Strafnormen verboten sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen.
    4.     Ordnungsrechtliches Ziel des § 4 Abs. 1 Satz 1  Nr. 1 GastG ist nicht der Schutz vor dem sexuellen Geschehen als solchem oder die Verhinderung der Erzielung von Einkünften daraus, sondern vornehmlich der Schutz vor der ungewollten Konfrontation mit derartigen Vorgängen.
    5.     In der Teilnahme an einem "Pärchentreff" liegt keine Verletzung der Menschenwürde.
    6.     Gruppensex, Partnertausch und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch Dritte entspricht keinem ausreichend verbreiteten sozialethischen Unwerturteil, wenn Jugendliche nicht und dritte Personen nicht ungewollt mit dem Geschehen in den Betriebsräumen in Kontakt kommen können.
    • BVerwG, Urt. v. 06.11.2002 - 6 C 16.02; DVBl. 2003, 741; NVwZ 2003, 603; GewArch 2003, 122, m. Anm. Pauly, Renate, 151; BayVBl. 2003, 343
    • Vorinstanz: VGH München, Urt. v. 29.04.2002 - 22 B 01.3183, NVwZ 2002, 1393
    • VG Berlin, Beschl. v. 17.01.2000 - VG 4 A 441.99, GewArch 2000, 125
    • VG Berlin, Urt. v. 01.12.2000 - 35 A 570/99, NJW 2001, 983; Grundeigentum 2001, 281; GewArch 2001, 128; STREIT 2001, 11
  • 1.     Ein Gastwirt, der wegen Hehlerei verurteilt wurde, besitzt nicht die für den Betrieb der Gaststätte erforderliche Zuverlässigkeit, auch wenn er diese Straftat nicht in seiner Gaststätte beging, sondern die Verurteilung deshalb erfolgte, weil er die Gegenstände in seinem Privathaus einlagerte.
    2.     Auch nach In-Kraft-Treten des Prostitutionsgesetzes darf eine Gaststättenerlaubnis jedenfalls dann widerrufen werden, wenn die in der Gaststätte ausgeübte Prostitution von kriminellen Delikten begleitet wird (hier: Verstöße gegen das Ausländergesetz).
  • 1.     Die Umwandlung eines Bistros in einen sog. Swingerclub unter Beibehaltung eines Teils des Schankraums zur Abgabe von Speisen und Getränken stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar.
    2.     Ein Swingerclub (Einrichtung mit dem Zweck, den Besuchern gegen eine Entgeltpauschale Gelegenheit zu sexuellen Kontakten mit gleich gesinnten Partnern oder Paaren zu bieten bzw. zu solchen Betätigungen anzuregen) ist städtebaulich als Vergnügungsstätte einzustufen (wie Beschluss vom 11.06.1990 - 3 S 1036/90 -, VBlBW 1991, 27 ff.); daran ändert nichts, dass als Nebenzweck in einem abgetrennten Bereich Speisen und Getränke verabreicht werden.
  • 1.     Wer in einem Bordell eine Gaststätte betreibt und dort die Anbahnung von Kontakten zwischen Prostituierten und Kunden ermöglicht, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub.
  • 2.     Auf freier Selbstbestimmung beruhende, den Regelungen des Prostitutionsgesetzes entsprechende sexuelle Handlungen ohne Öffentlichkeitsbezug widersprechen nicht schon wegen ihrer Entgeltlichkeit dem Menschenbild des Grundgesetzes.

--- Umsatzsteuer

  • Hinweis:
    Das Bundesministerium der Finanzen hat durch Rundschreiben vom 28.10.2014 angeordnet, dass die Verabreichung eines Heilbads im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen muss. Gleichzeitig hat es seinen Nicht-Anwendungserlass vom 20.03.2007 hinsichtlich des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 12.05.20005 (V R 54/02, BStBl 2007 II S. 283) aufgehoben.
    Die Neuregelung tritt am 01.07.2015 in Kraft. Demgemäß müssen ab dem 01.07.2005 alle Saunen die normale Umsatzsteuer von 19 % zahlen. Damit ist die bisherige Unterscheidung der Finanzämter zwischen GAY-Saunen (19 % Umsatzsteuer) und sonstigen Saunen (7 % Umsatzsteuer) überholt.

BFH:
  • Der Betreiber eines Sportzentrums, der den Besuchern gegen Pauschalentgelt nicht nur die Möglichkeit eröffnet, die Anlagen im Sportzentrum zu benutzen, sondern auch die Nutzung einer Sauna gestattet, erbringt eine Leistung eigener Art. Diese ist nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG 1993 (Verabreichung von Heilbädern) begünstigt.
  • Die Verabreichung eines Heilbads muss der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen. Hiervon kann bei der Nutzung einer Sauna in einem Fitnessstudio regelmäßig keine Rede sein; sie dient regelmäßig lediglich dem allgemeinen Wohlbefinden (Abgrenzung zu Abschn. 171 Abs. 3 UStR 2005 - jetzt Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) zu § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG).
    • BFH, Urt. v. 12.05.2005 - V R 54/02; BStBL. 2007 II, 283; BFHE 209, 171; DStR 2005, 1227; BFH/NV 2005, 1470; HFR 2005; 893 - Konsolidierter Text der im vorstehenden Urteil erwähnten Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977
    • Siehe dazu das BMF-Schreiben v. 20.03.2007 - IV A 5 - S 7243/07/0002; BStBl. I 2007, 307; DB 2007, 717:
      "Umsatzsteuer; Steuersatz auf Umsätze aus der Verabreichung von Heilbädern; Konsequenzen aus dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2005, V R 54/02
      Mit Urteil vom 12. Mai 2005, V R 54/02 1, hat der BFH entschieden, dass die Verabreichung eines Heilbads i.S.v. § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen muss. Hiervon könne bei der Nutzung einer Sauna in einem Fitnessstudio regelmäßig keine Rede sein; sie diene regelmäßig lediglich dem allgemeinen Wohlbefinden.
           Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind die Grundsätze dieses Urteils über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.
           Nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze sowie die Verabreichung von Heilbädern. Letztere müssen zumindest allgemeinen Heilzwecken dienen. Entgegen der Auffassung des BFH ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Sauna, die in einem Fitnessstudio betrieben wird, allgemeinen Heilzwecken dient und damit die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG erfüllt. Die Grundsätze der Einheitlichkeit der Leistung bleiben unberührt."
  • 1.     In der Gestattung der Nutzung einer Sauna ist keine nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG begünstigte Verabreichung eines Heilbads zu sehen.
    2.     Es ist geklärt, dass ein Betreiber eines Fitness-Centers, der seinen Mitgliedern neben einer Sauna noch weitere nicht von § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG erfasste Einrichtungen und Leistungen gegen ein Pauschalentgelt unabhängig von der wirklichen Inanspruchnahme verabreicht, keine steuerbegünstigten Leisngen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG erbringt (BFH-Beschluss v. 22.11.00 V B 115/00 , BFH/NV 2001, 655).
  • 1.     Wurde ein Besteuerungstatbestand vor einer Änderung einer verschärfenden Rechtsprechung verwirklicht, so ist eine solche verschärfende Rückwirkung - soweit bei nicht bestandskräftigen Steuerbescheiden davon gesprochen werden kann - aufgrund der sich aus der der Rechtsprechung eigenen Aufgabe der Rechtsfortbildung zulässig. Auch der Gesetzgeber geht (§ 176 AO) von der Zulässigkeit einer rückwirkend verschärfenden Rechtsprechung aus.
    2.     Sowohl der Begriff "Verabreichung von Heilbädern" in § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG als auch der Begriff "Thermalbehandlung" in Kategorie 16 des Anhangs H EWGRL 388/77 ist dahin zu verstehen, dass diese im Rahmen einer medizinischen Heilbehandlung erfolgen müssen (hier: Saunaumsätze eines Fitnessstudios).
  • 1.     Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG für die Nutzung einer Sauna nicht gilt, wenn der Besuch der Sauna im Rahmen eines Gesamtpakets stattfindet und das auch dann gilt, wenn das Entgelt für das Gesamtpaket nach den einzelnen Leistungen aufgegliedert wird.
    2.     Geklärt ist auch, dass der ermäßigte Steuersatz nur gelten kann, wenn der Saunabesuch ärztlich verordnet wurde.
  • 1.     Ein "Heilbad" muss zweckbestimmt der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen. Wird die Verabreichung eines Bades nicht zu Heilzwecken durchgeführt, sondern erfolgt sie aus anderen Gründen, insbesondere zum Zwecke der Erholung oder des Wohlbefindens, liegt keine Verabreichung eines Heilbades vor. Diese Abgrenzung kann zur Anwendung unterschiedlicher Steuersätze führen, wenn der Unternehmer ein Starksolebad zu therapeutischen Zwecken einerseits und zu Erholungszwecken andererseits verabreicht (vgl. dazu auch EuGH-Urteil vom 21. März 2013 C-91/12, PFC Clinic AB, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2013, 335, Rdnrn. 28 und 31).
    2.     Der nationale Begriff Schwimmbad (§ 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 Alt. 1 UStG ) ist richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen. Ein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage muss zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Anzeichen dafür sind z.B. die Unterteilung in Schwimmbahnen, die Ausstattung mit Startblöcken, eine angemessene Tiefe oder ein angemessenes Ausmaß des Schwimmbeckens (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Februar 2013 C-18/12, M?sto Žamberk, UR 2013, 338, Rdnr. 34). Kein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage ist daher eine Einrichtung, in der lediglich ein Erholungsbad genommen werden kann.

FG:
  • 1.     Abschnitt 171 Abs. 3 Satz 2 und 3 UStR (jetzt Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) zu § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG) und das BMF-Schreiben v. 20.03.2007 - IV A 5 - S 7243/07/0002, BStBl. I 2007, 307 (siehe oben), sind keine Ermessensrichtlinie, sondern norminterpretierende Verwaltungsvorschriften. Sie geben die Rechtsmeinung der Verwaltung wieder, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs falsch und dass deshalb der ermäßigte Steuersatz doch auf Saunen anwendbar sei.
    2.     Da der Bundesfinanzhof § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG richtig interpretiert hat, verstößt die Verwaltungspraxis der Finanzbehörden, von "normalen" Saunen nur den ermäßigten Steuersatz zu erheben, gegen das Gesetz.
    3.     Aus dieser rechtswidrigen Verwaltungspraxis können GAY-Saunen, die von der Verwaltung nicht so günstig behandelt werden, keine Rechte ableiten.
  • 1.     Der Betreiber eines Fitnessstudios mit angeschlossener Sauna erbringt seinen Kunden gegenüber, die überwiegend ein Gesamtpaket zur Nutzung beider Bereiche abgeschlossen haben, eine einheitliche, nicht steuerbegünstigte sonstige Leistung. Er wendet den Empfängern das Recht zu, die Einrichtungen und die damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten in der Gesamtheit in Anspruch zu nehmen. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers handelt es sich um eine wirtschaftlich einheitliche Leistung, die im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespaltet werden darf.
    2.     Selbst wenn die Zulassung zur Saunanutzung als eigene Leistung  beurteilt werden könnte, läge darin keine steuerbegünstigte Verabreichung von Heilbädern (BFH-Urteil vom 12.5.2005 V R 54/02).
    3.     Der Versagung des begünstigten Steuersatzes für die Saunanutzung in geänderten Steuerbescheiden für 2001 bis 2003 steht nicht entgegen, dass der BFH im Jahr 2005 insoweit die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG verneint hat. Eine rückwirkende verschärfende Rechtsprechung ist zulässig. Es besteht insoweit kein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO.
  • 1.     Bei dem Angebot von GAY-Saunen steht nicht der isolierte Saunabetrieb, sondern die Ermöglichung der Anbahnung und Aufnahme von (sexuellen) Kontakten unter homosexuellen Männern im Vordergrund. Es liegt deshalb eine einheitliche nicht begünstigte Leistung vor.
    2.     Eine Verurteilung des Finanzamts zur abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO kommt deshalb nicht in Betracht.
  • 1.     Die Saunanutzung in einem Fitnessstudio insbesondere im Rahmen eines Gesamtpakets unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz.
    2.     Abweichende Verwaltungsanweisungen (Nichtanwendungserlass vom 20.3.2007, BStBl I S. 307; Abschn. 171 Abs. 3 UStR 2005; Abschn. 12.11. Abs. 4 UStAE) sind bei der Entscheidung durch das Gericht grundsätzlich unbeachtlich.
    3.     Im Übrigen käme selbst unter Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur insoweit in Betracht als die Saunaleistungen nicht im Rahmen eines Gesamtabonnements für das gesamte Fitnessstudio erbracht worden sind, sondern Eintrittskarten nur für die Sauna gekauft worden sind. 

--- Vergnügungssteuer, Sexsteuer

  • Zu den die Vergnügungssteuer als Aufwandsteuer kennzeichnenden Merkmalen gehört insbesondere, dass sie auf den Benutzer der Veranstaltung abwälzbar sein muss. Die Überwälzbarkeit einer Steuer bedeutet jedoch nicht, dass dem Steuerschuldner die rechtliche Gewähr geboten wird, er werde den als Steuer gezahlten Geldbetrag - etwa wie einen durchlaufenden Posten - von der vom Steuergesetz der Idee nach als Steuerträger gemeinten Person auch ersetzt erhalten. Die Steuerüberwälzung ist ein wirtschaftlicher Vorgang; das Gesetz überlässt es dem Steuerschuldner, den Steuerbetrag in die Kalkulation einzubeziehen und die Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens auch dann zu wahren (vgl. BVerfGE 14, 76 <96>).
  • 1.     Die Einordnung eines Diskothekenbetriebs als vergnügungssteuerpflichtige Tanzveranstaltung steht mit Art. 105 Abs. 2 a GG in Einklang.Der bundesrechtliche Aufwandsbegriff gebietet nicht, dass bei der Berechnung einer Vergnügungssteuer, die an den Eintrittspreis für die Vergnügungsveranstaltung anknüpft, jede darin enthaltene, an sich vergnügungssteuerfreie Ware und Leistung außer Ansatz zu bleiben hat.
    2.     Sieht der Satzungsgeber die steuermindernde Berücksichtigung solcher im Eintrittspreis enthaltener Waren und Leistungen vor, müssen sie realitätsgerecht mit dem Wert erfasst werden, den sie im Rahmen der konkreten vergnügungssteuerpflichtigen Gesamtveranstaltung bei typisierender Betrachtung für den durchschnittlichen Besucher haben.
    3.     Die Gemeinde kann die Vergnügungssteuer als am Eintrittspreis orientierte Kartensteuer und daneben als Auffangtatbestand auch in der Form einer an die Raumgröße der Veranstaltungsstätte anknüpfenden Pauschsteuer erheben.
  • Für die Abwälzbarkeit der Vergnügungssteuer auf die sich Vergnügenden genügt  die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Veranstalter den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen treffen kann. Die rechtliche Gewähr, dass er den von ihm entrichteten Betrag immer von demjenigen erhält, der nach der Konzeption des Gesetzgebers letztlich die Steuer tragen soll, muss dem Steuerschuldner nicht geboten werden. Es reicht aus, wenn die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger angelegt ist, auch wenn eine Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt.
  • 1.     Bei der „Kölner Sexsteuer“ handelt es sich um örtliche Aufwandsteuer im Sinne von Art. 105 Abs. 2 a Grundgesetz. Mit ihr soll die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der sich sexuellen Vergnügungen hingebenden Personen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs sowie ähnlichen Einrichtungen im Stadtgebiet von Köln belastet werden.
    2.     Der Charakter der Steuer als Aufwandsteuer wird nicht dadurch geändert, dass diese als Pauschsteuer nach der Größe der Veranstaltungsfläche bemessen wird.
    3.     Diese Steuer ist konzeptionell auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den eigentlichen Steuerträger angelegt. Die Unternehmer haben die Möglichkeit, die anfallende Vergnügungssteuer an die Kunden ihrer Einrichtung weiterzugeben, indem sie ihre Preisgestaltung entsprechend anpassen. 
  • Die rückwirkende Änderung einer Vergnügungssteuersatzung verstößt nicht gegen das Prinzip des Vertrauenschutzes, wenn in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorausgegangen sind und mit der Neuregelung kein neuer Steuertatbestand eingeführt, sondern nur eine unwirksame Abgabensatzung geheilt wird.
  • 1.     Die "gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs, Bordellen sowie ähnlichen Einrichtungen" kann Gegenstand einer kommunalen Vergnügungssteuer sein.
    2.     Die Größe der Veranstaltungsfläche ist ein für die Bemessung einer solchen Steuer zulässiger (Wahrscheinlichkeitsmaßstab) Maßstab.
    3.     Als Schuldner der Steuer kann der Betreiber der betreffenden Einrichtung herangezogen werden.
    4.     Zum Begriff des Betreibers im Falle eines Bordells in Form eines sogenannten "Laufhauses".
    5.     Die für die Berechnung der Vergnügungssteuer maßgebliche Veranstaltungsfläche umfasst im Falle eines Bordells in Gestalt eines "Laufhauses" nicht nur die Flächen der an die Prostituierten überlassenen Zimmer, sondern auch die Flächen des "Kontakthofs" und einer Cafeteria.
  • Zur Zulässigkeit der Sexsteuer.
  • Eine Heilung einer unwirksamen kommunalen Vergnügungssteuersatzung, die eine Besteuerung sexueller Vergnügungen vorsah, kann mit Wirkung für vergangene Zeiträume ohne Verletzung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes grundsätzlich dann erfolgen, wenn der mit der Rückwirkung versehenen Neuregelung in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorausgegangen sind, wenn es also nur darum ging, Fehler in einer Satzung zu heilen, die namentlich hinsichtlich des zu besteuernden Gegenstandes beanstandungsfrei hätte erlassen werden können. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, von einer solchen Abgabe verschont zu werden, kann dann nicht entstehen.
  • 1.     Höherrangiges Recht hindert den Satzungsgeber nicht, Filme mit pornographischem Inhalt zu Lenkungszwecken einer höheren Steuer zu unterwerfen als andere Filme.
    2.     Als pauschaler Ersatzmaßstab für die Bemessung der Vergnügungssteuer kommt die Raumgröße der Veranstaltungsstätte in Betracht. Einer solchen Pauschalierung fehlt auch grundsätzlich nicht der gebotene Bezug zum Vergnügungsaufwand der Konsumenten. Mit der Größe der Veranstaltungsfläche steigen typischerweise auch die Einnahmen, weil mehr Gäste aufgenommen werden können und so im Regelfall auch mehr konsumiert werden wird. Der Umsatz steht seinerseits - ebenso wie die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern - in Relation zu dem durchschnittlichen Aufwand der Besucher der Veranstaltung (vgl. Urteil vom 3. März 2004 - BVerwG 9 C 3.03 - BVerwGE 120, 175 <182 f., 185 f.>).
    3.     Aus dem Umstand, dass die Eintrittspreise von Saunen mit und ohne Filmvorführungen gleich hoch sind, kann nicht gefolgert werden, dass das Filmangebot nicht in den etwa für den Eintritt in die Sauna der Klägerin zu entrichtenden Preis einkalkuliert wurde. 
  • 1.     Der Aufwand für die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen kann besteuert werden, ohne dass es darauf ankommt, ob geschlechtsbezogene Handlungen stattfinden.
    2.     Der Flächenmaßstab ist für die Besteuerung der Veranstaltung "gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen" geeignet.
  • Der Flächenmaßstab ist für die Erhebung der Sexsteuer für einen Saunaclub geeignet. Die Geeignetheit dieses Maßstabes wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch andere Maßstäbe in Betracht kommen.
  • 1.     Der Flächenmaßstab weist den erforderlichen lockeren Bezug zu dem Vergnügungsaufwand des einzelnen Besuchers auf. Zwar steht die Größe der Veranstaltungsfläche in keinem direkten Zusammenhang mit dem Aufwand des einzelnen Besuchers der Veranstaltung, wohl aber mit der Umsatzerwartung des Veranstalters. Mit der Größe der Veranstaltungsfläche werden typischerweise auch die Einnahmen steigen, weil mehr Gäste aufgenommen und mehr Dienstleistungen in Anspruch genommen werden können. Der bei einer Veranstaltung erzielte Umsatz steht wiederum in Relation zu dem durchschnittlichen Aufwand der Veranstaltungsbesucher und stellt so den geforderten Bezug zwischen der Veranstaltungsfläche und dem im Ergebnis zu besteuernden Benutzungsaufwand her.
    2.     Auch Räume, die - wie hier der Veranstaltungsraum, das Schwimmbad, die Sauna, der Kaminraum etc. - lediglich der Anbahnung der sexuellen Kontakte dienen, können in die maßgebliche Veranstaltungsfläche eingerechnet werden. Bei einer sinnorientierten Gesamtschau gehören auch diese Räume zur Veranstaltungsfläche.
  • 1.     Die Besteuerung des Aufwands für die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs sowie ähnlichen Einrichtungen erfasst auch Bordelle.
    2.     Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab der Veranstaltungsfläche ist für die Besteuerung des sexuellen Vergnügens in Bordellen zulässig. Er weist den erforderlichen lockeren Bezug auf, weil es wahrscheinlich ist, dass der Umfang des Vergnügungsaufwands mit der Größe eines Betriebes wächst.
    3.     Flurflächen dürfen hierbei als Veranstaltungsflächen in Ansatz gebracht werden. Dies ist im Sinne der grundsätzlich gestatteten Pauschalierung zulässig, auch wenn die Flure ausschließlich dem bloßen Zu- und Abgang zu und von den Zimmern dienen sollten. Feinsinnige satzungsrechtliche Unterscheidungen etwa zwischen Bettbereichen, Aufenthaltsräumen, Kontaktzonen, Ruhezonen, Fluren mit und ohne Aufenthaltsfunktion müssen nach höherrangigem Recht nicht vorgenommen werden.
  • 1.     Eine Satzungsregelung, welche die "gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bordellen, Laufhäusern, Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs und ähnlichen Einrichtungen" mit einer Vergnügungssteuer belegt, ist hinreichend bestimmt. Ihr Anwendungsbereich ist nicht auf Einrichtungen mit Bezug zum Rotlichtmilieu beschränkt.
    2.     Das Angebot von Tantra-Massagen als Ganzkörpermassagen unter Einbeziehung des Intimbereichs in einem Massage-Studio ist eine "gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen" im Sinne dieser Satzungsregelung.
  • Die doppelte Belastung desselben Steuerguts durch verschiedene Steuergegenstände ist grundsätzlich zulässig (hier des Aufwands des sich sexuell Vergnügenden mit einer vom Bordellbetreiber und von der Prostituierten erhobenen Aufwandsteuer). Es ist angesichts der Schwierigkeiten, im Bereich sexuellen Vergnügens den individuellen, wirklichen Vergnügungsaufwand verwaltungspraktikabel festzustellen, nicht erkennbar, dass die pauschale Besteuerung des Aufwands bei der Prostituierten mit 6 Euro je Arbeitstag auf einem unzulässigen Wahrscheinlichkeitsmaßstab beruht. Das Prostitutionsgesetz steht einer solchen Besteuerung nicht entgegen.
  • Der Gesetzgeber ist im Vergnügungsteuerrecht von Verfassungs wegen nicht auf einen Wirklichkeitsmaßstab beschränkt. Wählt er stattdessen einen anderen (Ersatz- oder Wahrscheinlichkeits-)Maßstab, so ist er auf einen solchen beschränkt, der einen bestimmten Vergnügungsaufwand wenigstens wahrscheinlich macht. Dabei muss der gewählte Maßstab einen zumindest lockeren Bezug zu dem Vergnügungsaufwand aufweisen (hier: Flächenmaßstab für einen Bordellbetrieb).
  • 1.     Nach der hier auszulegenden Satzung erfasst die Besteuerung des Aufwands für die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs sowie ähnlichen Einrichtungen auch einen Massagebetrieb mit der Spezialisierung auf Tantramassage. Dieser Betrieb bezieht in Abgrenzung von medizinischen Massagebetrieben grundsätzlich und hervorgehoben sexuelle Lust als "eine der stärksten und ursprünglichsten Quellen für Lebensfreude und Zufriedenheit" ein. Nach dem Internetauftritt des Betriebes beinhalten "alle unsere Massagen...die Möglichkeit einer Yoni-/Lingam-Massage", womit speziell auf den Genitalbereich ausgerichtete Massagen gemeint sind.
    2.     Der Besteuerungsmaßstab von 3 Euro je angefangener 10 Quadratmeter Veranstaltungsfläche ist unbedenklich.

Hausratsverordnung


  • Die Vorschriften der Hausratsverordnung sind weder direkt noch analog auf nichteheliche Lebensgemeischaften anwendbar.


    • OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2005 - 4 WF 86/05; FamRZ 2005, 2085

Hinterbliebenenrente


  • Witwenrente kann nicht beansprucht werden, wenn lediglich eine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit dem verstorbenen Versicherten bestanden hat.


    • BVerfG, Beschl. v. 28.02.2005 - 1 BvR 155/05; NJW 2005, 1709; BetrAV 2005, 499
    • BSG, Urt. v. 04.03.1982 - 4 RJ 13/81; BSGE 53,137; NJW 1982, 1894
    • BSG, Urt. v. 30.3.1994 - 4 RA 18/93; NJW 1995, 3270, mit Anm. Ruland, Franz, 3234 

  • Ist nach der Satzung eines berufständigen Versorgungswerks den Angehörigen eines Mitglieds nach dessen Tod eine Hinterbliebenenrente zu gewähren, so folgt aus 3 Abs. 1 GG nicht, dass ein entsprechender Anspruch auch dem Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zusteht.
         Bundesrecht gebietet es grundsätzlich nicht, die Beiträge zur berufständischen Versorgung zu ermäßigen, wenn Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung etwa deswegen voraussichtlich nicht entstehen, weil das Mitglied des Versorgungswerks in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft lebt.


    • BVerwG, Beschl. v. 29.02.2000 - 1 B 82/99; NJW 2000, 2038; DVBl. 2000, 1771; DÖD 2001, 36; BRAK-Mitt. 1/2001, 47