3.2.4. Einsatz für Rechte LSBTI-Geflüchteter gegenüber BAMF, Gerichten und Politik
Interessenvertretung gegenüber der Politik
Im vergangenen Jahr gelangen dem LSVD im Bereich Asyl und Flucht bezüglicher zahlreicher politischer Forderungen einige Durchbrüche. An erster Stelle zu nennen ist hier der Erfolg bezüglich des „Diskretionsgebots“: Nachdem vier Verwaltungsgerichte der Argumentation des LSVD gefolgt waren und der Anwendung des „Diskretionsgebots“ eine Absage erteilt haben, schloss sich auch das Bundesinnenministerium dieser Sicht an. Seit dem 1. Oktober 2022 geht das BAMF bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit nunmehr von einem im Alltag geouteten Leben von LSBTI-Geflüchteten aus. In der Folge änderte sich nicht nur tatsächlich die Bescheidungspraxis, sondern auch zahlreiche aufgrund des Diskretionsgebots negativ beschiedene Altfälle wurden vom Bundesamt korrigiert.
Der zweite große Erfolg betrifft die Aufnahme besonders gefährdeter LSBTI-Personen aus Afghanistan. Nachdem LSBTI zunächst keine Berücksichtigung finden sollten, gelang es dem LSVD, die Bundesregierung davon zu überzeugen, sowohl das sogenannte Brückenprogramm als auch das auf mehrere Jahre angesetzte Aufnahmeprogramm Afghanistan für LSBTI zu öffnen. Ob nun auch tatsächlich die Aufnahme einer großen Anzahl von LSBTI-Afghan*innen erfolgt, ist jedoch vor allem von der Entwicklung vor Ort und damit verbundenen pragmatischen Lösungen abhängig. Hierzu steht der LSVD im engen Austausch mit der Bundesregierung wie auch mit internationalen (beispielsweise ILGA-Asia), nationalen (beispielsweise BAfF) und regionalen (beispielsweise Rat&Tat Bremen) Partnerorganisationen.
Ein dritter maßgeblicher Erfolg stellt die Einführung einer besonderen Rechtsberatung für queere Verfolgte dar, die bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart worden war. Hier hat sich der LSVD intensiv dafür eingesetzt, dass diese LSBTI-spezifische Beratung bei der Einführung der unabhängigen Asylverfahrensberatung angemessen berücksichtigt wird. Es ist maßgeblich auf die Intervention des LSVD zurückzuführen, dass sich auch LSBTI-Organisationen seit Februar 2023 auf die Förderung der neuen besonderen Rechtsberatung bewerben können. Für 2023 sind für die besondere Rechtsberatung für queere und andere vulnerable Geflüchtete insgesamt zwei Millionen Euro veranschlagt. Im Februar hat der LSVD eine Online-Informationsveranstaltung zur Einführung der besonderen Rechtsberatung veranstaltet, an der zahlreiche an der Förderung interessierte LSBTI-Organisationen sowie auch der Paritätische Bundesverband teilgenommen haben.
Hinzu kommen weitere Verbesserungen, die in der Zusammenarbeit mit dem BAMF erreicht werden konnten. Hier sei besonders die Vorstandsarbeit bei der Zusammenarbeit im Rahmen der Sprachmittlung hervorzuheben. Wie bereits mit Bezug auf das Projekt QRD erwähnt, hat der LSVD-Bundesvorstand seine Expertise in die Erstellung der BAMF-Kataloge mit LSBTI-sensiblen Begrifflichkeiten für die Sprachmittlung in mehreren Herkunftssprachen einbringen können.
Die genannten Erfolge sind Folge einer engen Vernetzung mit zahlreichen Beratungsstellen in ganz Deutschland, zahlreicher Publikationen in Fachzeitschriften (vor allem dem Asylmagazin), einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit, aber auch einem engen Austausch mit Politik und Verwaltung. Hierzu gehören vor allem die Gespräche mit Vertreter*innen der queeren Parteiorganisationen und der Regierungsfraktionen, aber auch hochrangige Gespräche mit Personen wie dem Kanzleramtschef, Wolfgang Schmidt, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, und dem parlamentarischen Staatssekretär im BMI, Mahmut Özdemir.
Überdies steht der LSVD mit BMI und BAMF in engem Austausch zu weiteren, kleinteiligeren Themen wie etwa der Frage der Berücksichtigung gleichgeschlechtlicher Paare als Familie im Asylsystem. Da diese in der Regel nicht heiraten konnten bzw. auch eine Heirat im Ausland ihre Gefährdung im Herkunftsland massiv verschärft hätte, werden gleichgeschlechtliche Paare bezüglich des sogenannten Familienasyls, aber auch im Rahmen des Familiennachzugs diskriminiert.
Unterstützung
Auch im vergangenen Jahr hat der LSVD im Rahmen der Vorstandsarbeit zahlreiche Einzelfälle unterstützt. Bei dieser Unterstützung erwiesen sich weiterhin die stetig aktualisierten Länderschreiben mit Herkunftslandinformationen, der LSVD-Sicht auf die Rechtsprechung und dem Verweis auf bekannte positive Entscheidungen als besonders nützlich. Ein besonderer Fokus lag bei der Unterstützung von Einzelfällen seit Oktober 2022 darauf, dem BAMF Fälle zur Überprüfung vorzulegen, die es zuvor noch auf Grundlage von Diskretionslogiken negativ beschieden hatte. In vielen dieser Fälle hat das BAMF seine Entscheidung in der Folge revidiert und einen Schutzstatus verliehen. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt hierbei der Fall des negativ beschiedenen Asylantrags des schwulen Algeriers Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari. Auch sein negativer Bescheid wurde vom BAMF im Nachgang zur Änderung der Dienstanweisung Asyl korrigiert, nachdem sein negativer Bescheid zuvor sogar noch vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main bestätigt worden war.
Veröffentlichungen
Im vergangenen Jahr hat der LSVD den Artikel „Entscheidungspraxis bei trans- und intergeschlechtlichen Asylsuchenden – Zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu sexueller Orientierung auf geschlechtliche Identität“ verfasst, der im Asylmagazin 12/2022 veröffentlicht wurde. Da sich die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher zu trans*- und intergeschlechtlichen Asylsuchenden nicht geäußert hat, legen die Autor*innen Patrick Dörr, Dr. Sarah Ponti und Philipp Braun in dem Fachartikel dar, warum die Übertragung der Rechtsprechung zu homo- und bisexuellen auf trans- und intergeschlechtliche Asylsuchende zwingend ist. Der Leitfaden für den LSBTI-sensiblen Gewaltschutz wurde neu aufgelegt und im Rahmen des QRD-Projekts nachgedruckt.
Netzwerke und Kooperationen
Der LSVD ist im Bereich Asyl bestens vernetzt. Besonders hervorzuheben ist hier nach wie vor die Bundesinitiative zum Schutz geflüchteter Menschen in Flüchtlingsunterkünften. Des Weiteren ist der LSVD Kooperationspartner des Projekts BeSAFE zur Erkennung besonderer Schutzbedarfe bei der Aufnahme von Geflüchteten, das seine erste Projektphase einschließlich zweier Pilotprojekte in Bremen und NRW erfolgreich abgeschlossen hat. Die Förderung des nunmehr allein von der Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) durchgeführten Projekts wird – wenngleich auch bedauerlicherweise in reduziertem Umfang – mindestens bis Ende 2023 fortgeführt. Außerdem ist der LSVD weiterhin Kooperationspartner bei der Durchführung eines bundesweiten Mentoring-Programms für queere Geflüchtete, das federführend von TENT durchgeführt wird, und dass der LSVD wie auch Prout at Work unterstützen. Der LSVD begleitet überdies weiterhin die Arbeit des Netzwerks „Queere Nothilfe Ukraine“, wenn auch in verringertem Umfang, da die grundsätzlichen politischen Fragen auf Bundesebene hier weitgehend geklärt sind. Zu guter Letzt sei auch das Bemühen des LSVD-Bundesverbands zu nennen, seine Vernetzung mit den Geflüchteten-Projekten der Landesverbände zu stärken, so vor allem durch einen regelmäßigen Online-Austausch, an dem nach Möglichkeit auch die zuständigen Vertreter*innen des Bundesvorstands und Mitarbeiter*innen des QRD-Projektes teilnehmen.
Veranstaltungen
Weiterhin zu nennen sind zahlreiche Veranstaltungen, an denen Vertreter*innen des Bundesvorstands als Referent*innen zum Thema LSBTI-Geflüchtete vorgetragen haben:
- Mai 2022: Austauschveranstaltung mit dem BVT* zu „LSBTI* im Asylverfahren – Herausforderungen und aktuelle Fragen“ (online)
- Mai 2022: Schulung der BAMF-Beauftragen für geschlechtsspezifische Verfolgung (online)
- Mai 2022: Veranstaltung in Kooperation mit dem Kommissariat der deutschen Bischöfe, dem Katholischen Büro und der Caritas zum Thema „Asylfolgeanträge/Glaubhaftmachung der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität“ (online)
- Juni 2022: Veranstaltung „Rechte für queere Geflüchtete im Asylverfahren“ in Kooperation mit dem LSVD NRW im Rahmen des Cologne Pride (Präsenz)
- Juli und 19. September 2022: Zwei Veranstaltungen „LSBTI-Geflüchtete im Aufnahmeprozess – Von der Unterbringung über das Asylverfahren bis zur Anerkennung“ in Kooperation mit dem Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen e. V. (VNB), dem Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V. und dem Aufnahmemanagement & Beratung für Asylsuchende in Niedersachsen (AMBA) (online)
- und 21. November 2022: Zwei Veranstaltungen zu LSBTI im Rahmen der Online-Work-
shopreihe „Geflüchtete Menschen mit besonderen Schutzbedarfen unterstützen – Grundlagen, Sensibilisierung und Handlungsorientierung für die Umsetzung des Gewaltschutzes in Unterkünften für Geflüchtete“ der Bundesinitiative zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften
- Dezember 2022: Vortrag zur „Identifizierung geflüchteter LSBTI bei der Aufnahme“ im Rahmen des Länderforums in Zusammenarbeit mit der Bundesinitiative zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften vor Vertreter*innen der verantwortlichen Ministerien und Behörden der Bundesländer