respekt_heft_22_2015

4 5 respekt | bundesverband! respekt | pressespiegel! 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ehren wir hier, am Denkmal für die verfolgten Homosexuellen, alle Opfer des Nationalsozialismus. Aber ich will heute auch über einen der Täter sprechen, einen der Massenmörder: Rudolf Höß. Er war 1940-1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. 1946 verfasste Höß in der Untersuchungshaft in Krakau seine Autobiografie. Er schrieb darin auch über homosexuelle Häftlinge in Auschwitz, in Sachsenhausen und in Dachau, wo seine SS-Karriere ins Laufen kam: „Schon in Dachau waren die Homosexuellen … für das Lager ein Problem geworden. … Die Seuche griff um sich. – Auf meinen Vorschlag wurden nun alle Homosexuellen zusammenge- legt. Sie bekamen einen Stubenältesten, der mit ihnen umzugehen verstand. Und sie wurden gesondert von den anderen Häftlingen zur Arbeit eingesetzt. …Während die zur Abkehr Willigen … auch die härteste Arbeit durchstanden, gingen die anderen langsam, je nach Konstitution, physisch zugrunde. Da sie von ihrem Laster nicht lassen konnten oder nicht wollten, wußten sie, daß sie nicht mehr frei würden.“ Sie wussten, dass sie nicht mehr frei würden. Ja, vielleicht wusste das Friedrich Brüchmann, der 1942 im KZ Sachsenhausen kastriert wurde und zwei Wochen später der großen Mordaktion an Homosexuellen im Klinkerwerk zum Opfer fiel. Oder der 27jährige Arbeiter Emil Sliwiok aus Hindenburg in Oberschlesien, der 1941 mit dem Vermerk „§. 175. R.D.“ (für Reichsdeutscher) in Auschwitz registriert wurde und nach 104 Tagen im Lager starb. Deren elendiges Sterben hat Rudolf Höß einen Dreck gekümmert. Aber er machte sich – wie sein Zitat zeigt – große Sorgen um die öffentliche Moral in seinem Lager. Er hielt Homosexualität für eine ansteckende Seuche, die man eindämmen müsse. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Ein ganz scharfer Schnitt: Europa, 70 Jahre später: In Russland herrscht ein brutales Zensurgesetz, das positives Reden über Lesben und Schwule mit Strafe belegt, angeblich damit sich die Jugend nicht ansteckt. Und da skandieren in Dresden „Pegida“-Anhänger „Putin hilf“. Christliche Fundamentalisten und Rechtspopulisten laufen mit Hassparolen Amok gegen eine Pädagogik der Vielfalt. In Niedersachsen verkündet die schulpo- litische Sprecherin einer Landtagsfraktion, „auf keinen Fall“ dürfe man „Schwule und Lesben in den Klassen allein gegenüber den Kindern auftre- ten“ lassen. Ich will nichts vergleichen und schon gar nichts gleichsetzen. Aber ich meine: Solche Wünsche nach gesellschaftlicher Quarantäne, nach Ausgrenzung und Ungleichbehandlung, sol- che Ideologien der Abwertung atmen einen zutiefst undemokratischen Geist. Natürlich muss verant- wortliche Politik Sorgen ernst nehmen, aber doch nicht homophoben und rassistischen Vorurteilen nachlaufen. Es geht um ganz andere Sorgen, die man wirklich ernst nehmen muss. Und da stehen wir auf der Seite der Flüchtlinge, die sich in Dresden kaum noch auf die Straße trauen. Da ste- hen wir auf der Seite von Muslimen, wenn diese unter Generalverdacht gestellt werden. Und wir verlangen von der Gesellschaft, dass sie sich nicht auf die Seite selbst ernannter „besorgter Eltern“ schlägt, die nur ihr hermetisch-vordemokratisches Weltbild fortpflanzen wollen, sondern lesbischen und schwulen Jugendlichen zur Seite steht, wenn diese im Elternhaus oder in der Schule gemobbt werden. Eine demokratische Gesellschaft muss die Freiheit garantieren, jederzeit und an jedem Ort verschieden sein zu können. Und noch etwas zeichnet eine demokra- tische Gesellschaft aus. Sie ist in der Lage, ihre Vergangenheit kritisch zu reflektieren. Vor 80 Jahren, 1935, haben die Nationalsozialisten die totale Kriminalisierung von Homosexualität ver- ordnet. Dass der Nazi-§175 in der Bundesrepublik 20 Jahre lang unverändert in Kraft blieb, dass im demokratischen Staat Menschen im Gefängnis landeten, nur weil sie anders liebten, das ist ein monströser Schandfleck unseres Rechtsstaates. Diese Urteile müssen aufgehoben werden, damit den heute noch lebenden Verfolgten endlich Gerechtigkeit widerfährt. Günter Dworek Die am 27.01.2015 gehaltene Rede wurde für die Respekt-Ausgabe leicht gekürzt. Rede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Rückkehr des Ressentiments 18. Mai 2015: Viele Lesben und Schwule fühlen sich noch immer zurückgewiesen „Ich habe gedacht, wir sind weiter in der Gesellschaft“, sagt Marion Lüttig . Sie ist Mitglied des Landesvorstands des baden-wür ttember- gischen Lesben- und Schwulenverbands und wurde bereits mehrfach in Mails beschimpft. „Ich nehme gesellschaftlich gesehen eine Rückwär tsbewegung wahr“, sagt sie zur Akzeptanz von Schwulen und Lesben. Auch der Schwulen- und Lesbenverband in Deutschland sieht eine „homophobe Mobilisierung in der Gesellschaft“, sagt der Sprecher Helmut Metzner . „Diese neue Bewegung ist eine ernste Gefahr für unsere offene Gesellschaft.“ 18. Februar 2015: Ein ganz normaler Teil der Gesellschaft Viele weitere positive Entwicklungen hat es seit damalsgegeben. AxelHochrein ,Sprecherdes1999 in Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) umbenannten SVD benennt die deut- lichsten Veränderungen: „Gleichgeschlechtliche Paare sind nicht mehr rechtlos. Zwei Drittel der Bevölkerung sprechen sich in Meinungsumfragen stabil für gleiche Rechte aus. Offen homosexuell lebende Menschen können Regierungschef oder Bundesverfassungsrichterin werden.“ 3. Februar 2015: „Begnadigt nicht nur Turing“ Auch in Deutschland fordern Aktivisten daher, dass die Urteile aufgehoben und die Betroffenen rehabilitiert werden, von denen einige noch leben. „Das hat eine große emotionale Bedeutung“, sagt Manfred Bruns , ehemaliger Bundesanwalt und Vorstandsmitglied im deutschen Lesben- und Schwulenverband. „Ihr ganzer Lebenslauf ist ja gebrochen.“ 17. Mai 2015: Luftballons über Leipzig – Breites Bündnis demonstriert gegen Homophobie Zu der sachsenweiten Veranstaltung hatte der Lesben- und Schwulenverband Sachsen auf- gerufen. Neben Leipzig wurde auch in Dresden, Pirna, Plauen, Chemnitz, Schneeberg, Torgau und Görlitz gefeiert. Unterstützt wurde die Aktion von einem breiten Bündnis von Vereinen, Politikern und Parteien aber auch Clubs. CDU und Kirchen hingegen engagierten sich nicht. 6. März 2015: Entsetzen nach Angriff auf schwules Paar Irene Portugall vom LSVD betreut die Opfer und zeigte sich froh, dass sie sich bereits kurz nach der Tat beim Verband gemeldet hatten. Häufig bekäme der Verband erst im Nachhinein und mit großem zeitlichem Abstand Meldungen über Pöbeleien oder Übergriffe, sagte Portugall. Zwar gebe es keine konkreten Zahlen zu Angriffen auf Schwule und Lesben, jedoch nehme der Verband eine leichte Zunahme der Homophobie war. „Es ist leider so, dass es im Moment wieder einen leichten Rechtsruck gibt“, erklärte Portugall. 17. Januar 2015: Vater, Vater, Kind. Adoptionsrecht für Homosexuelle Die Mitglieder des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) freuen sich über das Urteil im Nachbarland. Es sei eine „sehr, sehr gute Entscheidung“, sagt Markus Ulrich , Pressesprecher des Verbands. Das österreichische Gericht argumentiere im Wesentlichen genauso wie das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, als es Homosexuellen im Februar 2013 die sogenannte Sukzessivadoption erlaubte (…) Die Union und Kanzlerin Merkel sollten endlich ihre „Bauchgefühle überwinden“, fordert anlässlich des Urteils in Österreich LSVD-Vorstandsmitglied und früherer Bundesanwalt Manfred Bruns . 11. Februar 2015: Künstliche Befruchtung: Lesbisches Paar und der lange Weg zur eigenen Familie Ein generelles Verbot existier t offiziell also nicht, Frauen in einer lesbischen Beziehung künstlich zu befruchten. Es sind aber immer Einzelfallentscheidungen. Und nur wenige Ärzte entscheiden sich dafür. Das könnte auch am Kommentar liegen, der den Richtlinien der Landesärztekammer beigefügt ist. Dor t steht, dass „eine heterologe Insemination zurzeit bei Frauen ausgeschlossen (ist), die in keiner Partnerschaft oder in einer gleichgeschlechtli- chen Partnerschaft leben“. Dies „verunsichere die Mediziner“, sagt Jenny Renner vom Lesben- und Schwulenverband Thüringen. 29. April 2015: Keine schwulen Blutspender Damit seien laut Gerichtsbeschluss sexu- elle Beziehungen zwischen Männern nicht per se ein Sexualverhalten mit einem hohen Über tragungsrisiko für durch Blut über trag- bare, schwere Infektionskrankheiten, erklär t Axel Blumenthal , Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). „Ein genereller Ausschluss homo- und bisexueller Männer von der Blutspende ist deshalb nicht gerechtfer- tigt. Vielmehr muss ein individuelles und kon- kretes Risikoverhalten festgestellt werden“, so Blumenthal weiter. 20. Februar 2015: Homosexuelle beklagen Diskriminierung im ZDF-Fernsehrat Die Ministerpräsidenten der Länder bekom- men in diesen Tagen Post von Henny Engels . Die Vorstandsfrau des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD greift den geplan- ten neuen Staatsvertrag für das ZDF an. Das Regelwerk tarier t die Machtstruktur des Senders neu aus und soll ihn nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts „staatsferner“ gestalten. (…) Lesben und Schwule sind in dem Gremium aber nicht vertreten, stellte Henny Engels fest. „Das ist eine eklatante Missachtung und Diskriminierung“, heißt es im Protestbrief des LSVD. 16. Mai 2015: Magdeburg hat nun einen Magnus-Hirschfeld-Weg Der Magdeburger Stadtrat hatte auf eine Initiative des Lesben- und Schwulenverbands Sachsen- Anhalt beschlossen, den noch unbebauten Weg im Stadtteil Neue Neustadt nach Hirschfeld zu benennen. 25. April 2015: Gauck fordert mehr Mut für sexuelle Vielfalt Bundespräsident Joachim Gauck ruft zur Akzeptanz sexueller Vielfalt auf. Der vor 25 Jahren gegründete Lesben- und Schwulenverband habe zwar auf diesem Gebiet „schon viel erreicht“, betonte Gauck am Samstag in einem Grußwort an den Verbandstag in Berlin. Doch noch immer sei es „keine Selbstverständlichkeit, dass sich Sportler, Schauspielerinnen oder Top-Manager zu ihrer sexuellen Identität bekennen“. DER SPIEGEL Leipziger Volkszeitung Nordbayerischer Kurier Fotos: Caro Kadatz

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