respekt_heft_25_2018

4 5 respekt | bundesverband! respekt | bundesverband! Bei dem längst überfälligen Verbot von Genitaloperationen an intergeschlechtlichen Kindern findet sich die begrüßens­ wert klare Formulierung im Koalitionsvertrag, dass diese zukünftig nur noch „nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig“ sein sollen. Zuständig sind hier Justiz- und Gesundheitsministerium. In das Ressort von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fallen auch das notwendige Verbot von „Umpolungs- und Konversionstherapien“ an Minderjährigen, ein zu erstel­ lender LSBTI-Gesundheitsbericht sowie Maßnahmen für eine geschlechter- und diversitätsgerechte Gesundheitsver­ sorgung. Diese LSBTI-inklusive und -spezifische Gesund­ heitspolitik muss auch Element der im Koalitionsvertrag nur allgemein umschriebenen Punkte im Pflegebereich und der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe sein. Zwar wird dort die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes angekündigt, wiederum ohne konkret zu werden. Gerade im Bereich der HIV-Prävention und der Diskussion um Prep wären deutliche Aussagen sehr wünschenswert gewesen. Der ehemalige Justizminister Heiko Maas wird als Außen­ minister hoffentlich ein besonderes Augenmerk auf die globale Menschenrechtssituation von LSBTI haben. Eine weitere gute Zusammenarbeit mit dem LSVD hat er ange­ kündigt. Unterstützung wird er dabei sicherlich von Michael Roth, Staatsminister im Außenministerium, bekommen. Roth hatte schon in der letzten Legislatur in diesem Bereich viel Gutes bewirkt. Das zukünftig das Menschenrechtsreferat des Auswärtigen Amtes in seine Zuständigkeit fällt, ist deshalb eine gute Entwicklung. Die Ankündigung für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit gegen Gewalt aufgrund der sexuellen Orientierung, wird gleichzeitig durch Pläne kon­ terkariert, Algerien, Tunesien und Marokko zu sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ zu erklären, obwohl dort eine aktive Verfolgung von LSBTI stattfindet. Leidtragende sind wie bei den geplanten ANKER-Zentren dann gerade auch queere Geflüchtete, die dann kaum ausreichenden Zugang zu Rechtsberatung haben werden. Bei dem vorliegenden „Arbeitsprogramm“ der Regierungs­ koalition bleibt die politische Arbeit des LSVD extrem wichtig. Forderungen und Notwendigkeiten müssen immer wieder und gezielt vorgetragen und eingebracht werden. Ebenso die Zusammenarbeit mit den politischen Kräften im Parlament, die das bisher Erreichte nur als Grundlage für weiteren Fortschritt sehen. Letztendlich kam die Eheöffnung auch nicht aufgrund des Koalitionsvertrags, sondern durch eine Initiative des Bundesrates in Verbindung mit der Gewissensentschei­ dung einer deutlichen Mehrheit der Bundestagsabgeordneten zustande. Eine Bundesratsinitiative ist auch bei dem wich­ tigen Punkt der Ergänzung des Grundgesetzes, Art 3.3. um die Merkmale der geschlechtlichen und sexuellen Identität auf den Weg gebracht worden. Diese „Urforderung“ des LSVD gewinnt wieder an politischer Aktualität. Ihre Erfüllung wäre für LSBTI in Deutschland ein wichtiger Garant, um frei und sicher zu leben. Axel Hochrein LSVD-Bundesvorstand L ange hat es gedauert, bis sich nach der Wahl eine neue Bundesregierung gebildet hat. Und im Ergebnis ist der Koalitionsvertrag ernüchternd und enttäuschend. Nach dem Motto „Es gibt viel zu tun – aber nicht durch uns“ erset­ zen allgemeine Formulierungen konkrete Festschreibungen. Wie schon in der letzten Großen Koalition ist und bleibt das Thema LSBTI Streitpunkt. Die Union leckt noch ihre Wunden, dass sie ihre sinnlose Blockade gegen die Eheöffnung nicht aufrechterhalten konnte. Der SPD fehlte es anscheinend am notwenigen Mut oder Interesse, mehr heraus zu ver­ handeln. Eine ambitionierte Politik für LSBTI sieht jedenfalls anders aus. So findet sich in den fast 200 Seiten des Koalitions­ vertrags zwar eine Verurteilung von Homosexuellen- und Transfeindlichkeit sowie die – eigentlich selbstverständliche – Aussage, dass „alle Menschen […] unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können“ sollen. Wie dieses Ziel genau erreicht werden soll, das bleibt der Vertrag schuldig: Ankündigungen für einen Nationalen Aktionsplan, ein Bund-Länder-Programm gegen Hasskriminalität oder verstärkte Aufklärungsprogramme als Reaktion auf wie­ der ansteigende Homophobie und Transfeindlichkeit fehlen. Versprochen wird lediglich die Fortführung und Weiter­ entwicklung entsprechender Aktionspläne gegen Rassismus und Diskriminierung. Wir werden darauf dringen, dass die Bekämpfung von LSBTI-Feindlichkeit und Diskriminierung zumindest weiterhin Bestandteil im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus bleibt und dort ausgebaut wird. Obwohl konkrete Vorhaben im Koalitionsvertrag fehlen, könnten gerade die Regierungsvertreter*innen der SPD in ihren Ressorts einiges bewegen. So überzeugte Katarina Barley in ihrer kurzen Zeit als Familienministerin. Als neue Justizministerin wird ihr Engagement für LSBTI nicht nur bei der versprochenen Umsetzung des Urteils des Bundes­ verfassungsgerichts zum dritten Geschlechtseintrag wichtig sein. Hier ist zwar das von der CSU besetzte Innenministeri­ um federführend, das Justizministerium ist aber invol­ viert und hat wie auch die neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey schon Widerspruch zur favorisierten und zu kurz gegriffenen Lösung von Horst Seehofer angemeldet. Eine menschenrechtsbasierte Gesetzgebung zur Anerkennung der Geschlechtsidentität ist auch für den LSVD unabdingbar. Beide Ministerinnen sind auch im Bereich der Familien­ politik gefragt. Denn der Koalitionsvertrag verspricht die Stärkung und Entlastung von Familien. „Wir schreiben Fami­ lien kein bestimmtes Familienmodell vor. Wir respektie­ ren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens.“ Dieses Versprechen muss sich in einer Modernisierung des Familien- und Abstammungsrechts ausdrücken. Bislang fehlt eine rechtliche Anerkennung der vielfältigen gelebten Familienkonstellationen, obwohl kein Kind wegen seiner Familienform diskriminiert werden darf. Entschließen sich zwei miteinander verheiratete Frauen, gemeinsam eine Fami­ lie zu gründen, müssen die Gebärende und ihre Ehefrau end­ lich von Geburt an automatisch rechtliche Eltern des Kindes sein können. Bis heute ist trotz Eheöffnung immer eine lang­ wierige und diskriminierende Stiefkindadoption notwendig. Der LSVD fordert zudem einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für Mehrelternfamilien und die Möglichkeit, dass Eltern, deren Vorname oder deren Geschlechtseintrag geän­ dert worden ist, wählen können, wie sie in das Geburten­ register eingetragen werden wollen. Zukünftig sollten in Urkunden eher geschlechtsneutrale Leittexte verwendet wer­ den. Das empfiehlt sich auch aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Personenstandsrecht, das eine dritte positive Option zu den bisherigen Einträgen „männlich“ und „weiblich“ einfordert. Das Bundesfamilienministerium und das dort seit der letzten Legislatur eingerichtete Referat „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und geschlechtliche Vielfalt“ war ein enger Partner für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt. Der LSVD will an die bisherige vertrauensvolle Beziehung und effektive Zusammenarbeit anknüpfen. So verspricht die kommen­ de Bundesregierung Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, zur Bekämpfung von Sexismus sowie die Umsetzung der Istanbul-Konvention und ein Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern. Wir fordern, dass in all diesen gleichstellungspolitischen Maßnahmen ein breiter Ansatz verfolgt wird, der der Unterschiedlichkeit der Lebenslagen von Frauen gerecht wird und auch lesbische, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Frauen mitdenkt. Was die Bundesregierung im Bereich LSBTI*-Politik plant, und was notwendig wäre „Frei und sicher leben“ Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-00401173 / Fotograf: Steffen Kugler Bundeskabinett

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