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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD)

Sehr geehrte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, mit dieser Stellungnahme möchten wir unsere grundsätzliche Ablehnung des von Ihrem Ministerium vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten ausführlich darlegen und begründen.

Zunächst einmal möchten wir jedoch unsere Irritation darüber zum Ausdruck bringen, dass wir als – zu großen Teilen ehrenamtlich arbeitende – Zivilgesellschaft von Ihrem Ministerium nur einen Tag Zeit erhalten haben, um zu diesem wichtigen Thema Stellung zu nehmen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Ihr Ministerium die kritische Begleitung dieses Vorhabens soweit es geht verhindern möchte.

Wir fordern die Bundesregierung auf,

- den Gesetzentwurf zur Bestimmung Georgiens und Moldaus zurückzuziehen,

- stattdessen einen Entwurf zur Streichung der Verfolgerstaaten Ghana und Senegal vorzulegen

- bzw. bei einem Festhalten an den rechtswidrigen Bestimmungen hilfsweise zumindest sicherzustellen, dass Asylsuchende aus Ghana, Senegal, Georgien und der Republik Moldau, die ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität als Fluchtgrund angeben, nicht von den negativen Folgen einer Bestimmung ihrer Herkunftsstaaten als sichere Herkunftsstaaten betroffen sind.

Denn: In allen genannten Staaten sind lesbische schwule, bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Personen (LSBTIQ*) Verfolgung ausgesetzt. Entweder der Staat betreibt wie im Fall von Ghana und Senegal systematisch diese Verfolgung selbst, oder aber er schaut bei queerfeindlicher Gewalt wohlwollend zu, wie etwa im Fall Georgiens.

Einordnung des Entwurfs in die derzeitige, menschenrechtswidrige Asylpolitik der Bundesregierung:

Mit der Zustimmung zur GEAS-Reform verfolgt die Bundesregierung derzeit die schärfste Asylpolitik seit Jahrzehnten, widerspricht ihren Koalitionsversprechen und macht sich beim Schutz Verfolgter mit postfaschistischen Regierungen wie der Italiens gemein. LSBTIQ* Geflüchtete werden von dieser Reform besonders hart getroffen, da eine große Zahl der Staaten, in denen LSBTIQ* mehrjährige Haftstrafen oder gar die Todesstrafe drohen, insgesamt relativ geringe Anerkennungsquoten aufweisen. LSBTIQ* aus diesen Staaten kommen daher trotz ihrer individuell hohen Erfolgschancen in beschleunigte Grenzverfahren unter Haftbedingungen, in denen sich viele von ihnen aus lebenslang internalisierter Angst und Scham nicht outen und daher auch keinen Schutz erhalten werden.

Anfang des Jahres hatte der Bundestag in einer Gedenkstunde der queeren Opfer des Nationalsozialismus gedacht und sich der daraus erwachsenden besonderen Verantwortung gestellt. Nicht einmal ein halbes Jahr später vergeht sich die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zur EU-Asylreform in nie da gewesener Härte an den Schutzrechten LSBTIQ* Geflüchteter. Nicht einmal ein halbes Jahr, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag zuhörte, wie Klaus Schirdewahn ihm von seiner Verfolgung in der Bundesrepublik berichtete, stimmt die von ihm geführte Bundesregierung einer Asylrechtsverschärfung zu, die haftähnliche Zustände an den EU-Außengrenzen etabliert und queeren Geflüchtete jeglichen Schutz versagt. Asylsuchende könnten mit dem Gesetzesvorschlag auch in Staaten abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren und in denen sie – davon ist auszugehen – auch nicht sicher sind. Sollte nun auch noch der nunmehr vorgelegte Entwurf zur Bestimmung weiterer sicherer Herkunftsstaaten vom Bundestag beschlossen werden, wäre dies ein neuerliches Einknicken vor populistischen Argumenten auf Kosten Schutzsuchender.

Zu dem nunmehr vorgelegten Entwurf:

Bereits zu zahlreichen Gelegenheiten haben wir die Bundesregierung und Ihr Ministerium aufgefordert, Ghana und Senegal endlich von der Liste sicherer Herkunftsstaaten zu streichen, da LSBTIQ* hier vom Staat und von der Gesellschaft massive Verfolgung erfahren und die beiden Staaten daher nicht die hierfür notwendigen Kriterien erfüllen. Dass Ihr Ministerium nun stattdessen ein Gesetz zur Bestimmung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten betreibt, in denen LSBTIQ* ebenfalls Verfolgung erfahren, bedeutet ein weiteres Abrücken der Bundesregierung von ihren proklamierten menschenrechtlichen Maßstäben. Der nunmehr vorgelegte Entwurf, in dem zum einen an der Listung Ghanas und Senegals festgehalten wird, und der überdies die Listung Georgiens und Moldaus vorsieht,

1) widerspricht auf eklatante Weise den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten,

2) ignoriert die Rechtsprechung des höchsten französischen Verwaltungsgerichts zur Bestimmung von Ghana und Senegal,

3) bagatellisiert die Verfolgung von LSBTIQ* in Ghana, Senegal, Georgien und Moldau bzw. blendet diese aus,

4) ignoriert in Bezug auf 1 und 3 die Rechtsprechung zahlreicher deutscher Verwaltungsgerichte, aus der klar ersichtlich ist, dass LSBTIQ* in Ghana, Senegal und Georgien nicht sicher sind

5) und verkennt die Entscheidung Belgiens, aufgrund der sich in Georgien massiv verschlechternden Lage, es von der belgischen Liste sicherer Herkunftsstaaten zu streichen

6) und gefährdet somit massiv in Deutschland Schutzsuchende aus Ghana, Senegal, Georgien und Moldau.

Bevor wir diese Punkte detailliert ausführen, möchten wir noch näher auf den Punkt VII. "Befristung; Evaluierung" des Entwurfs eingehen. Hier heißt es:

Bei plötzlichen Verschlechterungen der Lage kann die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat durch Rechtsverordnung der Bundesregierung vorübergehend ausgesetzt werden (§ 29a Absatz 3 AsylG). Durch das Zusammenspiel dieser Regelungen ist gewährleistet, dass den betroffenen Asylbewerbern – unabhängig von der Möglichkeit, die Vermutung der Verfolgungssicherheit im Einzelfall zu widerlegen – durch eine plötzliche Verschlechterung der Lage kein Nachteil entstehen kann.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Bundesregierung trotz der sich in Ghana massiv verschlechternden Lage eben nicht von dieser Möglichkeit gebraucht gemacht hat, lässt uns an der Ernsthaftigkeit dieser Ausführungen zweifeln. Bereits die Tatsache, dass die Angriffe auf den CSD in Tiflis und das Wegschauen der georgischen Regierung die Bundesregierung nicht davon abhalten, eine Bestimmung Georgiens zum sicheren Herkunftsland anzustreben, zeigt allzu deutlich, dass diese Möglichkeit eines Aussetzens auch in den schlimmsten Fällen wohl kaum ernsthaft in Betracht gezogen werden wird.

1) Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Einstufung als "sicheres Herkunftsland" – Keine Einstufung ohne Sicherheit vor Verfolgung für alle Bevölkerungsgruppen

Bereits 1996 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss[1] ausführliche Vorgaben zur Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsländer gemacht. Zwar gewährte es dem Gesetzgeber grundsätzlich einen Einschätzungs- und Wertungsspielraum, bestimmte jedoch gleichzeitig sehr klar, dass nur solche Staaten als sichere Herkunftsstaaten gelten dürfen, in denen Sicherheit vor Verfolgung "landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen" besteht. Der Ermessensspielraum des Gesetzgebers beschränkt sich somit auf die Frage, ob in einem Staat eine Gruppe sicher vor Verfolgung ist; kein Ermessensspielraum besteht jedoch hinsichtlich der Einstufung eines Staates als sicher, wenn auch nur eine Bevölkerungsgruppe von politischer Verfolgung betroffen ist. Weiter heißt es hierzu in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts:

Anhaltspunkte dafür, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber die Bestimmung eines Landes zum sicheren Herkunftsstaat auch dann vorsehen wollte, wenn zwar bestimmte Personen- und Bevölkerungsgruppen von politischer Verfolgung nicht betroffen, eine oder mehrere andere Gruppen aber solcher Verfolgung ausgesetzt sind, lassen sich weder dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung noch den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren entnehmen. Eine derart eingegrenzte Feststellung des Fehlens politischer Verfolgung würde auch Inhalt und Funktion der Herkunftsstaatenregelung widerstreiten: Art. 16a Abs. 3 GG ist darauf gerichtet, für bestimmte Staaten im Wege einer vorweggenommenen generellen Prüfung durch den Gesetzgeber feststellen zu lassen, daß in ihnen allgemein keine politische Verfolgung stattfindet und deshalb die (widerlegbare) Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit individueller Asylbegehren aufgestellt werden kann. Dieses Konzept gerät indes schon ins Wanken, wenn ein Staat bei genereller Betrachtung überhaupt zu politischer Verfolgung greift, sei diese auch (zur Zeit) auf eine oder einige Personen- oder Bevölkerungsgruppen begrenzt. Tut er dies, erscheint auch für die übrige Bevölkerung nicht mehr generell gewährleistet, daß sie nicht auch Opfer asylrechtlich erheblicher Maßnahmen wird. (Rn. 71)

Das Bundesverfassungsgericht stellt also ausdrücklich klar: wenn auch nur einer Personen- oder Bevölkerungsgruppe politische Verfolgung droht, ist die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ausgeschlossen. Denn für einen Staat, der zu politischer Verfolgung bestimmter Gruppen greift, kann nicht festgestellt werden, dass dort allgemein keine politische Verfolgung stattfindet.

Gegen die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat spricht demnach, wenn eine soziale Gruppe wie LSBTIQ* nicht vor politischer Verfolgung sicher ist. Sicherheit vor Verfolgung ist dabei nicht gleichbedeutend mit Abwesenheit von Gruppenverfolgung. Eine Sicherheit vor Verfolgung ist bereits dann nicht mehr gegeben, wenn einzelne oder womöglich nur besonders exponierte (im Falle von LSBTIQ* etwa geoutete) Gruppenmitglieder aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit verfolgt werden. Es ist offensichtlich, dass vor dem Hintergrund dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts keine Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden dürfen, in denen eine soziale Gruppe wie LSBTIQ* nicht sicher vor Verfolgung ist.

Weder Ghana und Senegal, die sich bereits auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten befinden, noch die im Entwurf nunmehr neu aufgeführten Länder Georgien und Moldau erfüllen diese Voraussetzungen.

2) Entscheidung des obersten französischen Verwaltungsgerichts zur Streichung von Ghana und Senegal aufgrund LSBTIQ*-feindlicher Verfolgung

Der Conseil d'État, das oberste französische Verwaltungsgericht, urteilte im Juli 2021[2], dass die westafrikanischen Staaten Benin, Ghana und Senegal von der französischen Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten gestrichen werden müssen. Mit Bezug auf Ghana und Senegal begründete es seine Entscheidung ausdrücklich mit der in beiden Ländern massiven LSBTIQ*-feindlichen Verfolgung. In der Entscheidung des Conseil d'État heißt es hierzu:

Angesichts der Existenz gesetzlicher Bestimmungen zur Bestrafung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Senegal und Ghana und dem Fortbestehen von Verhaltensweisen, die von den Behörden dieser Länder ermutigt, begünstigt oder einfach toleriert werden, was dazu führt, dass die Menschen tatsächlich befürchten können, dort Risiken ausgesetzt zu sein, hat [die französische Asylbehörde] OFPRA diese Staaten nicht, ohne einen Beurteilungsfehler bei der Prüfung der von ihren Staatsangehörigen gestellten Anträge zu begehen, als sichere Herkunftsstaaten betrachten können. (Punkt 12, eigene Übersetzung)

Gemäß § 37 der EU-Verfahrensrichtlinie ist Deutschland dazu verpflichtet, bei der Prüfung der Einstufung Informationen anderer EU-Mitgliedstaaten heranzuziehen. Somit darf der deutsche Gesetzgeber die Entscheidung des französischen Conseil d’État nicht einfach als französische Rechtsprechung und als für die deutsche Einstufung irrelevant abtun, sondern muss aus unserer Sicht vielmehr dieser Entscheidung folgen und endlich die beiden LSBTIQ*-Verfolgerstaaten Ghana und Senegal von der deutschen Liste streichen.

3) Verfolgung in Ghana und Senegal sowie in Georgien und Moldau verbietet Einstufung als "sicheres Herkunftsland"

Neben den Informationen anderer Mitgliedstaaten verpflichtet die EU-Verfahrensrichtlinie Deutschland dazu, ebenfalls Informationen internationaler Organisationen bei der Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsländer heranzuziehen. Geht es um die Lage von LSBTIQ*, hat die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) hier zweifelsfrei die größte Expertise. Der weltweite Dachverband ist in allen genannten Ländern aktiv und mit den  LSBTIQ* Communitys vor Ort vernetzt, dokumentiert regelmäßig und ausführlich die Menschenrechtslage mit Bezug auf LSBTIQ* weltweit und hat umfassende Erfahrung in der Einordnung rechtlicher Vorgaben.

Zur 40. Sitzung des Menschenrechtsausschusses des Bundestags wurde Dr. Julia Ehrt unter anderem nach der Bedeutung der Lebensbedingungen von LSBTIQ* zur Einstufung von Ländern als "sichere Herkunftsstaaten", vor allem in Ghana, Senegal und Georgien befragt. In ihrer schriftlichen Stellungnahme äußerte sich die Geschäftsführerin von ILGA World sehr deutlich zu den diskutierten Staaten[3].

Mit Bezug auf Ghana möchten wir an dieser Stelle nur die einleitenden Worte zu ihrer ausführlichen Darstellung wiedergeben:

Es gibt mehrere unterschiedliche, aber miteinander verknüpfte Faktoren, die Ghana eindeutig den Status eines "sicheren" Herkunftslandes verwehren: 1) Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; 2) dokumentierte Fälle für die Durchsetzung dieser kriminalisierenden Gesetze; 3) erhebliche politische Bemühungen um eine Ausweitung oder Verschärfung der bestehenden Strafen; 4) Berichte über weit verbreitete Gewalt, Hassverbrechen, Hassreden und Diskriminierung; und 6) fehlender staatlicher Schutz oder Zugang zur Justiz im Falle von Menschenrechtsverletzungen.

Auch mit Bezug auf den Senegal lehnt Dr. Julia Ehrt eine Einstufung als "sicheres Herkunftsland" ab und leitet ihre Ausführungen entsprechend ein:

Senegal erfüllt die Kriterien für die Einstufung als "sicheres" Herkunftsland nicht, da die Situation des Landes durch mehrere Faktoren erschwert wird. Zu den fraglichen Faktoren gehören unter anderem 1) Gesetze, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen kriminalisieren; 2) Beweise für die Durchsetzung kriminalisierender Gesetze; 3) jüngste Versuche, kriminalisierende Gesetze auszuweiten und zu verschärfen; 4) religiöse, kulturelle und sogar mediale Ablehnung von LGBTI+-Identitäten; 5) weit verbreitete Gewalt, Hassverbrechen, Hassreden und Diskriminierung; und 6) fehlender rechtlicher Schutz oder Zugang zur Justiz im Falle von Menschenrechtsverletzungen.

Auch hinsichtlich Georgiens, für das die Bundesregierung derzeit eine Einstufung anstrebt, erteilt Dr. Julia Ehrt eine klare Absage. Sie kommt in ihrer Einschätzung zu folgendem Fazit:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fortschritte Georgiens auf dem Weg zu einer schützenden Gesetzgebung zwar zu begrüßen und zu unterstützen sind, es jedoch zahlreiche Belege dafür gibt, dass sich die Situation vor Ort nicht wesentlich verbessert, sondern sogar verschlechtert hat. Gravierende Lücken in der Umsetzung der Gesetze und das mangelnde Engagement der Regierung sprechen dagegen, Georgien als "sicheres Herkunftsland" zu bezeichnen. Das Versagen der Sicherheitskräfte bei der Verhinderung und dem sorgfältigen Umgang mit den explosiven Episoden hassmotivierter Gewalt und die allgemeine Straflosigkeit der Angreifer machen es für georgische LGBTI-Personen extrem schwer, den Schutz ihres Staates in Anspruch zu nehmen.

Die Einschätzung von ILGA World beruhen auf den regelmäßig erscheinenden ILGA-Berichten, hier vor allem an erster Stelle zu nennen den "State-Sponsored Homophobia"-reports, von denen der letzte 2020[4] erschien[5]. Hier finden sich auch die Erkenntnisse des weltweiten Dachverbandes zur Lage im ebenfalls von der Bundesregierung als sicher bezeichneten Moldau. Zu beachten ist, dass die Berichte nur die dokumentierten, jeweils zum Erscheinungszeitraum aktuellsten Verfolgungshandlungen aufführen, die nur die Spitze des Eisberges darstellen dürften.

Hinzu kommt, dass die genannten Einschätzungen noch vor der massiven Gewalt getätigt wurden, die sich in Tiflis gegen den CSD im Sommer dieses Jahres entlud. Das Bundesamt schreibt hierzu noch im Juli:[6]

Georgien - LGBTIQ-Kundgebung nach Ausschreitungen abgesagt

Am 08.07.23 kam es im Vorfeld der geplanten Abschlussveranstaltung der diesjährigen Pride-Woche für die Rechte von LGBTIQ-Personen in Tiflis zu Ausschreitungen, woraufhin die Kundgebung abgesagt wurde. Medienberichten zufolge stürmten mehrere Hundert homophobe Demonstrierende das Veranstaltungsgelände, verbrannten von der Polizei weitgehend unbehelligt Regenbogenfahnen und verwüsteten eine Bühne und mehrere Festzelte. Nach offiziellen Angaben wurde niemand verletzt. Das Organisationsteam der Veranstaltung und die georgische Präsidentin Surabischwili warfen der Polizei mangelnde Schutzbereitschaft und eine unzureichende Durchsetzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit vor. Sie machten die Regierung von Ministerpräsident Garibaschwili, der sich regelmäßig gegen öffentliche LGBTIQ-Veranstaltungen ausspricht, für die Eskalation mitverantwortlich. Das georgische Innenministerium verteidigte das Vorgehen der Polizei und erklärte unter Verweis auf das offene Gelände, der Schutz der Teilnehmenden habe nur durch die Evakuierung der Veranstaltung gewährleistet werden können.

Während der jährlichen Pride-Woche kommt es in Tiflis immer wieder zu Ausschreitungen und z.T. gewaltsamen Übergriffen auf LGBTIQ-Personen und Medienvertretende (vgl. BN v. 12.07.21). (Seite 2)

In der Rede der georgischen Präsidentin Salome Surabischwili vom 8. Juli 2023 wird besonders deutlich, dass in Georgien nicht nur der Staat nicht willens oder in der Lage ist, LSBTIQ* zu schützen, sondern dass der LSBTIQ*-feindliche Hass von weiten Teilen der Regierung auch noch systematisch befeuert wird:[7]

What’s more alarming here is that this counter-protest was instigated, tested, and openly supported by the social media posts spread not only by various branches of the ruling party but also directly by the acting MPs of the party, as we have seen today. Therefore, what value do recently heard, hastily made statements hold made by those officials who are primarily responsible for protecting people's rights: the Speaker of the Parliament and the Chairman of the Human Rights Committee, who assure us that they are human rights defenders, ‘my right-hand says one thing, and my left-hand does something else.

Zu den Vorkommnissen am 8. Juli 2023 möchten wir auch auf den Artikel von EurasiaNet hinweisen, der von der Recherchepattform European Country of Origin Information Network (ECOI) verlinkt wird: Anti-gay violence goes unpunished in  Georgia, again, The festival's organizers said the government acted in concert with the violent demonstrators to thwart the event.[8]

Wie das Bundesamt in den Briefing Notes vom 17. Juli 2023 vermerkt hat, ist dies nicht das erste Mal dass der CSD angegriffen wurde - das Bundesamt berichtete im Juli 2021[9].

Georgien - Gewaltsame Übergriffe bei LGBTQI-Kundgebung

Am 05.07.21 kam es im Vorfeld eines geplanten Protestmarsches für die Rechte von LGBTQI-Personen in Tiflis zu gewaltsamen Ausschreitungen, woraufhin die Veranstaltung abgesagt wurde. Medienberichten zufolge wurden mehr als 50 der versammelten Journalisten von einem gewaltbereiten Mob homophober Veranstaltungsgegner angegriffen und das Büro der Organisatoren des Umzuges gestürmt und verwüstet. Aktivisten und Medienvertreter warfen der Polizei Untätigkeit vor und machten Ministerpräsident Garibaschwili, der den Umzug kurz zuvor als für einen großen Teil der georgischen Gesellschaft „inakzeptabel“ kritisiert hatte, für die Eskalation mitverantwortlich. Nach dem Tod eines bei den Ausschreitungen verletzten Kameramannes forderten am 11.07.21 rd. 8.000 Demonstrierende vor dem Parlamentsgebäude den Rücktritt der Regierung Garibaschwili. (Seite 4).

Darüber hinaus gibt es zwei ausführliche Berichte zum Angriff auf den CSD 2021 in Georgien:

  • International Partnership for Human Rights (IPHR) hat zusammen mit weiteren NGOs und mit Förderung des Auswärtigen Amtes  eine Studie “‘It felt like the whole country was against us’ – Failures by the Georgian government to address hate speech and attacks on LGBTIQ activists and journalists“ zu den Übergriffen auf Tiblissi Pride veröffentlicht[10]:
  • Von Georgian Democracy Initiative gibt es den Bericht  - "05.07.21 - March of Dishonor”[11]

In der Diskussion um Georgien, aber auch um Moldau, wird überdies oft vergessen, dass für eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat nicht nur für alle Bevölkerungs- und Personengruppen Sicherheit vor Verfolgung bestehen muss, sondern dass dies auch in allen Landesteilen der Fall sein muss. Da beide Staaten nicht die komplette Kontrolle über alle ihre jeweiligen Landesteile haben, sondern in beiden Ländern Regionen faktisch unter russischer Kontrolle stehen, kann dieses notwendige Kriterium für eine Einstufung ohnehin nicht als erfüllt gelten. So heißt es in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts zu den georgischen Regionen Südossetien und Abchasien:

Abchasien und Südossetien befinden sich nicht unter der Kontrolle der georgischen Regierung. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert. Die Situation in den Konfliktregionen ist derzeit stabil, kann sich aber jederzeit ändern. 

Bezüglich der von pro-russischen Separatist*innen kontrollierten moldauischen Region Transnistrien führt das Auswärtige Amt aus:

Der abtrünnige Landesteil Transnistrien (selbst ernannte „Pridnestrowische Moldauische Republik“) befindet sich außerhalb der Kontrolle der moldauischen Regierung. Es gibt zahlreiche Kontrollpunkte entlang der Strecken, die nach oder aus Transnistrien führen.

Eine Einstufung von Georgien und Moldau steht daher in offensichtlichem Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die im Entwurf ausgeführte Auffassung, wonach eine Bestimmung zum sicheren Herkunftsland ja gesetzlich zulässig wäre, auch wenn es abtrünnige Landesteile mit massiver Verfolgung gibt, stellt allenfalls das Wunschdenken des Bundesinnenministeriums dar, ist jedoch mit dem entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts schlichtweg nicht zu vereinbaren. Inwieweit eine mit Bezug auf Nordzypern ebenso wenig mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbare Praxis dem entgegenstehen soll, ist auch nicht ersichtlich.

Bezüglich der bereits als "sicher" eingestuften LSBTIQ*-Verfolgerstaaten Ghana und Senegal möchten wir noch darauf hinweisen, dass entsprechend eines richtungsweisenden Urteils des EGMR die reine Existenz von LSBTIQ*-feindlichen Strafgesetzen in einem Land ein starker Indikator dafür ist, dass der entsprechende Staat auch keinen Schutz vor nicht-staatlicher Gewalt bietet[12]. Selbst wenn man zu der aus unserer Sicht falschen Ansicht gelangt, dass in diesen Staaten die Haftstrafen nicht oder nur selten angewendet werden, wären LSBTIQ* in diesen Staaten immer noch nicht sicher vor Verfolgung.

Die in diesen Ländern durch ILGA dokumentierten Verfolgungshandlungen stellen nur die Spitze des Eisberges dar. Es muss davon ausgegangen werden, dass nur ein Bruchteil der Verfolgungshandlungen überhaupt öffentlich und damit dokumentierbar wird. Die Zahl der Verfolgungshandlungen wäre zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches höher, wenn nicht die überwältigende Mehrzahl der LSBTIQ* Personen in den genannten Verfolgerstaaten aus Angst vor Gewalt und Diskriminierung ihre Homo- bzw. Bisexualität unterdrücken oder ein lebenslanges Doppelleben führen würde.

4) Positive Urteile und Bescheide belegen: LSBTIQ* in Ghana, Senegal und auch Georgien sind vor Verfolgung nicht sicher

Zu all den hier genannten Staaten gibt es positive Asylentscheidungen wegen der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Einige Gerichte kommen dabei nicht nur im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass die Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in ihrem Herkunftsland verfolgt wird, sondern dazu, dass LSBTIQ* Personen in diesen Staaten ganz allgemein verfolgt werden. Wir möchten an dieser Stelle auf die uns bekannten positiven Urteile verweisen und exemplarisch aus den Begründungen zitieren.

Mit Bezug auf Ghana sind uns drei Urteile[13] bekannt, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen. In einem weiteren Fall hat das BAMF einem homosexuellen Mann aus Ghana die Flüchtlingseigenschaft während eines laufenden Eilverfahrens gegen den als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag zuerkannt[14].

Wir möchten an dieser Stelle beispielhaft aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24.07.2020 zitieren, in dem das Gericht dem schwulen Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannte:

Der Kläger kann in Ghana auch keinen internen Schutz vor Verfolgung gemäß § 3e AsylG finden. Der Kläger hat in keinem Teil Ghanas Schutz vor Verfolgung. Nach den vorstehend genannten Erkenntnisquellen kann Homosexualität in Ghana in keinem Landesteil offen und ohne die Gefahr gewalttätiger Übergriffe seitens der Bevölkerung ausgelebt werden. Männliche Homosexualität ist landesweit strafbar; die Sicherheitsbehörden schützen Homosexuelle landesweit nicht wirksam. Vielmehr wird von Polizeischikanen gegen Homosexuelle landesweit berichtet.

Mit Bezug auf Senegal sind uns sechs Urteile[15] bekannt, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen. Hinzu kommen zwei weitere BAMF-Bescheide[16], in denen das Bundesamt LSBTIQ* Asylsuchenden direkt einen Schutzstatus zusprach. Beispielhaft möchten wir an hier aus einem Beschluss des VG Leipzig von 2022[17] zitieren, in dem das Gericht dem Kläger Eilrechtsschutz gegen eine "offensichtlich unbegründet"-Ablehnung gewährte:                            

Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen wird unzweifelhaft deutlich, dass LGBTI-Personen im Senegal aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in der Öffentlichkeit und im familiären Rahmen Diskriminierungen ausgesetzt sind, die von verbalen Anfeindungen und Drohungen bis hin zu körperlicher Gewalt reichen. Zudem sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen nach Art. 319 Abs. 3 SenStGB strafbar (Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des§ 29a AsylG vom 4. Mai 2021, Seite 14).

Dem Antragsteller droht aufgrund seiner behaupteten Zugehörigkeit zu dieser Gruppe voraussichtlich auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung. 

Am 15. Mai 2023 hat das BAMF dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.[18]

Mit Bezug auf Georgien sind uns elf Gerichtsurteile[19] sowie ein OVG-Beschluss bekannt, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen. Weiter sind uns zwei Gerichtsentscheidungen[20] bekannt, in denen Verwaltungsgerichte ein Abschiebeverbot nach Georgien für LSBTIQ* Kläger*innen ausgesprochen haben. Wir möchten an dieser Stelle zunächst die amtlichen Leitsätze[21]  des Urteils des VG Berlin vom 01.04.2022 - 38 K 467/20 A zitieren:

Flüchtlingseigenschaft für LGBTI+-Personen hinsichtlich Georgiens:

  1. Die Prüfung einer (drohenden) Verletzung von Art. 3 EMRK [Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung] darf sich nicht auf die Ermittlung und quantitative Bezifferung gewalttätiger Übergriffe verengen. Der Schutzbereich des Art. 3 EMRK beschränkt sich nicht auf körperliche Misshandlungen, sondern erstreckt sich auch auf diskriminierende Verhaltensweisen, die psychische Leiden verursachen. Eine erniedrigende Behandlung im Sinne der Vorschrift kann auch dann vorliegen, wenn sie (ohne die physische Integrität zu berühren) in den betreffenden Personen in entwürdigender Weise Ängste, seelische Qualen oder das Gefühl von Minderwertigkeit auslöst.
  2. In der Gesamtschau und Abwägung aller Umstände ist davon auszugehen, dass sich die LGBTI+-Gemeinschaft in Georgien insgesamt weiterhin einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sieht. Gewalttätige Übergriffe bilden insoweit nur die schwerwiegendsten Manifestationen einer weit verbreiteten homophoben und transphoben Grundhaltung, die nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln für LGBTI+-Personen in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens zu teilweise massiven Problemen führt.
  3. Nach Erkenntnislage des Gerichts ist der georgische Staat derzeit nicht willens und in der Lage, LGBTI+-Personen wirksam vor der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung durch die georgische Gesellschaft oder einzelne Personen zu schützen.
  4. Eine interne Fluchtalternative innerhalb Georgiens steht LGBTI+-Personen nicht zur Verfügung. Nach den Erkenntnissen des Gerichts ist die unmenschliche und erniedrigende Behandlung von LGBTI+-Personen durch die georgische Gesellschaft nicht auf einzelne Landesteile Georgiens beschränkt. Der Umstand, dass sich in Tiflis inzwischen eine aktive LGBTI+-Szene herausgebildet hat, führt ebenfalls nicht dazu, dass sich LGBTI+-Personen dort im alltäglichen Leben nicht mehr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sehen.

Noch im März dieses Jahres kam das VG Meiningen zu einer ähnlichen Einschätzung, aus der wir an dieser Stelle ebenfalls ausführlich zitieren möchten (VG Meiningen, Urt. v. 31.3.2023 – 2 K 43/22 Me):

Die LGBTI-Gemeinschaft sieht sich in Georgien insgesamt einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung durch die georgische Gesellschaft ausgesetzt. […] Dabei ist Gewalt gegen LGBT-Personen, ihre Unterstützer und die Verfechter ihrer Rechte in Georgien seit langem ein Problem, das noch dadurch verschärft wird, dass die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden, insbesondere die Organisatoren von Gewalttaten. Diese anhaltende Straflosigkeit verstärkt voreingenommene und hasserfüllte Haltungen in bestimmten Teilen der georgischen Gesellschaft. Diese Straflosigkeit hat auch zum beispiellosen Aufstieg von gut organisierten und finanzstarken ultrakonservativen und rechtsextremen Gruppen mit einer Anti-LGBT-, Anti-Gender- und Anti-Diskriminierungsagenda beigetragen, deren Mitglieder sich an Gewalttaten beteiligen. Zu dieser Spirale der Gewalt und Straflosigkeit gegen LGBT-Personen gesellen sich Äußerungen der Intoleranz von hochrangigen Beamten sowie von religiösen und kommunalen Führern. Bestimmte Medien … beteiligen sich – Berichten zufolge – an Hassreden und tragen zu deren Verbreitung bei. Traten in der Vergangenheit Hassreden gegen LGBT-Personen verstärkt in Wahlkampfzeiten auf, sind sie nunmehr Teil des alltäglichen Diskurses geworden. […] Dazu kommt noch, dass in der georgischen Gesellschaft nach wie vor die Einstellung vorherrscht, dass LGBT-Personen „sündhaft, beschämend oder pathologisch“ sind.

Das Gericht führt zahlreiche Gewalttaten gegen LGBT seit 2021 auf und kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei nicht um punktuelle Ausnahmeentscheidungen handle. Vielmehr lasse sich feststellen, dass LGBT-Personen systemische Gewalt, Unterdrückung, Missbrauch, Intoleranz und Diskriminierung erfahren, wobei diese Gewaltverbrechen die allgemeine Einstellung der georgischen Gesellschaft und der Politik gegenüber LGBT-Personen widerspiegeln. Im Hinblick auf diese Verfolgung sei der georgische Staat nicht hinreichend willens oder in der Lage, den gebotenen Schutz des Klägers zu gewährleisten. Die Gefahr, welche für LGBT-Personen von radikalen und gewalttätigen Gruppen ausgehe, werde vom Staat nicht ausreichend bekämpft. Den Mobilisierungspraktiken dieser Gruppen sowie der Kultivierung von Homophobie und Transphobie in der Gesellschaft stünden keine effektiven Präventions- und Bestrafungsmechanismen entgegen, die große Mehrheit der Hassverbrechen bleibe ohne rechtliche Konsequenzen für die Täter. Das Gericht führt weiter aus, dass Georgien zwar über eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz der LGBT-Gemeinschaft verfüge, dass die Umsetzung dieser Gesetze jedoch unzureichend sei. Im gesellschaftlichen und beruflichen Leben müssten LGBT mit ungleicher Behandlung, Anfeindungen und Gewaltanwendung rechnen. LGBT-Personen seien deshalb oft gezwungen, ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu verbergen. Der georgische Staat gewährleiste die Versammlungsfreiheit für LGBT nicht. Im Juli 2021 seien im Rahmen des Tblisi Pride March mehr als 50 Journalisten von 3.000 ultrakonservativen Gegendemonstranten verbal und körperlich schwer angegriffen worden, ein Kameramann daraufhin verstorben, ein polnischer Demonstrierender wurde niedergestochen. Der georgische Staat habe dies nicht aufklären wollen, die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen seien unbekannt, der Ministerpräsident habe sich vielmehr offen gegen den Pride-March gestellt und betont, dass 95 % der Bevölkerung gegen die Veranstaltung seien. 2022 konnte der Pride March nicht stattfinden, da wiederholt Versäumnisse der zuständigen Behörden bei der Gewährleistung der Sicherheit und der ständigen Drohungen und Aufstachelung zur Gewalt durch Mitglieder ultrakonservativer und rechtsextremer Gruppen festgestellt worden seien. Es bestehe für den Kläger keine interne Fluchtalternative innerhalb Georgiens. Im gesamten Staatsgebiet Georgiens fehle es an der gebotenen Schutzbereitschaft des Staates. Selbst in der vergleichsweise modernen und liberalen Hauptstadt Tiflis könnten LGBT-Personen nicht sicher vor Gewalterfahrungen sein.

Aus den genannten Asylentscheidungen wird deutlich, dass von Sicherheit vor Verfolgung für LSBTIQ* Personen in keinem der genannten Staaten die Rede sein kann.

5) Streichung Georgiens von der belgischen Liste sicherer Herkunftsstaaten zeigt Absurdität der nunmehr angestrebten Listung Georgiens in Deutschland

Der Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten erschreckt deswegen, weil Belgien erst am 7. April dieses Jahres Georgien von seiner nationalen Liste sicherer Herkunftsstaaten gestrichen hat (Vor dem erneuten Angriff auf den CSD in Tiflis im Juli 2023!). Auf ihr befinden sich somit nunmehr noch Albanien, Bosnien-Herzegowina, Indien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Aus den zu diesem Vorgang verfügbaren öffentlichen Dokumenten wird deutlich, dass gerade die Frage nach der Verfolgung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten bei den Überlegungen, welches Land auf der Liste (nicht) aufgeführt werden kann, eine besondere Rolle gespielt hat[22]. Da an der Listung dieser Länder festgehalten wurde, während sich Belgien gezwungen sah, Georgien zu streichen, liegt die Vermutung nahe, dass ebenfalls hier die sich für LSBTIQ* zuspitzende Lage in Georgien eine entscheidende Rolle gespielt hat. Es ist nicht verständlich, wie sich auf der einen Seite Belgien aufgrund der Menschenrechtslage in Georgien an die Streichung des Landes macht, während die Bundesregierung nun wenige Monate später Georgien als sicheres Herkunftsland bestimmen will, und dies auch noch, nachdem in der Zwischenzeit der CSD in Tiflis von queerfeindlichen Gruppen angegriffen wurde und der georgische Staaten hierbei weitgehend wohlwollend zuschaute.

6) Einstufung von Ghana, Senegal, Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten trifft LSBTIQ* Asylsuchende besonders hart

Wie bereits dargestellt halten wir die Bestimmung von Ghana, Senegal, Georgien und Moldau zu sicheren Herkunftsstaaten als rechtswidrig, da die Menschenrechtslage für LSBTIQ* eine Bestimmung entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verbietet. Uns ist es jedoch wichtig deutlichzumachen, dass es eben nicht nur formale Gründe sind, die zu unserer Ablehnung des Entwurfs führen, sondern dass wir uns massiv um LSBTIQ* Asylsuchende aus diesen Ländern sorgen.

Eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat und die damit einhergehenden Einschränkungen der Rechte der Asylsuchenden trifft LSBTIQ* besonders hart. LSBTIQ*, die vor politischer Verfolgung geflohen sind, haben in der Regel in regulären Asylverfahren gute Chancen, einen Schutzstatus zu erhalten - selbst, wenn sie aus Ländern mit allgemein geringen Anerkennungsquoten kommen. Im beschleunigten Verfahren - das ganz praktisch bedeutet, dass die Asylsuchenden gerade eine Woche Zeit haben um Klage und Eilantrag zu stellen und die Verwaltungsrichter*innen die Personen nicht zu Gesicht bekommen im Eilverfahren und diese nur bei ernstlichen Zweifeln am BAMF-Bescheid diesen aufheben können - wären ihre Chancen jedoch massiv eingeschränkt. Dies liegt vor allem daran, dass sie sich oft erst sehr spät im Verfahren zu ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität und der damit zusammenhängenden Verfolgung äußern, häufig erst im Rahmen der Klage oder noch später. In beschleunigten Verfahren droht ihnen regelmäßig die Abschiebung, noch bevor sie ihre internalisierte Scham und Angst überwunden haben und sich gegenüber den Behörden outen. Letzteres erfordert in der Regel eine gute Asylverfahrensberatung vorzugsweise durch queere Träger sowie ausreichend Zeit, um das erforderliche Vertrauen aufzubauen. Bereits jetzt steht bei Ghana und Senegal zu befürchten, dass zahlreiche LSBTIQ* im Rahmen der beschleunigten Verfahren in die Verfolgerstaaten abgeschoben worden sind, ohne dass sie die Gelegenheit hatten, ihre wahren Fluchtgründe vorzutragen. Dies darf nicht unser menschenrechtlicher Anspruch sein.

Hinzu kommt, dass Geflüchtete aus sicheren Herkunftsstaaten in der Regel wesentlich länger dazu gezwungen sind, in Sammelunterkünften zu leben. Diese Sammelunterkünfte stellen für LSBTIQ* Geflüchtete in der Regel Angsträume dar, in denen ein offener Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität zwangsläufig zu einer massiven Gefährdung führen würde. Es ist somit auch nicht davon auszugehen, dass LSBTIQ* Geflüchtete aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten dort den Mut fassen werden, sich gegenüber dem Bundesamt oder den Unterkunftsmitarbeitern zu outen, um Schutz zu erhalten.

Die kaum zu erwartenden "Erfolge" einer Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau zu sicheren Herkunftsstaaten stehen somit in keinem Verhältnis zu dem Leid, was sie bei LSBTIQ* Geflüchteten aus diesen Staaten anrichten würde.

Abschließende Ausführungen:

Die Bundesregierung und der Bundestag sind europa- und verfassungsrechtlich verpflichtet, alle Staaten, in denen LSBTIQ* nicht sicher vor Verfolgung sind, von der Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten zu streichen. Dies gilt in besonderem Maße für die LSBTIQ*-Verfolgerstaaten Ghana und Senegal, in denen der Staat selbst massiv als Verfolger in Erscheinung tritt. Deutschland muss dem Beispiel Frankreichs folgen und Ghana und Senegal streichen.

Auch Georgien kann nicht in die Liste aufgenommen werden, da es nicht in der Lage oder willens ist, LSBTIQ* vor der teils massiven gesellschaftlichen Verfolgung und Gewalt zu schützen. Dies bestätigen nicht nur der weltweite LSBTIQ*-Dachverband ILGA, sondern auch zahlreiche verwaltungsgerichtliche Entscheidungen sowie die Entscheidung Belgiens, das Land von der nationalen Liste sicherer Herkunftsstaaten zu streichen.

Schließlich ist eine Einstufung Georgiens als sicher ohnehin ausgeschlossen, da der Staat nicht die Kontrolle über alle Regionen hat, ja Südossetien und Abchasien sogar faktisch von Russland kontrolliert werden. Dementsprechend kann von Sicherheit vor Verfolgung in allen Landesteilen ohnehin keine Rede sein. Das gleiche gilt für Moldau, dessen abtrünnige Provinz Transnistrien ebenfalls faktisch von Russland kontrolliert wird.

Trotz der äußert kurzen Frist möchten wir uns zumindest grundsätzlich für die Möglichkeit einer Stellungnahme bedanken.

Mit freundlichem Gruß

Patrick Dörr                                                                             Alva Träbert

Bundesvorstand                                                          

[1] BVerfG, Beschluss vom 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – BVerfGE 94, 115-166.

[2] Conseil d’État, 2ème–7ème chambres réunies, 2.7.2021, N° 437141.

[3] Ausschussdrucksache 20 (17) 60

[4] ILGA World: Lucas Ramon Mendos, Kellyn Botha, Rafael Carrano Lelis, Enrique López de la Peña, Ilia Savelev and Daron Tan, State-Sponsored Homophobia 2020: Global Legislation Overview Update (Geneva: ILGA, December 2020).

[5] Im Frühjahr 2023 hat ILGA den "State-Sponsored Homophobia" Report -und andere Berichte in die laufend aktualisiert ILGA World Database überführt:

https://database.ilga.org/en .

[6] BAMF Briefing Notes vom 17. Juli 2023 https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw29-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=5  

[7] https://president.ge/index.php?m=206&appeals_id=344&lng=eng

[8] EurasiaNet (Author): Anti-gay violence goes unpunished in  Georgia, again, The festival's organizers said the government acted in concert with the violent demonstrators to thwart the event. 12 July 2023. https://www.ecoi.net/en/document/2095033.html

[9]BAMF Briefing Notes vom 12. Juli 2021 https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw28-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[10] https://www.iphronline.org/report-georgia-lgbtiq.html

[11] https://gdi.ge/en/news/05072021-march-of-dishonor.page  

[12] EGMR, Urt. v. 17.11.2020 - 889/19 and 43987/16 (B. and C. v. Switzerland)

[13] VG Düsseldorf, Urt. 08.03.2017 - 23 K 9157/16.A,  VG Bayreuth Urteil v. 24.07.2020 - B 4 K 18.30571 und VG Hamburg Urteil vom 15.02.23 , 6 A 4041/21

[14] Eilbeschluss des VG Gießen vom 2. Juli 2020 -  L1802/20.GI.A (nicht veröffentlicht). Bescheid des BAMF vom 12.11.2020 -  Az 8007070 - 23

[15] VG Augsburg, Urt. v. 27.04.2016 - Au 1 K 16.30296, VG München, Beschl. v. 04.08.2016 - M 11 S 16.30613, Juris, VG Regensburg, Urt. v. 15.02.2017 - RN 5 K 16.30913, VG München, Urt. v. 29.12.2016 - M 2 K 16.30947, VG München, Urt. v. 10.08.2017 - M 11 K 16.30600 und VG München, Urt. v. 05.02.2018 - M 16 K 16.30750

[16] BAMF, Bescheid v. 29.11.2016, BAMF, Bescheid v. 10.02.2017

[17] VG Leipzig, Beschluss vom 28.07.2022 - 3 L 255/22.A

[18] Bescheid vom 15.05.2023, Az (BAMF): 8 690 590 - 269 basierend auf VG Leipzig, Urteil v. 27.03.2023, 3 K 658/22.A.

[19] VG Berlin, Urt. v. 21.11.2019 - 38 K 170.19 A und VG Berlin, Urt. v. 22.05.2020 38 K 114.19 A (beide bestätigt durch OVG Berlin, Beschl. v. 17.08.2020 12 N 110 20), sowie VG Berlin, Urt. vom 19.02.2020 - 38 K 171.19 A, VG Berlin, Urt. v. 09.04.2021 - 38 K 141.20 AVG Berlin, Urt. v. 06.09.2021 - VG 38 K 445.19 A, VG Berlin, Urt. v. 01.04.2022 - 38 K 467.20 A, VG Berlin, Urt. v. 01.04.2022 - 38 K 503.20 A (nicht veröffentlicht); VG Berlin, Urt. v. 01.04.2022 - 38 K 544/21 A (nicht veröffentlicht); VG Berlin, Urt. v. 01.04.2022 - 38 K 802.21 A (nicht veröffentlicht); VG Berlin, Urt. vom 21. April 2022, VG 38 K 266/20 A (nicht veröffentlicht); VG Meiningen, Urt. v. 31.3.2023 – 2 K 43/22 Me

[20] VG Berlin, Urt. v. 21.11.2019 - 38 K 148.19 A und VG Berlin, Beschl. v. 18.10.2021 - 38 L 594.21 A

[21] asyl.net: M30669, https://www.asyl.net/rsdb/m30669

[22]https://www.ejustice.just.fgov.be/eli/arrete/2023/04/07/2023041862/moniteur