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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Neuigkeiten

Was steht dazu in unserem Programm?

  • 7. Eine aufgeklärte und solidarische Gesundheitspolitik durchsetzen

    Jeder Mensch hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand, heißt es in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Eine aufgeklärte und solidarische Gesundheitspolitik muss die Belange von LSBTI berücksichtigen sowie Diskriminierungen entgegentreten.

     

    Gesundheit fördern durch Abbau von Vorurteilen

    Medizin und Psychiatrie haben Homosexualität in der Vergangenheit als Krankheit eingestuft. Diese Denkmuster aus dem 19. Jahrhundert sind bis heute in Teilen der Gesellschaft virulent. Die WHO hat 1992 mit der Streichung der Homosexualität aus dem internationalen Krankheitenregister ein starkes Zeichen gesetzt. Für Trans- und Intergeschlechtlichkeit braucht es endlich auch ein entsprechendes Signal.

    Die historische und bis in die Gegenwart anhaltende Stigmatisierung und Pathologisierung von LSBTI fügen Menschen schweren Schaden zu. Wir fordern Psychiatrie und Medizin sowie alle im Gesundheitswesen tätigen Menschen, Organisationen und Institutionen auf, LSBTI vorurteilsfrei gegenüberzutreten. Falls Menschen im Gesundheitsbereich negative Reaktionen befürchten müssen, wenn sie ihre geschlechtliche Identität, ihre sexuelle Orientierung, ihre Lebensweise und sexuelle Praxis ansprechen, dann beeinträchtigt dies die gesundheitliche Versorgung. Die Ärzteschaft wird aufgefordert, ihre Beratungskompetenz für LSBTI-Patientinnen und Patienten durch Fortbildung zu verbessern. In der Aus- und Fortbildung im Gesundheitswesen sind generell Themenbereiche wie gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Trans- und Intergeschlechtlichkeit sowie die Auswirkungen von Homophobie und Transfeindlichkeit stärker zu berücksichtigen. Diskriminierung kann krank machen. Wir fordern die Erstellung eines gruppenspezifischen Berichts zur gesundheitlichen Lage von LSBTI in Deutschland durch das Bundesgesundheitsministerium, um aus den Erkenntnissen konkrete Handlungsempfehlungen für zielgruppensensible Gesundheitsförderung zu gewinnen. Wir fordern Studien über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTI.

     

    Trans- und intergeschlechtlichen Menschen Selbstbestimmung ermöglichen

    Intergeschlechtliche Menschen haben das Gesundheitswesen bisher oft als Ort der Gewalt erlebt. Ärztinnen und Ärzte in Deutschland unternehmen bis heute noch unnötige Genitaloperationen an Kindern. Statt die Annahme natürlicher Zweigeschlechtlichkeit zu hinterfragen, werden Menschen „passend“ gemacht. Diese Operationen sind keine Heileingriffe, sondern verletzen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde von intergeschlechtlichen Menschen und verstoßen gegen die UN-Kinderrechtskonvention sowie das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Nicht lebensnotwendige medizinische Behandlungen von intergeschlechtlichen Menschen ohne ihre vorherige freie und vollständig informierte Einwilligung müssen verboten werden. Begleitend sind umfassende und vorurteilsfreie Informationen für Eltern intergeschlechtlicher Kinder notwendig. Das Thema Intergeschlechtlichkeit muss in die Ausbildung medizinischer und sozialer Berufe Eingang finden.

    Transpersonen wird eine bestmögliche physische und seelische Gesundheit oftmals unmöglich gemacht. Die (Psycho-)Pathologisierung von Transidentitäten und Zwangsbegutachtungen gehören abgeschafft. Transgeschlechtliche Menschen müssen das Recht haben, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Hinsichtlich Anwendung und Verfügbarkeit medizinischer Hilfen darf kein Druck auf sie ausgeübt werden. Umgekehrt aber müssen sämtliche geeigneten medizinischen Maßnahmen allen transgeschlechtlichen Menschen zur Verfügung stehen, die diese benötigen. Die Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen zu bedarfsgerechten geschlechtsangleichenden Maßnahmen muss gewährleistet sein. Die oft langwierigen Verfahren bei den Krankenkassen zur Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen und Operationen müssen durch im Dialog mit der Zivilgesellschaft entwickelte Richtlinien vereinfacht, beschleunigt und vereinheitlicht werden.

    Pathologisierung aufarbeiten und überwinden

    Die Aufarbeitung der Pathologisierungsgeschichte von Homosexualität, Inter- und Transgeschlechtlichkeit muss vorangetrieben werden, ebenso die gesellschaftliche Rehabilitierung der Opfer von (Psycho-)Pathologisierung und medizinischer Gewalt. Für Menschen, die menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen unterworfen wurden, fordern wir finanzielle Entschädigung und angemessene gesundheitliche Versorgung.

    In den psychotherapeutischen Berufen darf es weder bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten noch bei der Zulassung und Ausbildung von Bewerberinnen und Bewerbern eine Benachteiligung von LSBTI geben. Wir fordern die psychotherapeutischen Berufsverbände auf, ihre Geschichte im Blick auf die Diskriminierung von Patientinnen und Patienten sowie den Ausschluss nichtheterosexueller Bewerber und Bewerberinnen kritisch aufzuarbeiten und in ihrem Leitbild ein Bekenntnis zur diskriminierungsfreien Haltung gegenüber LSBTI zu verankern.

    „Umpolung“ ächten

    Versuche zur eugenischen oder hormonellen pränatalen Manipulation zur „Prävention“ von Homosexualität sind mit den ethischen Grundsätzen ärztlichen Handelns nicht vereinbar, ebenso Heterosexualisierungstherapien. Insbesondere in religiös-fundamentalistischen Zusammenhängen werden sogenannte „Konversions“- oder „Reparativ“-Therapien angeboten, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten sowie der lesbischen, schwulen oder transgeschlechtlichen Identität abzielen. Die Bundesregierung, die Landesregierungen und alle zuständigen Behörden müssen öffentlich vor solchen, die psychische Gesundheit gefährdenden Pseudo-Therapien warnen und dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht in solche „Behandlungen“ gedrängt werden. Es darf keinerlei öffentliche Förderung für Institutionen geben, die solche „Behandlungen“ anbieten. Zum Schutz von jungen Menschen müssen Umpolungs- und Konversionstherapien an Minderjährigen gesetzlich verboten werden.

    HIV-Prävention stärken und modernisieren

    Viele Menschen sind Opfer von AIDS geworden. Auch heute leiden weltweit Millionen an der Immunschwächekrankheit, an mangelnder gesundheitlicher Versorgung, an Ausgrenzung und Verelendung. Vorurteile, religiöse Dogmen und nationalistische Ideologien behindern vielerorts wirksame Prävention. Die Bundesrepublik ist aufgefordert, sich auf sämtlichen Ebenen für den Kampf gegen AIDS und für die Menschenrechte der Betroffenen mit aller Kraft zu engagieren.
    In Deutschland können inzwischen die meisten Menschen mit einer HIV-Infektion dank der medizinischen Fortschritte und Versorgung ein selbstbestimmtes Leben führen. Sie sollten auch ein angst- und diskriminierungsfreies Leben führen können. Selbstbewusst, offen und ohne Angst vor Ausgrenzung leben zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Prävention und Therapie. 

    Gerade die HIV-Prävention bei schwulen Männern hat große Erfolge gebracht. Präventionsbotschaften und Vermittlungsmethoden müssen ständig auf die veränderte Wahrnehmung von HIV und AIDS überprüft und aktualisiert werden. Die Prävention muss die ganze Vielfalt der Beziehungs- und Lebensformen und sexuellen Begegnungen im Auge haben. Sie muss passgenaue und realistische Wege für verantwortliches Verhalten aufzeigen. Als Safer Sex gelten neben der Verwendung von Kondomen auch die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) sowie Schutz durch Therapie. PrEP kann bei dauerhafter oder anlassbezogener Anwendung vor Risikosituationen eine HIV-Infektion verhindern. Wir fordern den kostengünstigen Zugang und die Kostenübernahme durch die Solidargemeinschaft. Der LSVD setzt sich für eine Verstärkung und bessere finanzielle Ausstattung der Präventionsarbeit im Bereich von HIV, anderen sexuell übertragbaren Krankheiten und Hepatitis ein. Mittel, die heute in der Prävention gespart werden, müssen morgen, um ein Vielfaches erhöht, für die Patientenversorgung ausgegeben werden. Das gilt auch hinsichtlich PrEP. Private und gesetzliche Krankenkassen sollten in der Finanzierung der HIV-Prävention engagiert mitwirken. Auch die Pharmaindustrie muss sich hier engagieren.

    Statt Sexualität zu tabuisieren muss zielgruppengerecht über Übertragungswege und Safer Sex aufgeklärt werden. Jugendschutz darf nicht gegen Prävention ausgespielt werden. Schließlich geht es nicht zuletzt um Jugendliche, die für die Prävention gewonnen werden sollen. Nur diejenigen, die sich über die Risiken beim Sex im Klaren sind, können für sich und ihre Partner Verantwortung übernehmen. 
    HIV-Prävention heißt auch, Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, ihre sozialen Aktivitäten zu fördern, ihre rechtliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung durchzusetzen. Je selbstbewusster Menschen zu ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität stehen können und je besser sie in Netzwerke integriert sind, desto reflektierter setzen sie sich mit den Präventionsanforderungen auseinander.

    Immer noch werden schwule Männer bzw. Männer, die Sex mit Männern haben, in Deutschland beim Zugang zum Blutspenden sachwidrig diskriminiert. Sicherheit lässt sich aber viel besser ohne Diskriminierung gewährleisten. Wir fordern, dass auf das konkrete Verhalten abgestellt wird und nicht auf Gruppenzugehörigkeiten.

     

    Die soziale Situation von Menschen mit HIV und AIDS verbessern

    Menschen mit HIV, in besonderem Maße aber an AIDS erkrankte Menschen, haben aufgrund der verbesserten Therapien heute eine deutlich gestiegene Lebenserwartung. Das muss sich auch im Versicherungswesen und im Bereich der Alterssicherung widerspiegeln. Hier stehen HIV-positive Menschen vor dem Problem, dass es ihnen nicht möglich ist, neben der staatlichen Alterssicherung oder der für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konzipierten Riester-Rente eine private Alterssicherung zu erreichen, da private Versicherungen den Abschluss von Verträgen mit HIV-positiven Menschen ablehnen. Die Erwerbsunfähigkeitsrenten sind aber an die gleiche Entwicklungsformel wie Altersrenten gebunden. Damit wird eine Abwärtsspirale in die Verarmung im Alter eingeleitet. Der LSVD fordert eine Sozialpolitik, die den besonderen Lebensumständen der Menschen mit HIV und AIDS gerecht wird und ihnen ausreichende Renten im Alter ermöglicht.

    Auch die Sozialhilfe und das ALG II decken den spezifischen Bedarf nur unzureichend ab. Hier setzen wir uns für die Anerkennung anderer Mehrbedarfe ein, um flexibel auf die gesundheitliche Situation von Menschen mit HIV und AIDS reagieren zu können. Auch bei den Kostenträgern von Rehabilitationsleistungen ist angesichts der stark verlängerten Lebenserwartung von Menschen mit HIV/AIDS ein Umdenken erforderlich.