2.2. Für Menschenwürde – gegen Hass
Projekt „Queer Refugees Deutschland“
Seit Herbst 2017 berät, unterstützt, vernetzt und informiert das bundesweite LSVD-Projekt „Queer Refugees Deutschland“ LSBTI, die nach Deutschland geflüchtet sind oder sich auf der Flucht befinden.
Seit Beginn des Projektes wurden über 30 Schulungen, vor allem mit Flüchtlingsunterkünften und Beratungsstellen, durchgeführt. Den Mitarbeitenden wurde damit Regenbogen-Kompetenz im spezifischen Kontext Flucht vermittelt und sie wurden für die besonderen Bedarfe von LSBTI-Geflüchteten sensibilisiert. Für die Durchführung der Schulungen, aber auch zur Verschickung an Unterkünfte und Beratungsstellen, wurden zahlreiche Materialien entwickelt. Somit ist es den unterschiedlichen Einrichtungen möglich, Haltung zu zeigen, über LSBTI-Verfolgung als Asylgrund zu informieren und Vertrauen zu bilden.
Die neunsprachige Webseite www.queer-refugees.de wurde kontinuierlich erweitert und ergänzt, sodass auf ihr alle relevanten Informationen, Anlaufstellen und Materialien leicht zugänglich zur Verfügung stehen. Der Versand der Materialien in Verbindung mit der Webseite haben zu einem erheblichen Anstieg der Beratungsanfragen geführt, sodass sich seit Projektbeginn weit über 300 Rat suchende Personen aus dem In- und Ausland an das LSVD-Projekt gewandt haben.
In drei Workshops fanden überdies das dritte, vierte und fünfte Vernetzungstreffen der geflüchteten LSBTI-Aktivist*innen in Bremen, Erfurt und Magdeburg statt. Ziel dieses Netzwerkes ist mittelfristig die Gründung einer Migrant*innenselbstorganisation (MSO).
Im November 2018 informierte Patrick Dörr zusammen mit Henny Engels und Klaus Jetz die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Widmann-Mauz (CDU), aus deren Mitteln das Projekt gefördert wird, über den Stand des Projekts und die Lage von LSBTI-Geflüchteten im Asylverfahren in Deutschland. Außerdem hat sich im Bereich der Erstinformation und Beratung durch das BAMF in den Ankerzentren eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesamt ergeben. Beim Thema „Besonderer Schutzbedarf“ ist besonders auch die Zusammenarbeit mit der Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ hervorzuheben.
Das Projekt wird über den ursprünglichen Bewilligungszeitraum bis Ende 2018 hinaus nun bis Ende 2020 gefördert und kann somit seine Arbeit nachhaltig fortsetzen. Überdies wurde das Projekt um den Bereich „Integration“ erweitert, also um das Ziel der stärkeren Sichtbarkeit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Integrationsmaßnahmen.
Dauerbrenner „Sichere Herkunftsstaaten“
Auch in den vergangenen 12 Monaten musste der LSVD wieder viel Arbeit darin investieren, den aus unserer Sicht verfassungswidrigen Regierungsplänen Widerstand zu leisten, die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien für „sicher“ zu erklären. 2017 war ein entsprechender Vorstoß schon einmal am Bundesrat gescheitert.
Im Oktober 2018 hat die Große Koalition das Vorhaben aber recycelt, nun ergänzt auch um Georgien. In Algerien, Marokko und Tunesien wird einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen bedroht. Es findet eine offensive Verfolgung insbesondere von offen lebenden Lesben und Schwulen statt. Allein in Tunesien wird von über 70 Festnahmen bzw. Verurteilungen in 2017 berichtet. Behörden wenden gegenüber „Verdächtigen“ Folterpraktiken wie zwangsweise Analuntersuchungen an, um sie der Homosexualität zu „überführen“. Auch in Georgien sind LSBTI immer wieder gewalttätigen Angriffen ausgesetzt, ohne dass die Regierung sie ausreichend schützt.
Im November 2018 fand zu den „sicheren Herkunftsstaaten“ eine Anhörung im Innenausschuss des Bundestages statt. Der LSVD hat aus diesem Anlass seine grundsätzliche Kritik in einer detaillierten Stellungnahme an den Bundestag dargelegt und deutlich gemacht, dass der Gesetzentwurf im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes steht. Ebenso hat der LSVD ausgeführt, wie eine solche Einstufung die Chancen von LSBTI auf asylrechtliche Anerkennung rechtswidrig noch weiter minimiert und die LSBTI-Schutzsuchenden in für sie gefährliche Großeinrichtungen zwingen würde.
Im Januar 2019 hat der LSVD einen Appell an die demokratischen Parteien im Bundestag gerichtet. Darin hieß es unter anderen: „Der Deutsche Bundestag hat ein-stimmig betont, dass die früher in Deutschland ‚bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt‘ hat. Erst 2017 haben Bundestag und Bundesrat die Rehabilitierung der in Deutschland wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen beschlossen. Es ist völlig unverständlich, wie nur kurze Zeit später der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den ‚sicheren Herkunftsländern‘ die gleiche Situation in anderen Ländern total bagatellisiert. In den Maghreb-Staaten besteht eine Strafdrohung wie früher in Deutschland. Arabische Lesben und Schwule haben gleiche Menschenwürde wie deutsche! Wer die Hand dafür hebt, solche Staaten zu ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ zu erklären, der bewirkt, dass die Unterdrücker, Verfolger und Folterer sich in ihrem verbrecherischen Tun bestätigt fühlen können“.
Im Bundestag stimmten am 18. Januar 2019 CSU/CSU, die große Mehrheit der SPD-Abgeordneten, AfD und FDP dafür, Staaten für sicher zu erklären, obwohl dort Menschen wegen ihrer Homosexualität (und andere den Regierenden dort missliebige Gruppen) strafrechtlich verfolgt werden. Linke und Grüne stimmten geschlossen dagegen. Einige SPD-Abgeordnete stimmten ebenfalls dagegen oder enthielten sich.
Danach scheiterte das Vorhaben aber vorläufig am Bundesrat. Der Gesetzentwurf zu den sicheren Herkunftsstaaten wurde dort am 15.2.2019 von der Tagesordnung genommen, als sich abzeichnete, dass es in der Länderkammer keine Mehrheit für den Gesetzentwurf geben würde. Der LSVD hat danach den Grünen und Linken in den Landesregierungen gedankt, die diesem verfassungswidrigen Gesetzesvorhaben die Zustimmung verweigert haben. Der LSVD appelliert an die anderen Länder, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, die Absetzung im Bundesrat zum Anlass zu nehmen, endlich ihre Haltung zu überdenken. Die Einstufung von Verfolgerländern als „sicher“ verharmlost die Kriminalisierung von Homosexualität in Algerien, Marokko und Tunesien. Sie wäre ein schwerer Rückschlag für den Menschenrechtskampf vor Ort.
Projekt „Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken“
Der LSVD verfolgt mit dem Projekt „Miteinander stärken. Rechtspopulismus entge-genwirken“ das Ziel, dem Rechtspopulismus Paroli zu bieten und wirksame Strate-gien und Bündnisse zu entwickeln. Zusammen mit unseren Landesverbänden wollen wir die Akzeptanz von LSBTI fördern und uns und unsere Bündnispartner*innen stärken. Dabei haben wir nicht nur die Community im Fokus, sondern auch Projekte aus der Rassismus- und Antisemitismusprävention, aus der Jugendarbeit, aus der Bildungsarbeit, aus der Demokratieförderung, aus migrantischen Organisationen und auch Träger aus Sport, Kultur und Wissenschaft. Gemeinsam wollen wir uns gegen Rechtspopulismus und Anfeindungen stärken und gegenseitige Lernprozesse initiieren.
Auf regionalen Vernetzungstreffen, Konferenzen und Regenbogenparlamenten bringen wir Ehrenamtler*innen, Fachkräfte, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aus der ganzen Republik zusammen. Die beiden Projektmitarbeitenden Jürgen Rausch und René Mertens arbeiten seit Sommer 2017 an der Durchführung des Projektes, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert wird.
Regionale Vernetzungstreffen und Konferenzen
Zum Auftakt des Projekts fanden in Leipzig, Mannheim, Dortmund und Magdeburg vier Vernetzungstreffen statt. Auf diesen Treffen wurden gemeinsam mit über 100 Ehrenamtler*innen und Aktivist*innen erste Strategien und Maßnahmen entwickelt, um den menschenfeindlichen Einstellungen mit Mut und Kreativität entgegenzuwir-
LSVD-Bundesvorstand Tätigkeitsbericht 2019 Seite 12 von 32ken. Darauf aufbauend wurden drei Regionalkonferenzen in Leipzig (Oktober 2018), München (November 2018) und Düsseldorf (Februar 2019) durchgeführt. Die vierte Konferenz wird am 2. April in Magdeburg stattfinden.
Im Rahmen der Konferenzen wurden die ersten Ergebnisse der Vernetzungstreffen besprochen und weiterentwickelt. Ebenso wurden neue Aspekte einbezogen. So wurde beispielsweise in Düsseldorf diskutiert, wie sich zivilgesellschaftliche Organisationen verhalten können, wenn sie Zielscheibe von rechten Diffamierungen werden. Auch wurden erste Handlungsansätze entwickelt, wie im Rahmen der politischen Bildung menschenfeindlichen Einstellungen entgegengewirkt werden kann. Das Projekt brachte gemeinsam mit den Landesverbänden Aktivist*innen und Fachkräfte aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Stiftungen, Medien, Politik, Sport, Kultur, Religion, Soziale Arbeit, Antidiskriminierungs- und Antirassismusarbeit, Demokratie- und Menschenrechtsarbeit, aus migrantischen Organisationen und aus der Jugendarbeit zusammen und war Impulsgeber für zukünftige Bündnisse. Außerdem wurden die Forderungen an Politik und Gesellschaft konkretisiert. Die Ergebnisse der Treffen und Konferenzen werden jeweils als gedruckte Broschüre veröffentlicht und stehen auf der Webseite des Projekts zum Download zur Verfügung.
Bundesweite Regenbogenparlamente
Neben den regionalen Veranstaltungen wurden bundesweite Regenbogenparlamente durchgeführt. Das zweite Forum dieser Art fand am 22. September 2018 in der VHS Köln statt. Dabei stand im Fokus, wie die Regenbogenkompetenz in der Senior*innenarbeit, in der Bildung, in Religionsgemeinschaften, in den Medien, in der Arbeitswelt und in der internationalen Menschenrechtspolitik erhöht werden kann. Auch wurden Strategien und Anforderungen zur Umsetzung formuliert und ein Forum zum fachlich qualifizierten Austausch und zur Vernetzung angeboten. Aus dem ersten Regenbogenparlament an der Humboldt-Universität zu Berlin wurden die Themen Medien und Religion wieder aufgegriffen.
Das dritte Regenbogenparlament wird am 07. September 2019 in Hamburg stattfinden.
Gespräch mit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Am 23. Februar trafen sich 19 Vertreter*innen aus 10 LSBTI-Verbänden mit Bundesministerin Dr. Franziska Giffey. Helmut Metzner und Henny Engels vertraten den LSVD. Sie stellten einige thematische Schwerpunkte des LSVD vor, so z.B. die Aktivitäten im Projekt Miteinander stärken – Rechtspopulismus entgegenwirken; im Bereich der Regenbogenfamilien, Arbeit mit und für LSBTI-Geflüchtete(n) und der Befassung mit der Situation von Lesben. Weitere Themen im Gespräch waren die ausstehende Neuregelung der Rechte von Trans* und Interpersonen, Sexuelle Vielfalt in der Bildungsarbeit, Erfahrungen in diversen Beratungsfeldern und sexuelle Vielfalt in Angeboten von Kultureinrichtungen. Von mehreren Organisationen wurden die mit der überwiegend ehrenamtlichen Struktur verbundenen Probleme eindringlich geschildert.
Aktivitäten im Bereich Sport
Männerfußball WM2018 in Russland
Anlässlich der Fußball-WM der Männer in Russland hat QFF (Queer Football Fan-clubs), das Netzwerk der LGBTI-Fußballfanclubs, unter dem Motto #ToRussiaWith-Love am 10.06. zu Kundgebungen vor den diplomatischen Vertretungen Russlands in Berlin, Bonn, Frankfurt, Leipzig und München aufgerufen. Die Aktionen wurden vom LSVD Bund und den Landesverbänden des LSVD unterstützt. Der LSVD forderte, dass die FIFA bei der Fußball-WM in Russland deutlich macht, dass die von ihr verabschiedeten Richtlinien für Menschenrechte nicht nur Augenwischerei und heiße Luft bleiben. Sie sollte unmissverständlich klar machen, dass sie hinter allen Fans und Spielern steht, die sich während der WM für die Menschenrechte stark machen und etwa mit einer Regenbogenflagge oder ähnlichen Statements in Fußballstadien Solidarität mit russischen LSBTI zeigen.
Regenbogenfahnen bei Fußballverbänden
Auf Initiative des LSVD hisste der Hamburger Fußball-Verband (HFV), im Rahmen der Jugendfußball-Saisoneröffnung, am 12.08.2018, eine HFV-Regenbogenflagge mit Verbandsemblem in der Mitte. Mit dabei waren HFV-Präsident Dirk Fischer, HFV-Schatzmeister Christian Okun, HFV-Präsidiumsmitglied Claudia Wagner-Nieberding (Beisitzerin für gesellschaftliche und soziale Verantwortung) sowie Wolfgang Preussner (Landesvorstand LSVD Hamburg) und Björn Frederik Augsten (1. Vorsitzender Startschuss). Auch der Bremer Fußball-Verband in Anwesenheit des Präsidenten Björn Fecker und des Geschäftsführers Jens Dortmann hisste auf Initiative des LSVD am 25.08.2018 zum Bremer CSD auf seinem Gelände eine Regenbogenflagge als solidarisches Zeichen.
Vernetzung und Austausch
Im September war die Präsidentin des Antidiskriminierungsrates von Mexiko-Stadt, Jaqueline L‘Hoist Tapia in Berlin zum Austausch mit dem LSVD zu Gast. Geplant ist eine Konferenz für 2020 in Mexiko-City mit Vertreter*innen des mexikanischen Fußballs und aus Deutschland. Anlass ist die Männerfußball WM2026 in Mexiko, Kanada und den USA.
Die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) ist in der Fanarbeit im Fußball eine der wichtigsten Institutionen. Im Rahmen der 25-Jahr-Feier nahm der LSVD Kontakt auf und hat sich auf eine Zusammenarbeit verständigt.
Am 07.11.2018 trafen sich 26 Vertreter*innen der Regional- und Landesverbände des DFB in Frankfurt am Main zum Erfahrungsaustausch zum Thema „Sexuelle Vielfalt und Diskriminierung im Fußball“ - Thomas Hitzlsperger und der LSVD gaben den Input. In mehreren Dialogforen hatte der DFB Vertreter*innen von Sportverbänden und -vereinen, Nichtregierungsorganisationen, Kommunen, Bundesministerien, Unternehmen, der Kirche und anderen religiösen Gemeinschaften, gemeinnützigen Stiftungen, der Wissenschaft und Wirtschaft in Berlin zusammengebracht.
Im Diskurs wurden gemeinsam acht Handlungsfelder, nämlich Jugend, Fans, digitale Innovation, Vielfalt, Menschenrechte, Umwelt, Gesundheit und Fairplay identifiziert, in denen Fußball und Gesellschaft in vielfältiger Weise dauerhaft von einem Turnier in Deutschland profitieren sollen. Dazu sowie zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, den sogenannten Sustainable Development Goals (SDG), sollen die im Nachhaltigkeitskonzept dargestellten 24 innovativen Leuchtturmprojekte, darunter etwa das barrierefreie und inklusive Stadionerlebnis für alle, beitragen. An diesen Prozessen beteiligt sich der LSVD aktiv zukünftig im DFB.
Ebenfalls gab es zwei Treffen mit Britta Dassler, sportpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.