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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Rechtspopulistische Agitationen gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Bildung

Gegenstrategien und Handlungsmöglichkeiten

Auf der LSVD-Regionalkonferenz „Gegensteuern - Rechtspopulismus und Gleichstellungsgegner*innen die Stirn bieten.“ wurde über Gegenstrategien für rechtspopulistische Angriffen auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Bildung diskutiert.

miteinanderstaerken.doku.pngAuf der LSVD-Regionalkonferenz „Gegensteuern - Rechtspopulismus und Gleichstellungsgegner*innen die Stirn bieten.“ diskutierten Dr. Martin-Klemens Ketelhut (Heidelberg School of Education) und Danilo Ziemen (Que(e)r durch Sachsen: Mobile Beratung im ländlichen Raum) über Gegenstrategien zu rechtspopulistischen Agitiationen auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Bildung. Kathrin Schuchardt leitete dieses Fachforum.

Erkenntnisse aus dem Expert*innengespräch

Im pädagogischen Arbeitsfeld der frühkindlichen und schulischen Bildung sind überwiegend Frauen tätig. Es fehlt Kindern und Jugendlichen an männlichen Bezugspersonen und allgemein an gendersensibler Haltung. Anfragen nach sexualpädagogischer Aufklärung werden vorrangig von Lehrerinnen an externe Beratungs-und Bildungsangebote gestellt. Coming-outs von pädagogischen Fachkräften finden weiterhin relativ selten statt. Es fehlt an Vorbildern für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Bildungsbereich.(3)

Die christlich-erzkonservative „Demo für Alle“ mit einem von einigen Vertreterinnen selbstpostulierten „Feminismus“ ist an das Patriarchat anschlussfähig, da unterstellt wird, dass nicht jede Frau Gleichberechtigung anstrebt. Die rechtspopulistische „Anti-Gender“-Propaganda rechtfertigt ihre Positionen mit biologistischen und religiösen Grundannahmen über Geschlecht und Sexualität (vgl. deren sinnfreie Aussagen wie „Ich habe doch gleiche Rechte, wenn ich Mutter sein darf“)

Sichtbarkeit erhöhen

Zur Sichtbarmachung und Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Bildung braucht es Pädagog*innen, die professionell und damit selbstreflexiv mit ihrer eigenen Ge-schlechtsidentität umgehen können.

Im Gegensatz zu Erwachsenen zeigen Kinder und Jugendliche in Bildungsangeboten und Vielfaltsprojekten meist große Offenheit und Verständnis für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

Ängste bestehen eher seitens der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten. Diese beziehen sich häufig argumentativ auf rechtspopulistische und religiös-fundamentalistische Positionen und sind nur durch authentisches Auftreten und Fachkompetenz der Pädagog*innen der Vielfalt zu beseitigen.

Es entsteht eine paradoxe Situation: Einerseits wird die Behandlung von LSBTI* in einigen Bildungsplänen vorgegeben, andererseits bestehen für die Thematisierung in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, Erzieher*innen und Erwachsenenbildner*innen kaum zeitliche Ressourcen und sie ist curricular nicht festgeschrieben.

Pädagogische Fachkräfte vermitteln die Normen und Werte im Kita-oder Schulalltag so, wie sie glauben, dass sie in der Gesellschaft gelebt werden. Heteronormativität, Sexismus, Homosexuellen- und Trans*-Feindlichkeit sind daher in Kita und Schule genauso häufig verbreitet wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auch. Die Wertevermittlung ist immer auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Realität.

Die sexualpädagogischen Konzepte für Kitas, Schulen und Hochschulen sind nur mit einer gendersensiblen und menschenrechtsorientierten Haltung als Standard von pädagogischer Professionalität umsetzbar. Jedes Kind hat das Recht, sich in pädagogischen Institutionen frei, sicher und gleichberechtigt entwickeln zu können.

Der „Beutelsbacher Konsens“(4) in der politischen Bildung zielt darauf ab, dass Kinder und Jugendliche in Bezug auf Werte und Normen nicht überwältigt oder indoktriniert werden. Nach dem Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot) dürfen Lehrende den Lernenden nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen sie in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts ein eigenes Urteil bilden zu können. Perspektiven, Erfahrungen, Quellen und politische Haltungen müssen in ihrer Vielfalt kontrovers diskutiert werden.

Besonders von Gleichstellungsgegner*innen wird der „Beutelsbacher Konsens“ immer öfter instrumentalisiert, um die Sichtbarkeit von unterschiedlichen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten in Schule und Unterricht zu verhindern. Dabei wird das Überwältigungsverbot als zentrale Aussage angeführt. Gleichfalls nutzen Rechtspopulist*innen den Konsens auch immer wieder, um ihre eigenen menschenfeindlichen Positionen in Schule und Unterricht einzubringen.

Die am 11. Oktober 2018 verabschiedete Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ verdeutlichte noch einmal, wie der Beutelsbacher Konsens und das Überwältigungsverbot zu verstehen sind:

Dies bedeutet nicht, dass jede Position akzeptiert werden muss oder alle Positionen in gleicher Weise gelten. Wenn Schülerinnen und Schüler in einer Diskussion Standpunkte äußern, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten nicht vereinbar sind, dürfen Lehrerinnen und Lehrer diese keinesfalls unkommentiert oder unreflektiert lassen. Werden in der Schule kontroverse Thematiken behandelt, haben Lehrkräfte die anspruchsvolle Aufgabe, den Unterrichtsgegenstand multiperspektivisch zu beleuchten, zu moderieren, bei Bedarf gegenzusteuern, sowie Grenzen aufzuzeigen, wenn diese überschritten werden. Voraussetzung für die Umsetzung des Beutelsbacher Konsenses ist somit eine Grundrechtsklarheit und ein entsprechendes Selbstbewusstsein der Lehrkräfte.“ (5)

Eine Pädagogik der Vielfalt leitet sich aus dem Grundgesetz (6) und den Kinderrechten (7) ab. Der Kampfbegriff einer sogenannten „Frühsexualisierung“ zielt als Mittel einer rechtskonservativen Metapolitik darauf ab, den emanzipatorischen Diskurs grundlegend zu diffamieren und die tradierten Geschlechter-und Machtverhältnisse wieder herzustellen. Konservative und rechtspopulistische Positionen legitimieren sich mit der vermeintlichen Mehrheitsmeinung.

Das Grundgesetz zielt jedoch nicht allein auf parlamentarische Mehrheitsentscheidungen im demokratischen Verfahren ab, sondern fokussiert gleichzeitig auch auf den Minderheitenschutz in einer demokratischen Gesellschaft. Das demokratische System schützt auf diese Weise die Rechte von Minderheiten gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung.

Leitfragen, Forderungen und Maßnahmen

Was ist nötig, um Kinder und Jugendliche bereits in der Schule gegen menschenfeindliche Ideologie zu stärken? Und was ist notwendig, um Lehrkräfte und pädagogisches Personal vor Anfeindungen und Einschüchterungen aus dem rechten Spektrum zu schützen?

Politische Forderungen

  • (Landes-)Aktionsprogramme gegen Homosexuellen-und Trans*-Feindlichkeit, die auch das Thema Schule und Bildung einbeziehen
  • Etablierung von diversitätssensiblen und diskriminierungskritischen Lehrmaterialien, d.h. fächerübergreifende Aufnahme von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Kinderbüchern und im Schulmaterial
  • Bildungs- und Lehrpläne LSBTI* inklusiv gestalten: fächerübergreifende Wissensvermittlung zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt schon ab der Kita
  • Zur langfristigen Sicherstellung der politischen Forderungen bieten sich die Gewerkschaften und große Interessensverbände als Verbündete an. Die Ansprache zur Klärung vom gemeinsamen Vorgehen sollte über persönliche Kontakte erfolgen.
  • Es empfiehlt sich ebenfalls, Parteien und Fraktionen anzusprechen, um entsprechende Forderungen darzulegen.

Maßnahmen

  • Gemeinsam mit Lehrkräften, Erziehenden und Schüler*innen vielfaltsorientierte Leitbilder erstellen (inkl. Regeln für eine diskriminierungsfreie Kommunikation)
  • Die Regeln für die Kommunikation sollten im Schulprogramm festgeschrieben werden. Auf diese Weise können sie immer wieder anlassbezogen zum Thema gemacht werden.
  • Bei der Entwicklung von Leitbildern für Bildungseinrichtungen wird angeregt, die einzelnen Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Sexismus, Homosexuellen- und Transfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus usw.) genau zu beschreiben und den indifferenten und praktisch unbrauchbaren „Extremismus“-Begriff zu meiden.
  • Pädagogische Kommunikation und Alltagssprache permanent als Bildungsanlass nutzen, um über Bedeutung, Herkunft, Verwendung und Hintergrund von Begriffen aufzuklären. Weg von moralisch-normativ geprägten Aussagen und Belehrungen, hin zu empirisch-soziologischen Aussagen. Als Referenzrahmen dienen Menschenrechte, Bedürfnisorientierung des Individuums und praktische Konfliktlösungen.

Medienpädagogik verbindlich in allen Schulformen etablieren

  • Diskriminierung und Ausgrenzung findet vermehrt auch in sozialen Medien statt, auf die pädagogisches Personal und Eltern kaum Zugriff haben. Medienpädagogik an Schulen muss hier neue Wege und Methoden entwickeln, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene fachlich auf der Höhe der Zeit über Gefahren im Internet aufzuklären, für Gendervielfalt zu sensibilisieren und Gegenstrategien gegen Hatespeech zu vermitteln.

Leicht zugängliche Informationsquellen zur politischen Bildung für Kinder und Jugendliche in Bildungs-Einrichtungen bereithalten (digital und analog)

  • Es sollten sowohl Tablets mit empfehlenswerten Apps als auch Bücher und Broschüren (bspw. der Bundeszentrale für politische Bildung) für alle Schüler*innen ständig verfügbar sein. Aufbauend darauf sollten tagesaktuelle politische Debatten in Schule und Bildung auch tatsächlich thematisiert werden. Nach Ansicht der Expert*innen besteht hier erhebliches Entwicklungspotential.
  • sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Unterricht als verpflichtender und fächerübergreifender Standard
  • hauptamtliche Ansprechpersonen für Nichtdiskriminierung an Schulen und Kitas etablieren
  • Selbstwirksamkeitserfahrungen in Schule und Unterricht ermöglichen
  • Fortbildungen ermöglichen und Angebote der mobilen Beratung annehmen, um Fachkräfte hinsichtlich Vielfalt und Diskriminierung und zur Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten im Berufsalltag zu sensibilisieren.

Strategien

  • Re-Framing: Positive, nicht defizit-orientierte Begriffe sollten selbstbewusst in die Werbung der Vielfaltsprojekte übernommen werden. Nach dem Motto: „Wir sprechen frei und offen über alle Beziehungsformen, Lebensstile und Geschlechtsidentitäten.“
  • gelebte Vielfalt auch in Schulen sichtbar machen: geoutete Lehrkräfte als persönliche Vorbilder
  • Stärkung der Vernetzung und des Erfahrungsaustauschs der Fachkräfte untereinander sowie der Vernetzung zwischen Bildungseinrichtungen zum Kompetenzaustausch;
  • Aufklärung führt zu mehr sexueller Selbstbestimmung und folglich auch zu mehr Sicherheit vor sexuellen Übergriffen.
  • Lehrkräfte und/ Erziehende müssen zu Symbolen, Strategien, Rhetoriken und Zielen rechtspopulistischer Akteur*innen und Organisationen gestärkt werden (Fortbildung, Studium).
  • Mit diesem Wissen können sie anschließend Begriffe dekodieren: zum Beispiel ‚Demokratie‘ oder ‚kindliche Sexualität‘ gemäß ihrem inhaltlichen Kern definieren und in Argumentationen mit Gegner*innen diese Definition beibehalten.

Was ist wichtig für die Gegenargumentation?

  • das jeweilige Gegenüber nach seinen Quellen befragen
  • ruhig und sachlich bleiben
  • Diskriminierungen eindeutig widersprechen und Haltung zeigen
  • nachfragen: „Wer fragt, führt“
  • konsequent bei einem Thema bleiben, kein Themen-Hopping

Wie können Lehrkräfte auf Anfeindungen im Schulunterricht reagieren

  • Kindern und Jugendlichen keine Konsequenzen androhen, ohne sie auch tatsächlich folgen zu lassen
  • sofort und unmittelbar reagieren: Beleidigungen direkt benennen und Gespräch mit Schüler*innen im Nachgang
  • Empathie herstellen: „Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand das zu dir sagt?“ oder diskriminierende Situationen in Rollenspielen nachspielen

Quellen

(3) Vgl. Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes über LSBTI*-Lehrkräfte in Deutschland, abgerufen am 19.11.2018.

(4) Vgl. Beutelsbacher Konsens, abgerufen am 19.11.2018

(5) Zitiert nach: Kultusministerkonferenz (2018): Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule. S. 5, abgerufen am 19.11.2018

(6) Vgl. relevante Artikel im Grundgesetz: Freie Entfaltung der Persönlichkeit: Art. 2 (1); Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit: Art. 2 (2); Gleichberechtigung von Mann und Frau und der staatliche Auftrag, diese Norm durchzusetzen: Art. 3 (2); Schutzvor Diskriminierung: Artikel 3 (3).

(7) Vgl. Recht auf Meinungs-und Informationsfreiheit (Art. 13 Kinderrechtskonvention)

 

Das LSVD-Projekt „Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken“ fördert die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans* und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI*). Die Stärkung von LSBTI*, ihren Verbündeten und Fachkräften steht dabei ebenso im Vordergrund wie die Entwicklung nachhaltiger Strategien und der Aufbau zivilgesellschaftlicher Allianzen gegen Homosexuellen- und Trans*Feindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus sowie gegen jede weitere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Der Bericht ist ein Auszug aus der Dokumentation der Regionalkonferenz „Gegensteuern - Rechtspopulismus und Gleichstellungsgegner*innen die Stirn bieten.“, die das Projekt im Oktober 2018 in Leipzig veranstaltet hat.