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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Selbstbestimmungsgesetz muss diskriminierungsfrei sein

Nachverhandlungen in entscheidenden Punkten nötig

Pressemitteilung vom 07.12.2023

Berlin, 07.12.2023. Das Selbstbestimmungsgesetz befindet sich in den parlamentarischen Verhandlungen. Am 15.11. wurde es in der ersten Lesung im Bundestag diskutiert. Am 28.11. kamen Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung im Familienausschuss zusammen. Nun besteht die letzte Gelegenheit, den Entwurf in einzelnen Regelungen nachzubessern und die Stellungnahmen der Zivilgesellschaft miteinzubeziehen. Dazu erklären der Bundesverband Trans* (BVT*) und der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD):

In einem ersten Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren war vorgesehen, dass das Selbstbestimmungsgesetz noch im Dezember 2023 in die 2./3. Lesung und damit in Abstimmung geht. Momentan ist unklar, ob die beteiligten Ampelfraktionen an diesem Vorgehen festhalten werden. 

Dazu erklärt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* (BVT*): “Viele Personen wünschen sich, dass ein Selbstbestimmungsgesetz möglichst bald in Kraft tritt. Gleichzeitig gibt es mehrere Kritikpunkte an dem aktuellen Entwurf, sodass Nachbesserungen dringend erforderlich sind. Wir appellieren an alle Beteiligten, den Prozess nicht zu überstürzen und so lange wie notwendig miteinander über Änderungsvorschläge zu diskutieren und zu verhandeln. Ziel muss sein, ein Gesetz einzuführen, das trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in ihren Grundrechten respektiert.”

Alva Träbert aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) fügt hinzu: “Der aktuelle Regierungsentwurf würde den Änderungsprozess des rechtlichen Geschlechtseintrags für intergeschlechtliche Personen u.a. durch die Dreimonatsfrist, die Regelung zum Eltern-Kind-Verhältnis und die Übermittlung der Informationen an Sicherheitsbehörden aktiv verschlechtern. Das ist inakzeptabel. In der Gesetzesbegründung werden sowohl intergeschlechtliche als auch nicht-binäre Menschen kaum erwähnt. Und im aktuellen Entwurf unterliegen Minderjährige und Menschen mit Betreuungsstatus weiterhin einer fremdbestimmten Entscheidung – er verfehlt damit im Kern sein Ziel: Selbstbestimmung. Wir fordern Selbstbestimmung ohne Einschränkung für alle trans*, inter* und nicht-binären Menschen.”

Diese Punkte wurden auch in der Anhörung im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz gestärkt. Dort waren Nele Allenberg (Deutsches Institut für Menschenrechte), Bettina Heiderhoff (Universität Münster), Kalle Hümpfner (Bundesverband Trans*), Richard Köhler (Transgender Europe), Henrike Ostwald (Deutscher Frauenrat) und Sybille Winter (Charité Berlin) für die Fraktionen der Ampelparteien geladen. Als Sachverständige sprachen sich alle für eine Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung auf der rechtlichen Ebene aus. An einzelnen Regelungen im Gesetzentwurf wurde jedoch auch Kritik geübt. 

Wiederholt wurde in diesem Zusammenhang die vorgesehene automatisierte Datenübermittlung an Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden (§ 13 Abs. 5 SBBG-E) erwähnt. Diese allgemeine Datenweitergabe sei unverhältnismäßig und widerspreche dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dazu erklärt Alva Träbert vom LSVD: “Die geplante automatisierte Datenübermittlung löst bei Menschen, die ihren Personenstand nach SBGG ändern wollen, berechtigte Sorge aus. Sie könnte trans* und intergeschlechtliche Personen zukünftig z.B. davon abhalten, als Zeug*innen auszusagen, weil sie dann in den Registern der Sicherheitsbehörden gespeichert sind – und damit bei einer späteren Personenstandsänderung auch Informationen über ihre Transition aufgenommen werden.”

Anna-Katharina Mangold (Uni Flensburg) formulierte im  Familienausschuss des Bundestags deutliche Kritik an den Einschränkungen für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Dass bei der Änderung des Geschlechtseintrags an einen bestimmten Aufenthaltsstatus angeknüpft werde, sei ein klares Problem, da es um ein Menschenrecht gehe. Auch die vorgeschlagene abstammungsrechtliche Regelung (§ 11 SBBG-E) wurde kritisiert, da sie die Eintragung als rechtliches Elternteil für Personen erschwert, die ein Kind gezeugt haben, aber keinen männlichen Geschlechtseintrag führen. Würde der Entwurf unverändert in Kraft treten, müssten beispielsweise trans* Frauen, die biologisches Elternteil sind, ein Gerichtsverfahren durchlaufen, um rechtlich als Elternteil anerkannt zu werden. 

Änderungen beim Selbstbestimmungsgesetz werden seit der Veröffentlichung des Referent*innen-Entwurfs im Mai 2023 von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen gefordert - darunter der Deutsche Frauenrat, das Deutsche Institut für Menschenrechte, der Deutsche Juristinnenbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, der Paritätische Gesamtverband, die Frauenhauskoordinierung und nicht zuletzt Beratungsinstanzen der Bundesregierung selbst wie die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Kalle Hümpfner erklärt in diesem Zusammenhang abschließend: “In den vergangenen Monaten ist deutliche Kritik aus menschenrechtlicher Perspektive an dem Entwurf geäußert worden. Es wäre eine äußerst schmerzliche Entwicklung, wenn die Kritik unberücksichtigt bliebe. Die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes darf jetzt nicht übers Knie gebrochen werden.”

Weiterlesen: 
Schriftliche Zusammenfassung und Mitschnitt der Ausschussanhörung
Schriftliche Stellungnahme von Kalle Hümpfner zur Vorbereitung der Ausschussanhörung
Gemeinsame Stellungnahme von LSVD und IMeV zum Regierungsentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz
Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationssicherheit (BfDI) zum Selbstbestimmungsgesetz
Petition auf innn.it “Diskriminierung & Misstrauen raus aus dem Selbstbestimmungsgesetz!”: https://innn.it/jazuselbstbestimmung

LSVD-Bundesverband

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