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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Neurechte Agitationen gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Bildung

Fachforum auf der 2. LSVD-Regionalkonferenz „Gegensteuern - Rehtspopulismus und Gleichstellungsgegner*innen die Stirn bieten.“ des Projektes „Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken“

Dokumentation der Ergebnisse des Fachforums auf der 2. Regionalkonferenz „Gegensteuern - Rechtspopulismus und Gleichstellungsgegner*innen die Stirn bieten.“ des LSVD-Projektes „Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken“ in München am 08.11.2018.

Expertin: Dr. Carolin Küppers, Wissenschaftliche Referentin der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Leitung: Axel Hochrein, LSVD-Bundesvorstand

Ihren Input für das Fachforum stellte Dr. Carolin Küppers unter das Zitat der Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels, Carolin Emcke: „Verschiedenheit ist kein hinreichender Grund für Ausgrenzung.“

Einleitend verwies sie auf das Grundgesetz in seinen ersten drei Artikeln. Dieses liefert bereits die Grundlage für das Recht auf Vielfalt in der Bildung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“

Weiterhin trat sie für einen intersektionalen Zugang in der Bildungsarbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ein. Dieser sollte nicht die Anpassung an eine vermeintliche Normalität anstreben, sondern selbstbewusst ein Recht auf Vielfalt einfordern.

Querschnittsthema: Vielfalt sichtbar machen

Hierfür ist es wichtig, Vielfalt als gesellschaftliche Realität sichtbar zu machen und für eine Gesellschaft einzutreten, in der alle Merkmale eines Menschen gleichermaßen wertgeschätzt werden. Auf diese Weise kann ein solidarischer Umgang miteinander gestaltet werden.

Carolin Küppers plädierte dafür, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nicht lediglich als einmaliges Thema wie etwa im Rahmen eines Workshops von spezialisierten Teams in der Bildung zu behandeln, sondern als langfristiges Querschnittsthema (beispielsweise in allen Schulfächern) zu verankern. Diese Verankerung sollte bereits in der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften beginnen.

Angriffe auf Pädagogik der Vielfalt

Dabei sollte der Nutzen der intersektionalen Arbeitsweise in den Vordergrund gestellt werden. Küppers machte auf eine Diskrepanz aufmerksam: einerseits postulieren die Gegner*innen einer Pädagogik der Vielfalt, dass sie in ihren Sorgen und Ängsten nicht ernst genommen würden. Andererseits geht genau diesen Gegner*innen eine wie auch immer geartete Empathiefähigkeit gegenüber anderen Denkweisen, Herkünften und Lebenseinstellungen usw. ab.

Die Stärkung dieser Empathie-Fähigkeit ist laut Carolin Küppers die vorrangige Aufgabe in der Schule und in der politischen Bildung. Denn nur mit Empathie kann ein grundsätzliches Verständnis für das Gegenüber und eine gegenseitige Verständigung erreicht werden. Zudem verwies Küppers auf die neue Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung „Sexualitäten, Geschlechter und Identitäten“ mit einer thematischen Materialsammlung für die schulische und außerschulische Bildung. (15)

Im weiteren Verlauf sammelten die Teilnehmenden grundlegende Herangehensweisen, um die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Bildung zu verteidigen. Als ein entscheidender Faktor wurde die grundsätzliche Haltung ausgemacht, mit der dem jeweiligen Gegenüber begegnet wird.

Haltung

  • Unvoreingenommene Empathie zum Gegenüber erzeugt die richtige Strategie und Kommunikationskultur, um die anderen Menschen ernst zu nehmen und sowohl inhaltlich als auch emotional persönlich zu erreichen.
  • Um Empathiefähigkeit zu entwickeln, ist ein positives Selbstbild unabdingbar bzw. Voraussetzung.
  • Vielfalt als Ist-Zustand vermitteln sowie positiv darstellen und kommunizieren

Kommunikationsstrategie

Die Teilnehmenden stellten mehrere Aussagen gemäß einer dementsprechenden Kommunikationsstrategie zusammen:

  • „Vielfalt bereichert.“
  • „Vielfalt willkommen heißen.“
  • „Ohne Angst verschieden sein können.“

Im Bewusstsein der eigenen Vielfalt kann Empowerment für die LSBTI*-Community erreicht werden. Auf diese Weise erlangt die Community die Sicherheit, dass sie bereits gesellschaftliche Vielfalt lebt. Mit dieser Sicherheit werden die Akteur*innen gestärkt, um in die Auseinandersetzung mit den Gegner*innen von Vielfalt zu gehen.

Als Leitgedanke dient nach Ansicht der Teilnehmenden der Satz „Wir haben das Wissen über gelebte Vielfalt.“ Ein guter Denkanstoß im Rahmen einer empathischen Kommunikationsstrategie ist folgende Frage. Sie kann zum Beispiel bei Schüler*innen im Rahmen eines Workshops „Aha“-Erlebnisse hervorrufen: „Hast du dir schon einmal ausgesucht, in wen du dich verliebst?“ Dabei kann dem Gegenüber der Nutzen vermittelt werden, indem ein Gedankenexperiment mit folgender Stoßrichtung durchgeführt wird: „Was bedeutet es für dich, wenn niemand mehr Angst hat, verschieden zu sein?“

Die Kommunikationsstrategie sollte immer der Situation gemäß angepasst werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Adressat*innen bewusst angesprochen werden. Die Ansprache sollte altersgemäß und passgenau sein. Das heißt, insbesondere sollte vermieden werden, „oberflächliche Phrasen zu dreschen“.

Zielführender ist es, die Adressat*innen mit leicht verständlichen und emotional ansprechen-den Aussagen anzusprechen.

Empathiefähigkeit

  • die Entwicklung von Empathiefähigkeit unterstützen durch die Erzählung von Geschichten, die Emotionen hervorrufen können
  • Emotionen aufgreifen und anschließend Inhalte vermitteln
  • Diskriminierungen deutlich
  • Definitionsmacht wieder erlangen
  • Überzeugung durch sachliche Diskussion in einem geschützten Rahmen

In dieser Haltung kann das Werte-Quadrat des Kommunikationswissenschaftlers Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun hilfreich sein. Demnach sollte immer nachgefragt werden, in welcher Weise dem Gegenüber Nachhaltigkeit, Sicherheit und Gemeinsinn wichtig sind. Denn nur vor diesem Hintergrund ist eine fruchtbare Diskussion möglich, die beide Seiten weiterbringt.

So beachten – idealtypisch –beide Seiten, welche Werte der gesellschaftlichen Ordnung als Grundlage der Auseinandersetzung und der Suche nach Lösungen dienen sollen. (16)

Forderungen für die Bildungspolitik in Bayern und auf Bundesebene

Was ist nötig, um die Regenbogen-Kompetenz in Schule und Bildung zu erhöhen?

  • Intersektionalität / menschenrechtsbasierte Ansätze als Grundlage für Vermittlung/Lehrkonzepte/Handeln in Schule und Bildung
  • sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Ausbildung pädagogischen Personals einbeziehen (von Kita über Schule bis Erwachsenenbildung)
  • sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den Online-Schulungen für Sexualbeauftragte der bayrischen Schulen berücksichtigen
  • Schule ohne Rassismus vor Kürzungen schützen (sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist Teil des Projekts)
  • sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Wertediskussion im Bundesland Bayern einbringen

Maßnahmen in der Bildungspolitik

  • Schulbuchverlage zur Aufnahme von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in die Lehrmaterialien überzeugen und auf das Kultusministerium einwirken, um inklusive Lehrmaterialien zu fördern oder durchzusetzen: Verbände wie der LSVD, die GEW und weitere Verbände sind hierbei gefordert
  • Fortbildungen für Lehrkräfte und pädagogisches Personal zum Thema „Umgang mit menschenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich“ anbieten, um dadurch das Bewusstsein über Diskriminierungsformen und die Sicherheit in diskriminierungsfreier/-armer Sprache zu vermitteln
  • Demokratische Grundwertevermittlung muss fächerübergreifend in der Schule umgesetzt werden (entspricht nicht dem Ist-Zustand).
  • Schulen der Vielfalt etablieren (17)

Strategien

  • lokale Bündnisse schließen, um Fortbildungen in Kooperation mit freien Trägern zu organisieren
  • bei Demonstrationen (zum Beispiel der sogenannten „Demo für alle“) mit Passant*innen reden, da diese möglicherweise von Vielfalt zu überzeugen sind
  • die Sprache vereinfachen, um inhaltlich und emotional verstanden zu werden; insbesondere Fremdwörter mit Vorsicht verwenden, da diese für viele unverständlich sind (so wäre z.B. „Geschlechter-Rollen“ verständlicher als „Gender“, meint aber das Gleiche)
  • Verbündete stärken, sensibilisieren, informieren (Eltern, Landesschüler*innen-Vertretungen, Landeselternrat, Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit) und Module in JuLeiCa-Ausbildung zum Thema anregen.

Weiterlesen

Fußnoten

15 Siehe dazu www.bpb.de/shop/lernen/themen-und-materialien/275375/sexualitaeten-geschlechter-und-identitaeten
16 Siehe dazu www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-werte-und-entwicklungsquadrat
17 Siehe dazu www.schule-der-vielfalt.org/land-bayern.htm